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Investigativer Journalismus, Teil 3: Eine kritische Betrachtung

Das Genre im Portät

Ist investigativer Journalismus als kritischer, aufdeckender Journalismus per se gut? Dieser dritte Teil beleuchtet die Probleme und Grenzen des Genres. Ethische Gesichtspunkte werden ebenso aufgezeigt wie die Instrumentalisierung durch Dritte. Und alles hat seinen Preis – wie auch das Fazit dieser kleinen Reihe zeigt.

Trotz seiner hehren Ziele ist auch investigativer Journalismus vor Kritik nicht gefeit. An erster Stelle stehen hier ethische Gesichtspunkte. Insbesondere die verdeckte Recherche wird häufig kritisiert, da Lügen und Täuschung eigent­lich keine ethische Basis für Recherchen darstellen sollten. Anderson und Benjaminson betonen deshalb, dass solch „questionable methods“ nur dann eingesetzt werden sollten, wenn zum einen durch das Fortbestehen des Miss­standes ein größerer Schaden entsteht als durch die Recherche und zum an­deren keine andere Möglichkeit besteht, an diese Informationen zu gelangen.1

Auch der Einfluss auf die an den Pranger gestellten Personen und deren Familien sollte nicht unterschätzt werden. Die gesellschaftlichen und ökono­mischen Folgen einer identifizierenden negativen Berichterstattung können immens sein und eine große psychische Belastung für die Betroffenen dar­stellen.2 Investigative Journalisten sollten daher immer abwägen, ob sie in ihrer Berichterstattung Personen identifizieren müssen oder ob auch allge­meine Informationen (z. B. der Name des betroffenen Unternehmens) für die Berichterstattung ausreichen.

Instrumentalisierung durch Dritte …

Investigativer Journalismus läuft zudem – insbesondere, wenn Informan­ten involviert sind – stets Gefahr, von Dritten instrumentalisiert oder fehlge­leitet zu werden.3 Problematisch ist hierbei, dass eine Recherche völlig ohne In­formanten oder Tippgeber oft nahezu unmöglich ist. Um Beeinflussungen vorzubeugen, sollte ein investigativer Journalist stets die Interessen seiner Informanten hinterfragen. Decken sich diese mit denen des Journalisten, so ist das Risiko geringer als bei Verfolgung unterschiedlicher Ziele. Dem Journalisten können jedoch auch ähnliche Interessen vorgetäuscht werden, um ihn mithilfe falscher oder irreführender Informationen zu instrumen­tali­sieren. Hier wird die Bedeutung der aktiven Reporterrolle klar, in welcher der Journalist zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle über den Fortgang der Recherche und die Veröffentlichung des Materials behält.4

… und durch den Journalisten selbst

Auch der Journalist selbst sollte bei seiner Arbeit nicht seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellen. Es ist eine Sache, sich für ein Thema zu engagieren und es in den Fokus der Öffentlichkeit rücken zu wollen, aber eine andere, gezielt nach „Dreck“ in einem bestimmten Bereich zu suchen oder ein Thema bewusst in die Medienagenda zu hieven, nur um damit einen eigenen, vielleicht sogar finanziellen, Vorteil zu erlangen. Der Journa­list sollte auch Geschenken oder Vergünstigungen mit Misstrauen begegnen. Sie können dazu führen, dass bei der Recherche an manchen Punkten ein Auge zugedrückt wird oder bestimmte Personen von enthüllenden Ver­öf­fentlichungen verschont werden, auch wenn der Einfluss des Geschenks dem Reporter vielleicht gar nicht bewusst ist.5

Genauso wenig sollte eine investigative Recherche voreingenommen sein und eine Seite in einem Konflikt bevorzugen. Persönliche Empfindungen oder Bewertungen der Journalisten sollten keine Rolle in der Recherche und der Berichterstattung spielen. Der Reporter berichtet über Missstände oder Kon­flikte und tritt nicht selber als Akteur auf.6

Nachteile gegenüber regulärem Journalismus

Investigativer Journalismus weist dazu auch einige Nachteile gegenüber „regulärem“ Journalismus auf. Diese ergeben sich vor allem aus der lang­wierigeren Recherche: Da eine investigative Geschichte nicht innerhalb we­niger Tage komplett entwickelt werden kann, ist die Recherche sehr teuer. Um sich dem Thema mit der nötigen Energie widmen zu können, muss sich mindestens ein Journalist über einen längeren Zeitraum vorwiegend mit diesem Thema beschäftigen und kann damit in dieser Zeit nicht oder nur eingeschränkt im regulären Redaktionsablauf mitarbeiten. Häufig arbeitet auch ein ganzes Team an einer Geschichte, um das Ereignis oder den Miss­stand in allen Einzelheiten zu untersuchen. Daher erfordert es auch einen gewissen Mut beim Chefredakteur, einen Teil seines Teams auf eine investi­gative Geschichte anzusetzen. Dabei führt nicht jede investigative Recher­che auch wirklich zu einer Publikation: Manchmal stellen sich vielversprechende Ansätze als nichtig heraus und eine aufwendige Recherche ist dann – im wirtschaftlichen Sinn – ergebnislos.

Schlussendlich darf man nicht vergessen, dass investigativer Journalismus Missstände nur aufdecken, jedoch nicht beseitigen kann. Der Einfluss von investigativem Journalismus ist daher längst nicht so groß, wie es manchmal den Anschein hat.7

Zusammenfassung: Investigativer Journalismus ist unerlässlich

Investigativer Journalismus beschäftigt sich mit gesellschaftlich relevanten Themen, insbesondere dem Aufdecken von Missständen. Die Person oder Institution, die den Missstand verursacht, versucht dabei, die Recherche zu erschweren, indem zum Beispiel Informationen nicht zugänglich gemacht werden oder sogar gezielt falsches Material an die Journalisten weiterge­ge­ben wird. Diese Hindernisse versuchen investigative Journalisten mit be­sonderen Recherchemethoden, wie dem Arbeiten mit Informanten, zu um­gehen. Während der gesamten Recherche behält der Journalist eine aktive Reporter­rolle bei und bestimmt unabhängig von seinen Informanten über das Aus­maß und den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Materials.

Damit die Medien ihre Rolle als Watchdog gegenüber Politik und Wirt­schaft erfüllen können, ist investigativer Journalismus unerlässlich. Nur wenn auch hinter die Kulissen geblickt wird und die Verlautbarungen öffentlicher Institutionen systematisch hinterfragt werden, kann der Journalismus im Sinne des öffentlichen Interesses handeln.

Investigativer Journalismus bietet darüber hinaus die Möglichkeit, ein Thema in seiner gesamten Bandbreite darzustellen und über die grund­legen­den Informationen, etwa eine kurze Meldung, hinauszugehen. Da er außer­halb der periodischen Redaktionsabläufe stattfindet, kann die Recherche so lange fortgeführt werden, bis alle Informationen vorhanden sind und sich ein vollständiges Bild der Geschehnisse ergibt.

Das Genre ist allerdings nicht unumstritten. Besonders ethische Aspekte wie die verdeckte Recherche oder die Instrumentalisierung des Journalisten durch Dritte sind immer wieder Bestandteil der Kritik.

In der Praxis weist investigativer Journalismus einige Nachteile auf, allen voran die hohen Kosten, die mit der langwierigen Recherche verbunden sind – vielleicht ein Grund dafür, weshalb er in Deutschland einen eher geringen Stellenwert hat. Sinkende Einnahmen durch sinkende Auflagen ohne deren Kompensation durch Erlöse der Webauftritte (im Sinne von Paid Content) führen dazu, dass den Redak­tionen immer weniger Geld für investigative Projekte zur Verfügung steht.

Während in den USA und Großbritannien verschiedene unabhängige Non-Profit-Organisationen investigativen Journalismus fördern und auch selbst betreiben8, ist dessen Unterstützung in Deutschland noch nicht stark insti­tutionalisiert. Nennenswerte Ausnahme ist hier das Netzwerk Re­cher­che, das sich seit 2001 für investigative Journalisten und den Zugang zu Informa­tionen einsetzt.

Ausblick: Crowdfunding als Finanzierungsalternative?

Eine mögliche Finanzierungsalternative bilden Crowdfunding-Projekte wie Correctiv. Dabei können Privatpersonen für sie interessante inves­tiga­tive Recherchen mit Geldspenden unterstützen. Die Leser können so mitentscheiden, welchen Themen nachgegangen wird und was Teil der Nach­richtenagenda werden soll. Crowdfunding-Projekte können so indirekt das öffentliche In­ter­esse an bestimmten Themen bestimmen, allerdings auch manipulieren. Ohne andere Finanzierungsmodelle bietet Crowdfunding eine gute Möglichkeit, investigativen Journalismus in Deutschland weiter zu för­dern. Zu enthusiastisch sollte man jedoch nicht werden: Da die Geld­spen­den in der Regel projektgebunden sind und nicht für andere Recherchen ver­wendet werden dürfen, fördert Crowdfunding vor allem populäre Themen. Unpo­puläre Recherchen dürften es dagegen schwer haben, die nötigen Spen­den­gelder zu erhalten. Somit bietet Crowdfunding für die weitere Ent­wick­lung des investigativen Journalismus in Deutschland nur eine Teillösung an.

Um investigativen Journalismus systematisch zu fördern, bedarf es einer von der Popularität der Themen unabhängigen Finanzierung von Recher­cheprojekten. Auch diese Lücke versucht Correctiv zu schließen, indem es neben dem Crowdfunding von einzelnen Projekten zusätzlich ein gemeinnütziges Recherchezentrum unterhält. Die Organisation finanziert sich vorwiegend über Spendengelder und Zuwendungen aus Stiftungen und ermöglicht so unabhängige investigative Recherchen, deren Ergebnisse häufig in Kooperation mit etablierten Medien veröffentlicht werden. Da Correctiv erst im Juli 2014 gegründet wurde, ist es schwierig einzuschätzen, wie sich diese Förderung des investigativen Journalismus in Deutschland langfristig etablieren kann. Für den Journalismus und die Gesellschaft wäre es in jedem Fall wünschenswert, eine unabhängige Finanzierung von investigativem Journalismus auf Dauer in Deutschland zu institutionalisieren – ob durch das Netzwerk Recherche, Correctiv oder andere Organisationen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

LindemannDie Autorin Ann-Kathrin Lindemann studierte von 2007 bis 2010 Kommunikationswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 2010 bis 2011 absolvierte sie den Masterstudiengang Science Journalism an der City University London. Seit 2011 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Medienpolitik, der Universität Hohenheim. Seit Oktober 2015 Mitarbeiterin im Humboldt-Reloaded-Projekt.

 

  1. Anderson, D.; Benjaminson, P. (1977): Investigative Reporting. Bloomington, S. 6 f.; vgl. auch Kieran, M. (2005): The Regulatory and Ethical Framework for Investigative Journalism, S. 160 ff., in: de Burgh, H. (Hrsg): Investigative Journalism. Context and Practise, London, S. 156-176.
  2. Anderson und Benjaminson (1977), S. 7.
  3. Ludwig, J. (2014): Investigatives Recherchieren. 3. Aufl., Konstanz, S. 46.
  4. Ludwig (2014), S. 46 f.
  5. Anderson und Benjaminson (1977), S. 12 f.
  6. de Burgh, H. (2005): Some Issues Surrounding Investigative Journalism, S.74 ff., in: de Burgh, H. (Hrsg.): Investigative Journalism. Context and Practise, London, S. 65-88.
  7. Bolch, J.; Miller, K. (1978): Investigative and In-Depth Reporting. New York, S. 10 f.
  8. Zum Beispiel The Bureau of Investigative Journalism (GB), The Center for Investigative Re­porting (USA).

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