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Visualisierung, Interaktion, Recherche – Chancen für Journalismus auf Instagram

Welche Potenziale hat Instagram für den klassischen Journalismus? Lesen Sie in diesem Buchauszug, wie die Social-Media-Arbeit auf der Plattform die redaktionelle Arbeit sinnvoll ergänzen kann, welche Rolle die Interaktion mit der Community dabei spielt und welche Möglichkeiten zur journalistischen Recherche Instagram bietet.

Instagram als neue und gleichzeitig klassische journalistische Aufgabe

Die allermeisten Redaktionen in Deutschland wissen, wie wichtig Instagram für sie ist. Sie wissen, dass ihnen genau die Zielgruppe fehlt, die sie mit Instagram ansprechen können. Die Digital Natives, die Generationen Y und Z. Die meisten Redaktionen haben auch einen Instagram-Account, manche sind sehr gut gemacht, viele noch nicht so gut. Das liegt meiner Vermutung nach daran, dass nicht öffentlich-rechtlichen Redaktionen die Ressourcen für sehr gute Social-Media-Arbeit fehlen. Es fehlt das passende Personal, weil das Geld dafür nicht reicht.

Aus praktischer Perspektive stelle ich fest: Journalistische Arbeit auf Instagram ist vergleichbar mit klassischer journalistischer Arbeit. Wenn Redakteur*innen drei Stunden Zeit bekommen, um einen Artikel zu einem bestimmten Thema zu schreiben, sollten sie auch drei Stunden Zeit bekommen, um eine Instagram-Story zu diesem Thema zu bauen. Eine Story auf Instagram kann nach denselben journalistischen Richtlinien produziert werden. Sie braucht einen knackigen Einstieg, einen roten Faden, Abwechslung mit Bildern und Text, sie soll eine spannende Geschichte erzählen. So etwas geht nicht nebenbei, kurz vor Feierabend, sondern muss fester Bestandteil der Arbeit in der Redaktion sein.

Instagram verändert den klassischen Journalismus nicht, sondern ergänzt ihn. Bei Printredaktionen basieren Instagram-Inhalte in der Regel auf Homepage-Artikeln. Auf der Homepage werden regelmäßig neue Artikel veröffentlicht und viele Social-Media-Mitarbeiter*innen nehmen sich die Texte, die zur Instagram-Zielgruppe passen, und bauen damit ihre Inhalte. Für einen klassischen Beitrag im Newsfeed wird das Hintergrundfoto eines Artikels als Hintergrundbild einer [Kachel] verwendet, Überschrift und Unterzeile des Artikels darauf ergänzt. Ich nenne solche Bildbeiträge „Kacheln“, andere Redaktionen nutzen andere Begriffe. Wenn die Kachel in den Newsfeed hochgeladen wird, wird meist der Teaser oder der Anfang des Textes in die Beschreibung kopiert und der Link zum Text im Profil gepostet. Hier müssen die Social-Media-Mitarbeiter*innen nicht unbedingt selbst journalistisch arbeiten, sondern können Inhalte übernehmen. Anders sieht es bei Instagram-Storys aus.

Die Bedeutung der Visualisierung

Für Instagram-Storys ist es praktisch, wenn es ausreichend Bild- oder Videomaterial gibt. Instagram ergänzt dadurch, genauso wie das Internet generell, die journalistische Arbeit insofern, dass auch Printjournalist*innen umfangreiche Visualisierungen mitplanen müssen. Wenn Journalist*innen lange Reportagen schreiben, macht es Sinn, Protagonist*innen nicht nur fotografieren zu lassen, sondern auch zu filmen und viele kleine Szenen oder Bilder festzuhalten, die vorher nicht relevant gewesen wären. Für den Online-Text kann mit diesem Material ein Video eingebunden werden, das den Text auflockert, und gleichzeitig über sämtliche Social -Media-Kanäle wie Facebook, YouTube und den Instagram-Newsfeed gespielt werden kann.

Für Storys sollten die Bilder und Videoschnipsel hochkant sein. Wenn das Thema sich nicht für visuelles Material eignet, ist auch eine textbasierte Story möglich. In vielen Redaktionen werden Storys ausschließlich von Social-Media-Mitarbeiter*innen gebaut. Für Instagramaffine Journalist*innen lohnt es sich aber, eine Story mitzuplanen und mit den Mitarbeiter*innen abzusprechen.

Die Journalist*innen, die den jeweiligen Artikel schreiben, sind besser über das Thema informiert, können sich vor Ort selbst filmen und zu den Followern sprechen und kommen vielleicht auf ganz andere kreative Ideen, wie das Thema umsetzbar ist. Für Redakteur*innen hat das Mitdenken der zusätzlichen Plattform viele Vorteile. Der einzige Nachteil ist die weitere Arbeit, die sich aber bei großen Geschichten durch Klickzahlen auszahlt. Beim Tagesspiegel z. B. achten mehrere Kolleg*innen darauf, dass ihre großen Geschichten auch in Storys aufbereitet werden. Ein Beispiel dafür ist das Tagesspiegel-InnovationLab, unser junges Datenjournalismus-Team. Sie bereiten regelmäßig Storys vor, in denen sie z. B. über aktuelle Corona-Zahlen informieren.

Instagram braucht Community und Community-Management

Journalismus funktioniert auf Instagram zum einen über das Produzieren von Newsfeed-Beiträgen wie Kacheln oder Videos und zum anderen über die Instagram-Storys. Wie das genau funktioniert, habe ich in meinem Buch „Instagram-Journalismus für die Praxis“ (Bettendorf, 2020) aufgeschrieben. Einige wichtige Punkte für Instagram-Storys sind zum z. B.:

  • Eine gute Instagram-Story braucht einen roten Faden und einen starken Einstieg
  • Sie sollte in der Regel nicht mehr als acht Slides (einzelne Elemente) haben
  • Abwechslung von Bild, Text und Video ist wichtig
  • Moderator*innen sollten jung sein und zur Zielgruppe passen
  • Interaktion mit der Community verbessert Leser*innen-Blatt-Bindung
  • Slides nicht mit zu viel Text füllen
  • Immer wieder neue Formate und Möglichkeiten ausprobieren
  • Regelmäßigkeit wird vom Algorithmus gepusht

Instagram hat aber noch weitere Vorteile. Zum einen kann über die Plattform, genauso wie auf anderen Social-Media-Plattformen, mit der Community interagiert werden.

Das ist eine große Chance von Social Media, die es so vorher noch nicht gab. Auch bei Printzeitungen gab und gibt es Briefe oder Anrufe von Leser*innen, aber der Austausch und die Diskussion über Social Media sind schneller und intensiver. Die Leser*innen-Blattbindung kann dadurch verbessert werden. Außerdem können Mitarbeiter*innen konstruktive Kritik und Lob der Follower aufnehmen und der Redaktion spiegeln. Die Community kann auch Themenhinweise schicken und so auf Dinge aufmerksam machen, die für die Berichterstattung relevant sein können.

Auf Instagram ist es dazu noch leichter als auf anderen Plattformen, Transparenz herzustellen. Inzwischen wird immer mehr von Fake News gesprochen, die klassischen Medien sind für manche Menschen nicht mehr glaubwürdig, Follower verstehen mangels Medienkompetenz nicht, wie Medien funktionieren. Hier liegt ein riesiger Vorteil in Instagram. Über Social Media können Redakteur*innen schnell und niedrigschwellig über ihre Arbeit aufklären.

Beispielsweise haben wir beim Tagesspiegel Storys gemacht, in denen wir unsere Redaktion vorgestellt und gefilmt haben. In einer anderen Story haben wir die Druckerei gezeigt. In einer Videowoche, in der wir mehrere Videos auf sämtlichen Social-Media-Plattformen ausgespielt haben, haben wir erklärt, wie wir entscheiden, über welche Themen wir berichten. Wir haben den Unterschied zwischen Meinungstext und Bericht erklärt, was der Verlag macht und einen unserer ältesten Mitarbeiter interviewt.

Wir haben die Follower auch immer wieder dazu aufgerufen, uns Fragen zu stellen oder uns zu schreiben, was sie sich auf unserem Account wünschen. Der Austausch mit der Community ist schnell, einfach und erhöht das Vertrauen in unsere Arbeit. Das machen auch andere Medien so. Wer auf den YouTube-Account der Tagesschau geht, sieht auf der Startseite ein Video: „Was berichtet die Tagesschau und was nicht?“ Besonders für die junge Social-Media-Zielgruppe ist das wichtig.

Das ZDF hat Instagram vorbildlich genutzt, als 2019 ein Mann mit Migrationshintergrund in Frankfurt ein Kind vor einen Zug geschubst hat. Das Kind starb. Die Medien haben darüber berichtet. Manche haben den Migrationshintergrund genannt, andere nicht. Das ZDF hat ihn genannt und hat sich dazu entschieden, kurzfristig in einer Instagram-Story zu erklären, warum. So eine Story ist schnell produziert und erklärt den Followern genau das, was sie in diesem Moment dazu wissen möchten.

Recherche auf Instagram

Diese Kommunikation mit den Followern kann nicht nur dazu genutzt werden, das Vertrauen der Community zu stärken, sondern hat auch noch weitere Vorteile. Die Community kann auch schon bei der Recherche mit einbezogen werden. Wir haben beim Tagesspiegel eine Umfrage in einer Instagram-Story dazu gemacht, was die Follower bisher aus der Corona-Pandemie gelernt haben. Dazu gab es viele Antworten, die nach Absprache mit den Followern in der Zeitung abgedruckt werden konnten.

Ähnlich kann es auch mit der Suche nach Protagonist*innen funktionieren, die Journalist*innen durch Feed-Posts oder Storys finden können. Wichtig ist dabei, dass so etwas nicht zu oft gemacht wird. Die Follower wollen in erster Linie nachrichtliche Inhalte auf dem Nachrichtenaccount sehen. Doch wenn solche Rechercheaufrufe ab und zu gemacht werden, werden Follower mit eingebunden und sie fühlen sich ernst genommen. Für die Journalist*innen ist es ein guter Beitrag zur Recherche.

Bei der Recherche ist Instagram auch außerhalb der eigenen Community interessant. Journalist*innen können auf Instagram Personen oder Hashtags folgen, die für ihr Themengebiet relevant sind. Promi-Reporter*innen, die Prinz Harry und Meghan Markle auf Instagram gefolgt sind, haben als erste die offizielle Nachricht gesehen, dass die beiden das britische Königshaus verlassen werden. Solche Informationen werden manchmal exklusiv auf Instagram veröffentlicht, da Instagram eine einfache und schnelle Plattform ist. Das Hochladen ist unkompliziert. Das ist unter anderem auch für Lokaljournalist*innen interessant. Lokale Fußballvereine oder Politiker*innen veröffentlichen teilweise nur auf Instagram Neuigkeiten, da sie keine eigene Homerpage haben oder die zu kompliziert ist, um dort schnell kurze Beiträge zu veröffentlichen. Instagram bietet für Journalist*innen gleichzeitig noch die Möglichkeit, diese Personen zu kontaktieren. Ein blauer Haken beim Redaktionsaccount ist dafür hilfreich, da prominente Personen oft so viele Direktnachrichten bekommen, dass sie sich nur die Nachrichten von verifizierten, großen Accounts mit blauem Haken anzeigen lassen.

Für überregionale Medien, die wie der Tagesspiegel auch viele politische Inhalte auf Instagram veröffentlichen, gibt es eine Schwierigkeit. Die überregionale Konkurrenz veröffentlicht auf Instagram dieselben wichtigen Themen. Das gilt auch für die gedruckte Zeitung, doch auf Instagram besteht die Nachrichtenkachel meistens nur aus der Überschrift, die sich dann bei vielen überregionalen Medien ähnelt. Trotzdem ist es wichtig, diese Nachrichten zu posten, da nicht jeder Follower mehreren Nachrichtenaccounts folgt. Instagram-Mitarbeiter*innen müssen aber schnell sein, damit die Konkurrenz dieselben Informationen nicht schon viel früher veröffentlicht. Was deshalb besonders gut funktioniert, sind überregionale Themen mit eigenen Ansätzen. Der Tagesspiegel postet z. B. regelmäßig Zitatkacheln aus eigenen, oft politischen Artikeln. Überregionale Politik funktioniert auf Instagram sehr gut. Die Follower interessieren sich dafür, wenn es die richtige Auswahl und Aufbereitung der politischen Themen ist.

Fazit: Das Instagram-Potenzial ist im Journalismus noch lange nicht ausgeschöpft

Die kurze Zusammenstellung zeigt zunächst das große Potenzial von Instagram für den Journalismus: Über diese Plattform können neue Zielgruppen erreicht werden, die ansonsten kaum den Anschluss zu klassischen Medienmarken finden würden. Für Journalist*innen bietet Instagram viele Möglichkeiten und Hilfe im Alltag: Hilfe bei der Recherche durch bestehende Accounts oder die Community und neue Möglichkeiten der Artikel-Distribution durch Beiträge im Newsfeed oder in den Storys. Durch das Live-Format in den Storys kann Journalismus sogar in Echtzeit auf Instagram stattfinden – etwa durch politische Live-Interviews. Hier sind die meisten Redaktionen in Deutschland erst noch am Anfang einer Entwicklung, die in den nächsten Jahren überaus spannend wird. Ich bin sicher: Das Instagram-Potenzial ist im Journalismus noch lange nicht ausgeschöpft und erfordert ständig neues Probieren und Diskutieren.

Literatur:
Bettendorf: S. (2020). Instagram-Journalismus für die Praxis. Ein Leitfaden für Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Springer VS.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Selina Bettendorf ist Journalistin beim Tagesspiegel, Autorin und freie Dozentin. Sie unterrichtet unter anderem Studierende am Journalismus-Studiengang der Universität Mainz.

Ihr Text ist ein Beitrag aus dem Buch „Journalismus und Instagram. Analysen, Strategien, Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis“ (hrsg. von Jonas Schützeneder und Michael Graßl), das 2022 im Verlag Springer erschienen ist.

 

 

 

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