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Medien im Neokapitalismus: Macht muss nicht missbraucht werden, aber sie kann

Basisinnovationen sind Keimzellen für technologisch-ökonomische Umbrüche, deren Auswirkungen meist über Jahrzehnte verschiedene Wirtschafts- und Lebensbereiche neu formen. Heute leben wir im Zeitalter der Digitalisierung und die neue Informationstechnologie pflügte bereits die Medienlandschaft um. Sie eröffnete neue Möglichkeiten, schuf neue Strukturen – und führte zu neuen Machtverhältnissen.

Wer kennt ihn nicht, den Vergleich zwischen Äpfel und Birnen? Beide gehören zum Kernobst, aber trotzdem unterscheiden sie sich. Ähnlich verhält es sich mit den Begriffen Kapitalismus und Marktwirtschaft. Während die Eigentumsverhältnisse für eine kapitalistische Wirtschaftsordnung charakterisierend sind, zeichnet sich eine Marktwirtschaft vor allem durch die Koordination über den Marktmechanismus aus. In einer kapitalistischen Marktwirtschaft ist deren Schnittmenge noch am größten. Die offizielle Bezeichnung des chinesischen Wirtschaftssystems als sozialistische Marktwirtschaft und ihre Transformation in einen autoritären Staatskapitalismus zeigen aber auch, dass weitere Varianten möglich sind. Der Kapitalismus stellt also allgemein die Frage nach wirtschaftlicher Macht in den Mittelpunkt. Nicht selten war in der Wirtschaftsgeschichte die Bildung großer Unternehmen oder sogar das Entstehen von Monopolen eine Begleiterscheinung von Basisinnovationen, die langfristig zu Konjunkturwellen – den Kondratieff-Zyklen – führten. Meist waren diese Verhältnisse aufgrund der am Markt wirkender Kräfte nicht von langer Dauer. Wenn sich aber Machtverhältnisse verfestigen, wird Marktwirtschaft von Kapitalismus verdrängt.

Disruption und Medien

Derzeit ist die Informationstechnik Antriebsmotor der Umbrüche – oft auch als disruptive Technologie bezeichnet, denn sie hat gravierende Auswirkungen auf nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens. Gleich zu Beginn pflügte sie die Medienlandschaft um, denn Informationen sind relativ leicht zu digitalisieren. Im Verlauf dieser Digitalisierung erlebten Begriffe wie „öffentliches Gut“ und „natürliches Monopol“ ihre Renaissance. Ein öffentliches Gut ist dadurch charakterisiert, dass Nutzer nicht ausgeschlossen werden können – und es gibt auch kein Überfüllungsproblem, welches auftritt, wenn mehrere Nutzer um ein Gut rivalisieren. Das gedruckte Exemplar einer Tageszeitung hingegen schließt diejenigen aus, die die Zeitung nicht in den Händen halten. Mit der Digitalisierung änderte sich dies grundlegend, zumindest, solange es noch keine Bezahlschranken gab. Zugleich verbanden sich Nutzer in sozialen Netzwerken, um mediale Inhalte auszutauschen. Dieser Netzwerkeffekt lässt ein natürliches Monopol entstehen, denn er belohnt Größenvorteile. So gehören zu Facebook als verbreitetstem sozialen Netzwerk mittlerweile der Messenger-Dienst WhatsApp, die Video- und Fotosharing-App Instagram sowie Virtual Occulus VR – und es wird weiter wachsen: „We plan to continue to invest aggressively …“, so David Wehner, Finanzchef von Facebook. Ebenso ist Google Teil der neuen Medienwelt und durch Zukäufe – wie YouTube – inzwischen weit mehr als nur eine Suchmaschine. Gestartet als Online-Buchhandel ist Amazon mittlerweile in Deutschland größter Marktplatz für den Online-Vertrieb. In dieser Funktion geriet das Unternehmen auch ins Visier des Bundeskartellamtes, das nach Beschwerden ein Missbrauchsverfahren eingeleitet hat.

Zugekauft werden auch Medienunternehmen aus dem analogen Zeitalter. So erwarb Amazon-Gründer Jeff Bezos die Washington Post. Kurze Zeit später schrieb die Traditionszeitung wieder schwarze Zahlen. Webseite und Apps bei der Washington Post wurden optimiert. Mithilfe von Analyseprogrammen können nun verschiedene Überschriften getestet und die Reaktionen der Leser ausgewertet werden. Die Vertriebswege sind jetzt mit Amazon verknüpft, denn die App der Washington Post ist auf allen Amazon-Lesegeräte installiert. Zudem wurden auch Partnerprogramme für Lokal- und Regionalzeitungen aufgelegt, deren Abonnenten freien Zugang zum Online-Angebot der Washington Post haben – wofür diese Daten von diesen Lesern erhält.

Schöne neue Medienwelt

Digitalisierung macht es möglich, den Adressaten schnell und aktuell zu informieren. Texte können außerdem mit multimedialen Elementen – wie beispielsweise Videos – ergänzt und mit Links zu weiteren Inhalten versehen werden. Den klassischen Leserbrief ersetzen zunehmend die Online-Kommentare. So wird Monolog zu Dialog, auch wenn die gesunkene Hemmschwelle für Hasskommentare im Netz beklagt wird. Dafür lassen sich jetzt Inhalte personalisieren, auch wenn manche vor einer sogenannten „Filterblase“ warnen.
Die Nutzer digitaler Medien können sogar selbst Teil der Branche werden – etwa als Influencer, Blogger oder durch Eigenpublikation von Büchern. Auch viele Journalisten nutzen diese Möglichkeiten, um freiberuflich tätig zu werden. Ebenso veröffentlichen Firmen, Verbände, Verwaltung sowie Politiker auf ihrer Website eigene Informationen.
Zahlreiche Anbieter medialer Inhalte treten so in Erscheinung. Einerseits können sich dadurch vielfältige Meinungen Gehör verschaffen, andererseits wächst aber auch das Risiko von Fake News und Manipulationen durch Bots. Insgesamt ist mit der gestiegenen Anzahl der Akteure eine Zersplitterung zu beobachten, da der Journalismus in seiner Funktion als „Gatekeeper“ an Bedeutung verliert: Der Konkurrenzdruck unter den Informations- und Meinungsanbietern steigt – und damit die Notwendigkeit, sich zu vermarkten.

Das spiegelt sich auch in den Verdienstmöglichkeiten der Journalisten wider. Allein die Tariflöhne der Tageszeitungsredakteure bleiben seit fast zwei Jahrzehnten hinter der Gesamtwirtschaft zurück. Zudem ist der Anteil der Geringverdiener bei den freien Journalisten höher als in der Gruppe der Festangestellten, haben Wissenschaftler der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München in einer Studie festgestellt. Hinzu kommt noch eine schwankende Auftragslage. Trotzdem sind Freie meist hochzufrieden mit ihrer Tätigkeit.

In ihrer Eigenschaft als öffentliches Gut ist die neue Medienwelt von Gratiskultur geprägt, die jedoch mehr und mehr durch Bezahlschranken zurückgedrängt wird. Denn mittlerweile ist klar: Auch wenn die analogen Medien nie vollständig verschwinden werden, Print schrumpft. So erzielt der Guardian heutzutage die Hälfte seines Umsatzes mit digitalen Angeboten. Inhaltlich können vor allem Fachverlage mit Hintergrundbeiträgen und ergänzenden Serviceleistungen – wie beispielsweise Datenbanken oder individueller Beratung – von der neuen Entwicklung profitieren. Generell ist Fachjournalismus gefragter als Allround-Journalismus.

Doch die Digitalisierung der Medien hat noch weitere Auswirkungen: Anzeigenwerbung wird zur Bannerwerbung. Gleichzeitig sinken durch E-Paper oder E-Books die Produktions- und Logistikkosten, da Druck und Zustellung wegfallen. Dem Guardian ist es so gelungen, insbesondere dank freiwilliger Unterstützung in Form freiwilliger Abos oder Einmalspenden, wieder schwarze Zahlen zu schreiben.

Digitale Transformation zwischen Freiheit und Macht

Während die Eisenbahn in erster Linie die Logistik und die Fortbewegung revolutionierte, dringt die digitale Transformation der Medien in viele Bereiche vor – und nicht immer im Sinne des Fortschritts. Wahlbeeinflussung und Datenschutz sind in diesem Zusammenhang prominente Beispiele. Nicht nur die Europäische Union will nun gegen Machtmissbrauch vorgehen, selbst in den USA erheben sich inzwischen kritische Stimmen.

Die Infrastruktur des Internets muss grundsätzlich im Sinne eines öffentlichen Gutes allgemein zugänglich sein. Aber die Wettbewerbspolitik ist an das digitale Zeitalter anzupassen. Das fängt schon mit der Frage an, welcher Markt überhaupt betrachtet wird: Der Online-Markt endet meist nicht an nationalen Grenzen, auch wenn es einige Hürden wie Sprache oder Rechtssysteme gibt. Dreh- und Angelpunkt einer Wettbewerbspolitik bleibt jedoch, die Markteintrittsbarrieren zu senken. Dabei haben sich Markteintrittsschranken gewandelt: Während früher vor allem physische Barrieren zu überwinden waren, kann heutzutage statt umfangreicher Ausrüstung schon ein Smartphone den Marktzugang ermöglichen.

Als wichtiger Indikator für eine marktbeherrschende Stellung gelten in der analogen Welt die Umsätze – im Internetzeitalter ist es die Zugriffsmöglichkeit auf Daten. Diese sind wertvoll, haben aber leider nicht immer ein Preisschild. Der Zugang zu Daten ermöglicht es Plattformen, nicht nur Kundendaten, sondern auch Daten anderer Unternehmen – möglicherweise auch Anbieter gleicher oder ähnlicher Produkte – auszuwerten. Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager fordert daher, den Internetkonzernen die Kontrolle über die von ihnen gesammelten Daten zu entreißen, um Monopolstrukturen zu begegnen. In Form eines Datenpools könnten sie dann auch Wettbewerbern zur Verfügung stehen. Die praktische Umsetzung wäre allerdings komplex. Einerseits könnte dadurch mehr Transparenz geschaffen werden, welche Datenmengen tatsächlich gesammelt werden. Andererseits müssen auch die Standards des Datenschutzes beachtet und umgesetzt werden.

Bei der zunehmenden Globalisierung der Konzerne wird zudem eine globale und digitale Steuerpolitik notwendig. Damit die Digitalwirtschaft sich nicht durch eine entsprechende Standortwahl der Besteuerung ihrer Erträge entziehen kann, brachte die EU einen Aufschlag auf die Umsatzsteuer ins Spiel. Die zusätzliche Abgabe ist auf Großanbieter mit Marktmacht zugeschnitten und betrifft hauptsächlich IT-Dienstleistungen und Internethandel – aber auch das Verlegen von Büchern und Zeitschriften. Der Vorschlag birgt freilich auch die Gefahr, eine Spirale von Gegenmaßnahmen in Gang zu setzen. Besser wäre es, den gegenseitigen Steuerwettbewerb einzelner Staaten auf andere Weise einzudämmen.

Fazit

Trotz der zunehmenden Digitalisierung mit seinen negativen Facetten bleibt Journalismus für viele der Traumberuf und ist nach wie vor Magnet für Nachwuchs, der „irgendwas mit Medien“ machen will. Eine Antwort auf die derzeit ungleich verteilte Macht zwischen publizistisch Tätigen einerseits und sozialen Netzen und den dahinterstehenden Plattformen andererseits könnte eine engere Kooperation sein – in Projektteams, in Gewerkschaften oder in Berufsverbänden.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Birgit Groschwitz-Fiebig ist Diplom-Volkswirtin (univ.), gepr. Bilanzbuchhalterin (IHK), Certified IFRS Accountant (advanced) und freie Journalistin. Schwerpunkte sind die Themenbereiche Wirtschaftspolitik, Finanzen, Steuern sowie neue und interdisziplinäre Ansätze. Zuvor arbeitete sie im Controlling als Lehrbeauftragte für Makroökonomik.

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