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„In Irland würde man sich fragen, ob das noch Journalismus ist“

Der Ire Derek Scally arbeitet als Korrespondent für die Irish Times, schreibt aber auch für deutsche Medien, etwa für Zeit Online. Anlässlich seines 20. Jahres in Deutschland erzählt er, warum Krisen gut für den Journalismus sein können und was typisch deutscher Journalismus für ihn ist.

Ein bisschen hätte auch Glück eine Rolle gespielt, vor allem aber harte Arbeit, sagt Derek Scally, Deutschland-Korrespondent für die Irish Times, heute über den Beginn seiner journalistischen Karriere. Im Jahr 2000, direkt nach seinem Studienabschluss, hatte sich der Dubliner dazu entschieden, nach Berlin zu ziehen, um dort als Journalist zu arbeiten. „Damals begann mein Deutsch gerade, so richtig gut zu werden. Es wäre eine Verschwendung gewesen, da nicht anzuknüpfen“, erklärt Scally.

Zuvor war der Absolvent der Dublin City University, an der man auch heute noch im Bachelor- und Masterstudiengang Journalismus studieren kann, studienbedingt nicht nur in New York tätig, sondern für ein Erasmus-Semester auch schon einmal in Deutschlands Hauptstadt gewesen. Andere deutsche Städte wie etwa München waren um die Jahrtausendwende weitaus beliebtere Ziele bei Iren, die es nach Deutschland verschlug. Scally jedoch wollte nach Berlin; gerade auch wegen der Politik. Besonders der Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin im Jahr zuvor erschien ihm als eine einmalige Gelegenheit, journalistisch aktiv zu werden und sich einen Namen zu machen.

Als „capital city kind of guy”, wie er sich selbst beschreibt, hatte Scally die Stadt bei seinem ersten Besuch jedoch nicht nur lieben, sondern auch viele der dort heimischen Lebenskünstler kennengelernt – ein Konzept, dem er persönlich nicht viel abgewinnen konnte. „Ich lernte viele Leute kennen, die extrem spannende Sachen machten, doch beruflich und finanziell kam nie wirklich etwas dabei herum“, erinnert er sich. Der ambitionierte Scally setzte sich selbst zum Ziel, innerhalb eines Jahres Arbeit als Journalist zu finden, statt wie viele andere (Neu-)Berliner kreativ werden zu müssen, um sich über Wasser zu halten.

Zum Glück kein Sommerloch?

Zunächst arbeitete der junge Ire in einem Büro, in dem er seine ausgezeichneten Deutsch-Kenntnisse für Übersetzungen nutzen konnte. Von dort aus schrieb er Denis Staunton an, der bereits seit 1985 als Deutschland-Korrespondent für die Irish Times gearbeitet hatte, und verabredete sich mit dem alteingesessenen Journalisten zum Mittagessen. Staunton, heute London Editor der Irish Times, gab Landsmann Scally die Kontaktdaten seiner Vorgesetzten bei der irischen Tageszeitung, da er im Begriff war, sich in den Urlaub zu verabschieden. Er war entspannt, denn er erwartete das jährliche Sommerloch und schraubte Scallys Erwartungen daher mit dem Satz „Im Sommer passiert in Deutschland sowieso nie etwas“ herunter.

Doch schon kurze Zeit später erreichte Derek Scally ein verzweifelter Anruf aus der Redaktion der Irish Times in Dublin. Es war der 25. Juli 2000, der Tag, an dem die Concorde verunglückte. Da fast alle Insassen aus Deutschland kamen, ergab sich mit der Berichterstattung über den Absturz für Scally unverhofft sein erster Job für die Irish Times. Mit dem Wehrhahn-Anschlag in Düsseldorf und einem Angriff auf eine Berliner Synagoge kurz darauf herrschte auf Scallys journalistischer Agenda bald alles andere als Flaute. Im Gegenteil: Die Arbeitsproben des ereignisreichen Sommers sollten ihm bald auch einen ersten – befristeten – Vertrag bei der Irish Times verschaffen, als nämlich Staunton einen Job in Brüssel annahm und seinen Korrespondenten-Posten räumte.

Was Scally mit „Glück“ meint, wenn er von den Umständen spricht, die ihm schließlich zu einer dauerhaften Beschäftigung mit der Irish Times verhalfen, ist klar. Neben seinen Bemühungen hatte eine Aneinanderreihung von unvorhersehbaren Ereignissen ihr Übriges getan. Nichtsdestotrotz – besonders in von Krisen geprägten Zeiten wie der Gegenwart – stellt sich auch die Frage: Was für Ereignisse waren das, die für Scally zum Sprungbrett wurden? Oder anders gefragt: Lebt Journalismus vom Unheilvollen?

Eine gute Zeit für Journalisten

Zwei Jahrzehnte nach seinem beruflichen Debüt in Deutschland hat Derek Scally gemischte Gefühle, was diese Fragen betrifft. Vorrangig verweist er auf die soziale Funktion journalistischer Berichterstattung, die für ihn nie wichtiger war als in Krisenzeiten: „Wäre ich selbst nicht Journalist, würde ich sehr hoffen, dass es da draußen Vollzeit-Journalisten gibt, Profis, die für professionelle Medien arbeiten, die dafür bezahlt werden, dass sie diese Fülle an Informationen durchkämmen und leserfreundlich aufbereiten, ohne sie zu vereinfachen. Sie sind dafür verantwortlich, das zu tun, wofür ich als Individuum keine Zeit habe.“ Unsere Gegenwart hält Scally für eine gute Zeit für Journalisten. Gleichzeitig verweist der Korrespondent aber auch auf negative Folgen wie personale Ausbeutung oder ungesunde Arbeitsbedingungen, die langfristige Krisen und ihr medialer Diskurs mit sich bringen.

„Das anstrengende an Zeiten wie diesen ist das Internet“, sagt Scally und erinnert sich an seine Doktorarbeit. Die Thesis beschäftigte sich mit dem Ende des traditionellen news cycle, genauer gesagt mit Matt Drudge, einem Journalisten, dem 1998 sein Durchbruch mit der Berichterstattung über die sogenannte Lewinsky-Affäre gelang. Mithilfe von Hinweisen Dritter schaffte er es, auf seinem Blog Drudge Report exklusive Geschichten und Informationen über den Skandal zu verbreiten, bevor die Mainstream-Medien dazu kamen. „Plötzlich konnten Nachrichten über Blogs verbreitet werden, von einem einzelnen Typen, der in einer Einzimmerwohnung sitzt. Das war der Beginn dieser Zeit, in der man nicht notwendigerweise auf die Zeitung von morgen warten muss, um auf dem Laufenden zu bleiben. Updates waren stündlich möglich“, fasst Scally zusammen.

„In meiner Arbeit habe ich die Frage gestellt, was das für Folgen hat, wenn es keine Zeit mehr gibt, in der man sich zurücklehnen und in aller Ruhe nachdenken kann“, erinnert er sich. Der Journalist überlegt einen Moment und stellt die negativen Folgen – wie die Überarbeitung vieler Journalisten, die mit sich ständig erneuernden, fortlaufenden Deadlines in Krisensituationen einhergeht – am Beispiel einer Vogelmutter dar: „Egal, wie oft sie losfliegt, egal, wie viele Würmer sie findet, da sind immer wieder hungrige Mäuler zu stopfen.“

Ist das noch Journalismus?

Während es sich bei der Unerschöpflichkeit der Nachrichten im Internet mittlerweile um ein universales Phänomen handelt, sieht Derek Scally, der sich seit 20 Jahren in den Medienwelten zweier verschiedener Länder bewegt, einige klare Unterschiede zwischen deutscher und irischer journalistischer Praxis. Speziell die hiesige Gepflogenheit der Autorisierung würde irische Kollegen stark verwundern, weiß er zu berichten. „In Irland würde man sich fragen, ob das überhaupt noch Journalismus ist, wenn ein Interviewpartner darauf bestünde, Zitate vor ihrer Veröffentlichung absegnen.“

Generell empfindet Scally den Journalismus in seiner Wahlheimat Deutschland als deutlich höflicher im Vergleich zu dem, was er aus seiner Heimat Irland kennt. „Überall liest und hört man das Wort ‚dürfen und die Frage ‚Darf man das?. Das ist für mich Tugend-Journalismus“, gesteht der Ire. „Da will der Autor des Textes seinen Lesern zeigen, welche hohen moralischen Werte er doch vertritt. Mitgliedern der AfD zum Beispiel werden ganz andere Fragen gestellt und in einem völlig anderen Ton, als es anderen Parteien gegenüber üblich ist“, beklagt er. Scally sagt aber auch, er selbst wäre hin- und hergerissen, ob eine Partei wie die AfD von den deutschen Medien wie jede andere Partei behandelt werden sollte, oder ob sie tatsächlich eine „Sonderbehandlung, weil extremistisch“ verdient hätte.

Trotz seiner Unentschiedenheit beschäftigt ihn diese Fragestellung offensichtlich. Sein Englisch spickt Scally in diesem Teil des Interviews immer häufiger mit deutschen Metaphern und sprachlichen Bildern: „Besonders im Radio fällt mir auf, wie dem Publikum buchstäblich gesagt wird: ‚Wir sprechen jetzt mit der AfD, also zieht eure Schutzkleidung an. Wir begeben uns auf kontaminiertes Gebiet‘.“ Scallys Ansicht nach hat eine jede Gesellschaft ihre unausgesprochenen Tabus. Deutscher Journalismus jedoch, so empfindet er es, nimmt es mit den Tabus etwas zu ernst.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Laura Patz studierte Journalismus an der Dublin City University. Seit 2014 ist sie als Autorin tätig, unter anderem für GEO SAISON, GEO SPECIAL, die Berliner Zeitung und die Tageszeitungen der Funke Mediengruppe. Neben den Themen Bildung, Kultur, Reise und Feminismus interessiert sie sich besonders für Irlands Menschen und Politik. Im Rahmen ihrer Masterarbeit beschäftigte sich Patz mit Spuren irischer Kultur und Geschichte in Deutschland.

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