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Foodjournalismus: „Am Thema Essen führt kein Weg vorbei“

Interview mit dem freien Foodjournalisten Jörn Kabisch

Im Bundestagswahlkampf 2013 machten sich die Grünen mit einer Forderung nicht gerade viele Freunde: Künftig, so war im Wahlprogramm zu lesen, sollte es in den Kantinen der Republik einen fleischlosen Tag pro Woche geben – den sogenannten „Veggie Day“. Was folgte, waren zahlreiche Proteststürme und ein bis heute fortwährendes Image der Grünen als Bevormundungspartei. Das Beispiel zeigt, welche gesellschaftspolitische Dimension das Thema Ernährung besitzt. Und es zeigt auch, dass die Berichterstattung über den Bereich nicht auf Rezepte, Diäten oder Ähnliches zu reduzieren ist. Doch was zeichnet die Arbeit eines Fachjournalisten im Ressort Ernährung und Genuss konkret aus? Darüber sprach der Fachjournalist mit Jörn Kabisch, Essenskolumnist bei „taz“ und „Freitag“ und einer der bekanntesten Foodjournalisten in Deutschland. Im Fachjournalist-Interview geht es unter anderem um deutsche Hausmannkost, die von chinesischen Wok-Gerichten abstammt, eine neue Klasse von Ernährungsprofis und darum, wie Journalisten den Trend „bewusste Ernährung“ für sich nutzen.

Herr Kabisch, vielen gilt „Essen“ als ein Allerlei-Thema im Journalismus: Ein Rezept hier, ein Gesundheitstipp da, alles ganz nett, aber nicht wirklich interessant.

Was schade ist! Ganz im Gegenteil würde ich Essen als das Human-Interest-Thema par excellence bezeichnen. Denn wissen Sie: Man kann sich entscheiden, Kinder zu bekommen oder nicht; wenn ja, dann kauft man sich Elternmagazine. Man kann sich auch entscheiden, wählen zu wollen oder nicht; je nachdem informiert man sich politisch. Aber Essen muss man; an dem Thema führt kein Weg vorbei.

Hinzu kommt, dass die Menschen und ihre Esskulturen weltweit verbundener sind, als den meisten bewusst ist. Das Gericht Leipziger Allerlei stammt wahrscheinlich von christlichen Mönchen, die nach ihrer Rückkehr aus China mal ein Wok-Gericht nachkochen wollten. Und in dem, wie und was ein Mensch isst, spiegelt sich auch dessen Weltbild und Charakter wider. Sie können das Thema Essen somit wunderbar für tiefgründige Porträts nutzen. Im Essen liegt auch immer ein Moment Entschleunigung; das lässt sich bestens nutzen, um den Leser mitzunehmen.

Was verstehen Sie unter „Mitnehmen“? Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ich stelle mir gerne die Frage: Warum schmecken uns Sachen? Das hat beispielsweise mit Erinnerungen aus der Kindheit oder dem Urlaub zu tun, aber auch weil es politisch geboten ist. Darüber reflektiere ich in meinen Texten. Ich habe den Eindruck, dass meine Leser sich gerne darauf einlassen, weil eben jeder diesen sehr persönlichen Bezug zum Essen hat.

Ein plakatives Beispiel, wie gut man als Journalist Menschen mit dem Thema Essen mitnehmen kann, war die Koch-Show von Alfred Biolek. Da ging es ja nicht wirklich darum, ob ein Rollbraten dieses oder jenes Gewürz braucht. Das gemeinsame Kochen diente dazu, dass Biolek mit seinem Gast in eine entspannte Gesprächsatmosphäre kam, die dann wiederum in eine spannende Konversation mündete.

Apropos spannend: Was sind die aktuellen Trends in Sachen Essen, die für Journalisten interessant sind?

Der große Trend über allem ist sicher, dass die Leute immer bewusster essen. Da gibt es Karnivoren, also Fleischfresser, und Veganer oder auch Leute, die sich mit Apps wie Freeletics körperlich optimieren wollen und dazu ein entsprechendes Essen verlangen.

Diese Entwicklung ist Ausdruck der immer stärkeren Differenzierung und Individualisierung in der Gesellschaft. Neu-Veganer sind meist unter 30 und weiblich; Leser der Zeitschrift „BEEF“ zum Großteil über 30 und männlich. Sich zu einer bestimmten Art des Essens zu bekennen, ist für viele inzwischen essenzieller Bestandteil der eigenen Persönlichkeit. Das Essen spiegelt wider, was mir als Mensch wichtig ist: zum Beispiel Genuss, gesund leben oder auch ausgefeilte Technik.

Technikaffinität und Essen?

Gerade Männer, die Gefallen am Kochen gefunden haben, sind bereit, viel Geld für japanische Küchenmesser aus Spezialstahl oder High-End-Grills auszugeben.

Technikaffine kochende Männer sind also die neue Zielgruppe des Foodjournalismus?

Zu der klassischen Kundengruppe für Foodjournalisten, den bürgerlichen Frauen über 40, kommen inzwischen laufend neue hinzu. Diese Ausdifferenzierung sieht man deutlich an den Magazintiteln. In Deutschland dominierte über Jahrzehnte der klassische Feinschmeckerjournalismus. Dessen Flaggschiff ist bis heute das Magazin „essen & trinken„. Seit rund drei Jahren ändert sich das massiv. Anfang des Jahres habe ich mal versucht, zu erfassen, wie viele vegetarische und vegane Zeitschriftentitel inzwischen existieren. Bei 14 habe ich aufgehört zu zählen.

Wie bediene ich als Journalist Foodthemen?

Im Wesentlichen gibt es drei Felder, auf denen ich mich betätigen kann. Einmal die klassische Essenskritik, die dem Leser transparent machen soll, was an Genuss und Qualität bei Nahrungsmitteln möglich ist. Ein Best-Practice-Beispiel ist Jürgen Dollase mit seiner Kolumne „Geschmackssache“ in der „FAZ“. Dann gibt es Medien wie die „taz“, die Foodthemen immer auch unter den Gesichtspunkten Politik und Verbraucherschutz behandeln. An dritter Stelle kommt dann der große Bereich Vermischtes und Panorama mit dem Spargelgericht in der Kundenzeitschrift der AOK und Ähnlichem.

Ein spezieller Aspekt ist: Food ist ein äußerst visuelles Thema. Ich kenne deshalb viele Kollegen, die ihr Portfolio auch um Foodstyling und Foodfotografie erweitert haben. Ich mache das nicht. Ich bin ein Schreiber alter Schule.

Sie haben „essen & trinken“ erwähnt: Welche Medien sind aus ihrer Sicht die wichtigsten im Foodbereich in Deutschland?

Wie gesagt, der Markt ändert sich. Aber wichtige Medien sind auf jeden Fall „Der Feinschmecker„, das auch schon erwähnte „BEEF“ sowie „Effilee„. Bei den Zeitungen hat die „FAZ“ die Nase vorn.

In Sachen Best Practice ist mein Tipp für Kollegen, die sich Essensthemen widmen möchten, mal Texte von Mark Bittman und Tim Hayward zu lesen. Der Erstgenannte ist Foodkolumnist der New York Times, der andere vom britischen Guardian. Allgemein gilt, das Foodjournalismus im angelsächsischen Raum als vollwertige Gattung angesehen wird, wie Politik oder Wirtschaft, und somit einen höheren Stellenwert genießt.

Wenn das Thema Essen so breit gefächert ist, ist es dann nicht gerade für Nachwuchsjournalisten sinnvoll, sich hier zu versuchen?

Ja, das sehe ich auch so. Die erwähnten zahlreichen Gruppen verlangen alle nach Information und Einordnung zu ihren Spezialinteressen; da ist der Bedarf nach journalistischem Handwerk groß.

Man muss nicht gleich Koch gelernt oder Ernährungswissenschaften studiert haben, wie einige Kollegen. Guter Geschmack, der sich auch in der Schreibe zeigt, reicht auch. Und es gibt Themen zuhauf. So ändert sich gerade die Restaurantkultur immens über den Streetfood-Trend. McDonald´s und Co. werden auf breiter Front angegriffen. Es eröffnen überall Imbisse, die auf Qualität setzen, meist über regionale Bioprodukte. Man könnte sich beispielsweise überlegen, einen Streetfood-Führer für Berlin anzugehen, basierend auf einer App. Und trotz Globalisierung gibt es international noch viele Küchen zu entdecken. Ich glaube, nur wenige Leute wissen, dass man Peru wegen seiner ausgefeilten Küche als „Frankreich Südamerikas“ bezeichnen kann.

Wo knüpfe ich am besten an, wenn ich mich als Journalist dem Thema Essen widmen möchte?

In Deutschland gibt es leider keine journalistische Ausbildung in diesem Bereich. Dabei lassen sich über das Essen so viele andere Zugänge zu gesellschaftlichen Themen finden: Landschaft, Handwerk, Wirtschaft, Business, Kunst und Kultur – um nur einige zu nennen.

Spezialisten auszubilden wäre für viele Verlage wirtschaftlich sinnvoll. Vielleicht entstehen mittelfristig noch Studiengänge an den deutschen Hochschulen. Hier sind Österreich und Italien schon weiter, wo man Gastrowissenschaften studieren kann. In Deutschland lässt sich grundsätzlich eine kuriose Entwicklung beobachten, wenn es um das Fachwissen im Bereich Ernährung geht.

Und die wäre?

Da, wo das Fachwissen zum Essen traditionell in unserer Gesellschaft angesiedelt ist, in den Lebensmittelberufen, gibt es eine massive Entprofessionalisierung. Immer weniger wollen Metzger oder Bäcker werden. Essen als Gut für den eigenen Lifestyle wird immer wichtiger, trotzdem schwindet die Attraktivität dieser Berufe immer mehr.

Dagegen dominieren jetzt zunehmend Autodidakten die Pflege und die Weiterentwicklung des Ernährungswissens. Ein Beispiel dafür ist Karl-Ludwig Schweisfurth, Ex-Besitzer der großen Fleischmarke Herta. Heute ist er mit seinen Söhnen Vorreiter der ökologischen Tierhaltung in Deutschland mit einem Hof in Bayern. Hier kommt vielleicht wieder der Wunsch nach einer Entschleunigung ins Spiel. Viele dieser Autodidakten waren über 30 und beruflich erfolgreich, bevor die Entscheidung fiel, „ich werden jetzt Meister im Brotbacken“ oder Ähnliches.

Von dieser Klasse neuer Profis in Ernährungsfragen zurück zu den Journalisten: Welcher Weg ist für diese erfolgreich, um als Food-Fachjournalist anerkannt zu werden?

Im Food-Bereich lautet der Weg zum Erfolg heute: Einen Blog aufziehen und bekannt machen, dann ein Buch schreiben und schließlich mit dem so gewonnenen Renommee als Journalist Erfolg haben. Stevan Paul hat das so gemacht. Aber man sollte nicht nur einfach gern essen. Kompetenz ist das Stichwort. Ich erlebe immer wieder Gesprächspartner, die mir sagen, dass sich Kollegen einen Begriff wie al dente erklären lassen oder Hefe- und Sauerteig nicht auseinanderhalten können.

Herr Kabisch, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Joern_Kabisch

Foto: Anja Weber

Jörn Kabisch, 44, kocht seit seinem vierten Lebensjahr. Er war lange Blattmacher und von 2008 bis 2012 stellvertretender Chefredakteur des „Freitag“. Er hat danach die Leidenschaft endgültig zum Beruf gemacht, arbeitet heute als freier Foodjournalist und ist „kulinarischer Korrespondent“ der „taz“. Außerdem bloggt Kabisch auf tabldoot.

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