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Positiver Journalismus (2): „Es geht darum, das ganze Bild zu zeigen“

Interview mit dem Mediencoach und Redaktionsberater Christian Sauer

„Only bad news are good news“. Diese vermeintliche journalistische Grundregel gerät in Zeiten des digitalen Medienwandels immer mehr ins Wanken. Die Folge: Neue Ansätze der journalistischen Berichterstattung rücken in den Vordergrund. Dies zeigen die Diskussionen um einen positiven Journalismus oder Constructive News. Im Interview mit dem „Fachjournalist“ erklärt der Redaktionsberater Christian Sauer, warum die Medien tendenziell zu negativ berichten, wie die Situation im Fachjournalismus aussieht und wozu die aktuellen Debatten über positiven und konstruktiven Journalismus führen können.

Herr Sauer, seit einiger Zeit gibt es eine Debatte über die Art und Weise, wie Medien berichten. Moniert wird, dass die Medien insgesamt zu negativ berichten. Sind Sie auch dieser Auffassung?

Grundsätzlich ja. Ich glaube, dass die klassischen Nachrichtenkriterien einen Journalisten dazu verleiten, eine „dunkle Brille“ aufzusetzen – insbesondere im News-Geschäft, wo es schnell gehen muss und die Medien um Aufmerksamkeit buhlen. Hier gibt es eine Tendenz, die schlechtesten Nachrichten zuerst und am größten zu bringen. Eine journalistische Weisheit lautet nicht von ungefähr: „If it bleeds it leads.“

Allerdings beobachte ich schon seit etwa 15 Jahren Tendenzen, davon wegzukommen – aber nicht im klassischen Nachrichtenjournalismus, sondern da, wo man etwas überlegter herangehen kann, etwa im Magazinjournalismus, aber auch bei Wochenzeitungen und teilweise auch bei Tageszeitungen, die gut vorausplanen.

Können Sie Beispiele nennen?

Das Magazin „brand eins“ verfolgt beispielsweise schon länger eine pragmatische, lösungsorientierte Perspektive. Auch die „Zeit“ hat früh angefangen mit einer Art konstruktivem Journalismus. Selbst der „Spiegel“, der nun wirklich nicht für eine positive Sicht der Dinge bekannt ist, hat im vergangenen Sommer mit dem Doppel-Cover „Helles Deutschland/Dunkles Deutschland“ einen perspektivischen Journalismus verfolgt, der das ganze Bild zeigt.

Wie sieht es im Fachjournalismus aus?

Die nach vorne gerichtete Perspektive ist im Fachjournalismus schon seit langem bekannt. Sie kommt aus dem Verbraucher- und Servicejournalismus. Dort hat man schon in den neunziger Jahren erkannt: Die Leute wollen Klarheit – und sie wollen hinterher etwas tun können.

Ein modernes Fachmagazin muss Themen so durchdringen, dass es Vor- und Nachteile und damit Entscheidungsalternativen aufzeigen kann. Mehr noch: Es sollte sogar eine qualifizierte Handlungsempfehlung aussprechen. Das macht es den Entscheidern leichter. Hier gibt es viele tolle Blätter, deren Macher längst begriffen haben, dass man zum Beispiel Entscheider in Unternehmen nicht erreicht, indem man bloß Detailwissen vermittelt und sie damit alleinlässt.

Ein gutes Beispiel ist „Top Agrar„. Dieses Fachmagazin hat schon früh damit begonnen, Konzepte aus dem holländischen Fachjournalismus zu übernehmen und einen sehr konstruktiven Grundansatz verinnerlicht. Das wurde damals nur nicht so benannt.

Warum diskutiert die Medienbranche gerade jetzt so intensiv über neue Formen des Journalismus?

Ich glaube, einige Verfechter einer neuen Art der Berichterstattung, wie zum Beispiel der dänische Journalist Ulrik Haagerup, haben richtig erkannt: Die Medienbranche sucht derzeit nach Halt und Orientierung. Der Wandel, den die Digitalisierung mit sich bringt, verunsichert sie.

Deshalb sind Konzepte wie konstruktiver oder positiver Journalismus für viele Medienmacher interessant. Man erhofft sich von davon, dass sie das Publikum auf eine Art und Weise ansprechen, die zu einer höheren Bindung und damit letztlich zu höheren Absatzzahlen führt.

Kann das gelingen?

Ich bin etwas skeptisch, ob es im großen Stil gelingen wird. Ich denke aber, dass es einen Versuch wert ist, diese neuen Ansätze in redaktionelle Konzepte zu integrieren. Das kann dazu beitragen, dass Medienprodukte besser dastehen und – wirtschaftlich gesehen – einen gesunden Weg in die Zukunft finden.

In Ihrem Beitrag im Buch „Positiver Journalismus“ stellen Sie die These auf, dass ein „negativ vorgeprägter Journalismus eine Selbstreinigungskraft der Demokratie ist“. Sind also gar keine Veränderungen nötig?

Zunächst einmal hat der Journalismus diese eben zitierte Selbstreinigungsaufgabe. Wenn er diese ausreichend erfüllt, kann man zusätzlich darüber nachdenken, ob es auch negative Begleiterscheinungen des kritischen Journalismus gibt. Ich spreche deshalb am liebsten von einem kritisch-konstruktiven Journalismus.

Auf jeden Fall ist der Gedanke spannend, dass das Publikum irgendwann von negativen Nachrichten genug haben könnte und man sozusagen konstruktiv gegensteuern muss. Aber man begibt sich dabei auf schwieriges Terrain, das Journalisten bisher verboten war. Beim positiven oder konstruktiven Journalismus werden Journalisten leicht zu Aktivisten, sie geraten in die Nähe von PR oder in die eines sozialpädagogisch verstandenen Journalismus.

Deshalb sage ich: Lasst Redakteure darüber diskutieren, was eine Redaktion ergänzend zu ihrer aufdeckenden und kritischen Arbeit tun könnte, um Menschen Lösungen anzubieten und Handlungsperspektiven zu eröffnen. Es geht darum, das ganze Bild zu zeigen, also Weltbilder komplett zu machen und nicht nur düstere Informationen zur Verfügung zu stellen.

Wir brauchen also keinen grundsätzlich neuen Ansatz in der journalistischen Berichterstattung?

Nein, wir brauchen definitiv keine kopernikanische Wende im Journalismus. Was wir brauchen, ist journalistische Qualität. Und die entsteht aus einer guten Diskussionskultur in den Redaktionen. Als Redaktionsberater vertrete ich diese Ansicht quasi Tag und Nacht und finde auch dauernd Belege dafür.

Wenn es gelingt, über die Debatten um positiven und konstruktiven Journalismus neue Fragestellungen in die Redaktionen zu bringen, ist das begrüßenswert. In der Dynamik solcher Diskussionen liegen die Chancen des Ansatzes. Bei der Auseinandersetzung darüber, wieviel klassischen Ansatz ein konkretes Thema braucht und welche konstruktiven Elemente und neuen Ideen es noch besser machen, entsteht etwas Gutes – zum Nutzen der Leser und User.

Herr Sauer, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Christian SauerDr. Christian Sauer ist Journalist, Coach und Redaktionsberater in Hamburg. Er arbeitet als Dozent zu den Schwerpunkten Redaktionsleitung, Kreativität und Textqualität, u. a. an der Akademie für Publizistik in Hamburg, der Akademie der Zeitungsverleger in Bonn und in der internen Weiterbildung von Medienunternehmen. Er coacht Medienmenschen vom freien Journalisten bis zum Chefredakteur. Zuvor arbeitete der gelernte Tageszeitungsjournalist 16 Jahre als Reporter, Redakteur und Redaktionsleiter, zuletzt bis 2005 als Stellvertretender Chefredakteur des Magazins „chrismon“. Er ist Mitglied des Ethikrats der Akademie für Publizistik und Autor der Profiratgeber „Souverän schreiben“ und „Qualitätsmanagement in Redaktionen“ sowie zahlreicher Fachbeiträge. Weitere Informationen: www.christian-sauer.net

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