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Mehrsprachige Medienangebote: Baustein für die demokratische Meinungsbildung in der Einwanderungsgesellschaft

In den letzten zwei Jahren sind bei öffentlich-rechtlichen Sendern mehrsprachige Angebote für Geflüchtete entstanden. Ein Rückblick auf die Entwicklung muttersprachlicher Sendungen seit den 1960er-Jahren zeigt: Sie erleichtern nicht nur das Ankommen – sie sind unabdingbar für die demokratische Meinungsbildung in einer multilingualen Gesellschaft.

2015 entwickelten öffentlich-rechtliche Sender relativ schnell mehrsprachige Formate für Geflüchtete. Sie bieten Nachrichten aus Deutschland und der Welt, aber auch praktische Orientierungshilfen.

Von den Nachrichten bis zur „Sendung mit der Maus“

ARD-Rundfunkanstalten zum Beispiel nutzen Fernseh-, Radio- und Onlineformate, um Geflüchtete zu informieren. Die Verknüpfung mit Websites und Social-Media-Kanälen kommt der Mediennutzung von Geflüchteten entgegen (vgl. Richter/Emmer/Kunst 2016; Trebbe/Paasch-Colberg 2016).

Im Herbst 2015 stellte die ARD ein spezielles Nachrichtenangebot bereit: Bis November 2016 gab es auf der Website tagesschau.de die Videos der „Tagesschau in 100 Sekunden“ auf Englisch und Arabisch. Online gibt die ARD mit ihrem „Guide for refugees“ auf Deutsch, Englisch und Arabisch einen Überblick über Angebote für Geflüchtete.

Beim WDR entstand im Oktober 2015 das „Refugee Radio“: COSMO sendete wochentags um 11:55 Uhr wichtige Nachrichten und Serviceinfos auf Arabisch und Englisch. Seit dem 1. Juli 2016 läuft „Refugee Radio“ wochentags innerhalb der neuen arabischen Sendung „Al-Saut Al-Arabi“ ab 18:00 Uhr im Livestream und ab 22:30 Uhr im Radio. COSMO sendet das Programm in NRW, Berlin und Bremen auf UKW, auch NDR Info und Antenne Saar strahlen es aus.

Die Redaktion SWR International bietet mit „News for refugees“ Nachrichten und Serviceinformationen auf Arabisch, Deutsch, Dari und Englisch. Der Facebook-Auftritt hat über 140.000 Gefällt-mir-Angaben.

2016 hat der WDR außerdem das Portal WDR for you aufgelegt. In vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi) bündelt es ausgewählte Angebote aus Radio, Fernsehen und Internet. Im Redaktionsteam arbeiten Geflüchtete mit, bilinguale Reporter und Reporterinnen erklären Alltagsfragen. Der Facebook-Auftritt hat über 300.000 Gefällt-mir-Angaben.

Doch man hat nicht nur an die Erwachsenen gedacht. Im Oktober 2015 erweiterte „Die Sendung mit der Maus“ ihr Angebot: Erst kamen einzelne Beiträge in Arabisch, Kurdisch und Dari dazu. Inzwischen gibt es unter „Maus international“ Videos in Arabisch, Kurdisch, Dari, Englisch und Französisch. Man wolle „damit Kindern, die neu sind in Deutschland, den Einstieg in die fremde Kultur und Lebensweise erleichtern“, so der WDR in einer Pressemitteilung.

Die Entstehung der „Gastarbeiter-Sendungen“

Die mehrsprachigen Angebote für Geflüchtete senden ein wichtiges Signal: Die Aufnahmegesellschaft kann ihren Teil dazu beitragen, das Ankommen leichter zu machen. Der Prozess der „Integration“ wird als Gemeinschaftsaufgabe verstanden. Als Deutschland in den 1950er- und 1960er-Jahren mit den Anwerbeabkommen Hunderttausende Menschen aus Südosteuropa und der Türkei ins Land holte, war es für die Sender keineswegs selbstverständlich, die Muttersprachen der Eingewanderten in der Programmplanung zu berücksichtigen. Ein ähnliches Signal wie heute blieb seinerzeit zunächst aus.

Damals gab es keine Willkommenskultur und keinen Nationalen Integrationsplan, der den Integrationsauftrag der Medien betont (vgl. Wolf 2011, S. 65). Für die Neuankommenden sahen sich die ARD-Rundfunkanstalten nicht zuständig. Eine Anfrage der Caritas, kurze Sendungen auf Italienisch einzuführen, lehnte die Intendantenkonferenz ab. Dies sei nicht „mit den Aufgaben der Rundfunkanstalten zu vereinbaren, welche in der ‚Rundfunkversorgung der deutschen Bevölkerung mit Nachrichten und Darbietungen kultureller Art’ bestünden“ (Sala 2005, S. 368).

Doch mit der Zeit nahm der Druck auf die Rundfunkanstalten zu, denn viele Migrantinnen und Migranten nutzten fremdsprachige Auslandsprogramme aus dem Ostblock, die mit kommunistischer Propaganda eingefärbt waren. Regierungen aus Anwerbestaaten beschwerten sich bei der Bundesregierung und forderten Alternativen. Bald sahen auch einzelne Sender selbst die Problematik.

1961 beschlossen die ARD-Intendanten dann, erste Sendungen auf Italienisch, Griechisch und Spanisch einzuführen. Doch erst 1964 wurden tägliche Sendungen als „ARD-Gemeinschaftsaufgabe“ vom WDR und BR produziert und von den anderen Rundfunkanstalten übernommen. Anfangs auf Italienisch, Griechisch, Spanisch, Serbisch, Kroatisch und Türkisch beschränkt kamen mit der Zeit weitere Sprachen hinzu.

Sie sollten „als Integrationshilfe in den deutschen Alltag und gleichzeitig als Orientierungshilfe für eine mögliche Rückkehr“ (Zambonini 2009, S. 88) dienen. Das Programm erreichte mit einer Mischung aus Nachrichten, Information und Unterhaltung eine große Hörerschaft. Zum Teil sorgte es aber für Spannungen auf diplomatischem Parkett: vor allem die griechische und die spanische Sendung beim BR (nach dem Obristenputsch bzw. zur Zeit der Franco-Diktatur) sowie die türkische beim WDR (vgl. Sala 2005, S. 379ff.).

Durch Satellitenübertragungen konnten seit den 1990er-Jahren Sendungen aus den Herkunftsländern empfangen werden. Dies veränderte die Mediennutzung. Mit der Zeit verlegten viele ARD-Anstalten die Programme von UKW auf die Mittelwelle, auch dadurch ließ die Reichweite deutlich nach. Die Sender dachten über neue Formate nach. Es entstanden die „ganztägigen Integrationsprogramme Radiomultikulti (1994) und Funkhaus Europa (1999)“ (Zambonini 2009, S. 88). Die Kombination von Sendungen auf Deutsch und muttersprachlichen Angeboten sollte auch die deutsche und die zweisprachige Hörerschaft der zweiten und dritten Einwanderergeneration erreichen.

Die Ära der Kürzungen

Doch 2002 stieg der SWR als erster Sender aus der „Gemeinschaftsaufgabe Ausländerprogramme“ aus und leitete damit nach rund 40 Jahren deren Ende (2003) ein. Viele Sendungen entfielen. Der WDR hielt an „Funkhaus Europa“ und der SFB an „Radiomultikulti“ fest. Ein Argument der anderen Sender war, dass die Eingewanderten und ihre Nachkommen inzwischen deutsch sprächen. Das ist sicher richtig – aber zu kurz gedacht. Denn die Familien sprechen oft mehrere Sprachen.

Der Interkulturelle Rat mahnte damals, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse „die Grundversorgung der hier lebenden Migranten (…) sichern. Einwanderer sind auch Gebührenzahler und haben als solche Anspruch auf Medienangebote, die ihre Lebenssituation berücksichtigen“ (Interkultureller Rat 2002). Studien hätten gezeigt, dass Programme auf Deutsch und der jeweiligen Muttersprache eine hohe Akzeptanz unter den Eingewanderten haben.

Die Sender wiederum beriefen sich auf Studien, dass „Einwanderer (…) auch mit deutschsprachigen Medien gut erreichbar“ seien (Zambonini 2009, S. 91). „Integration“ sollte nun zur „Querschnittsaufgabe“ werden. Es entstand eine Reihe von interkulturellen Magazinen zu Themen der Einwanderungsgesellschaft; gleichzeitig sollten die „Fachredaktionen“ Beiträge für die Breitenprogramme liefern. Auch wollte man sich bemühen, mehr Medienschaffende mit Migrationsgeschichte anzuwerben – als selbstverständlichen Teil der Redaktionsteams.

Es mag inzwischen mehr Medienschaffende aus Einwandererfamilien bei den Sendern geben. Doch ihr Anteil ist im Vergleich zur Bevölkerung noch nicht repräsentativ. Über Migrationsthemen wird breiter und differenzierter berichtet, aber nach wie vor dominieren „Negativ-Tendenzen“ (vgl. Trebbe/Paasch-Colberg 2016). Grundsätzlich bleibt die Frage, ob nicht beides eine hohe Bedeutung hat: „Integration als Querschnittsaufgabe“ und mehrsprachige Medienangebote.

Der Wegfall der „Gemeinschafsaufgabe“ bedeutete auch weniger Geld für die Produktion. „Radiomultikulti“ fiel Ende 2008 Sparmaßnahmen zum Opfer. Funkhaus Europa heißt inzwischen COSMO. Auch hier kam es durch finanziellen Druck immer wieder zu Kürzungen. 2010 traf eine Programmreform das türkischsprachige Frühmagazin. Tayfun Keltek, Migrantenvertreter im NRW-Rundfunkrat, kritisierte dies angesichts von rund einer Millionen türkeistämmigen Menschen in NRW. Das Türkische sei hierzulande die meistgesprochene Sprache nach dem Deutschen. Mit den Streichungen „ignoriert der WDR die Bedürfnisse einer multilingualen Gesellschaft, die Deutschland seit vielen Jahren ist“ (Keltek 2010). Bei Programmreformen würden „muttersprachliche Sendungen gegeneinander aufgewogen“ (Keltek 2010). 2016 forderten die Neuen deutschen Medienmacher, dass auch „neue Angebote für Geflüchtete (…) nicht gegen etablierte Angebote für alteingesessene Einwanderergruppen ausgespielt werden (dürfen). Beides gehört zum Integrationsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ (Neue deutsche Medienmacher 2016).

Mehrsprachige Redaktionen in transnationalen Medienräumen

Angesichts der eingeschränkten Pressefreiheit in der Türkei entstanden Anfang 2017 zweisprachige Plattformen: „Correctiv“ launchte das spendenfinanzierte Exilmedium „Özgürüz“, geleitet vom Exiljournalisten Can Dündar. Der WDR startete mit „Türkei unzensiert“ ein crossmediales Angebot.

Dank einer Crowdfunding-Kampagne konnte das Webportal taz.gazete online gehen, das die Meinungsvielfalt zum Thema Türkei stärken will. Als Solidaritätsplattform publiziert die „taz.gazete“ Beiträge von Medienschaffenden, die in der Türkei nicht mehr veröffentlichen können. Für ihre Arbeit wurde sie neben dem in der Türkei inhaftierten Ahmet Şık mit dem Günter-Wallraff-Preis 2017 ausgezeichnet. Das Team besteht aus einem Exiljournalisten und drei deutsch-türkischen Journalistinnen.

„taz.gazete“-Redakteurin Ebru Taşdemir bedauert die Kürzungen bei den muttersprachlichen Angeboten und die mangelnde Wertschätzung der mehrsprachigen Redaktionen: „Das Traurige ist, dass man nie versucht hat, sich auf die Expertise der Kolleginnen und Kollegen zu verlassen. Das waren immer Nischenprogramme. Man hat sich das ‚gegönnt’. Aber es ist kein Geschenk – das Programm müsste weitaus besser werden.“ Denn türkische Sender oder Zeitungen hätten eine harte politische Färbung und informierten nicht umfassend: „Deswegen ist es so wichtig, dass die öffentlich-rechtlichen Sender diese Programme machen.“ In der Tat ist das Echo auf „Türkei unzensiert“ sehr gut und COSMO arbeitet zurzeit daran, das Angebot ab Herbst auszubauen.

An anderer Stelle wird Zweisprachigkeit schon seit Langem gefördert: Der 1991 gegründete deutsch-französische Fernsehsender ARTE wird zu 95 Prozent aus deutschen und französischen Rundfunkgebühren finanziert. Inzwischen kann man Videos in der Mediathek mit englischen, spanischen und polnischen Untertiteln ansehen. Türkische Untertitel sucht man dort vergeblich – auch bei Produktionen mit Türkei-Bezug.

Fazit: Mehrsprachige Medienangebote für die Einwanderungsgesellschaft

20 Prozent der hier lebendenden Menschen kommen aus Familien mit Einwanderungsgeschichte. In den großen Städten liegt der Anteil bei Kindern und Jugendlichen noch deutlich höher. Eine wachsende Zahl derer, die durch ihre Gebühren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mitbezahlen, lebt mit mehr als einer Sprache. Dem sollten die Rundfunksender Rechnung tragen. Es wäre auch eine Wertschätzung der Sprachenvielfalt in der Einwanderungsgesellschaft.

Gleichzeitig können mehrsprachige Sendungen, die in Deutschland verankert sind, ein wichtiges Gegengewicht setzen zu Medieninhalten aus Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit. In Zeiten weltweiter Migrationsbewegungen und transnationaler Medienräume leisten sie einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Meinungsbildung.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Elisabeth Gregull studierte Germanistik, neugriechische Literatur und Geschichte in Berlin und Thessaloniki. Anschließend arbeitete sie zehn Jahre als Projektmanagerin für Stiftungen und Organisationen im Bereich demokratischer und interkultureller Bildung. Nach ihrem Zweitstudium an der Deutschen Fachjournalisten-Schule ist sie seit 2011 als freie Journalistin tätig. Schwerpunktthemen sind Migration, Diversity und Folgen der NS-Zeit.

 

Literatur

Interkultureller Rat (2002): Desintegration pur: Die ARD stellt ihre Hörfunkprogramme für Migranten ein (Pressemitteilung vom 23.10.2002).

Keltek, T. (2010): Stellungnahme zur geplanten Kürzung bei den muttersprachlichen Sendungen im Programmschema Funkhaus Europa.

Neue deutsche Medienmacher (2016): Hadi tschüß, Funkhaus Europa? Stellungnahme der Neuen deutschen Medienmacher, 03/2016.

Richter, C./Emmer, M./ Kunst, M.: Flucht 2.0 – Wie Geflüchtete Medien nutzen. Eine Expertise für den Mediendienst Integration. 11/2016, FU Berlin.

Sala, R. (2005): „Gastarbeitersendungen“ und „Gastarbeiterzeitschriften“ in der Bundesrepublik (1960–1975) – ein Spiegel internationaler Spannungen, In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2 (2005), H. 3, S. 366-387 .

Trebbe, J./Paasch-Colberg, S. (2016): Migration, Integration und Medien. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Dossier Medienpolitik, Bonn.

Wolf, F. (2011): Interkulturelle Integration als Aufgabe öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Die Einwanderungsländer Deutschland und Großbritannien im Vergleich, Wiesbaden.

Zambonini, G. (2009): Medien und Integration. Der ARD-Weg: vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe. In: Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) (Hrsg): ARD-Jahrbuch 09, Baden-Baden.

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