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Kinotipp zu „Hinter den Schlagzeilen“: Triumph der Zurückhaltung

Daniel Sagers unaufgeregter Dokumentarfilm begleitet zwei Redakteure der Süddeutschen Zeitung bei ihren investigativen Recherchen und fokussiert unerwartete journalistische Tugenden.

Zurückhaltend und geduldig ausharrend – das sind nicht Verhaltensweisen, die man mit Journalisten, zumal investigativen, assoziieren würde. Das ist auch keineswegs das Auftreten, das man aus filmischen Darstellungen von verwegenen Journalisten kennt, die für ihren Beruf „brennen“ und entsprechend rastlos dem nächsten Scoop bis zur Selbstzerstörung hinterherjagen. In Daniel Sagers Dokumentarfilm „Hinter den Schlagzeilen“ aber, der zwei Investigativjournalisten der Süddeutschen Zeitung bei ihren Recherchen über die Schultern schaut, stellen sich Behutsamkeit und Geduld als unschätzbare journalistische Tugenden dar.

Die beiden Journalisten, deren Arbeit „Hinter den Schlagzeilen“ vom Frühjahr 2018 an ein Jahr lang begleitet hat, sind keine Unbekannten: Bastian Obermayer und Frederick Obermaier sind beide seit Jahren im Investigativ-Ressort der Süddeutschen Zeitung tätig und waren 2016 mit anderen Kollegen und dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten maßgeblich an der Enthüllung der „Panama Papers“ beteiligt. Eine einjährige Auswertungs- und Vorbereitungszeit ging dieser großen Enthüllung voraus, für die ihnen der amerikanische Whistleblower Edward Snowden zu Beginn des Dokumentarfilms bei einem Interviewtreffen in Moskau seine Bewunderung ausspricht. Anschließend setzt er zu einer düsteren Gegenwartsanalyse an, in der er Journalisten an vorderster Front im Kampf um den Erhalt der freiheitlich-demokratischen Gesellschaften sieht.

Sackgassen, Frustration und Ungewissheiten

Snowdens mahnende Worte mögen im ersten Part von „Hinter den Schlagzeilen“ noch nachhallen, ihr Pathos wird aber von der kühnen Sachlichkeit von Obermayer und Obermaier abgemildert. Beide nehmen ihre Arbeit sehr ernst, ohne im Verlauf dieses Films jemals in Selbstgefälligkeit abzudriften. In kühlgefärbten, tiefenscharfen Bildern fängt das Kamerateam sie bei ihren Recherchen ein, zeigt sie an Flughäfen, in Hotelzimmern und während der Zusammenarbeit mit Kollegen im Redaktionsgebäude der Süddeutschen Zeitung.

Dabei bleibt der Einblick in ihre Arbeit begrenzt – schließlich gehen die beiden oft mit noch nicht freigegebenem Exklusiv-Material um und treten mit Informanten in Kontakt, die unerkannt bleiben wollen. So begleitet die Kamera etwa mehrfach Frederik Obermaier bei seinen Recherchen über einen international agierenden Waffenhändler, die ihn zur Münchener Sicherheitskonferenz, nach Tel Aviv und Washington D. C. führen, ohne dass jemals seine Gesprächspartner aus Militärkreisen identifiziert werden. Die Informationen, die diese ihm und seinem ARD-Kollegen Philipp Grüll übergeben, scheinen zwischenzeitlich aber so spärlich, dass die Frustration über die Recherche-Sackgasse spürbar wird. „Aber das heißt nicht, dass man es nicht versuchen sollte“, resümiert Frederik Obermaier an einer Stelle.

Parallel dazu zeigt „Hinter den Schlagzeilen“, wie auch Bastian Obermayer bei seinen Recherchen im Rahmen des „Daphne-Projekts“ an Grenzen stößt. Dieses wurde im Frühjahr 2018 ins Leben gerufen – ein halbes Jahr, nachdem die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet wurde. Der Dokumentarfilm zeigt Obermayers Reise nach Malta und seinen Besuch auf dem idyllischen Anwesen der Journalistin, die unweit ihres Hauses durch eine Autobombe ums Leben kam. Obermayers begleitende Worte und der Ernst des Daphne-Projektteams lassen die tiefsitzende Erschütterung über die Ermordung der Journalistin deutlich werden, die sich auch mit den Panama Papers auseinandergesetzt hatte.

Löblicherweise nähert sich Sagers Film diesem Thema behutsam und widersteht jeglicher Versuchung zur emotionalen Ausschlachtung. So untermalt keine Musik die Aufnahmen von Galizias Haus, dem Treffen mit ihrem Witwer Peter und schließlich dem Gang zum Feld, auf das ihr Auto bei der Detonation geschleudert wurde. Anstatt die Tragik dieser Geschehnisse noch hervorzuheben, lässt „Hinter den Schlagzeilen“ sie einfach wirken und konzentriert sich vielmehr auf Obermayers schwierige Suche nach Antworten. Diese kann der schließlich entstandene Artikel nicht liefern. Im Film wird die frustrierende Ungewissheit darüber, wer den Mord an der Journalistin in Auftrag gegeben haben mag, von Obermayer zähneknirschend akzeptiert und die Frustration darüber in den Text integriert.

Die vielen Hürden bis zum Scoop

Diese beiden Recherchen fügen sich zu einer Art Ouvertüre vor dem großen Coup zusammen: In seiner zweiten Hälfte widmet sich „Hinter den Schlagzeilen“ nämlich den Vorbereitungen zur Veröffentlichung von Material, das von Obermayer und Obermaier zuvor im Film immer nur grob umrissen und als „Projekt X“ bezeichnet wurde: Es geht um das berüchtigte „Ibiza-Video“ mit zwei Spitzenpolitikern der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) als Hauptakteuren. Die Aufnahme zeigte die beiden FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus in einem 2017 geführten Gespräch mit einer mutmaßlichen russischen Oligarchen-Nichte über Großinvestitionen in Österreich und Parteispenden für die FPÖ. Sagers Dokumentarfilm ist zu entnehmen, dass Obermayer und Obermaier ein Jahr lang (wie der Spiegel, dem ebenfalls ein erster Ausschnitt zugespielt worden war) auf die Freigabe aller Videos durch den unbekannten Insider warten mussten. Nachdem diese erfolgt war, zeigt „Hinter den Schlagzeilen“ die Redakteure der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel bei der fieberhaften, intensiven Vorbereitung der Veröffentlichung.

Das Interessante an den dokumentierten Arbeitsschritten ist, dass hierbei vor allem die rechtliche Absicherung im Vordergrund steht. Mehrfach mahnt Wolfgang Krach, der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, im ernsten Ton an, trotz des besonderen „Belegcharakters“ des Materials bloß nicht die Sorgfaltspflicht zu verletzen und bis zum Schluss akribisch zu bleiben. So folgt im Film nach der genauen Analyse des Gesehenen und der Transkription des Gehörten die Beratung durch einen Rechtsanwalt, um zu klären, ob das Video oder lediglich eine Beschreibung des Gesehenen veröffentlich werden dürfe. Zeitgleich untersucht ein digitaler Forensiker die Echtheit der Aufnahmen. Und obwohl allen, die die Berichterstattung 2019 verfolgt haben, der Ausgang dieser mühsamen Vorbereitung und die Tragweite der Veröffentlichung längst bekannt sind, gelingt es „Hinter den Schlagzeilen“, eine subtile, bis zum Schluss anhaltende Spannung aufzubauen und die Zuschauer an der „Nervositätsspirale“ teilhaben zu lassen, als die Bastian Obermayer diesen Endspurt bezeichnet.

Behutsam bis zum Schluss

Bemerkenswert bleibt an Sagers sehenswertem Dokumentarfilm darüber hinaus, wie unaufgeregt und sachlich diese letzten Etappen vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos eingefangen werden. Die Nervosität ist spürbar, die Arbeitsstunden scheinen lang, aber „Hinter den Schlagzeilen“ glänzt ebenso wie die hier porträtierten Journalisten mit emotionaler Zurückhaltung und verzichtet darauf, die Anspannung überzubetonen oder in eine „Journalismus am Limit“-Erzählung abzugleiten. Es würde auch nicht in diese Darstellung eines Journalismus passen, der in erster Linie Vertrauenswürdigkeit, Sachlichkeit und Faktentreue ausstrahlen will – in einer Zeit, in der sowohl Informanten als auch das Publikum wohl immer wieder aufs Neue überzeugt werden müssen.

Hinter den Schlagzeilen
Dokumentarfilm
Deutschland 2021. 90 Min.
Regie: Daniel Sager. Buch: Marc Bauder, Daniel Sager
Kamera: Börres Weiffenbach, Daniel Sager, Anne Misselwitz, Frank Pfeiffer
Trailer: https://vimeo.com/535784741

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

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