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Journalismus im Dialog-Format: Wie Sie mit einem Messenger-Magazin spitze Zielgruppen erreichen

Im Gespräch mit der Community: Ein Messenger-Magazin verbindet Menschen über Signal, Telegram oder WhatsApp. Ein Geschäftsmodell für freie oder festangestellte Journalisten? Ralf Falbe hat für den Fachjournalist bei den Ideengebern Jacob Vicari und Yvonne Pöppelbaum von tactile.news nachgefragt.

Die Bedeutung der Online-Kommunikation wächst weiterhin rasant. Was genau ist ein Messenger-Magazin und worin besteht der Nutzen?

Pöppelbaum: Ein Messenger-Magazin wird von kleinen Teams produziert, einer Art Mikro-Redaktion mit nur einer Person oder auch mit zwei Partnern. Thematisch bieten sich sehr spitze Nischenthemen an, etwa hyperlokale News oder Servicethemen im Lokaljournalismus, aber auch Liebhaberthemen wie kuratierte Nachrichten für Bienenzüchter oder Sportvereine. Das Ziel ist also, eine eindeutige Community zu identifizieren und mit exklusiven Kurzinhalten zu bedienen, die sich im Rahmen eines Membership-Modells monetarisieren lassen.

Wir glauben an den Community-Drive: Jeder in der Community darf Fragen stellen und sollte natürlich auch zeitnah eine Antwort erhalten. Die Distribution erfolgt über gängige und kostenlose Apps wie Telegram, Signal oder WhatsApp. Bei diesem kleinteiligen Dialog-Format ist es möglich, das Geschäftsmodell bereits mit 100 bis 300 Abonnenten auf tragfähige Beine zu stellen. Gerade freie Journalisten können damit zumindest einen Nebenverdienst generieren – ein kleines Magazin, das die Miete zahlt.

Der Messengerdienst WhatsApp ist bereits fester Bestandteil unseres Alltags. Welche Technik und welche Investitionen sind erforderlich, um damit ein Magazin zu starten?

Vicari: Mit einem Messengerdienst kann man einfach loslegen. Im Gegensatz zu einem Newsletter-Programm oder auch Podcast, wo ich zum Beispiel ein Mikrofon und Schnittprogramm benötige, entstehen ja keine Kosten. Es ist also möglich, mit WhatsApp oder Signal zunächst einmal anzufangen und später bei Bedarf mithilfe einer externen Software sogar eine Premium Community aufzubauen.

Wir haben dazu das Redaktionssystem 100eyes entwickelt, das selbst verschiedene Messengerdienste bündeln kann und mehr als 100 Nachrichten auf dem Bildschirm gleichzeitig abbildet. Ganz wichtig: Nicht alle reden dabei mit allen. 100eyes organisiert den Eins-zu-eins-Dialog mit vielen. Das ist eine sehr wirksame Vereinfachung im hektischen Redaktionsalltag, die wir bereits in Zusammenarbeit mit dem WDR erfolgreich testen konnten.

Aber es geht natürlich auch ohne diese technische Hilfestellung. Entscheidend sind der Pioniergeist und der Wille, den Journalismus mithilfe moderner Technik neu zu gestalten.

Kann man ein Messenger-Magazin auch in bereits bestehende Blogs oder Podcasts einbinden? Benötigt man externen Support dabei oder kann man das selbst erledigen?

Pöppelbaum: Das ist natürlich ohne Weiteres machbar und sogar ideal, um Feedback aus der eigenen Community zu erhalten. Wenn Newsletter die Disco sind und Podcasts ein Konzert, dann sind Messenger-Magazine der exklusive Club für die Aftershow-Party. Gerade Fachjournalisten könnten zum Beispiel jeden Morgen ihre Kundschaft mit exklusiven Kurznachrichten erreichen.

Was ich aber immer empfehle: Man hat nur einen Versuch bei der Ansprache, also sollte man sich vorab grundlegende Gedanken über die eigene Community machen. Was ist deren Bedürfnis? Wie kann ich meine Community erreichen? Wer ist bereit, für meine Inhalte zu zahlen? Und man sollte sich eine klare Zielvorgabe setzen, bis wann der Erfolg eintreten soll. Wir rechnen mit einer Vorlaufzeit von mindestens drei bis vier Monaten. Zu diesem komplexen Thema haben wir eigene Workshops konzipiert, die im Frühjahr 2024 bei tactile.news anlaufen.

Entwickeln Dialog-Formate für den Journalismus: Yvonne Pöppelbaum (Innovation Project Lead) und Dr. Jacob Vicari (Co-Gründer und Lead Creative Technologist) von tactile.news. Foto: Anna Heidelberg-Stein

Was ist der besondere Vorteil bei diesem Geschäftsmodell? Benötige ich Kooperationen? Und wie kann ich meine Inhalte monetarisieren?

Vicari: Vorteil ist natürlich, dass diese Messengerkanäle alle frei zugänglich und somit kostenlos sind. Auch sind sie weit verbreitet, gerade WhatsApp in Deutschland, und eignen sich daher gut für nebenberufliche Testläufe im Direktvertrieb. Man kann also mit einem kleinen, schnellen und kuratierten Nischenformat recht einfach neue Leute erreichen.

Für die Kombination mit einem Bezahlsystem bietet sich eine Anbindung an die Plattformen Steady oder Pantreon an, wo bereits viele Urheber und Kunstschaffende eigene Communitys pflegen und mit regelmäßigen Bezahl-Inhalten bedienen. Wir arbeiten mit unserer eigenen Dialog-Software 100eyes zudem an einer integrierten Lösung, um die Kombination aus Oberflächennutzung und Monetarisierung weiter zu vereinfachen. Auch die Möglichkeit, eine Art Paywall einzubauen, wäre denkbar. Unsere Software ist bereits unter anderem beim WDR und der dpa in Betrieb, wo sie täglich die Redakteure mit der Hörerschaft zusammenbringt.

Was sind die größten Herausforderungen bei diesem Dialog-Format?

Pöppelbaum: Die Bereitschaft zu einem Dialog, denke ich. Man muss sich auf einen Austausch auf Augenhöhe einlassen. Doch gerade viele Journalisten verkünden lieber ihre Botschaften sehr eindimensional. Kerngedanke ist hier aber die Kommunikation mit einem schnellen Direktmedium ohne Umwege über schwerfällige Leserbriefe. Das bedeutet, man muss rasch reagieren und sollte zumindest eine Stunde Zeit pro Tag erübrigen können.

Wichtig ist natürlich auch dieser gewisse Pioniergeist, Nischen zuerst zu besetzen und eine eigene Community aufzubauen – die zudem bereit ist, für meine Inhalte zu zahlen.

Und man sollte immer auf einen Wechsel seines Messengerdienstes vorbereitet sein: WhatsApp gehört zum Konzern Meta, ehemals Facebook, von Mark Zuckerberg. Das Beispiel Twitter hat deutlich gemacht, wie rasch sich einige Kanäle verändern können. Man sollte sich also nicht zu sehr abhängig machen von nur einem Kanalanbieter und unbedingt eigene Community-Daten selbst speichern, um nicht die Kontrolle darüber zu verlieren. Im schlimmsten Fall kann man die Community dann mit einer SMS erreichen und über einen neuen Kanal unterrichten.

Wie spreche ich meine Zielgruppe an?

Vicari: Wir haben bereits mit verschiedenen Redaktionen, etwa von der Ostseezeitung oder dem WDR, mit Dialog-Kampagnen gearbeitet und immer wieder festgestellt: Die Kommunikation auf Augenhöhe ist für viele Journalisten sehr schwierig. Aber gerade darum geht es bei einem Messenger Magazin: Dazu gehört das Duzen und auch einmal ein Emoji zur emotionalen Unterstreichung der Kurznachricht.

Die Kernfrage lautet doch: Welche Probleme sollen für wen gelöst werden? Und wo finde ich meine Zielgruppe überhaupt? In unseren Workshops arbeiten wir beispielsweise mit Legofiguren, um zunächst einmal die eigene Zielgruppe definieren zu lernen. Man muss exakt das liefern, was gebraucht wird. Wenn eine Leserschaft gar nicht die ganze Lokalzeitung benötigt, sondern nur Veranstaltungstipps, dann könnte das meine hyperlokale Zielgruppe sein.

Radio Potsdam hat das Messenger-Magazin bereits als Tool für eine Umfrage genutzt und daraus ein besseres, exakt auf die Hörerschaft zugeschnittenes Radioprogramm entwickelt. Es gab dabei sehr schnelle Hörer-Reaktionen innerhalb von nur sieben Sekunden, also gar kein Vergleich zu herkömmlichen Leserbriefen. Die Möglichkeiten zur Ansprache sind also sehr vielfältig und man verleiht Personen eine Stimme, die sonst öffentlich gar nicht wahrgenommen werden.

Gibt es bereits ähnliche Innovationen auf dem Markt? Was ist das besondere Alleinstellungsmerkmal?

Pöppelbaum: Es gibt bereits viele ähnliche Projekte, darunter Magazine in Afrika, die nur über WhatsApp funktionieren. Table Media ist sicherlich auch ein erfolgreiches Vorzeigeprojekt, bei dem kurze Spezialbriefings für mehrere 100 Euro monatlich an Geschäftskunden verkauft werden. Wenn der Nutzwertvorteil groß genug ist, dann zahlt die Leserschaft auch für diese Art Geschäftsmodell, das ja bei Table Media ähnlich wie ein Fach-Newsletter aufgebaut ist.

Viele Verlage haben also bereits verstanden, dass spitze Zielgruppen kompakte und stetige Informationen wünschen. Im Einzelfall spart die Leserschaft dadurch vielleicht sogar einen wissenschaftlichen Mitarbeiter ein oder es gelingt der entscheidende Geschäftsabschluss infolge dieser besonderen und schnellen Informationen. Aber viele dieser Geschäftsmodelle finden in einem eher geschlossenen Raum statt; daher forschen wir auch weiterhin nach diesen Projekten.

Wichtig ist aber auch, einmal etwas anderes zu wagen als nur Newsletter-Formate oder Podcasts. Für freie Journalisten wäre das erfolgreiche Messenger-Magazin natürlich auch eine Möglichkeit, das eigene Einkommen zu diversifizieren und somit eigene Recherchen oder Reportagen zu finanzieren. Das schafft Unabhängigkeit und erschließt langfristig neue Kundenkreise.

Was treibt Sie persönlich dabei an? Nur technische Neugier oder auch ein besonderes Interesse am Journalismus?

Vicari: Mein ehemaliger Lieblingskanal Twitter ist heute keine gute Heimat mehr für Mikro-Inhalte und Kurztexte, also habe ich mich etwas umgesehen. Auf Telegram zum Beispiel sind sehr viele Menschen weltweit aktiv, dafür kaum Medienmarken oder Verlagshäuser. Außerdem finde ich es wenig sinnvoll, immer noch tagtäglich Zeitungen vollzuschreiben, obwohl die Leserschaft schon viel weiter ist und heute ganz andere Formate nutzt.

Ich bin der Meinung, dass der Journalismus nicht tot ist, sondern lediglich eine andere Verpackung benötigt. Das kann KI sein oder eben auch ein Messengerdienst – wir freuen uns, wenn wir den Journalismus besser machen können und neue Anregungen dazu finden.

Das Gespräch führte Ralf Falbe

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Dr. Jakob Vicari studierte Journalistik und Biologie und arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist und Freelance Creative Technologist. 2015 wurde er von der Jury des Medium Magazins zum „Wissenschaftsjournalist des Jahres 2015“ gekürt und als Entwickler von Prototypen im „Journalismus der Dinge“ hat er das smarte Nachrichtenmöbel sMirror erfunden. Für den WDR produzierte er das mehrfach preisgekrönte Sensor-Experiment „Superkühe“ sowie „#BienenLive“. tactile.news hat er vor drei Jahren zusammen mit Astrid Csuraji gegründet, um mit Technologie den Journalismus besser zu machen: Sein Dialogs-Redaktionssystem 100eyes hat schon Schweinebauern, Kinder und Neu-Zugezogene befragt. Zudem arbeitet er daran, Nachrichten auf Spielzeuge zu bringen. Für die ARD.ZDF medienakademie bietet er Workshops an, um sich mit zukünftigen Nutzungsszenarien auseinanderzusetzen.

Yvonne Pöppelbaum hat ihre Ausbildung unter anderem in Frankreich (bei enapress) und Rom (Radio Vatikan) absolviert, bevor sie ihre Studien aufnahm: in Bochum Sprachlehrforschung und Politikwissenschaft, in Münster und Zagreb Management and Counselling for European Education, Abschluss in Duisburg mit dem Zertifikat Educational Media. Anschließend war sie unter anderem Hamburg-Korrespondentin für das Magazin Deutsch perfekt (Spotlight Verlag) sowie Autorin und Sachverständige für das Deutsche Sprachdiplom (DSD) der Kultusministerkonferenz (KMK). Sie schrieb und arbeitete für verschiedene Medien (ManagerSeminare, JS-Magazin, ParisBerlin, UnicumBeruf, goethe.de und den Spotlight Verlag (digital business) und war dann mehrere Jahre Geschäftsführerin bei Freischreiber. Als Innovation Project Lead ist sie nun bei tactile.news in Lüneburg tätig und als Geschäftsführerin bei Weltreporter, dem größten Netzwerk freier, deutschsprachiger Auslandskorrespondent*innen. Sie ist Trainerin für Medienbildung, ehrenamtlich im Einsatz für die lie detectors, Workshop- und Webinar-Moderatorin und plant und betreut digitale Veranstaltungsformate.

 

 

 

 

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