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Hauptberuf Literaturwissenschaftler, Nebenberuf Kulturjournalist

Johannes Franzen über seinen Weg ins Feuilleton renommierter Medien.

Seine Laufbahn führte ihn von der Wissenschaft in den Journalismus, aus der Universität in das Kulturressort von Medien wie Zeit Online, F.A.Z. oder Deutschlandfunk. Der promovierte Literaturwissenschaftler Johannes Franzen berichtet im Fachjournalist darüber, wie er zum journalistischen Schreiben gekommen ist, welche Probleme sich dabei ergeben haben und wie er die Zukunft seines Ressorts beurteilt.

Sie bespielen kulturjournalistische Formate, aber das Schreiben ist nur ein Nebenjob. Hauptberuflich arbeiten Sie als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Siegen. Wie ist Ihre Erfahrung: Kann man vom Kulturjournalismus leben?

Als ich vor fünf Jahren mit dem feuilletonistischen Schreiben angefangen habe, dachte ich: Vielleicht wäre das eine alternative Karriere, für F.A.Z., taz & Co. zu schreiben – das läuft doch gut. Als ich nach dem ersten Jahr einen Kassensturz gemacht habe, musste ich jedoch feststellen: Leben kann man davon nicht so richtig. Ältere Kolleg:innen erzählen, dass dies – vor der Digitalisierung und bevor die Werbeeinnahmen bei den Zeitungen und Magazinen eingebrochen sind – durchaus mal anders war.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie das heute zumindest für Neueinsteiger:innen funktionieren kann, nur als freie Kulturjournalist:innen tätig zu sein. Für eine Rezension muss man schließlich ein dickes Buch lesen und seine Gedanken dazu dann aufschreiben. Und die Honorare sind äußerst gering, niedriger als früher. Das rechnet sich nicht. Auf Twitter gab es letztens einen großen Aufruhr, als eine Kollegin offenlegte, dass sie für die Feuilleton-Aufmacherseite im Tagesspiegel 90 Euro bekommen hat.

Bildet Ihr Vorgehen also die Realität ab? Wird der freie Kulturjournalismus de facto von Wissenschaftler:innen getragen?

Das kann ich schwer einschätzen. Grundsätzlich frage ich mich aber schon: Wird es die Figur des freien Kulturjournalisten überhaupt noch geben in fünf Jahren? Oder gibt es dann nur noch Leute, die das aus der Uni heraus machen, was ja auch schade wäre? Ich bin da einigermaßen ratlos.

Was ich aber weiß: Es gibt in den (Geistes-)Wissenschaften auch ein gewisses Misstrauen, eine Abwehr gegenüber der journalistischen Öffentlichkeit. Wissenschaftler:innen sagen, der Journalismus sei ihnen nicht komplex genug, da müsse man zu viele Kompromisse machen mit der wissenschaftlichen Integrität. Auf der Seite von Journalist:innen herrscht dabei gegenüber Wissenschaftler:innen das Vorurteil, sie schrieben zu trocken, zu umständlich, zu unverständlich.

Wie reagieren ausgebildete Journalist:innen auf Sie?

Es gibt generell einen – berechtigten – Unmut von professionellen Journalist:innen gegenüber den „Lohndrücker:innen“ von der Uni. Auch mir ist es am Anfang aus Unerfahrenheit so gegangen, dass ich mich manchmal etwas habe abspeisen lassen mit niedrigen Honoraren.

Die Redaktionen fragen sich natürlich: Woher bekommen wir günstigen oder sogar kostenlosen Content? Manche Wissenschaftler:innen sind dankbar, mal für die Zeitung schreiben zu dürfen oder ins Radio zu kommen. Und da sie sowieso ein festes Gehalt haben, stellt es für sie kein Problem dar, nicht gut für ihre Artikel bezahlt zu werden. Das führt aber für Fachjournalist:innen, die auf ein angemessenes Honorar angewiesen sind, zu einer Form von Konkurrenz, mit der sie sich schwer auseinandersetzen können.

Wie kamen Sie überhaupt zum Journalismus – neben Ihrer wissenschaftlichen Karriere?

Ich hatte schon immer ein großes Interesse am Feuilleton. 2019 habe ich einen alten Twitter-Account reaktiviert – das war der Einstieg. Ich habe Sachen gepostet, mit Leuten kommuniziert. Meine Tweets liefen ganz gut und wurden oft kommentiert und retweetet. Irgendwann wird man dann wahrgenommen.

Twitter ist ein Medium, das mir liegt: Ich mag das Schnelle, etwas Ruppige. Diese Plattform bietet eine Form von alternativer Öffentlichkeit, die es ermöglicht, etwas zu publizieren.

Nachdem ein Text bei 54books auf Twitter gut gelaufen war, meldete sich schließlich die Redaktion von Zeit Online, ob ich einen Artikel für sie schreiben würde. Dann folgten auch weitere Redaktionen. Über Twitter hatte ich die Möglichkeit zu einem Quereinstieg in den Journalismus – auch ohne acht Praktika in den Medien gemacht zu haben.

Was macht guten Kulturjournalismus aus?

In erster Linie: dass er nicht langweilig ist. Ich bin der Meinung, dass Journalismus in gewissem Sinne auch eine Form der Unterhaltung ist. Menschen lesen unsere Artikel schließlich in ihrer Freizeit, das ist in der Regel nicht ihr Job. Insofern steht man als Literaturjournalist in Konkurrenz zu Netflix, zu einem Kino- oder Theaterbesuch.

Ein guter Text ist mit einem gewissem Flair geschrieben, aber er ist auch gut durchargumentiert. Die These bedient nicht nur leere Polemik (Stichwort: Debattenfeuilleton), sondern nimmt das Thema aus einer intellektuellen Perspektive heraus ernst. Ein Gespür für Entertainment muss man allerdings auch haben.

Was ich beim Schreiben versuche: so spaßig wie möglich zu sein, aber auch so wissenschaftlich wie möglich. Nicht bildungsbeflissen, aber mit Genauigkeit. Diese Mischung hinzubekommen, ist allerdings mit viel Arbeit verbunden.

Apropos: Wie vereinbaren Sie Ihren Vollzeitjob mit Ihrer journalistischen Tätigkeit?

Das ist natürlich, wie immer im kulturellen Feld der Gegenwart, mit Selbstausbeutung verbunden. Ich schreibe vor der Arbeit oder nach Feierabend. Dabei versuche ich, Synergien herzustellen.

Es kann sein, dass ich einen Aufsatz schreibe für einen Sammelband. Der ist dann in sehr wissenschaftlichem Ton gehalten und viel zu lang. Daraus ergibt sich aber ein Ansatzpunkt. Ein Beispiel: Kürzlich ist ein Essay von mir zu Benjamin von Stuckrad-Barres neuem Buch „Noch wach?“ im Schweizer Online-Magazin „Republik“ erschienen. Dafür konnte ich auf meine Dissertation zurückgreifen. Und wenn es dann läuft, schreibe ich den Artikel recht schnell.

Welche Eigenschaften muss man als Kulturjournalist:in mitbringen?

Kulturjournalist:innen sind professionelle Rezipient:innen, die anderen helfen, ihre Urteilskraft zu verbessern. Wir sehen uns nicht nur Filme an, sondern wollen darüber sprechen. Diese Diskussionen können im Kulturjournalismus auf hohem Niveau stattfinden.

Dafür braucht man auch nicht 18 Semester Literatur studiert zu haben, das kann sogar schaden. Ein gewisses Auskennertum ist allerdings schon wichtig, damit man in seiner Rezension den Text in einen Vergleich stellen kann.

Ein Kulturjournalist braucht außerdem eine gewisse kritische Fähigkeit, die Bereitschaft zu sagen, wenn etwas nicht gut ist – auch wenn der Autor oder der Verlag dann beleidigt ist.

Wenn sich jemand für den Kulturjournalismus entscheidet: Welche ersten Schritte sollten Newcomer:innen in Ihrem Ressort gehen?

Was ich empfehlen kann, wenn man Lust darauf hat: eine Präsenz in den Social Media. Das ist eine relativ barrierefreie Form der Vernetzung, über die man ins Gespräch kommen kann – so, als würde man Menschen in der Kneipe kennenlernen. Und über das, was andere posten, bekommt man wiederum einen Überblick über relevante Themen.

Ich kann generell nur jedem raten, viel zu lesen. Und: Wenn man vorher nur Wissenschaft gemacht hat, ist es wirklich wichtig – das klingt jetzt sehr altväterlich –, an seinem Stil zu arbeiten. Sich damit zu beschäftigen: Wie schreibe ich einen guten Text? Einen Text, der zum einen verstanden wird, zum anderen der Leserschaft auch Freude bereitet.

Es geht im Kulturjournalismus eigentlich darum, den Hedonismus der Rezipient:innen zu befriedigen. Das ist nicht der Fall, wenn der Text trocken oder verquast ist.

Was sollten Kulturjournalist:innen nicht tun?

Es mit Social Media übertreiben. Ja, es ist eine gute Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, auf sich aufmerksam zu machen. Aber auch eine gute Möglichkeit, zu nerven – indem man ununterbrochen herummarodiert, provoziert, Menschen verletzt.

Und man muss auch eine gewisse Bereitschaft mitbringen, seine Texte redigieren zu lassen. Bei der redaktionellen Arbeit am Text sollte man sich zwar nicht alles gefallen lassen, aber auch nicht bei jedem veränderten Wort beleidigt herumdiskutieren.

Inwiefern ist eine Spezialisierung im Kulturjournalismus sinnvoll?

Grundsätzlich sind Kulturjournalist:innen Generalist:innen und sollten sich dafür interessieren, was im Hier und Jetzt in der Kultur passiert. Aber der Universalerkläranspruch mancher Feuilletonist:innen kann auch nerven.

Die Fragen, die man sich stellen muss, sind: Worauf kann man sich konzentrieren? Welche Kompetenzen habe ich? Bei manchen Themen reicht die Kompetenz halt nur für zwei wütende Tweets, aber es gibt möglicherweise Kolleg:innen, die tiefgründiger darüber schreiben können. Ich kann zum Beispiel etwas Allgemeines über Filme schreiben, aber würde nicht zu den Filmfestspielen von Cannes fahren und professionelle Filmanalysen schreiben.

Jede:r sollte sich überlegen: Was sind Themen, für die ich brenne? Nicht jeder will und kann über alles schreiben. Man sollte keine Anfragen annehmen, von denen man denkt, dass sie einem nicht liegen.

Inwiefern empfinden Sie die künstliche Intelligenz (KI) als Bedrohung?

Ich habe damit herumgespielt, war aber nicht zu beeindruckt. Ich glaube, wenn es einen Bereich im Journalismus gibt, den die angebliche Konkurrenz durch künstliche Intelligenz relativ unbekümmert lassen kann, dann ist es der Kulturjournalismus. Warum?

Die Feuilleton-Leser:innen lesen die Texte gerne, weil sie elegant formuliert sind. KI kann sicherlich einen Bericht über etwas schreiben, Texte zusammenfassen. Aber im Kulturjournalismus gibt es einen gewissen Sound und einen Individualstil.

Ich habe, wie viele andere, ChatGPT am Anfang mal beauftragt, einen Text im Stil von Kafka und verschiedenen anderen Autoren zu schreiben, aber stilistisch schienen mir diese Texte mehr oder weniger alle gleich zu sein. Insofern ist KI meinen Augen erst einmal keine Bedrohung.

Kulturjournalismus im Internet bringt nochmals zusätzliche Herausforderungen mit sich: Wie erreicht man im Internet das Publikum und wer ist dieses Publikum?

Die digitalen Ausgaben der Zeit oder der F.A.Z. sind hier im Vorteil, weil sie ihr Publikum und das Prestige schon mitbringen. Wir experimentieren mit dem Online-Feuilleton 54books, in dem längere kulturwissenschaftliche Essays zu Büchern, digitaler Kultur, Musik, Serien erscheinen.

Aber es ist gar nicht so einfach, ein neues Publikum aufzubauen. Man ist da sehr auf die fragile Aufmerksamkeit in den sozialen Medien angewiesen.

Ein Faktor, der noch dazukommt, ist, dass man sich als Kulturjournalist:in inzwischen auch damit auseinandersetzen muss, dass Menschen im Internet den professionellen Rezensent:innen auf Seiten wie Amazon und Goodreads Konkurrenz machen. Das wird von vielen Kulturjournalistin:innen als Bedrohung wahrgenommen. Ich denke aber, dass hier auch eine Quelle von Energie liegt, die man ernst nehmen und in die eigene Arbeit integrieren sollte.

Das Gespräch führte Ulrike Bremm.

Titelillustration: Esther Schaarhüls.

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Foto: Katharina Stahlofen

Dr. Johannes Franzen, Jahrgang 1984, ist Literaturwissenschaftler und seit Anfang 2018 freier Kulturjournalist. Er arbeitet für Medien wie die F.A.Z., taz, Zeit Online oder den Deutschlandfunk. Er ist Mitgründer, Herausgeber und Redakteur des Online-Feuilletons 54books und betreut die Seite POP Online. Zudem betreibt er den zweiwöchentlichen Newsletter „Kultur & Kontroverse“, den man hier abonnieren kann. Seit April 2022 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Germanistischen Institut der Universität Siegen und am Sonderforschungsbereich „Transformationen des Populären“. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur der Universität Bonn. 2018 erschien sein Buch „Indiskrete Fiktionen“ im Wallstein Verlag. Twitter: @johannes42

 

 

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