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Musikjournalismus: „Bitte keine Klischees!“

Interview mit dem freien Musikjournalisten Jochen Overbeck

Im Kulturjournalismus gelten andere Regeln als in den übrigen fachjournalistischen Bereichen. Hier darf und soll die Meinung des Autors in die Berichterstattung einfließen. Klassische Themenfelder sind bildende Kunst, Literatur, Film und Musik, die jedoch alle Berührungspunkte haben. So übertritt die Musik regelmäßig die Grenzen zur Popkultur. Das weiß auch Jochen Overbeck. Der gebürtige Bayer war schon im Teenager-Alter leidenschaftlicher Musikfan. Nach einem Volontariat in der Nachrichtenagentur „Teleschau“ begann er seine Laufbahn als Musikjournalist. Inzwischen ist Jochen Overbeck Pauschalist beim Musikmagazin „Musikexpress„. Im Interview mit dem „Fachjournalist“ spricht er über die verschiedenen Facetten des Musikjournalismus, die Bedeutung von Fachvokabular und ein besonderes Erlebnis mit R&B-Musiker Usher.

Herr Overbeck, Sie beschäftigen sich jetzt seit rund elf Jahren beruflich mit dem Thema Musik. Hören Sie denn privat immer noch gerne Musik?

Ich glaube, in dem Moment, wo man das nicht mehr tut, wird die Berufsausübung schwierig. Denn wenn man über ein Feld schreibt, sollte man sich auch dafür interessieren. Das trifft auf jede Art von Fachjournalisten zu, denn nur wer sein Themenfeld auch privat mag, beschäftigt sich mehr damit und entdeckt dadurch wieder neue Sachen. Ich arbeite mich zum Beispiel gerade durch die komplette Rockgeschichte der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre. Dabei fallen mir ganz viele neue Zusammenhänge und musikalische Bezüge auf. Es gibt so viel Musik und ich werde niemals alles hören können, aber je mehr ich kenne, desto besser kann ich Verbindungen herstellen und Dinge bewerten.

Im Musikjournalismus geht es ja permanent darum, Bands, Alben und Entwicklungen in der Branche einzuordnen und – ganz klassisch – zu rezensieren. Die Beschreibung von Musik ist in der Regel also sehr subjektiv. Wie geht man als Journalist damit um?

Ich glaube nicht, dass das in anderen Bereichen des Kulturjournalismus anders ist. Wenn zum Beispiel Liam Gallagher in dem Song „Little James“ von Oasis singt „You live for your toys, even though they make noise“ („Du lebst für deine Spielzeuge, obwohl sie Lärm machen“), dann ist das einfach eine krass schlechte Textzeile. So etwas kann man durchaus bewerten. Natürlich spielt Subjektives mit hinein, aber ich glaube – und auch das dürfte im Film und in der bildenden Kunst nicht anders sein –, dass man nach einer Weile ein umfassendes Wissen besitzt, um beurteilen zu können, ob etwas gut ist oder nicht.

Gibt es denn dafür eine Art Fachvokabular, das man sich aneignen sollte?

Nein. Man versucht eigentlich sogar ohne allzu viel Fachvokabular auszukommen, weil man sonst schnell zum Fachidioten wird, der nur mit Klischees und Phrasen operiert. Und das ist etwas, das Musikjournalisten bitte nicht machen sollten. Keine Klischees, kein „geht gut ab“, kein „rockt wie Hölle“, kein „Film, der im Kopf abläuft“ – das ist ganz fürchterlich.

Ihre ersten Plattenkritiken haben Sie mit 18 für die Jugendseite der „Süddeutschen Zeitung“ geschrieben. Und auch während ihres Volontariats haben Sie vorrangig mit Plattenkritiken über Musik berichtet. Aber der Musikjournalismus kann ja viel mehr. In welchen Formaten zeigt sich seine komplette Bandbreite?

Es gibt natürlich Darstellungsformen, die man aus Renommee-Gründen schreibt, wie zum Beispiel schöne lange Tour-Reportagen. Das ist auch das, was am meisten Spaß macht. Ansonsten streift der Musikjournalismus auch den Wirtschaftsjournalismus, zum Beispiel dann, wenn es um diesen ganzen Bereich Plattenfirmen, Streaming und Ähnliches geht. Aber generell ist es so, dass die Grenzen von Popmusik zu anderen Popkulturen sehr offen, sehr porös sind. Das geht über Mode zu Film bis hin zur (Pop-)literatur. Wenn man sich ein Albumcover anschaut, ist man ganz schnell im Bereich Kunst und Design.

Ich empfehle daher jedem, der Musikjournalist werden möchte, in weniger klassischen Mustern zu denken und sich nicht zu überlegen „Welche Platten will ich besprechen?“, sondern eher darüber nachzudenken „Was sind die Ränder dieser Band, dieser Platte und was kann ich an diesen Rändern machen?“.

Sie haben es gerade schon angedeutet: Musikthemen können auch im Wirtschaftsjournalismus auftauchen. Denn die Musikbranche ist in der Krise: Streamingdienste werden immer populärer, Plattenverkäufe gehen zurück. Wie steht es um den Musikjournalismus?

Es gibt leider wenig feste Stellen. Das kann besonders dann ein Nachteil sein, wenn man die Sicherheit, die einem eine Festanstellung geben kann, braucht. Ich finde es allerdings ganz angenehm, dass ich mit einer Pauschalistenstelle beim Musikexpress auch Zeit für andere Sachen finde. Ich habe ja auch noch andere Leidenschaften und Interessen als Musik. So habe ich auch mal Zeit, mich mit denen zu beschäftigen.

Ist es im Musikjournalismus also eher hilfreich, freiberuflich zu arbeiten, weil man dadurch nicht auf ein Thema festgelegt ist?

Für mich persönlich ja. Bei den Aufträgen als komplett freier Journalist bemühe ich mich, eher über andere Felder zu schreiben – Design, Gastronomie, Technik –, um so einen Ausgleich zu schaffen.

Das ist auch eine der Sachen, die ich sehr wichtig finde: Ich glaube, es ist schwierig, sich nur und ausschließlich beruflich mit Popmusik zu beschäftigen. Eine umfassende Allgemeinbildung auch in anderen kulturellen Bereichen ist nicht nur von Vorteil, sondern eigentlich essenziell.

Der Markt für freie Journalisten ist allerdings sehr umkämpft. Was ist für Sie Best Practice, um im Musikjournalismus voranzukommen?

Es gibt, wie gesagt, sehr wenige feste Stellen im Musikjournalismus. Und die festen Stellen werden zunehmend an Pauschalisten vergeben. Trotzdem ist es immer noch am besten zu einem Musikmagazin oder in die Kulturredaktion einer großen Tageszeitung zu gehen, zum Beispiel über ein Praktikum.

Ich kenne aber auch sehr viele gute Musikjournalisten, die nie ein Praktikum gemacht haben, die einfach gute Autoren sind und sich das selbst angeeignet haben.

Können Sie jungen Journalisten trotzdem eine Spezialisierung auf „Musik“ empfehlen?

Ich würde sagen: mit Einschränkungen. Ich kann es ihnen empfehlen, wenn sie bereit sind, auch die thematischen Ränder des Musikjournalismus zu betrachten. Ein guter Musikjournalist sollte auch über Buch und Film schreiben können. Er kann seinen Schwerpunkt zwar auf Musik legen, aber nur darüber zu berichten, ist aus finanzieller Sicht schwierig und wird schlichtweg auch langweilig. Außerdem ist die Zahl der Redaktionen, wo man reine Musikstücke unterbringen kann, sehr gesunken.

Wenn man nur über Musik berichtet, muss man außerdem damit rechnen, dass es Zeiten gibt, in denen man ganz viel zu tun hat, und Zeiten, in denen man wenig zu tun hat. Denn die Plattenfirmen legen ihre Veröffentlichungen in gewissen Turnussen an. Zum Beispiel werden im November für das Weihnachtsgeschäft sehr viele Alben veröffentlicht.

Seit 2008 sind Sie selbst als freier Musikjournalist tätig. Wie genau haben Sie am Anfang Ihrer Laufbahn Aufträge akquiriert?

Ich hatte das Glück, häufiger bei Presse- oder Interviewreisen dabei zu sein. Da sitzen dann vier Journalisten und warten 20 Minuten lang darauf, mit dem Musiker reden zu dürfen. So lernt man über die Jahre viele Kollegen kennen. Diese Kontakte musste ich nur noch aktivieren.

Die klassische Akquise bei Redakteuren, die man gar nicht kennt, fand ich sehr schwerfällig. Ich empfehle daher, sich rechtzeitig ein Netzwerk aufzubauen. Denn wenn man immer nur Absagen auf Angebote bekommt, ist das nicht nur wirtschaftlich schwierig, sondern auch demotivierend.

Stichwort „Netzwerken“: Wie wichtig sind Branchentreffen für Ihre Arbeit?

Wenn man auch Informationen bekommen möchte, die nicht in der Pressemitteilung stehen, dann ist ein Netzwerk sehr wichtig. Dieses Netzwerk ergibt sich aber, zumindest wenn man sich vorwiegend mit dem Thema Musik beschäftigt, eigentlich von selbst. Denn der Zirkel derer, die in der Musikindustrie beschäftigt sind, ist gar nicht so riesengroß. Letztendlich trifft man beispielweise bei Konzerten immer die gleichen Personen.

Und wie wichtig sind soziale Medien für die musikjournalistische Arbeit?

Das Internet erleichtert es einem natürlich generell, Neues zu finden. Kleiner Tipp: Kein Interview führen, bevor man nicht auf der Homepage, der Twitter-Seite und der Facebook-Seite des Musikers war. Im Idealfall hat der Musiker vor zehn Minuten noch einen Tweet aus seinem Hotelzimmer geschickt, auf den man sich im Interview irgendwie beziehen kann. Damit zeigt man nicht nur Interesse, sondern erhält vielleicht auch eine Information, die ein Kollege nicht bekommt.

Apropos Interviews: Als Musikjournalist trifft man mitunter auch berühmte Musiker zum Gespräch. Können Sie uns zum Abschluss noch eine schöne Anekdote erzählen?

Ich war mal in Los Angeles, um den R&B-Musiker Usher zu treffen. Das Interview war für elf Uhr morgens angesetzt und ich habe in einem Hotelzimmer auf ihn gewartet. Allerdings kam und kam Usher nicht. Alle 20 Minuten kam die Promoterin in das Zimmer und sagte immer nur: „Er kommt gleich.“ Um ein Uhr mittags wurde mir dann mitgeteilt, dass er noch ein wichtiges Treffen mit seiner Plattenfirma hat. Und irgendwann nachmittags, gegen halb vier, kam Usher dann endlich. Ich habe ihn gefragt, wie es so geht, und da hat er geantwortet: „Super! Ich habe gerade die ganze Zeit mit meinem Kleinen im Bett gelegen und ihn das erste Mal mit einer Banane gefüttert.“ Das war schon sehr lustig.

Als Musikjournalist wirst du aber nicht ständig riesengroße Stars treffen. Du wirst vor allem in den ersten Jahren mit so einer Art künstlerischem Mittelbau arbeiten, mit Bands, die man schon kennt und die in Hallen mit 1000 bis 3000 Besuchern spielen – und bei denen ist alles easy.

Herr Overbeck, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Jochen OverbeckJochen Overbeck, Jahrgang 1977, ist freier Musikjournalist in Berlin. Nach einem Volontariat bei der Münchener Nachrichtenagentur „Teleschau“ zog er in die Hauptstadt, um sich dort selbstständig zu machen. Seit vier Jahren ist er Pauschalist beim Musikmagazin „Musikexpress“. Außerdem schreibt er für weitere Medien, etwa für den „Tagesspiegel“ und das Stadtmagazin „Zitty“ – dort aber lieber über Film, Architektur, Design und Essen.

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