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Kreativität: Die neue Schlüsselkompetenz angehender Journalisten?

Die Anforderungen an Kreativität in der journalistischen Praxis steigen. Das erkennen auch angehende Journalisten, wie eine Studie zeigt. Sie fühlen sich durch ihre Ausbildung gut vorbereitet.

„Journalismus ist Kreativität“ postulierte Guido Westwelle 2009 in einem Beitrag für den Fachjournalist. In Stellenanzeigen gilt Kreativität als Schlüsselkompetenz der heutigen Arbeitswelt, die von Mitarbeitern und Führungskräften aller Berufsbranchen verlangt wird. Die Management-Professoren Jeffrey H. Dyer, Hal B. Gregersen und Clayton M. Christensen (2010) haben fünf Kernkompetenzen im Zusammenhang mit Kreativität identifiziert: Das Verknüpfen, Beobachten, Hinterfragen, Experimentieren und Vernetzen. In der deutschen Management-Praxis treten diese Eigenschaften jedoch eher selten auf, wie eine Befragung von über 600 Führungskräften ergab.

Im Journalismus ist Kreativität jedoch auch darüber hinaus essenziell, denn Medien und Mediennutzer verlangen stetig nach Neuem: Neuen Attributen, neuen kreativen Ideen, neuen Verknüpfungen. Darstellung und Aufbereitung von Inhalten verleihen Medien ein Alleinstellungsmerkmal. Um sich von der Konkurrenz abzuheben, bedarf es Innovation.

Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit suchen vom tief greifenden Medienwandel betroffene Medienhäuser nach kreativen Ansätzen für den Journalismus der Zukunft, wie die Serie „Zeitenwechsel“ der Süddeutschen Zeitung zu eben diesem Thema an vielen Beispielen zeigt. Journalismus geht heute noch viel mehr und deutlich über das handwerklich saubere Auswählen, Verarbeiten und Weitergeben von Information hinaus. Es sind neue Stilmittel und Darstellungsformen, die ein Medienprodukt einzigartig machen. Kurzmeldungen und Nachrichten sind bei der heutigen Informationsgeschwindigkeit austauschbar.

Wer kreativ sein will, muss sich von bewährtem Wissen lösen und neue Ideen und Gedankengänge entwickeln, erklärt der Kreativtrainer Jens-Uwe Meyer in seinem Buch „Journalistische Kreativität“ (S. 30). Kreativität wird als schöpferische Tätigkeit beschrieben, bei der die Idee bereits als Leistung verstanden wird. Es geht um die Produktion von Ideen, Problemlösungen, Neuschöpfungen. Im journalistischen Arbeitsprozess betrifft dies alle Bereiche: Themensuche, Recherche, Texten und Umsetzung. Konkret geht es um das Finden neuer Themen und die Erarbeitung neuer Ansätze für bekannte Themen, das Erkennen offener Fragen, das Finden von Recherchezielen und das Querdenken bei Recherchewegen, um das Setzen von Pointen beim Texten, um Komplexitätsreduktion, Vergleiche und Verknüpfungen, und bei der Umsetzung um das Entwickeln einer Dramaturgie, den Einsatz von Effekten, das Experimentieren mit neuen Techniken.

Der Anspruch der Nutzer an ein journalistisches Produkt beinhaltet neben dem reinen Informationsbedürfnis auch den Wunsch, Neues zu erfahren und Inhalte geliefert zu bekommen, die man noch nicht kannte oder deren Aufbereitung sich von bisher Bekanntem unterscheidet. „Kenne ich schon“ ist ein Tiefschlag für ein journalistisches Erzeugnis. In der Konkurrenz der Medienhäuser und -produkte sind das relevante Faktoren, die über die Zukunft einer Publikation oder einer Sendung entscheiden können. Der Medienexperte Stephan Weichert hielt in seiner diesjährigen Antrittsrede für die Hamburg Media School fest, dass kreative Prozesse den Gravitationspunkt des Journalismus wesentlich verschoben haben: „Viele Redaktionen haben inzwischen eingesehen, dass es längst nicht reicht, existierende Inhalte aus Zeitungen und Fernsehen unverändert ins Netz zu kippen. Es kann nur darum gehen, den Journalismus an sich zu digitalisieren, also neue Möglichkeiten des Storytellings, Recherchewege, Darstellungsformen und des Community-Buildings im Netz zu erproben.“

Diesen Anforderungen müssen sich gerade angehende Journalisten vor dem Hintergrund einer verschärften Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt stellen.

Doch wie erlernt man Kreativität? Welche Rolle spielt sie in der heutigen Ausbildung zukünftiger Journalisten? Und wie beurteilen angehende Journalisten die Bedeutung der Kreativität im praktischen Journalismus?

In der journalistischen Ausbildung: Kreativität darf mitgebracht werden

Wo kann man Kreativität erlernen? Meyer mahnt an, dass die Möglichkeiten, mithilfe kreativer Techniken Themen zu suchen und zu entwickeln, Recherchewege zu finden und Beiträge umzusetzen, nicht zur klassischen Journalistenausbildung gehören. „Querdenken als journalistisches Ausbildungsfeld“ und die „Identifikation und Förderung kreativer Fähigkeiten“ (Meyer 2009: 48) sind für ihn wesentliche Säulen journalistischer Qualität.

Liest man die Zugangsvoraussetzungen für journalistische Ausbildungsangebote, so sollten angehende Journalisten bereits vor Beginn eines Studiums, eines Volontariats oder des Besuchs einer Journalistenschule in Sachen Kreativität gerüstet sein. Häufig heißt es da, mitzubringen seien „konzeptionelle, gestalterische, kommunikative und kreative Fähigkeiten“.

Kreativität fände demnach vor den Türen der Hochschulen statt. „Universitäten haben es mit zwei Dingen zu tun, mit Wissenschaft und mit Erziehung“, betont etwas Prof. Dr. Dirk Baecker vom Lehrstuhl für Kulturtheorie und Kulturanalyse an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen in einem Interview mit Joachim Landkammer (Baecker 2009: 245ff).

Doch auch im Studium wird Kreativität weiterentwickelt und gefördert, erklärt Prof. Dr. Matthias Degen vom Studiengang Journalistik an der MHMK, Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in Köln. „In Projekten mit Experten aus der Praxis können sich Studierende ausprobieren, Ideen entwickeln und umsetzen. Dabei erlernen sie praxisnah relevante Kreativitätstechniken im Journalismus.“, erklärt er im Interview für diesen Beitrag.

Dabei gilt im Studium, wie in der Praxis, dass Kreativität ein institutionelles Minimum braucht, ein Anregungsfeld aus Individualität und Organisation, wie es der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen festhält (Pörksen 2010: 342).

Auch die Universität Dortmund arbeitet in ihrem Studiengang Journalistik mit „Kreativ-Werkstätten“, bei denen neue journalistische Formate und Produktionsformen entworfen und in Zusammenarbeit mit wechselnden Medienpartnern entwickelt und getestet werden. Im Studium erfolgt die Förderung der Kreativität demnach durch Einbeziehen der Berufspraxis.

In den Muster-Ausbildungsplänen für Volontäre ist Kreativität kein gesondert ausgewiesener Bestandteil der Ausbildung. Allerdings sind einzelne Seminare zu Themenfindung, Recherchetechniken u. ä. enthalten, die dann wiederum – abhängig vom Seminardienstleister – dem Erlernen von Kreativitätstechnik dienen können.

Dass die Praxis Bedarf an kreativen Journalisten hat, zeigt sich auch in den Aus- und Fortbildungsangeboten verschiedener Seminardienstleister. So bezeichnet beispielsweise die ARD.ZDF-Medienakademie Kreativität als journalistische Basiskompetenz und bietet zahlreiche Seminare zu Kreativität im Redaktionsalltag und in der Redaktionskultur, zu kreativem Projektmanagement und zu kreativer Ideenentwicklung.

So gibt es also auf der einen Seite Ausbildungsangebote an Hochschulen, die Kreativität voraussetzen, aber nicht dezidiert beinhalten. Auf der anderen Seite nutzen Hochschulen den Einbezug der Praxis, um ein Umfeld für kreatives Experimentieren zu schaffen. In der Praxis selbst wird Kreativität im täglichen Arbeitsalltag verlangt. Spezielle Schulungen übernehmen aber externe Seminardienstleister – auch für Volontäre.

Befragung unter angehenden Journalisten: je kreativer, desto besser

Doch wie schätzen junge Berufseinsteiger die Bedeutung von Kreativität in ihrer Ausbildung und in der Berufspraxis ein? Um diese Frage zu klären, befragten wir in einer bisher unveröffentlichten Studie aus dem Winter 2012 und dem Frühjahr 2013 im Rahmen eines curricularen Forschungsprojekts an der MHMK Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation Köln bundesweit insgesamt 371 junge Menschen, die sich in einer Ausbildung zum Journalisten befinden, an Universitäten, Fachhochschulen, an Journalistenschulen oder als Volontäre oder Trainees. Die Ergebnisse erlauben eine Differenzierung entlang dieser Ausbildungsinstitutionen, aber auch anhand weiterer Merkmale der Befragten, wie dem Geschlecht, der Herkunft oder dem Alter.

Insgesamt stammten 41 Prozent der Befragten von Universitäten, 33 Prozent von Fachhochschulen; 12 Prozent sind Volontäre und 5 Prozent an Journalistenschulen. Die übrigen Befragten sind Trainees oder Praktikanten. Sie nehmen hier nur einen sehr geringen Anteil ein. Der hohe Anteil an Studierenden spiegelt zum einen das hohe Ausbildungsniveau der angehenden Journalisten wider. Zum anderen schränkt er die Aussagekraft der Erhebung für die eher schwach repräsentierten Gruppen ein. Die Teilnehmer sind im Durchschnitt 23,6 Jahre alt und in der Mehrzahl weiblich (58 Prozent). Die Volontäre sind dabei erkennbar älter als die Studenten, was wohl auch daran liegt, dass sie vielfach bereits ein Studium abgeschlossen haben dürften und ihr Volontariat darauf aufbauen. Dieses Modell ist mittlerweile üblich, wie auch Andreas Elter in einem Beitrag für den Fachjournalist bereits darstellte.

Dass Kreativität eine herausgehobene Bedeutung für die eigene Karriere hat, haben die meisten angehenden Journalisten bereits verinnerlicht. Fast 70 Prozent der Befragten stimmen der These zu, gute Ideen werden sie in ihrer Karriere voranbringen. Berufseinsteiger müssen bereits mit Kreativität überzeugen. Für 73 Prozent der Befragten gilt das Credo „Je kreativer, desto besser“.

Abb. 1 Wo Kreativität am meisten gefördert wird.

Abb. 1: Vergleichende Übersicht zur Förderung der Kreativität in der derzeitigen Ausbildung

Die Förderung der Kreativität in der derzeitigen Ausbildung sehen die Befragten insgesamt positiv: 37,7 Prozent empfinden eine starke Förderung ihrer Kreativität, 48,8 Prozent fühlen sich gefördert, nur 13,5 Prozent geben an, dass sie kaum oder gar nicht gefördert werden. Dieser Anteil ist bei Universitäten und Fachhochschulen allerdings mehr als zweimal so hoch (12,8 Prozent) wie bei Schülern einer Journalistenschule (5,6 Prozent). Eine starke Förderung ihrer Kreativität erleben Volontäre (51,3 Prozent) deutlich häufiger als Studierende von Fachhochschulen (28,2 Prozent).

So überrascht es nicht, dass die Zustimmung zur These, Kreativität werde im Studium eher gefördert als in der Praxis, bei allen Teilnehmern der Studie eher gering ist. Allerdings stimmen Studierende von Fachhochschulen dieser Aussage deutlich häufiger zu als alle anderen Befragten.

Mehr als ein Handwerk: Kreativität wird wichtiger

Die Rolle der Kreativität in der journalistischen Berufspraxis hat sich nach Ansicht angehender Journalisten verschoben. Für 78 Prozent der Befragten ist Journalismus nicht nur  Handwerk, sondern ein Kreativberuf, bei dem die Selbstverwirklichung höchste Priorität hat, wie 47 Prozent der Befragten angeben. Kreativität sei zunehmend erforderlich und ein wesentlicher Faktor.

Dabei ordnen die Befragten verschiedene kreative Arbeitstechniken auch unterschiedlichen Mediengattungen zu. Kreatives Schreiben ist mit 67 Prozent eine deutliche Domäne der Printmedien. 77 Prozent der befragten Volontäre sehen kreatives Schreiben als essentiell für Printmedien an, bei den Studierenden liegt der Anteil bei 66 Prozent. Akademiker lassen also eine etwas größere Distanz zum Schreiben erkennen. Auch kreative Recherchetechniken dominieren hier in der Ansicht angehender Journalisten. An zweiter Stelle steht bei der kreativen Recherche das Fernsehen, Online-Medien kommen erst an dritter Stelle. Sie dominieren bei Kreativität in der Visualisierung: 48 Prozent der Befragten sehen Online-Medien als zentrales Berufsfeld, in dem kreative visuelle Darstellungen gefragt sind. Einen ähnlich großen Anteil erzielt das Fernsehen. Printmedien werden nur von 5 Prozent der Befragten angehenden Journalisten als Feld für kreative Visualisierungen betrachtet.

Überraschenderweise wird Kreativität in der Themenauswahl unter den befragten angehenden Journalisten stark mit dem Fernsehen verbunden: 33 Prozent ordnen eine kreative Themenauswahl dieser Mediengattung zu. Diese Bewertung geht hauptsächlich auf die Studierenden zurück. Die in der Praxis bereits verhafteten befragten Volontäre ordnen eine kreative Themenauswahl am stärksten den Printmedien zu (43 Prozent) und nur zu einem geringeren Anteil dem Fernsehen (23,1 Prozent). Die Gattungen Hörfunk und Online folgen erst mit 10 Prozentpunkten Abstand.

Fazit: Bedarf an Kreativität erkannt und bereit

Angehende Journalisten wissen um die Rolle der Kreativität für die Zukunft ihrer Profession. Kreative Themenauswahl, Recherchetechniken, kreatives Schreiben und Visualisieren sind zentrale Fähigkeiten, um sich als Journalist von der Konkurrenz abzusetzen. Die befragten zukünftigen Journalisten schätzen die Bedeutung von Kreativtechniken in der Berufspraxis vorausschauend und sicherlich weniger kritisch als mancher „alter Hase“ ein. Das heißt, sie wissen um die Konkurrenzsituation auf dem Medienmarkt und um die Bedeutung von Kreativität für ihren Berufseinstieg und ihre Karriere, lassen sich dadurch aber nicht abschrecken. Durch ihre Ausbildung an Hochschulen oder in der Berufspraxis fühlen sie sich hinsichtlich ihrer Kreativität gefördert und vorbereitet. Universitäten und Fachhochschulen stehen praktischen Ausbildungen da kaum noch nach. Schließlich fühlt sich eine überwältigende Mehrheit von über 75 Prozent der Befragten in allen Ausbildungsgattungen hinsichtlich Kreativität gefördert oder stark gefördert.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Koehler Andreas ElterDie Autoren haben ein gemeinsames Forschungsprojekt zur Kreativität im Journalismus bearbeitet. Andreas Köhler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Studiengang Journalistik an der MHMK Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation und Doktorand an der Universität der Bundeswehr in München. Prof. Dr. Andreas Elter ist Leiter des Fachgebiets Fernsehen und Gestaltung an der ARD.ZDF Medienakademie.

Literatur:

Baecker, D.(2009): Mit dem Speck nach der Wurst geworfen. Kreativität als normale Arbeit. Interview mit Joachim Landkammer, in: S.A. Jansen, E. Schröter & N. Stehr (Hrsg.): Rationalität der Kreativität?, Wiesbaden: VS Verlag, S. 245ff.
Dyer, J.H., Gregersen, H.B. & Christensen, C. M. (2010): Die Innovatoren-DNS, in: Harvard Business Manager, 26.01.2010, S. 56 ff.
Meyer, J.-U.,(2009): Journalistische Kreativität,2. Aufl., Konstanz: UVK.
Pörksen, B., 2010: Immanuel Kant und die drei Schlüsselfragen des freien Journalismus, in: Publizistik 55:S. 337ff.

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