Grüne (R)Evolution? Junger Öko-Journalismus in Printmagazinen
Welche Auswirkungen hat das neue gesellschaftliche Nachhaltigkeitsbewusstsein auf journalistischer Ebene? Konstruktivität und Anwendbarkeit erweisen sich als gute Ansätze für die Berichterstattung. Damit verlassen grüne Themen im Printmagazin-Bereich langsam, aber sicher die bisherige Nische. Die junge Zeitschrift „Ö“ ist ein Indikator für all das.
Nachhaltige Entwicklung bedeutet: Die globalen Entwicklungen verstehen lernen […] und im eigenen Umfeld und mit anderen Handlungsstrategien zu entwickeln, die wir gemeinsam als richtig erkennen. (Elsen 2011, S. 15)
Nachhaltigkeit ist längst kein Randthema mehr, das als Öko-Quatsch belächelt wird. Anzeichen dafür können wir im Alltag erkennen: Supermärkte steigen auf Tragetaschen aus Papier um, große Modeketten bieten Kleidung aus Recycling-Material an und selbst Kantinen und Mensen bieten oft ein Bio-Gericht an. Alternative Ernährungsweisen wie Veganismus sind weitgehend etabliert, Konsumethik in Form von fairem Handel (auch bei Unternehmen), Sharing oder Selbermachen wird für Verbraucher immer wichtiger (vgl. Otto GmbH & Co. KG 2013, S. 27).
Ein guter Indikator für Trends sind die Medien. TV, Hörfunk und zahlreiche Printmagazine, darunter viele Neugründungen, beschäftigen sich seit einiger Zeit verstärkt mit Naturnähe, Ethik, der Bedeutung von Zeit für die Menschen sowie Selbstverwirklichung. Öko ist wieder hip – das zeigt sich an explizit nachhaltigkeitsorientierten und gesellschaftsanalytischen Magazinen wie „enorm“ oder „taz.Futurzwei„ (ehem. „zeozwei„), aber auch in Beiträgen „gewöhnlicher“ Lifestylemagazine und traditioneller Zeitungen. Darüber hinaus zeichnet sich der Bedarf einer jüngeren Generation nach Nachhaltigkeitsthemen in einem ebenso jungen Rahmen ab: Die Zeitschrift „Ö“ hat seit gut einem Jahr den Anspruch, mit Themen wie Umwelt, Gesellschaft und Do it yourself „ganz profan“ die Welt zu retten, wie die Website beschreibt. Andere Neugründungen, wie beispielsweise „greenup“ (2016), ziehen nach. Doch welche Bedeutung hat eine Zeitschrift wie „Ö“ für ihre Zielgruppe und was lässt sich daraus für die künftige Herangehensweise bei der Vermittlung ökologischer und nachhaltiger Themen im Magazinjournalismus ableiten?
Experten: Nachhaltigkeit muss konstruktiv vermittelt werden
Um das herauszufinden, wurden in einer Studie vier Magazinmacher als Experten befragt. Diese bestätigten, dass Nachhaltigkeit als Konzept in der Gesellschaft akzeptiert wird und sich zunehmend etabliert – die Grundlage für ein Magazin wie „Ö“ ist also von gesellschaftlicher Seite gegeben. Auch die Situation der Branche – trotz der realen finanziellen Probleme – bietet solchen Magazinen eine reelle Chance, da sich Spartenjournalismus immer mehr durchsetzt. Ihrer Ansicht nach ist es durchaus möglich, Nachhaltigkeitsjournalismus und das Format Printmagazin mithilfe von Social Media oder anderen PR-Aktionen auf andere Publikationsebenen zu tragen sowie durch neugedachte Erweiterungen zu bereichern.
Schwieriger gestaltet sich das Erreichen einer großen Zielgruppe – die eine gibt es nämlich nicht: Nicht alle Veganer reduzieren auch ihren Plastikverbrauch, nicht alle Ökostrom-Bezieher haben automatisch ein tadelloses Nachhaltigkeits-Bewusstsein, nicht alle Bio-Käufer sind dies aus ganzheitlicher Überzeugung. Um die diversen Großgruppen anzusprechen, kann es helfen, Berührungsängste mit Begrifflichkeiten wie „öko“ oder „nachhaltig“ abzubauen und offener auf das Thema zuzugehen.
Nachhaltigkeitsjournalismus kann aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger vermittelt werden. Unterhaltung ist der Erfolgsfaktor für ein Magazin: positive Haltung, populärjournalistische Sprache und Humor. Ist die Brücke zwischen potenziellem Leser und Zeitschrift erst einmal geschlagen, müssen die zu vermittelnden Inhalte motivierend und konstruktiv sein; im Idealfall kann der Leser das Wissen selbst anwenden. Außerdem muss die Qualität der Beiträge stimmen: Gut recherchierte, richtig dargestellte Sachverhalte in einem verständlichen und kurzweiligen Gewand sind der Schlüssel zur erfolgreichen Vermittlung und zur Umsetzung.
Letztendlich ist auch die Diskursbereitschaft ein grundlegender Baustein für guten Nachhaltigkeitsjournalismus in Magazinen. Können sich die Leser zu einem Sachverhalt äußern und tauschen sich die zuständigen Journalisten mit ihren Lesern aus, entsteht für beide Seiten ein Mehrwert. Leser und Journalisten können im Dialog ihr Wissen erweitern und Journalisten erhalten Einblicke in die Lesersicht. Dies fördert die Entwicklung einer vertrauensbasierten Bindung von Leser und Magazinmacher.
Bei der Zeitschrift „Ö“ erkennen die Experten Marktpotenziale, sehen aber auch eine Gefahr durch die Einschränkung der Zielgruppe durch Titel und Subtitel des Magazins: Es ist unklar, ob bereits der Begriff „öko“ potenzielle Leser abschreckt oder ob er vielleicht gar nicht als Erstes an der Zeitschrift wahrgenommen wird. Die Beantwortung dieser Frage hat gravierende Folgen für das langfristige Bestehen der Zeitschrift.
Gute Inhalte, hoher Preis – das Magazin „Ö“ aus Sicht der jungen Leser
Ein Fokusgruppengespräch mit fünf potenziellen Lesern zwischen 23 und 25 Jahren zeigte, dass das Heft – aus Sicht der Zielgruppe – Leserpotenzial hat. Für die Gruppe bot das Magazin sowohl unterhaltende Elemente als auch spannende Artikel, die tendenziell als alltagsrelevant beurteilt wurden.
Dem Problem der Neulesergewinnung und -bindung liegt laut der Gruppe hauptsächlich am relativ hohen Preis und einem fehlenden (sinnvollen) Goodie, zum Beispiel einem Tütchen Wildblumensamen. Die Gruppe begrüßte die haptische Qualität des Printmagazins, wünschte sich aber zusätzlich mehr Onlineinhalte, die die vorhandenen Inhalte ergänzen. Im Vergleich mit anderen Zeitschriften, die sich mit der Vermittlung nachhaltiger Themen beschäftigen, wurde deutlich, dass „Ö“ optisch und inhaltlich zu jungen Menschen passt und die Thematik aufgelockert vermittelt, an einigen Stellen allerdings durchaus mehr wissenschaftliche Aspekte eingebracht werden können.
„Ö“ – eine Bewertung
Das Magazin „Ö“ scheint auf einem guten Weg zu sein, sich in der Branche zu etablieren. Dies zeigt sich in der Gegenüberstellung der wichtigsten Ergebnisse aus den Befragungen. Aspekte, die Experten bei einem erfolgreichen, jungen Printmagazin im populären Öko-Bereich für essenziell halten, lagen aus Nutzersicht bei „Ö“ bereits vor. Lesernähe, unterhaltende Elemente, neue Vermittlungsformen – all das wurde gelobt. Die von den Nutzern erwartete stärkere Verknüpfung des Printmagazins mit digitalen Inhalten wurde von den Magazinmachern bereits realisiert. Problematisch sehen beide Parteien die eng definierte Zielgruppe. Während die Experten die Öffnung über die Distanzierung von „typisch öko“-Begrifflichkeiten und Beseitigung von Vorurteilen sehen, schätzt die Zielgruppe schon simple Marketingkniffe als erfolgreich ein, zum Beispiel die Preissenkung oder die Beilage von Goodies. Beides ist aus Machersicht bei einem Magazin wie „Ö“ aus einem kleinen Verlag schwer realisierbar.
Zusammenfassend lässt sich also feststellen:
- „Ö“ bietet Lesern, die bereits an Nachhaltigkeitsthemen interessiert sind, eine informative, unterhaltsame und großteils (journalistisch) innovative Möglichkeit, Wissen zu vertiefen, anzuwenden und neue Themen zu entdecken.
- Eine Wechselwirkung zwischen digitalem und analogem Journalismus (zum Beispiel durch Verweise vom einen ins andere Medium) ist für eine erfolgreiche, zukunftsfähige Vermittlung nachhaltiger Themen empfehlenswert.
- Um ein breiteres Publikum zu erreichen, muss mit Marketing und/oder Preispolitik und/oder (zum Beispiel am Titel) optisch erkennbarer Zielgruppenerweiterung gearbeitet werden.
Fazit: Informiert werden – Wissen – Verstehen – Umsetzen
Klar ist: Eine Zeitschrift, und sei sie noch so gut gemacht, kann allein keinen Wandel der Gesellschaft erreichen. Ohne die passenden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (zum Beispiel durch entsprechende Gesetze und Angebote) fehlen Kernelemente. Mut machende, anwendbare Geschichten mit Informationswert sind dabei ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung.
Nachhaltigkeitsbewusstes Handeln beruht dabei auf der Abfolge Informiert werden – Wissen – Verstehen – Umsetzen. Zu dieser Handlungskette können Zeitschriften wie „Ö“ beitragen. Das Angebot grüner Medien ist so präsent wie nie zuvor und wächst stetig weiter; der Transfer auf die breite Gesellschaft steht allerdings (noch) auf einem anderen Blatt – vielleicht aber nicht mehr ganz so weit hinten im Buch.
Literaturverzeichnis
Elsen, S. (2011): Die Zukunft hat begonnen – eine Einführung, in: Elsen, S.; Rausch, G. (Hrsg.): Ökosoziale Transformation. Solidarische Ökonomie und die Gestaltung des Gemeinwesens, Neu-Ulm, S. 9-18.
OTTO GmbH & Co. KG (2013): Lebensqualität. OTTO Group Trendstudie 2013. 4. Studie zum ethischen Konsum; trendbuero.com/wp-content/uploads/2013/12/Trendbuero_Otto_Group_Trendstudie_2013.pdf.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Die Autorin Stella Lorenz ist freie Journalistin für verschiedene Printmedien. Nach ihrem Bachelor-Studium in Kunst, Musik und Medien an der Philipps-Universität Marburg studierte sie Medienentwicklung an der Hochschule Darmstadt, wo sie zuletzt als Lehrbeauftragte für journalistisches Schreiben tätig war. Schwerpunkte ihrer Arbeit und ihres Lebens abseits des Schreibtischs sind Kultur, grüne und gesellschaftliche Trends.