Journalistisches Rollenverständnis: eine Frage der Haltung
Das strikte Neutralitätsgebot des Journalismus steht unter Druck. Denn politische Debatten und neue Praxisprojekte fordern Rückgrat und Haltung von Medien ein. Was ist ethisch erlaubt? Und wie geht man praktisch mit eigenen Positionen und Engagement um?
Georg Etscheit ist ein Journalist mit Haltung: Umwelt, Ökologie, Nachhaltigkeit – das sind Werte, die er für wichtig hält und mit seinen Berichten und Features transportieren möchte, etwa in „Die Zeit“, „taz“ und „Süddeutsche Zeitung“. Der Wahl-Bayer, der auch als Kolumnist für das Portal „klimaretter.info“ schreibt, ist aber nicht nur Journalist. Er engagiert sich laut seiner Website auch „in der Umweltbewegung“ als Förderer von Greenpeace, Pate für Artenschutzprojekte und Schriftführer der Kreisgruppe München beim Bund Naturschutz (BN), dem bayerischen Ableger der Umweltorganisation BUND.
All dies ist auf Etscheits Homepage aufgelistet. „Es muss nachvollziehbar sein“, sagt Etscheit, der mehrere Jahre auch bei den Münchner Grünen als Co-Fraktionsvorsitzender und Pressesprecher in einem Stadtteilparlament mitarbeitete. 2014 trat er jedoch aus, weil er einer „grün getarnten FDP“ nicht länger angehören wolle, wie seinem online gestellten Austrittscheiben zu entnehmen ist. „Völliges Offenlegen ist das Mindeste“, betont der Autor. „Das gilt gerade für Journalisten, die auch inhaltliche Ziele verfolgen.“
So weit, so klar. Dennoch ist für Etscheit damit die Sache nicht getan. Denn die Rollenkonflikte, in die er sich zweifelsohne begebe, seien immer schwerer auszuhalten. „Ich merke schon, dass mein Bestreben, als Journalist auch die andere Position deutlich zu machen, mit dem ehrenamtlichen Engagement kollidieren kann.“ Zwar schreibe er meist über überregionale und eben nicht rein bayerische Themen. Und als Schriftführer gestalte er die Verbandspolitik nur marginal mit. „Dennoch ist das sicher angreifbar“, meint Etscheit, für den klar ist, dass Journalisten keine politischen Entscheidungsämter haben sollten. Förderer, Spender oder aktiver Graswurzel-Naturschützer, der Nester bewacht oder Flugblätter verteilt – das ließe sich aber durchaus mit dem journalistischen Ethos vereinbaren. „Ich bin auch ein engagierter Mensch, ich bin Bürger, der am politischen Prozess teilhaben will.“
Georg Etscheit ist sicher eine Ausnahme, da sich nur wenige Journalisten so umfassend engagieren dürften und dies gleichzeitig öffentlich machen. Damit löst er jedoch ein, was der Ethiker und Theologe Alexander Filipović, der an der Philosophischen Hochschule München die Stiftungsprofessur Medienethik innehat, für alle Rollenkonflikte einfordert: „Absolute Transparenz. Sie ist essenziell für die eigene Glaubwürdigkeit.“
Rollendebatte mit neuer Aktualität
Fragen nach journalistischen Rollen, inhaltlichem Engagement und persönlicher Glaubwürdigkeit – sie werden gerade neu gestellt. Einerseits außerhalb der Redaktionen, wenn Bürger beim Thema Migration von Medien Haltungen einfordern – für Integration, Asylrecht und Demokratie. Andererseits ganz übergreifend durch den Medienwandel, mit dem viele Gewissheiten verschwinden und gleichzeitig neue Konzepte entstehen – darunter die meinungsbetonte Blogkultur, per se subjektive Social-Media-Welten und auch neue Berufs- und Rollenbilder wie Datenjournalist oder kuratierender Journalist, der Beiträge aus dem Publikum sammelt, bewertet und neu aufbereitet.
Die Fachwelt diskutiert die Rollenfrage auch unter anderen, noch dickeren Überschriften wie etwa dem neuen „Lösungsjournalismus“. Oder in der Aktivismus-Debatte, die der britische Enthüllungsreporter Glenn Greenwald im Dezember 2013 lostrat, als er sich auf einer Konferenz des Chaos Computer Clubs mit Hackern und Netzaktivisten gemein machte. Er nahm das „Wir“ in den Mund und damit die gemeinsame Sache. Danach rauschte die Medienjournaille; der alte Streit um anwaltschaftlichen Journalismus, er war zurück. Viele Journalisten meldeten sich zu Wort, verteidigten Greenwald oder kritisierten ihn mit Verweis auf Hanns Joachim Friedrichs Gebot, sich als Journalist mit keiner Sache gemein zu machen, auch nicht mit einer guten.
Branchengrößen wie der Medienjournalist Stefan Niggemeier betonten ihr Recht, auch als Journalisten Meinungen zu haben und diese auch längerfristig zu vertreten, zum Beispiel, indem man die „Bild“ dauerhaft widerlegt. Und Online-Experten wie der Journalismus-Professor Lorenz Lorenz-Meyer forderten „Kampagnenjournalismus“ ein, verstanden als Redaktionsstrategie, mit der komplexe, jedoch hoch relevante Themen wie der Klimawandel durch gezielte Planung und Werbung einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden können. Darin, so Lorenz-Meyer im Blog „Carta“, versagten viele Medien heute.
Zurück zum Lösungsjournalismus: Auch dieser betreibt Kritik am Mainstream. Gefördert wird er weltweit durch Initiativen wie das US-amerikanische Solutions Journalism Network oder Sparknews aus Paris. Dabei geht es grundlegend darum, der Dominanz von negativen Nachrichten mit positiven Geschichten entgegenzuwirken; ein prominentes US-Beispiel ist die Rubrik „Good News“ bei der Huffington Post. In Deutschland sind solche Ansätze schon länger mit Serien wie „Werkstatt Zukunft“ (Geo), „Vorsicht, gute Nachrichten“ (Zeit), „Geht doch!“ (Greenpeace Magazin) oder ganzen Good-News-Sonderheften (taz) zu beobachten. In der Nische basteln Idealisten wie „Futurzwei“ oder das „Oya„-Magazin weiter, zuletzt mit dem Start-up „Perspective Daily“ aus Münster.
„Constructive News“ sollen den Journalismus besser machen
Angekommen ist die Lösungsdiskussion in den meisten Redaktionen aber erst durch das Buch „Constructive News“ von Ulrik Haagerup, Informationschef beim Dänischen Rundfunk DR. Er propagiert einen alternativen Nachrichtenjournalismus, der neben negativen Schlagzeilen auch Geschichten des Gelingens auf die Agenda setzt. Weil Haagerup dies mit Erfolg im eigenen Sender umsetzt, wird er von der kritischen Kollegenzunft ernst genommen – auch in Deutschland: „Lösungsjournalismus ist ein Trend, der gerade ziemlich Fahrt aufnimmt; bis vor wenigen Monaten war das ein Nischenphänomen“, sagt der Medienforscher Uwe Krüger, der an der Universität Leipzig das Feld untersucht, auch seine praktischen Spielarten: „Spiegel Online“ testet nun die konstruktive Strategie, etwa mit einem Stück über Fortschritte der Polizei von Los Angeles bei der Verbrechensbekämpfung. „ZDF heute“ arbeitet mit dem neuen Ansatz. Und auch „ARD-aktuell“ will mehr positive Aspekte einfließen lassen, wie Chefredakteur Kai Gniffke dem WDR erklärte.
Mehr Gutes berichten, eine bessere, ja vielleicht realere Welt abbilden – wie verträgt sich das mit den alten Regeln des Journalismus, wonach Krieg, Krisen und Katastrophen erst Nachrichten machen, eine Schlagzeile dort ist, wo es blutet („if it bleeds, it leads“) und keinerlei Engagement für eine gute Sache sein darf? Verstellt also der konstruktive Blick nicht womöglich die objektive Sicht, vor allem dann, wenn er sich mit einem konkreten Themenfeld verbindet wie etwa in den Projekten Grüner Journalismus (GJ) oder Mediendienst Integration, die beide ihr Gebiet wirksam unters Medienvolk bringen wollen?
Nein, sagt Ethik-Professor Filipović. Denn Engagement in der Sache sei heute wichtig. „Es ist sinnvoll, dass sich Leute im Journalismus bekennen. Das kommt uns gesellschaftlich mehr zugute, als dass es schadet“, erklärt der Philosoph (siehe hierzu auch das Interview im Fachjournalist). Zu oft hielten sich Journalisten und Journalismusforschung mit politischen Antworten zurück. „Journalisten sollen heute berichten – dann macht die Politik schon das Richtige“, skizziert er die öffentliche Erwartungshaltung an die Rolle der Medien.
Passivität oder Engagement
Die These vom passiven Medienbetrieb gab es schon einmal: In den 1960er- und 1970er-Jahren sprach die Alternativkultur vom vermachteten Mainstream; „Gegenöffentlichkeit“ und Projekte wie die „taz“ waren die Antworten. Der Darmstädter Kommunikationswissenschaftler Peter Seeger betont diese Perspektive nach wie vor: „Das Problem fängt mit der Themenauswahl an“, erklärt Professor Seeger, der Grüner Journalismus gründete und nun zusammen mit dem Autor dieses Beitrags leitet. „Thematisiere ich die vermeintliche Wachstumsschwäche immer wieder, oder gelingt es, Wirtschaftswachstum zu hinterfragen und mit der Ressourcen- und Verteilungsfrage zu verknüpfen?“ Journalisten, die solche Themen durchsetzen wollen, müssten sich engagieren.
Nur wie? So wie Georg Etscheit, der zwischen verschiedenen Formen der Ämter und des Engagements differenziert? Medienforscher Uwe Krüger, jahrelang selbst Journalist, rät zu klareren Grenzen: „Journalistische Arbeit zu einem Thema verträgt sich nicht mit aktivem Engagement in einer Organisation, die zu demselben Thema bestimmte Ziele verfolgt.“ Rücksichtnahmen, Sprachregelungen oder Denkverbote seien die Folge. Medienethiker Filipović kann der differenzierten Strategie mehr abgewinnen: Berichten und in einer Partei sein, das könne gehen, „solange der Journalist das Gemeinwohl im Blick behält.“
Daneben gilt für engagierte Kollegen: Mitgliedschaften offenlegen, Auftraggeber benennen, einen Text zur eigenen Haltung auf die Website stellen. „Und über die eigenen Positionen reden, mit Kollegen, mit anderen Medienakteuren“, sagt Filipovic. Allerdings sieht auch er Gefahren der Vereinnahmung, wenn ein Journalist etwa in einer Stadt lebt und dort über Themen schreibt, für die er oder sie sich vor Ort engagiert. Oder von denen sie massiv betroffen sind, wie etwa die Lokalredakteurin, die mit Kommentaren gegen die Schließung der Schule ihrer Kinder anschrieb. In solchen Fällen rät der Ethikexperte auch zu Schreibverboten.
Regel Nummer eins: Engagement moderieren
Insgesamt geht es darum, sein Engagement für die Sache zu moderieren und selbst zu begleiten. So, wie es auch „ZDF“-Moderator Claus Kleber am 5. November 2014 im „heute-journal“ tat. Da sprach er plötzlich über die Routinen der Nachrichtenauswahl und den Aktualitätszwang, um dann auf eine eigene, im Anschluss erscheinende Reportage über den Welthunger hinzuweisen, in der er selbst sehr offen Position bezieht – insgesamt ein ungewöhnlicher Moment im deutschen Nachrichten-TV. Komplexe Themen wie Hunger und Durst hätten es „im täglichen Rauschen der Nachrichten schwer“, erklärt Kleber dazu im GJ-Blog. „Immer wieder verdrängt das Dringende das Wichtige. Es lohnt, sich da immer mal wieder einen Ruck zu geben.“
Wer sich auch gerne mit Leidenschaft einen Ruck gab, war die Galionsfigur des Objektivjournalismus: Hanns Joachim Friedrichs. Er war neben seiner Rolle als Nachrichtenmoderator Tierfilmer mit grünem Sendungsdrang, was bis heute kaum bekannt geworden ist. Im „Spiegel“-Interview, in dem er den Satz des Nichtgemeinmachens eher nebenbei fallen lässt, ist ausführlich über sein Engagement zu lesen – als Demokrat, SPD-Wahlkämpfer und Umweltjournalist. „Insofern“, gibt Peter Seeger zu bedenken, „eignet sich Friedrichs nicht besonders gut als Dogmenvater einer strikten Neutralität.“
Journalisten könnten in verschiedenen Formaten und Situationen verschiedene Rollen übernehmen; das sehe man an Friedrichs und nun Kleber. Seegers Fazit: „Wenn Haltung erklärt wird, ist sie ein Merkmal von Qualitätsjournalismus. Dann macht sie den Unterschied aus zu anderen Angeboten im gleichförmigen Nachrichtenstrom, den wir heute oft beobachten.“
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Torsten Schäfer ist seit 2013 Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt. Dort koordiniert und leitet er zusammen mit Peter Seeger das Medien- und Rechercheforum “Grüner Journalismus”. Zuvor arbeitete Schäfer zehn Jahre als Wissenschafts- und Umweltjournalist, u. a. als fester und freier Redakteur für „GEO International“ und die „Deutsche Welle“.