Fotojournalismus und Bildredaktion – wohin geht der Weg?
Andreas Trampe, Senior Photo Editor der stern-Bildredaktion, im Interview.
Der erfahrene Bildredakteur Andreas Trampe gibt im Gespräch mit Ralf Falbe Auskunft über das, was ihn bei der Sichtung des Bildmaterials bewegt, und spricht über die aktuellen Herausforderungen für den Fotojournalismus. Außerdem zeigt er Möglichkeiten für Neueinsteiger:innen auf und bespricht die Zukunftsaussichten beim Einsatz neuer Techniken.
Sie haben im Laufe Ihrer Karriere als Bildredakteur und Fotochef sicherlich große Mengen an Bildmaterial gesichtet. Was macht für Sie ein gutes Foto aus, was überrascht Sie immer noch?
Mich sprechen vor allem gut gestaltete Bilder an, zum Beispiel Bilder aus einem besonderem Blickwinkel. Dann kann im Vordergrund auch gerne mal ein nicht so wichtiges Bildelement unscharf sein. Es geht ja darum, das Leben einzufangen, also Menschen im Alltag, bei der Arbeit oder in der Kommunikation mit anderen zu zeigen. Und dann sind Emotionen für mich wichtig.
Unser Magazin soll sich visuell erheblich von der Tagesschau, alltäglichen Bildern im Internet oder der Fotografie in einer Lokalzeitung abheben. Es geht im Magazinjournalismus darum, Fotos mit einer längeren Bestandszeit zu finden, die möglichst dauerhaft im Kopf der Betrachtenden hängenbleiben. Der stern steht für eine sehr hohe Bildqualität, das ist unser Anspruch und Alleinstellungsmerkmal.
Und natürlich muss ein Bild für mich auch journalistisch relevant sein, ganz klar.
Nach welchen Kriterien vergibt der stern freie Fotoaufträge? Haben auch unbekannte Fotograf:innen oder Newcomer eine Chance? Wie recherchieren Sie Ihre Fotograf:innen und worauf achten Sie bei Bewerbungen?
Wir haben natürlich einen Stamm von festen Fotograf:innen, die zu uns passen und in unserer Bildsprache fotografieren. Das sind treue Partner:innen, die wir lange kennen. Aber wir schauen uns auch immer nach neuen Fotograf:innen um.
Dabei spielt heute auch der Standort eine Rolle: Wer in Erfurt lebt, hat es leichter als jemand in Berlin, wo wir knapp 500 Kontakte zu Bildjounalist:innen haben. Es geht also auch immer um die Frage: Wo lasse ich mich als Fotograf:in nieder? Auch in Leipzig oder Stuttgart ist es einfacher, mit uns in Kontakt zu treten, als in Hamburg oder eben Berlin. Dann ist entscheidend: Wie fotografieren die Leute und welche Vorstellungen haben sie vom Journalismus?
Ich würde sagen, dass wir etwa zu 85 Prozent mit bewährten Kräften arbeiten und den Rest an neue Fotograf:innen vergeben. Denn natürlich sind wir immer offen für neue Leute und neue Geschichten, das bereichert ja auch den stern. Bei Bewerbungen freue ich mich über ein Anschreiben mit der Projektbeschreibung, dazu ein PDF-Dokument mit Arbeitsproben oder eine Vita sowie allgemeine Arbeitsproben.
Ich habe ungefähr 1.500 Fotograf:innen in meinem Telefonbuch, sodass wir bei einer internationalen Arbeit auch lokale Fotoreporter:innen, zum Beispiel in Polen, der Ukraine oder Frankreich, buchen können. Das hat natürlich den Vorteil, dass diese Fotograf:innen die Landessprache sprechen, eigene Netzwerke vor Ort unterhalten und somit viel leichter einen Zugang zu den geplanten Themen finden können.
Sind Redaktionsbesuche zum persönlichen Kennenlernen noch gewünscht und zeitgemäß?
Redaktionsbesuche sind immer noch ein gern gesehenes Mittel der Kontaktaufnahme und des persönlichen Kennenlernens. Zusätzlich machen wir zweimal monatlich digitale Meetings á 20 Minuten, in denen sich Fotograf:innen bei uns mit ihren Arbeiten vorstellen können. Diese „Teams-Meetings“ sind außerordentlich praktisch, was die Effizienz angeht. Die Teilnehmenden sparen Zeit und Geld, denn es ist ja schon aufwendig, wenn man für einen 30-minütigen Mappentermin aus München, Köln oder Berlin anreisen muss.
Mit welchen Bildagenturen arbeiten Sie regelmäßig zusammen? Wie hoch ist der Anteil an Agenturbildern im stern?
Wir arbeiten bestimmt mit mehr als 300 Agenturen zusammen, darunter natürlich namhafte Partner wie Laif, Getty-Images, AP oder Magnum. Gerade die Agentur Laif in Köln nimmt bei uns einen besonderen Stellenwert ein, denn sie vertritt die meisten sehr, sehr guten Fotograf:innen in Deutschland.
Von diesen rund 300 Agenturen kooperieren wir vielleicht mit 20 bis 25 Prozent intensiv, sodass wir im stern pro Ausgabe wohl auf rund 40 bis 50 Prozent Agenturbilder kommen. Bei wichtigen Bildern achten wir aber darauf, keines dieser Standard-Stockfotos einzukaufen, die sich infolge vieler Flatrate-Abos durch die deutsche Medienlandschaft ziehen. Wir produzieren ja die Geschichten hinter den News, kuratieren also die Welt jede Woche für unsere Leserschaft. Dafür setzen wir beim stern auf eine hochwertige Bildsprache und arbeiten bei der Bebilderung schwieriger Themen, wie zum Beispiel nachhaltiges Alltagsleben oder psychische Erkrankungen, auch gerne mit Illustrationen. Das erweitert die normale Fotografie noch einmal um ein weiteres wirkungsvolles, visuelles Stilmittel.
Welche fotografischen Ansätze und Themen haben eine Chance darauf, langfristig zu funktionieren? Können Sie bestimmte Trends erkennen?
Migration, der russische Krieg in der Ukraine oder die globale Klimaerwärmung sind „Dauerthemen“, die journalistisch relevant sind. Gleichzeitig tritt bei diesen Themen natürlich eine gewisse Ermüdung bei uns allen auf.
Unsere Hauptaufgabe ist es deshalb, immer wieder neue Ansätze und Erzählstränge zu finden, um diesen relevanten „Dauerthemen“ Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die journalistische Reportagefotografie sowie eine faktenbasierte News-Berichterstattung über die Krisenherde dieser Welt wird es also auch weiterhin geben.
Der Bildermarkt gilt als schwierig, die Honorare sinken seit Jahren, der Fotojournalismus kämpft auch mit neuen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz. Wie beurteilen Sie die Zukunft der Branche?
Die Branche ist unter Druck, durch die fortschreitende Digitalisierung hat sich sehr viel verändert. Und durch den Konsum der Medien über das Smartphone hat sich eine Art „Häppchenjournalismus“ entwickelt. Das bedeutet für Publikationen wie stern, GEO, Zeit oder Spiegel eine neue Herausforderung, um die Leserschaft mit ihren – eher ausführlichen Inhalten – zu erreichen.
Der Journalismus, auch der Bildjournalismus, hat sich schon stark in die digitale Welt verlagert, deshalb investieren wir beim stern gerade enorme Kraft, Planung und auch Geld in eine noch bessere Webseite. Wir möchten künftig die Bilder auf stern.de für die digitalen User noch besser editieren, kuratieren und präsentieren – so, wie wir das seit Jahrzehnten in unserer Print-Ausgabe zum Beispiel mit doppelseitigen Fotos tun.
Viele junge Fotograf:innen gehen heute ganz selbstverständlich mit dem Thema Video um, das ist ein gutes zusätzliches Medium. Durch eine gelungene Mischung aus Bild, Bewegtbild, Ton, Grafik, Interview, Text und eine gute Dramaturgie lassen sich manche Geschichten sicherlich sogar emotionaler und informativer verdichten.
Aber, was auch gesagt sein muss: Guter Journalismus kostet einfach Geld, das in irgendeiner Form erwirtschaftet werden muss.
Der hochwertige Magazinjournalismus ernährt immer weniger Fotograf:innen. Viele Bildjournalist:innen leben mittlerweile überwiegend von Workshops, Aufträgen im Bereich Corporate Publishing, Produkt- oder Hochzeitsfotografie. Sehen Sie darin eine positive Entwicklung für die moderne Bildsprache oder können Sie einen Qualitätsverlust in der klassischen Reportagefotografie feststellen?
Es gibt heute deutlich mehr und auch bessere Bilder auf dem Markt als noch vor 30 Jahren. Das ist gar kein Vergleich, da liegen Welten dazwischen. Die junge Generation der Fotograf:innen ist deutlich besser ausgebildet und natürlich ist auch die ganze Fototechnik viel ausgereifter. Es gibt technisch gesehen kaum noch schlechte Bilder, höchstens langweilige. Für Bildabnehmer ist das eine Art Schlaraffenland, für Fotograf:innen eine wirtschaftlich wirklich schwierige Situation.
Auch in der Reportagefotografie gibt es außergewöhnlich gute Arbeiten – wobei viele davon nur durch Selbstausbeutung entstehen. Das ist natürlich keine positive Entwicklung: Viele Fotograf:innen müssen ihr Geld zusätzlich im Bereich Corporate Publishing, Produkt- oder Hochzeitsfotografie verdienen. Aber das ist ja nicht grundsätzlich negativ, denn auch diese Bereiche haben ihre Herausforderungen und auch die Arbeit an einem Geschäftsbericht kann Spaß machen.
Es ist heute wohl für Fotograf:innen wirtschaftlich wenig sinnvoll, den Journalismus ausschließlich in Fotos zu denken. Ein solides Fundament an neuen Skills ist notwendig geworden. Was erwarten Sie neben einer hochwertigen Bildsprache? Können auch Videos oder Multimedia-Projekte ein neuer Weg zu Einkommen und Sichtbarkeit sein?
Ja, das stimmt. Die Fotograf:innen müssen – und das tun sie ja bereits – heute in Fotos, Videos und Multimedia-Erzählformaten denken. Und wir buchen auch bestimmte Freischaffende, die neben der Fotografie auch im Videobereich recht produktionssicher sind. Wenn dann der Job intensive Videoarbeit erfordert, dann ist es fair und richtig, dass dafür Zusatzhonorare gezahlt werden.
Das Thema „konstruktiver Journalismus“ wurde zuletzt breit diskutiert auf Messen und Tagungen. Weg vom „News Fatigue“, der Erschöpfung der Leserschaft durch schlechte Nachrichten durch das Aufzeigen von Handlungsempfehlungen. Das kann auch eine tiefere Recherche sein oder ein anderer Blick mit mehr Reflexionsvermögen auf eine aktuelle Krise. Sehen Sie diese Entwicklung auch in der Reportagefotografie?
Ja, ganz klar. Am Anfang muss immer eine Idee stehen: Was produziere ich hier eigentlich? Bilder aus dem Ukrainekrieg, die Artilleriegeschütze an der Front zeigen, sind aktuell nicht mehr der passende visuelle Ansatz. Es herrscht einfach eine Übersättigung an solchen Fotos, ähnlich wie an den vielen Schlauchbootfotos mit Migrant:innen im Mittelmeer, die kaum noch eine Leserin oder einen Leser emotional erreichen. Das klingt zynisch, ist aber nicht so gemeint. Es nützt ja nichts, „politisch korrekte Fotos“ zu veröffentlichen, die bei der Leserschaft nicht mehr ankommen. Aber das heißt eben auch nicht, dass wir über diese Themen nicht mehr berichten – sondern es heißt, dass wir bessere und originellere Ideen haben müssen, um diese Themen umzusetzen.
Was raten Sie Nachwuchskräften, die in die Bildredaktion einsteigen möchten?
Die klassische Bildredaktion wird eigentlich nur noch von einigen wenigen Leuchttürmen in der deutschen Medienlandschaft gepflegt, also vorwiegend von stern, GEO, Zeit oder Spiegel und natürlich großen Tageszeitungen wie F.A.Z., BILD, Welt oder Süddeutscher Zeitung. Ein Job mit großer Zukunft ist es nicht. Anders im Bereich Online, da gibt es bestimmt noch etwas mehr Spielraum und Wachstum.
Insgesamt ist schon ein Verlust an Bildkompetenz in deutschen Redaktionen zu beobachten. In vielen Fällen halte ich das für einen Riesenfehler: Gerade die Tageszeitungen können sich durch die Pflege einer eigenen Bildsprache, durch ein eindeutiges visuelles „Gesicht“, deutlich von Mitbewerbern im Web und im Fernsehen abheben und somit etwas ganz Eigenständiges anbieten – für die die Leserschaft dann auch bereit ist, zu bezahlen.
Fotos sind schließlich die Verpackung für gute Geschichten. Und visuell gut gestaltete Produkte erfahren einfach eine höhere Aufmerksamkeit.
Das Gespräch führte Ralf Falbe.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Andreas Trampe absolvierte nach dem Abitur ein Foto Volontariat und arbeitete anschließend sieben Jahre als Fotoreporter für Tageszeitungen und diverse Zeitschriften (u. a. BILD am Sonntag und BUNTE). Von 1991 bis 1996 war er Fotochef bei BILD am Sonntag, seit 1996 ist er beim stern. Dort war er erst als stellvertretender Ressortleiter in der Bildredaktion tätig und später 19 Jahre als Fotochef. Seit 2019 ist er bei diesem Magazin Senior Photo Editor. Andreas Trampe ist Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), Mitbegründer des „Hamburg Portfolio Review“ und des stern-Förderprogramms „Junge Fotografie“, bei dem jedes Jahr eine Studentin oder ein Student nach dem Hochschulabschluss eine einjährige Fotografenstelle bei der Zeitschrift erhält.