Krimi-Debüt von Lars Haider: Der Blick durchs Schlüsselloch
Was verdienen eigentlich die altgedienten Journalistinnen und Journalisten? Zu viel, wie es scheint, denn auf einer Art „Todesliste“ stehen im Krimi „Einer muss den Job ja machen“ nur solche, deren Gehaltsschecks jeden Branchenneuling vor Neid erblassen lassen. Doch Journalist Lukas Hammerstein steht über derartigen Dingen. Er will trotz Sabbatical, hochschwangerer Frau und Leih-Dackel wissen, warum jemand Jagd auf seine Hamburger Kollegen macht.
Lukas Hammerstein ist Anfang 40, fast zwei Meter groß, bald Vater eines Sohnes und als Reporter bei den Hamburg News eigentlich im Sabbatical – was er in Anbetracht zu Tode gekommener Journalistenkollegen gerne vergisst. Als Glücksfall stellt sich dabei die verhaltensoriginelle Dackeldame Finchen heraus, mit der sich Hammerstein immer wieder zum Gassigehen aus der Doppelhaushälfte stehlen kann. Denn er hat seiner schwangeren Frau Lilli versprochen: kein Journalismus während der Auszeit. Doch natürlich kommt es anders – denn als ein Berufsgenosse vom Hamburger Nachrichtenmagazin Politik Insider tot aufgefunden wird und wenig später der nächste Journalist bei einem mysteriösen Radunfall stirbt, ist Hammerstein alarmiert. Gemeinsam mit seiner – als penetrant gendernd dargestellten – Kollegin Kaja Woitek, einer begabten Polizeireporterin mit einer Vorliebe für Männer in Uniform, beginnt er, die Vorfälle zu untersuchen.
Feuchtfröhliche Recherchen
Eine nicht unerhebliche Rolle spielen bei Hammersteins Recherchen in der Hamburger Politik- und Medienszene seine drei besten Freunde: der Hamburger Bürgermeister Julius Wolff, Milliardärssohn und Clubbetreiber Niklas Claasen sowie Makler Clemens Engel. Bei den monatlichen Treffen der Freunde mit dem Titel „Vier Flaschen“ werden nicht nur jeweils vier unterschiedliche Weine getrunken, sondern auch Probleme gewälzt.
Wem diese noblen Besäufnisse etwas aus dem Krimi-Rahmen gefallen vorkommen, sei auf die Parallele von Fiktion und Realität hingewiesen: Nicht nur Lukas Hammerstein trinkt gern guten Wein, sondern auch Autor Lars Haider. Letzterer hostet mit Michael Kutej und Axel Leonhard den Wein-Podcast Vier Flaschen des Hamburger Abendblatts, dessen Chefredakteur Haider ist.
„Einer muss den Job ja machen“ ist zwar kein Wein-Krimi im klassischen Sinn nach Martin Walker, doch drängt sich der Alkohol immer wieder kurz in den Vordergrund. So erfährt man zum Beispiel im Text, dass Fernsehmoderator Günther Jauch einen sehr guten Riesling auf seinem Weingut Von Othegraven keltert. Es ist durchaus empfehlenswert, manche Buchpassagen mit einem Glas Wein zu begleiten – wenngleich nicht alle LeserInnen die Finanzstärke besitzen werden, sich einen Château Lafite aus dem Jahr 1998 gönnen zu können …
Doch zurück zur Handlung: Ein Mörder (oder eine Mörder:in, wie Polizeireporterin Kaja nicht müde wird zu betonen), der seine Opfer in der Medienbranche anhand einer Art „Todesliste“ abarbeitet, soll dingfest gemacht werden.
Verschwimmende Grenzen
Autor Lars Haider legt in seinem Krimi-Debüt eine gute Basis für die geplante neue Serie – erkennbar an dem Untertitel „Hammersteins erster Fall“ –, beginnend bei der heimlichen Hauptdarstellerin: Hamburg. „Leute, wir müssen gar nicht mehr behaupten, dass Hamburg die schönste Stadt der Welt ist. Seit es die Elbphilharmonie gibt, ist sie es tatsächlich.“
Auch die Ähnlichkeiten des Autors mit seiner Hauptfigur Lukas Hammerstein sind wohl kein Zufall: Die beiden haben neben den Initialen den gleichen Familienstand, einen psychisch labilen Dackel (wie in den Danksagungen im Buch nachzulesen ist) sowie einen Job bei einer Hamburger Zeitung.
Andere Ähnlichkeiten zu realen Personen werfen für die Leser und Leserinnen jedoch weit spannendere Fragen auf: Wie stark der fiktive Bürgermeister Julius Wolff Anleihen am vormaligen realen Bürgermeister von Hamburg genommen hat, können Autor und Deutschlands derzeitiger Bundeskanzler sicher am besten beantworten. Haider gilt seit seinem Buch „Olaf Scholz. Der Weg zur Macht“ als profunder Kenner des Kanzlers und hat so manches Detail geschickt in seinen Krimi eingearbeitet. So entlehnte er den Leitspruch im fiktiven Bürgermeisterbüro der realen Politwelt: „Wir sind nie beleidigt, wir werden nicht hysterisch.“ Bei einem tatsächlich stattgefundenen Abendessen im Hotel Atlantic sitzt Chefredakteur Lars Haider neben Altbundeskanzler Helmut Schmidt. Die Konversation am Tisch verläuft schleppend bis gar nicht. Schlussendlich fragt Haider: „Herr Schmidt, wie zufrieden sind Sie mit Olaf Scholz als Bürgermeister?“ Worauf dieser nach einem tiefen Zug an seiner Zigarette, ohne Haider dabei anzusehen, antwortete: „Junger Mann, ich interessiere mich nicht für Kommunalpolitik.“ Diese Aussage über Scholz baut der Autor nahezu wortgleich in seinen Text über seinen Krimi-Bürgermeister ein, einzig der Fragende ist ein anderer Chefredakteur …
Grautöne verkaufen sich nicht
Haider bietet in seinem Buch interessante Einblicke in die Politik- und die Medienwelt und baut immer wieder Szenen und Informationen in seinen Text ein, bei denen man Parallelen zur realen Welt ziehen möchte. So schreibt Hammerstein für die Hamburg News, die von den JournalistInnen des Nachrichtenmagazins Politik Insider eher belächelt wird. „Wer es zum Nachrichtenmagazin geschafft hatte, gehörte im Selbstverständnis der Redaktion zum Besten, was es im deutschen Journalismus gab. Der Politik Insider war wie eine Fußballmannschaft, die überwiegend aus Cristiano Ronaldos und Lionel Messis bestand, aus lauter Superstars, von denen jeder Einzelne am Ende für sich schrieb, auch wenn unter den Texten im Heft manchmal drei, vier oder mehr Namen standen.“ Ein Schelm, wer beim besagten Nachrichtenmagazin an den in Hamburg ansässigen Spiegel denkt. Selbigen liest Haider übrigens neben dem Hamburger Abendblatt am liebsten, wie er sagt. Das Arbeitsverständnis im Politik Insider charakterisiert Haider im Buch so: „Wer hier sein durfte, zahlte dafür einen Preis. Im Pressehaus wurde viel und lange gearbeitet – bevor man das Licht im eigenen Büro ausmachte, vergewisserte man sich, dass in möglichst vielen anderen Büros keines mehr brannte.“ Eine Situation, die manche Medienschaffende wohl kennen.
Immer wieder streut der Autor Textpassagen ein, die Raum für Interpretation lassen, wie die Gemeinsamkeiten zwischen dem Politik Insider und dem Boulevard-Blatt Blick: „Beide Redaktionen hatten gemeinsam, dass sie die Welt am liebsten in Schwarz und Weiß beschrieben, weil sie glaubten, dass sich Grautöne nicht gut verkauften und es am Ende darum ging, die jeweilige Klientel zu bedienen. Die war auf der einen Seite eher links und auf der anderen eher rechts.“ Auch beschwert sich ein Boulevard-Journalist über die wenig ergiebigen Pressekonferenzen und die Unfähigkeit der Politikerinnen und Politiker, eine echte Aussage zu tätigen. Doch daran allein scheint es nicht zu liegen, im Gegenteil: „Die Kollegen der anderen Zeitungen, der Radio- und insbesondere der Fernsehsender waren mit schuld an der Entwicklung, weil sie Politikern durchgehen ließen, auf Fragen nicht zu antworten oder etwas zu erzählen, das mit dem Thema nichts zu tun hatte.“
Haider greift auch den harten Sparkurs so mancher Medienhäuser auf und stellt die schlechten Einstiegsgehälter den fürstlichen Salären langgedienter Reporter und Reporterinnen gegenüber.
Überzeichnet
Nicht alles läuft nach Plan, weder für die Hauptfigur noch für den Autor. So erscheint es unglaubwürdig, dass nur wenige Menschen aus Hammersteins Umfeld, über dessen gute Kontakte zu seinem Freund Niklas, dem Bürgermeister, wissen sollen. Dies empfindet man während der Lektüre als ebenso fraglich wie Lillis Desinteresse an den Nachrichten über die Morde in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Und immer wieder eckt der Autor mit seinen teils überzeichnet dargestellten Figuren etwas an – beginnend beim rüpelhaften Boulevard-Schreiber, dem ehrgeizigen Soko-Leiter bis hin zum eitlen Chefredakteur – obwohl es Chefredakteure, die gerne nackt baden, ja schon gegeben haben soll. Ein Thema, das auch Benjamin Stuckrad-Barre in seinem nicht ganz unumstrittenen Buch „Noch wach?“ aufgegriffen hat.
Doch zurück zum Krimi: Wirklich ermüdend ist das wiederholte Auswalzen des Genderns der darauf bestehenden Polizeireporterin Kaja, die schon eingangs vorsichtshalber mit dem Prädikat „anstrengend“ versehen wird. Doch all das verzeiht man dem Duo Haider-Hammerstein aufgrund der guten Unterhaltung und dem lockeren Schreibstil gerne.
Nachfolger in Arbeit
An Themen für die Krimiserie mangelt es Haider in seinem journalistischen Alltag wohl nicht. Als Journalist muss er natürlich über Gerichtsverhandlungen berichten (lassen) – und hatte selbst auch schon Kontakt mit der Justiz: 2015 saß er in seiner Funktion als Chefredakteur auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft in Hamburg hatte einen Prozess „wegen verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“ nach § 353d im Strafgesetzbuch angestrengt. Haider wurde vorgeworfen, mitverantwortlich für das wörtliche und damit rechtswidrige Zitieren aus einer Strafakte zweier seiner Redakteure gewesen zu sein. Haider konnte seine Unschuld beweisen. Die genannten Journalisten, die laut Begründung des Richters rechtswidrig gehandelt hätten, wurden ebenfalls freigesprochen. Denn sie hatten vor Veröffentlichung den Hausjuristen um Rat gefragt – und auf diesen hätten Sie sich verlassen dürfen.
Und Udo Lindenberg? Der lieferte mit einer Songzeile den Titel für den ersten Fall, tritt aber trotz werbewirksamer Ankündigung am Buchumschlag kaum mehr als Randfigur in Erscheinung. Vielleicht darf der Sänger im zweiten Fall von Lukas Hammerstein, angekündigt für April 2024, mehr zur Handlung beitragen. Verdient hätte er es sich jedenfalls, denn den Titel borgt sich Haider vom bekannten Lied Lindenbergs Ich lieb’ dich überhaupt nicht mehr. Hinsichtlich der Thematik von Hammersteins zweitem Fall liefert der Autor in der Danksagung seines Erstlings einen nicht unerheblichen Hinweis: Er wird sich bei Klimaaktivistin Luisa Neubauer bedanken müssen …
Fazit
In seiner neuen Rolle als Krimiautor verpackt Lars Haider in seinem Erstlingswerk geschickt Kritik an der eigenen Branche und zieht so manche Parallele zum echten Leben. Von den Leserinnen und Lesern gefundene Ähnlichkeiten mit Hamburger Persönlichkeiten sind natürlich zufällig und nicht beabsichtigt … Der Krimi punktet neben den (un)erwartbaren Plot-Twists mit Leichtigkeit und weiterführenden Weinempfehlungen.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)
Lars Haider, geboren 1969 in Hamburg, studierte Geschichte und Politik an der Universität Hamburg und wechselte später an die Journalistenschule Axel Springer in Berlin. Seit 2011 ist er Chefredakteur des Hamburger Abendblatts. Zuvor arbeitete er u. a. für die Welt, die Berliner Morgenpost und den Weser-Kurier in Bremen. Sein Ende 2021 erschienenes Porträt „Olaf Scholz. Der Weg zur Macht“ avancierte 2022 zum Spiegel-Bestseller. Im selben Jahr erschien das Buch „Das Phänomen Markus Lanz – Auf jede Antwort eine Frage“ des Autors. Haider ist gemeinsam mit zwei Freunden, Michael Kutej und Axel Leonhard, Gastgeber des alle zwei Wochen erscheinenden Wein-Podcasts Vier Flaschen. Zudem pflegt der Journalist eine WhatsApp-Freundschaft mit Udo Lindenberg. Der Krimileser ist ein großer Fan von Agatha Christie.
Buchdaten
Autor: Lars Haider
Titel: Einer muss den Job ja machen. Hammersteins erster Fall | Der Hamburg-Krimi
Preis: Euro 18 € (D) und 18,50 € (A) (Taschenbuch)
Umfang: 384 Seiten
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Hoffmann und Campe
ISBN: 978-3-455-01630-7
Die Rezensentin Carola Leitner, Dr. phil., promovierte 2016 im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet(e) als Buchhändlerin, Buchproduzentin, Lektorin und Reise- und Kulturjournalistin. Tätigkeit für den Residenz Verlag, Ueberreuter, Metro Verlag, die Tageszeitung Der Standard oder ORF.at. Sie unterrichtet Journalismus an der FH Wien der WKW sowie Verlagswesen an der Universität in Wien, wo sie derzeit lebt und arbeitet.