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„Mut und viel Durchhaltevermögen gehören dazu“ 

Unter den Frauenzeitschriften ist sie eine feste Größe und darf in keinem Kioskregal fehlen. Die Cosmopolitan. Der Fachjournalist sprach mit der Chefredakteurin des Magazins, Lara Gonschorowski, über erfolgreichen Modejournalismus und welche Bedeutung Influencer haben

Guter Geschmack wird einem nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Wie bildet man seinen eigenen Stil?

Die Entwicklung eines Stilgespürs ist eine ganz individuelle Sache. Dazu gehört sicher auch ein Quäntchen Begabung und Veranlagung. Man muss sich einfach ausprobieren. Irgendwann kennt man seine Figur, ist mit ihr im Reinen und weiß, was einem steht und was nicht.

Ich wundere mich immer darüber, wie gleich die Mädchen und jungen Frauen heute alle ausschauen. Zu meiner Schulzeit – ich war in einer sehr konservativen Schule, in der letzten Mädchenklasse – ging es darum, irgendwie besonders zu sein. Da gab es die Punks, die Skater, die Nirwana-Fans mit Cordhosen und Doc Martens und die Perlen-Paulas. Ich war die Einzige, die sehr weite Baggypants mit klobigen Sneakern kombiniert hat.

Was den eigenen Stil angeht: Ich bin gar nicht so ein Trendfreak. Den ersten Hype lasse ich verstreichen und gucke mir alles erst einmal in Ruhe an, um zu überlegen, ob ich diesen Trend überhaupt mitmache oder wie ich ihn für mich selbst interpretiere.

Was entgegnen Sie Leuten, die Mode für völlig irrelevant halten?

Mode ist definitiv ein Stück Kultur, gehört zum Menschsein dazu. Deswegen kann sie überhaupt nicht irrelevant sein. Mode kann Kunst sein. Oder besser gesagt: Handwerkskunst, wie die Haute Couture. Der Cul de Paris etwa aus dem 19. Jahrhundert – ein Konstrukt aus Fischknochen, das den Popo und die Taille der Dame betonte – oder später die Korsetts waren sicher Handwerks-Kunst. Die Massenware, die in den High-Street-Läden hängt, ist hingegen eine sehr demokratisierte Form der Prêt-à-porter. Und hat für mich nichts mit Kunst zu tun.

Kleidung braucht erst einmal jeder: Sie schützt vor dem Wetter, vor Blicken. Aus soziologischer Sicht ist der Unterschied, dass Mode nicht nur einen praktischen Zweck erfüllt. Aber: Auch Kleidung sendet immer Signale. Viele sagen, sie hätten halt irgendein T-Shirt aus dem Schrank gezogen. Aber dem ist nicht so. Mein Papa beispielsweise hat ein Händchen für besonders hässliche Souvenir-T-Shirts, die er sich von Reisen mitbringt. Er weiß, dass seine Frau und seine beiden Töchter sie hassen – und natürlich macht er sich daraus einen Spaß, provoziert uns damit.

Ich stamme aus einer Familie, die keinen Bezug zu Mode hat: Mein Vater ist Ingenieur, meine Mutter Arzthelferin. Dennoch habe ich mit 16 beschlossen, Modejournalismus zu studieren, weil mich die Beschäftigung mit Mode auf einer tieferen Ebene irre interessiert. Mich haben schon immer die soziologischen Fragen beschäftigt und die Antworten dazu, etwa die von Georg Simmel.

Ich finde, Mode ist eines der spannendsten Mittel des Menschen, sich auszudrücken. Sie gibt einem die Möglichkeit, jeden Tag eine andere Rolle einzunehmen. An Mode kann man gesellschaftliche Trends und gesellschaftliche Umbrüche ablesen. Diese Vielschichtigkeit der Mode, auch in intellektueller Hinsicht, fasziniert mich bis heute so sehr, dass es für mich gar keinen Alternativbereich gäbe.

Welche Ausbildung würden Sie jungen Leuten empfehlen, die in Ihrem Ressort Fuß fassen wollen? 

Ich habe an der Akademie Mode & Design in München studiert. Die ist auch in Hamburg, Düsseldorf, Wiesbaden und Berlin vertreten. Dieses Modejournalismus-Studium fand ich sehr gut, weil es sehr praxisnah war. Die Ausbildung hat uns all die Möglichkeiten aufgezeigt, die einem offenstehen. Wir haben uns auch mit Marketing oder Kostümgeschichte – mein Lieblingsfach – beschäftigt und hatten die Gelegenheit, während studentischer Praktika in einer Redaktion zu gucken: Welcher Bereich interessiert mich besonders? Gehe ich eher in Richtung Styling oder in den Textbereich? Oder möchte ich in einer PR-Agentur, mitunter die wichtigsten Zulieferer für Modejournalisten, arbeiten?

Ich habe für mich den Textbereich gewählt, denn ich wollte keine Stylistin oder Moderedakteurin werden, die Modeshootings inszeniert.

Welche Qualifikationen sollte man mitbringen? 

Man muss nicht unbedingt selbst nähen können, um eine Kollektion beurteilen zu können. Ich musste mich während des Studiums auch mit der Schnittmuster-Erstellung beschäftigen. Darin war ich eine absolute Vollniete, aber ich kann trotzdem die Bearbeitung eines Kleidungsstücks einschätzen und weiß, was es bei Schnitt und Naht zu beachten gibt.

Jeder bringt seine Talente ein: Es gibt Moderedakteure, die tolle Produktionen machen und super schreiben können. Es gibt aber auch welche, die zwar Produktionen schön umsetzen, aber nicht gut schreiben können. Dann unterstützt das Textressort. Ein breites Spektrum an Fähigkeiten wird aber heute immer wichtiger.

Was kann und soll Modejournalismus leisten?

Modejournalismus soll, wie der Journalismus generell, aufklären. Dabei hat Mode in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich und Italien beispielsweise einen sehr viel schwereren Stand. Hier gibt es viel mehr dieser Stimmen, die sagen: Brauchen wir nicht, ist reiner Luxus.

Modejournalismus soll über die Bedeutung von Mode aufklären und diese soziologischen Fragen beantworten: Welche Signale sende ich mit meiner Kleidung, mit meinem Aufzug? Wie kann ich anhand von Trends gesellschaftliche Veränderungen und Strömungen bis hin zu Kriegen ablesen? Das ist so ein endloser Pool an Ansatzpunkten, Theorien und Konzepten – dieser Strom wird nie versiegen, denn Mode und Kleidung wird es immer geben.

Mit Sicherheit wird sich übrigens auch die Corona-Krise in der kommenden Saison niederschlagen, da die Produktionsmöglichkeiten schlichtweg nicht die gleichen sind wie vorher. Vielleicht werden die Marken jetzt umdenken und heimischer produzieren. Ich habe die Hoffnung auf einen Hauch Entschleunigung, darauf, dass Qualität und Nachhaltigkeit wichtiger werden. Das ist ja wahnsinnig, was zuletzt an Kollektionen auf den Markt geschossen wurde. Ich bin gespannt darauf, in welcher Form ab September bei den Prêt-à-porter-Schauen in London, Paris, Mailand und New York die Frühjahr-/Sommer-Kollektionen 2021 gezeigt werden und wie sie aussehen werden. Viele Marken haben schon angekündigt, sich aus den offiziellen Schauen auszuklinken und neue Formen der Präsentation zu entwickeln.

Was Modejournalismus noch leisten soll: Ich halte es in unserer Branche für total wichtig, Zusammenhänge zu verstehen. Denn: Wer die Yves-Saint-Laurent-Kollektionen aus den 1970er-Jahren nicht kennt, kann die neue Kollektion nicht einordnen, erkennt mögliche Zitate nicht. Mit Mode kann man spielen. Aber um die Regeln zu brechen, muss man sie kennen. Schwarz und Dunkelblau geht nicht zusammen? Dann hat man besagte Yves-Saint-Laurent-Kollektionen aus den Siebzigerjahren nicht vor Augen.

Das Credo der Cosmopolitan lautet: „Fun. Fearless. Female.“ Woran muss man fun haben?

Grundsätzlich natürlich an Mode und Kleidung. Was man braucht im Moderessort: Neugier auf neue Designer, neue Technologien in der Modebranche und neue Trends. Was aber nicht bedeutet, dass man auch so aussehen muss, das ist ein Klischee, ein Trugschluss.

In der Modebranche gibt es sehr viele Designer, Journalisten, Redakteure, die jeden Tag das Gleiche, eine Art persönliche Uniform tragen. Ich beispielsweise ziehe fast jeden Tag hohe Schuhe zu Jeans und einem sehr gut geschnittenen Hemd an. Manche Stylisten sind immer komplett schwarz gekleidet – die Begründung: Sie stecken ihre ganze kreative Energie ins Styling.

Inwiefern muss man fearless sein, um bei einem Modemagazin zu arbeiten?

Es gehört Mut und ein großes Maß an Durchhaltevermögen dazu. Als Chefredakteurin muss ich die Bedürfnisse unserer Leserinnen genau kennen und sie mit jeder Ausgabe bestmöglich erfüllen, damit sich unser Magazin im Handel verkauft. Der Stylist steht unter dem Druck, sowohl die Designer als auch unsere Zielgruppe happy zu machen. Und jeder muss die Schnelligkeit abkönnen, die sich die Modebranche angewöhnt hat – in mindestens der letzten Dekade.

Inwiefern hilft es in Ihrem Beruf, female zu sein? 

Ich mache ein Heft für die weibliche Leserschaft. Als Frau kann ich mich vermutlich leichter in die Lebenswelt, die Gedanken und Wünsche einer anderen Frau hineindenken. Trotzdem bin ich glücklich, dass wir auch vier Männer in der Redaktion haben – der Blick „von außen“ ist wichtig.

Was sollte man tun, um als Modejournalist erfolgreich zu sein?

Wichtig ist ein Gespür für die Bedürfnisse der Frauen, gepaart mit dem Wissen, welche Inhalte auf welchen Kanälen wie wirken. Ich habe eine hohe Leidenschaft für hochwertige Magazine. Aber auch Online-Kanäle und Social Media haben ihre Funktionen. In der Corona-Krise erleben wir gerade, dass Leserinnen vermehrt zu Printprodukten greifen. Vor allem bei einer jüngeren Zielgruppe gewinnen Magazine an Relevanz.

Wenn man richtig Lust auf den Job hat, sollte man unbedingt dranbleiben, hartnäckig sein. Und offen und neugierig. Es wird für gute Schreiber – nicht nur in der Mode, sondern auch in allen anderen Ressorts – in jedem Heft der Welt immer einen Platz geben. Was man als freier Journalist neben Durchhaltevermögen braucht: die Fähigkeit, mit dem Stress und der Unsicherheit umzugehen.

Sie haben selbst freiberuflich angefangen, waren erst in Ihrer Zeit bei der Bunten fest angestellt. Wie sieht der Alltag in einer Moderedaktion aus?

Die Stylisten fahren auf Produktionsreisen, wofür sie die Models und die Fotografen aussuchen und briefen sowie die Kleidung bestellen müssen. Die schreibenden Moderedakteure sind unterwegs zu Interviews und nehmen unglaublich viele Termine außer Haus wahr – ob das Geschäftsessen sind, um sich mit PR-Agenturen auszutauschen, Präsentationen von neuen Kollektionen oder die Schauen.

Jeder Tag ist anders, aber der Redaktionsablauf für ein Heft wiederholt sich. Einmal im Monat gibt es eine Themenkonferenz für die nächste Ausgabe. In der Konzeptabnahme diskutiere ich mit den Redakteuren, wie die Themen umgesetzt werden. Dann recherchieren sie diese. Mit Layout und Bildredaktion bespreche ich die Optik und nehme später das fertige Layout ab. Nach vier harten Produktionswochen ist man froh, wenn die Ausgabe im Druck ist. Und dann kommt das nächste Heft…

Ihre Mission als Chefredakteurin: Heft, Online, Podcast und Social Media zu verzahnen und die Marke „Cosmo“ auf allen Kanälen erlebbar zu machen. Was braucht es dafür?

Man darf keine Angst vor den Neuen Medien haben; dazu gehört auch eine fearlessness, sich beispielsweise mit unserem Podcast zu beschäftigen. Die Print-Chefredakteurin und die Digital-Chefredakteurin müssen jeweils beide Bereiche verstehen und gleichwertig behandeln, auf Augenhöhe sein. Die Aufgabe der Chefredaktion ist es längst nicht mehr, ein schönes Printprodukt zu produzieren. Wir machen eine Marke – und die wird heutzutage eben über alle Kanäle aufgeladen.

Das gibt uns die Chance, dass uns die Leserinnen nicht entkommen. Zum Zähneputzen hört sie unseren Podcast. Auf dem Weg zur Arbeit scrollt sie durch unseren Instagram-Account, in der Mittagspause kauft sie sich das Printmagazin und abends im Bett liest sie darin. So können wir die Leserin durch den ganzen Tag begleiten.

Welche Rolle spielen Influencer für Ihr Magazin?

Eine sehr wichtige. Wir arbeiten bei der Cosmopolitan viel mit Influencern wie beispielsweise Leonie Hanne zusammen, einer der international erfolgreichsten deutschen Influencerinnen. Mit ihr haben wir für unser Beauty-Special im vergangenen Jahr ein Cover produziert. Das Titelfoto zeigt sie mit einem strahlenden Lachen und geschlossenen Augen. Sie hat 2,2 Millionen Follower – und natürlich freut es uns, wenn sie das Ergebnis mit ihnen teilt.

Aber man merkt auch: Für diejenigen, die aus dem digitalen Bereich kommen, ist eine Kooperation mit uns etwas ganz Besonderes. Auf einem Magazincover abgebildet zu sein, ist auch für Influencer wie ein Ritterschlag.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: Anne Rose

Lara Gonschorowski, Jahrgang 1984, ist seit Anfang 2019 Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Cosmopolitan, in der sich alles um die Themen Mode, Beauty, Karriere und Partnerschaft dreht. Zuvor war sie vier Jahre lang stellvertretende Chefredakteurin des Magazins. Davor wirkte sie als Ressortleiterin bei Myself, als stellvertretende Modeleitung bei Bunte und Redakteurin im Modetext-Ressort bei Amica. Zudem arbeitete sie als freiberufliche Modejournalistin für verschiedene Lifestyle-Titel.

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