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Onlinejournalismus: sich selbst und seinen Content gut vermarkten

Da es keine Stopptaste für die Digitalisierung gibt, rät Digitalexperte Dennis Horn Journalisten, sich ständig weiterzuentwickeln. Im Interview mit dem „Fachjournalist“ gibt er eine Gebrauchsanweisung fürs Internet, zeichnet ein Bild der aktuellen Trends und verrät, welche Skills Onlinejournalisten brauchen.

Onlinejournalismus wurde ursprünglich als Journalismus definiert, der im Netz stattfindet statt in einer Zeitung, einer Zeitschrift, im Fernsehen oder im Hörfunk. Was zeichnet Onlinejournalismus im Jahr 2019 aus?

Zum einen haben sich hinter den Kulissen verschiedene Disziplinen aufgefächert: Es gibt nicht mehr den einen Onlinejournalisten, sondern Redakteure, Experten für Webvideo, Datenjournalismus, interaktive Formate, Grafiker, Programmierer, Texter und Leute, die in den Redaktionen die Suchmaschinenoptimierung vorantreiben. Es ist sinnvoll, sich zu spezialisieren, in einer Disziplin richtig gut zu sein.

Zum anderen erfordert er einen Marktüberblick über die Kanäle und deren Erfordernisse, die sich laufend verändern. Ich muss wissen, auf welcher Plattform meine Zielgruppe ist, meine Inhalte je nach Plattform spezifisch aufbereiten, damit sie bei Facebook, Twitter, YouTube oder Instagram jeweils gut funktionieren. Onlinejournalisten müssen außerdem den Rückkanal, ihr Publikum, gut im Blick halten, was früher die Aufgabe der Leser-, Zuschauer- oder Hörerredaktionen war.

Generell sind also technisches Verständnis und die Ausrichtung auf die Zielgruppe wichtig.

Und Onlinejournalisten müssen Kritik aushalten können, oder?

Das Mindset auch des Publikums hat sich beispielsweise durch die sozialen Medien komplett gewandelt: Heute sind Journalisten, die etwas ins Netz stellen, für jeden direkt erreichbar und kommen so ungefiltert mit der Rückmeldung ihrer Rezipienten in Kontakt – durch Kommentare zu den eigenen Artikeln per E-Mail oder Facebook sowie die Kommentarspalte auf der eigenen Website. Das ist anfangs sehr anstrengend, denn man neigt dazu, jede Kritik an seiner journalistischen Arbeit als Angriff auf die eigene Kunst, als geradezu persönlichen Angriff zu verstehen. Aber man muss lernen, damit umzugehen – denn die direkte Auseinandersetzung mit dem Publikum macht uns am Ende besser.

Welche Skills sollten Onlinejournalisten beherrschen?

Ich rate dazu, die ganz klassischen Hausaufgaben des journalistischen Handwerks zu machen. Auch wenn Onlinejournalismus dazu neigt, sich sehr viel mit den Fragen zu beschäftigen wie: Was sind neue Kanäle? Wie gewinne ich dort Reichweite? Welche technischen Aspekte muss ich beachten?

Man muss einerseits sehr nah dran sein am Markt und an der Entwicklung. Doch andererseits muss man sich auch in der Tiefe mit Texten auseinandersetzen, mit Recherche, mit den Fragen: Wie gestalte ich Headline und Teaser? Wie mache ich Leute neugierig auf meine Inhalte? Was auch wichtig ist: Die Analyse der Klickzahlen, seine Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, wann weggeklickt wird.

Über die Fähigkeiten, die Onlinejournalisten brauchen, haben mein Kollege Daniel Fiene und ich letztens auch im Medienmagazin „Was mit Medien“ von Deutschlandfunk Nova mit Anne-Kathrin Gerstlauer gesprochen

Welche Online-Tools sind sinnvoll für Journalisten?

Es gibt eine Flut von Tools, in denen man sich schnell verlieren kann. Ich finde, einen guten Onlinejournalisten macht nicht zwingend aus, dass er komplett online lebt. Wichtig ist am Ende ein Verständnis dafür zu haben, mit welchen Inhalten ich arbeite, was in welchen Kanälen funktioniert.

Der Inhalt, das Produkt muss gut sein. Ob ich das mit 50 Online-Tools, mit Notiz-Tools, Apps zur Transkription von Interviews, Mindmappern und was weiß ich noch erreiche oder alles auf Papier mache und nur der letzte Schritt online ist, ist dabei völlig egal. Als Nerd vom Dienst arbeite ich dennoch nach wie vor sehr viel mit Notizbüchern und Post-its.

An Hochschulen und Akademien erklären Sie das Internet. Welche Social-Media-Kanäle sollte man als Journalist nutzen?

Ich sollte die relevantesten Plattformen, auf denen ich ein Massenpublikum erreiche – Facebook, YouTube, Instagram und Twitter –, kennen und wissen, auf welchen Social-Media-Kanälen ich mit meinem Themengebiet gut aufgehoben bin.

Speziell für den Politikjournalismus ist Twitter unerlässlich, im Sport genauso. Bin ich in einem Medium mit einer großen Bandbreite an Themen, dann ist Facebook das Mittel der Wahl. Mache ich Boulevard, Reise oder Food, spielt Instagram eine große Rolle. Bin ich Wirtschaftsjournalist, dann ist LinkedIn ganz wichtig.

All diese Kanäle kann ich nicht nur dafür benutzen, meine Inhalte zu teilen. Sondern auch als Recherchequelle und um zu wissen, welche Themen gerade diskutiert werden. Und dann geht es auch darum, darüber sich und seine Arbeit zu präsentieren. Seinen Namen stärker ins Bewusstsein anderer Redaktionen zu rücken. Dafür ist auch der Selbstauftritt wichtig: Bin ich googelbar? Bin ich im Netz auffindbar für Redaktionen, die einen freien Journalisten suchen?

Wie werden sich die sozialen Netzwerke weiterentwickeln?

Das verändert sich so rasant, da kann man keine Prognose treffen, die über ein Jahr hinausgeht.

Was auf jeden Fall kommen wird: irgendeine Form der Reglementierung der Plattformen hinsichtlich Desinformation, Datenschutz, Privatsphäre, politischer Beeinflussung über diese. Die Social-Media-Kanäle sind zu Gatekeepern geworden. Die Medien versuchen, ihr Publikum dort über den Newsfeed zu erreichen, wobei die Plattformen Regelungen schaffen, durch die Nachrichten zum Teil nicht mehr durchkommen. Diese Entwicklung benötigt Regulierung. Es gibt Bestrebungen der Landesmedienanstalten, dass Medieninhalte im Newsfeed besser zu den Nutzerinnen und Nutzern durchdringen. Über kurz oder lang könnte es einen Plattformrat geben, in dem wesentliche Regeln für die großen Anbieter diskutiert werden. Die Social-Media-Plattformen stehen unter großem Druck.

Sie beraten europaweit Medienhäuser und Redaktionen zum digitalen Wandel. Ihr zentraler Tipp?

All die Möglichkeiten, die dieses Medium bietet, auch zu nutzen.

Man sieht bis heute Angebote, welche die Inhalte, die für Print, Hörfunk oder Fernsehen erstellt wurden, einfach ins Netz kippen und höchstens noch etwas aufbereiten. Das Internet ist jedoch nicht das erste Medium, bei dem alte Herangehensweisen kopiert wurden; diese Entwicklung haben alle Medien durchgemacht.

Das ist jeden Abend um 20 Uhr an der „Tagesschau“ zu sehen, die bis heute hochgehalten wird mit ihren Sprechern, die Neutralität und Seriosität suggerieren. Dieses Format ist im Grunde aus verfilmtem Radio entstanden. Man hat „Hörfunksprecher“ da hingesetzt, die die Nachrichten vorlesen, und das mit einem Bild unterlegt. Das fiktionale Fernsehen hingegen ist quasi aus der Verfilmung von Theaterstücken entstanden.

TV- und Radiosender sind sehr stark in der Linearität verhaftet. Was raten Sie ihnen?

Vor allem im Hörfunk, aber auch im Fernsehen ist eine Livesendung eine Art Kunstform, bei der das Zusammenspiel aller Elemente stimmig sein muss. Daran hängen die Sender, die das Lineare in ihrer DNA haben, sehr stark. Man muss ihnen beibringen, dass im Netz Linearität tot ist. Dass es darum geht, Inhalte einzeln zu liefern. Wie es Zeitungen mit den einzelnen Artikeln schon immer machen. Und was auch Onlinejournalismus macht.

Das Wichtigste: Jeder Kanal muss als eigenständiges journalistisches Produkt verstanden werden – egal, ob das der Fernsehkanal ist oder die eigene Website. Vor 20 Jahren waren Homepages das Teasing- oder Verweismedium, das Werbemedium für die jeweiligen Fernseh- oder Radiosender bzw. für die Printmedien. Von der Denke ist man weg. Wenn die einzelnen Ausspielwege für sich genommen funktionieren, dann stärken sie die Marke. Damit tun sich viele Medienhäuser sehr schwer, denn das Stärken der Marke kann man nicht in Zahlen nachweisen. Wer in Facebook einen guten Lauf hat, weiß nicht, wie viele neue Abonnenten oder Zuschauer er dadurch generiert hat.

Ich rate den Sendern, ihre Marken sehr spitz und fokussiert aufzubauen, sodass man auch im digtalen Raum weiß, wofür sie stehen.

Was muss Onlinejournalismus leisten?

Es gibt Dinge, die in der Medienlandschaft im Netz nicht mehr so einfach funktionieren – zumindest, wenn man Geld damit verdienen möchte. Beispielsweise der klassische Nachrichtenjournalismus, denn Nachrichten sind überall kostenlos verfügbar.

Guter Onlinejournalismus muss über die reinen News hinausgehen und Hintergründe bieten, Einordnung, Tiefe. Erst jetzt entsteht beim Publikum die Bereitschaft, für Inhalte zu bezahlen, und verschiedene Modelle werden langsam tragfähig. Springer schreibt mit seinem BILDplus-System meines Wissens nach schwarze Zahlen. Wir sehen das beim „Spiegel“, wir sehen das bei der „Zeit“: Die Paywalls der Medienhäuser greifen immer mehr.

Die Verkaufs- bzw. Bezahlschranken für journalistische Inhalte sind einerseits ein Hoffnungsschimmer, dass Medienhäuser überleben können. Andererseits sind diese Modelle nicht unumstritten in einer Zeit, in der kostenfrei gleichzeitig sehr viel Desinformation im Netz verfügbar ist.

Print ist bekanntermaßen auf dem absteigenden Ast. Was raten Sie freien Printjournalisten angesichts des digitalen Wandels, um zukunftsfähig zu sein?

Printjournalisten sollten das Internet nicht nur als neuen Kanal verstehen, sondern auch als einen kulturellen Raum.

Es ist ein Unterschied, ob man weiß, was im Internet passiert, oder ob man lebt und fühlt, was da passiert. Das tut man nur, wenn man als Journalist die Tools, die Plattformen, die im Internet eine Rolle spielen, auch nutzt. Viele Printjournalisten kleben sehr am Papier als Trägermedium, denken, ihr Artikel hat nur dann einen Wert, wenn er gedruckt ist. Wenn ich bisher nur für Print geschrieben habe, ist es unerlässlich, dass ich mir für den digitalen Raum weitere Disziplinen aneigne: bildliche Umsetzungen wie Fotos und Bewegtbild. Mehrwert entsteht im Internet, wenn der Artikel gut aufbereitet ist, sein Publikum findet und die Runde macht, wenn sich drumherum eine Community aufbaut.

Beim Onlinejournalismus spielt eine sehr große Rolle, sich die Frage zu stellen: Wo und wie finde ich mein Publikum? Ich muss heute dafür sorgen, dass meine Artikel gefunden werden. Also muss ich meine Inhalte in bestimmten Communities teilen, muss Leute anfragen, die eine Website für bestimmte Interessengruppen betreiben, um meine Artikel zu bewerben und ihnen eine Öffentlichkeit zu verschaffen. Das schafft nicht mehr allein das Medium, für das ich schreibe.

Vermarktung und Distribution sind unter Journalisten verpönte Begriffe und es gibt großen Widerstand dagegen. Aber das ist eine ganz wichtige Disziplin für einen Onlinejournalisten, die einfach dazugehört. Denn auch der beste Journalismus ist nichts wert, wenn er kein Publikum findet.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: Oliver de Vries

Dennis Horn, offline geboren 1981 in Köln, arbeitet seit über 15 Jahren für Radio und Fernsehen. Er ist als Fachjournalist für Digitalthemen in der ARD, Digitalexperte für das ARD-Morgenmagazin und moderiert im Deutschlandradio. Außerdem arbeitet er an Akademien in der Journalistenausbildung und berät europaweit Redaktionen und Medienhäuser an der Schnittstelle zwischen Print, Hörfunk, Fernsehen und Online.

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