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Ich kenn’ da jemanden! Wie internationale Journalistenagenturen die Medienbranche verändern könnten

Entlassungen, Zeitverträge, sinkende Quoten. Magere Budgets, Pauschalisten, dünne Recherchen. Seit Langem wird über den Untergang des Qualitätsjournalismus diskutiert und geweint. Im Wahn des Aktualitätsfetischismus und unter der Knute der Klickraten wird lieber abgeschrieben, aus dem Archiv geborgt und auf Twitter verlinkt. Besonders Korrespondentenbüros im Ausland leiden unter Kürzungen, sind unterbesetzt oder hören einfach auf zu existieren. Als eine Reaktion darauf sind in den vergangenen Jahren internationale Journalistenagenturen entstanden: Sie vernetzen Freelancer mit Redaktionen – und könnten damit die Medienbranche verändern.

Das Modell von Unternehmen wie Storyhunter, Paydesk oder ARA scheint genau an der richtigen Stelle anzusetzen: Wie Modelagenturen moderieren sie zwischen Journalist und Medienunternehmen. Eine Produktionsfirma braucht einen Kameramann im Kongo, kann es sich aber nicht leisten, jemanden extra dorthin zu fliegen? Storyhunter wird in seiner Kartei jemanden finden. Ein Magazin möchte einen Eindruck von der Situation des Sextourismus auf Kuba bekommen, hat aber niemanden vor Ort? Keine Sorge, ARA kennt einen spanisch sprechenden Journalisten in Havanna.

Agenturen als Vermittler – weltweit

„Eigentlich haben wir als Kollektiv begonnen und wollten in der Gruppe unsere Kräfte bündeln, um so auf die Kürzungen in unserer Branche zu reagieren. Das Projekt hat sich dann mit der Zeit einfach natürlich entwickelt”, erzählt Jabeen Bhatti, Managing Editor bei den Associated Reporters Abroad (ARA). „Plötzlich wurden wir angefragt, haben Kontakte geknüpft, Journalisten vermittelt und bemerkt, dass es einen Bedarf für diese Art Brücke zwischen Journalist und Medien gibt.” Die Agentur ARA hat ihren Sitz in Berlin, schöpft aber aus einer Gruppe von über 100 Reportern aus etwa 50 Nationen. „Entweder das Unternehmen tritt an uns mit der Bitte heran, einen geeigneten Journalisten für eine bestimmte Story zu finden. Oder aber der Reporter selbst schlägt eine Geschichte vor und wir empfehlen den passenden Kontakt. Es kommt auch vor, dass wir selbst eine Geschichte aufspüren und dann einen Redakteur gezielt darauf ansetzen.”

In Zeiten einer steigenden Anzahl von freien Journalisten ist das ARA-Modell logisch und Erfolg versprechend. Freelancer sparen die Zeit langwieriger Kundenakquise und können ihre Energie auf tiefgründigere Recherchen verwenden. TV-Journalisten wird ein Team und Technik zur Seite gestellt; auch die Postproduktion wird unterstützt. Und Medienunternehmen profitieren von einem umfassenden Pool an Experten, die an vielerlei Orten der Welt zuhause sind. Sie haben meist bessere Einsicht in das lokale Geschehen, sprechen idealerweise die jeweilige Landessprache und sind trotzdem nicht fest bei Sender oder Zeitung angestellt.

Catherine Field ist Freelancerin und seit Anbeginn bei Paydesk dabei. Sie genießt es, den Zahlungsverkehr, die Akquise und das Pitchen nicht mehr selbst übernehmen zu müssen. „Ich kann mich voll und ganz auf den Auftrag konzentrieren und muss meinem Geld nicht mehr hinterherlaufen. Das hat mich eigentlich am meisten am Freelancer-Dasein gestört”, erzählt die Neuseeländerin, die seit 1999 in Frankreich lebt und arbeitet. Sie genießt die Arbeit mit der Internetplattform: „Mich erreichen Kunden, die sonst vielleicht nie auf mich gekommen wären.” Über Paydesk arbeitet Field mit CBS in den USA, CBC in Kanada, TV Indonesia und RTE, dem öffentlichen Radiosender Irlands, zusammen: „So bin ich Korrespondentin für viele verschiedene Unternehmen.” Sie bediene zwar immer noch Kunden in Neuseeland, aber die Auftragslage durch Paydesk sei so gut, dass sie kaum noch selbst aktiv Beiträge generieren müsse.

Eine Schutzklausel für die Plattform gibt es dabei nicht: Field könnte jederzeit zu einem ihrer Kunden abwandern und direkt mit ihm zusammenarbeiten. Sie sei jedoch loyal, so die Reporterin, sie schätze die Transparenz des Angebots. Man wisse bereits zu Beginn der Verhandlungen, wie hoch das Gehalt für einen Job ist und könne ihn mit ähnlichen Aufträgen und dem Marktpreis vergleichen. „Genau das ist die Idee”, betont Henry Peirse, Gründer von Paydesk. Journalisten sollen auch miteinander in Kontakt treten: „Wir regen immer dazu an, die Kommunikation in der Community zu suchen. Tausch dich mit anderen Freelancern über Gehalt und Kunde aus. Gib Feedback. Die Plattform ist zuallererst für die Journalisten da.”

Internationale Journalistenagenturen

Associated Reporters Abroad (ARA): Sitz: Berlin; Gründungsjahr: 2008; Mitglieder: ca. 100
Kunden: The Washington Times, The Guardian, CNBC, AlJazeera, taz, Die Welt, El Mundo, Spiegel Online, The Daily Beast und weitere

Media Diplomat: Sitz: Online; Gründungsjahr: 2011; Mitglieder: über 10.000
Kunden: CNBC, Reuters, Huffington Post und eine große Anzahl an PR-Firmen

Paydesk: Sitz: London; Gründungsjahr: 2014; Mitglieder: über 1.500
Kunden: France24, CBC, FoxNews, CBS

Storyhunter: Sitz: Brooklyn, NYC; Gründungsjahr: 2012; Mitglieder: ca. 15.000
Kunden: CNN, National Geographic, TIME, AJ+, Discovery Digital Networks

Finanzieller Erfolg durch Agenturen?

Auf den ersten Blick klingt das Geschäftsmodell optimal. Doch verdient dabei nicht immer einer mit? Fakt ist, dass die Honorare des Endkunden nicht automatisch steigen, nur weil ein Mittler dazwischen steht. Durch die Abgaben an die Agentur erhält der Journalist am Ende ein noch geringeres Gehalt. Paydesk nimmt ganze 25 Prozent als Vermittlungsgebühr pro Auftrag, ARA nur 10 Prozent. Die Agentur garantiert dabei nur die Vermittlung – sobald Auftraggeber und Freelancer an einem Projekt arbeiten, gehen nur sie miteinander eine vertragliche Verpflichtung ein.

Lucian Kim aus Illinois steht der Zusammenarbeit mit den Agenturen kritisch gegenüber. Kim arbeitet zurzeit als Freelancer in Berlin, nachdem er fast 20 Jahre als Korrespondent in Russland verbracht hat: „Als Schreiber kannst Du von diesen Agenturen vielleicht ein bisschen extra Taschengeld erwarten. Meinen Lebensunterhalt kann ich damit aber nicht verdienen.“

Sicherung der Qualität

In der Printbranche, so sagt Kim, leide außerdem die Qualität der Beiträge durch den großen Pool an „hungrigen“ Freelancern. Texte kann man einfach und ohne technisches Vorwissen erstellen. Daher tummeln sich in diesem Bereich besonders viele gering qualifizierte Freiberufler. Aber auch hier gibt es Unterschiede: Agenturen wie Paydesk, Media Diplomat und Storyhunter sind Online-Auftragsbörsen, die mit einer großen Anzahl an Freelancern operieren und auf Fact-Checking und Vermittlung setzen; kleinere Agenturen wie ARA konzentrieren sich hingegen auf Produktion und Ausbildung. Kann sich der Nutzer bei vielen Online-Vermittlungsagenturen einfach registrieren und mit einem Portfolio um potenzielle Jobs bemühen, muss er bei ARA zuerst einen Bewerbungsprozess durchlaufen. „Wir trainieren unsere Reporter und wollen dies in Zukunft mithilfe einer Stiftung noch weiter ausbauen. Wir garantieren einen hohen Standard durch eine kritische Auswahl unserer Autoren.”

Leitlinien sind notwendig

Auch gewisse Leitlinien müssen in der Kooperation festgelegt werden. Der Trend zur Scheinselbstständigkeit muss unterbunden werden. Zudem sind Mindestpreise und klare Vertragsabsprachen vor allem bei riskanten Einsätzen zu garantieren. Es ist wichtig, dass die Agenturen in Zukunft einen durchgängigen Konsens vorgeben. Gerade in Krisengebieten kann man diese Aspekte in der Tat nicht genug betonen: Wie ist der freie Reporter versichert? Wer sind die Ansprechpartner in einem Notfall? Und gibt es eine Rückholgarantie? Eine enge Kooperation zwischen Journalist und Agentur muss gesichert sein.

Fazit

Man darf trotz aller Vorteile nicht vergessen, dass keine Agentur den direkten Kontakt und Austausch mit einer Redaktion ersetzen kann: „In den letzten zehn Jahren sind viele solcher Modelle aufgetaucht. Die meisten davon sind jedoch in Vergessenheit geraten”, stellt auch Jabeen Bhatti von ARA fest. ARA sei eines der ersten Modelle seiner Art gewesen und man habe mit der Zeit viele ähnliche Wettbewerber auf den Markt drängen sehen. Durch ihre Qualitätssicherung können sie sich aber durchsetzen: „Es ist richtig, dass viele Initiativen unserem Modell gefolgt sind und keinen Erfolg gehabt haben. Wir sind jedoch mittlerweile seit sieben Jahren dabei und können uns vor Aufträgen kaum retten. In Zeiten, in denen sich der Journalismus so dramatisch verändert, kennt niemand die magische Formel zum Erfolg.”

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Franziska KnupperAls Absolventin der Universität der Künste Berlin und freie Journalistin arbeitet Franziska Knupper in Berlin und Tel Aviv. In ihren publizistischen sowie akademischen Beiträgen beschäftigt sie sich mit den gesellschaftlichen Vorgängen im Nahen Osten und erforscht das journalistische Innovationspotenzial in Krisenregionen. In ihrer universitären Abschlussarbeit widmete sie sich sogenannten Guerilla-Journalistenkollektiven im Westjordanland.

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