Quo vadis, Fachjournalismus?
Die langjährige Fachjournalistin Silke Liebig-Braunholz untersucht in dieser fundierten Analyse den Status quo und die Zukunft des Fachjournalismus – und sie fordert diesen auf, aus seiner „Bubble“ zu kommen. Ihr Essay ist zudem als Festbeitrag im Jubiläumsheft zum 25-jährigen Bestehen des Deutschen Fachjournalisten-Verbandes erschienen.
In der Gesamtbetrachtung der deutschen Medienlandschaft spielt der Fachjournalismus auf den ersten Blick nur eine untergeordnete Rolle. Dabei hat sich dieser thematisch festgelegte Journalismus seit der Zeit der universalen Gelehrtenzeitschriften, mit denen die Geschichte des Fachjournalismus begann, als ein unverzichtbares Element der publizistischen Wissensvermittlung etabliert. Doch Fachjournalismus steht immer dann vor einem Dilemma, wenn er breitere Schichten erreichen will. Wird er zu spezifisch, gerät er in eine „Fachblase“; versucht er, sich aus dieser „Bubble“ zu befreien, wird ihm mangelnde Exaktheit vorgeworfen. Die Rezipientinnen und Rezipienten fordern diese Art der Wissensvermittlung jedoch verstärkt ein. Kann Fachjournalismus diesem Anspruch in Zukunft gerecht werden?
Nur weil Fachjournalismus in vielen Jahrzehnten geübter Publizität auf den steigenden Bedarf an Spezialwissen in Deutschland reagiert hat, ist er nicht etwa minderwertig. Dennoch werden die aktuell rund 5.700 Fachzeitschriftentitel selten angemessen wahrgenommen. In den Massenmedien bezieht sich Fachjournalismus lediglich auf klassische Ressorts wie Sport, Kultur, Wirtschaft oder Politik. Die spezifischeren Themenbereiche behandeln die Publikationen vermeintlich verstaubter Fachverlage. Diese publizieren beispielsweise zu Agrar-, Technik-, Handels-, Textil-, Architektur-, Logistik- oder rechtlichen Themen und vermitteln das Wissen für Branchen oder Industriezweige. Die latente Kritik an Fachmedien lautet deshalb oft, dass sie sich zu sehr auf ihre „Bubble“ beziehen würden, also zu sehr auf die Branchen eingingen, über die sie berichten – diesen gar nach dem Mund redeten. Für ein breiteres Publikum seien Fachtitel selten geeignet, die Beiträge zu unverständlich formuliert. In der Realität ist der Fachmedien-Markt jedoch überaus erfolgreich und seine Titel werden journalistisch sehr hochwertig produziert.
Kritische Faktoren: Auflagenhöhe und Kostenentwicklung
Fakt ist, dass die verkauften Auflagen von Fachzeitschriften stetig abnehmen. Das liegt in erster Linie aber daran, dass viele Titel kleinste Branchenzweige hochspezifisch informieren, sodass ihre Auflage die 1.000 Exemplare nicht übersteigt. Ein natürlicher Schwund beruht auf dem unternehmerischen Streben nach Verdichtung. Einfacher ausgedrückt: In einer Zeit der weltweiten Krisen, der steigenden Kosten für Gas, Strom, Papier und Transport ist der ökonomische Druck auf Medienschaffende derart angewachsen, dass niemand mehr ohne den ständigen Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis seiner journalistischen Angebote überleben kann. Oftmals werden Titel heutzutage gerade deshalb einfach zusammengelegt.
Die Gesamtauflage kann sich aber sehen lassen: 2021 wurden laut Statista rund 8,3 Millionen Fachzeitschriftenexemplare in Deutschland verkauft. Demgegenüber belief sich die verkaufte Auflage bei den überregionalen Tageszeitungen laut IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e. V.) im ersten Quartal 2022 auf weniger als zwei Millionen Exemplare – hochgerechnet erzielen diese Publikationen demnach knapp acht Millionen im Jahr. Jene Gleichrangigkeit ist ein starkes Indiz für die Bedeutung der Fachmedien – und stärkt meine Überzeugung, dass diese endlich aus ihrer Bubble ausbrechen sollten.
Fachpresse erlebt Wertschätzung
Wichtig für die Betrachtung der publizistischen Leistung von Fachmedien sind deshalb auch die Zahlen der aktuellen Fachpresse-Statistik, die sich auf die Wertschätzung gegenüber vielen Titeln beziehen. Laut der Hälfte der jährlich durch den Verein Deutsche Fachpresse befragten Fachverlage sei diese enorm gestiegen. Scheinbar ist die Medienkompetenz vieler Rezipientinnen und Rezipienten mittlerweile derart gereift, dass diese besser unterscheiden können zwischen oberflächlicher und differenzierter Berichterstattung, provozierenden und sachlichen Überschriften. Zunehmend scheinen sie sich hin zu souveränen Informationen und Beiträgen mit fachjournalistischer Tiefe zu orientieren.
Der Auftrag: Raus aus der Bubble
Für den Fachjournalismus ist das ein eindeutiger Auftrag. Zuallererst sollten Fachmedienhäuser dieses Potenzial für sich nutzen, beispielsweise durch modernes Storytelling. Aber auch die Vollredaktionen der Medienanstalten, in denen kaum Fachjournalistinnen und Fachjournalisten beschäftigt werden und Wissensredaktionen in den vergangenen Jahren ausgedünnt wurden, sollten umdenken. Dieses Öffnen der Blase kann auch als Chance verstanden werden, um sich abzugrenzen von der Aufgeregtheit auf Social-Media-Kanälen oder dem vermeintlichen Einfluss einer Influencer- und Content-Creator-Generation, die keine journalistischen Inhalte produziert. Wenn es durch hochwertige Wissensvermittlung in journalistischen Beiträgen gelänge, die Erkenntnisse der aktuellen #UseTheNews-Studie zur Nachrichtennutzung der Jüngeren umzusetzen, damit Medien auf den Social-Media-Kanälen nicht mehr als „Social Media Immigrants“, sondern als „Social Natives“ wahrgenommen werden würden, wäre der Journalismus – und damit auch der Fachjournalismus – einen großen Schritt weiter.
Fachjournalismus: Kompetenz für alle
Guter Fachjournalismus verfügt über die Kompetenz, zielgruppenadäquat zu informieren. Davon können moderne Gesellschaften und die öffentliche Meinungsbildung genauso profitieren wie die Fachgruppen in einer Bubble. Für die Autonomie moderner Gesellschaften ist eine über das Maß der von Generalistinnen und Generalisten produzierten journalistischen Beiträge hinausgehende Wissensvermittlung unabdingbar – sogar überlebensnotwendig. Fachlich nachvollziehbare Beiträge, die eine präzise Bewertung der Faktenlage ermöglichen, Aufklärung leisten, klar in der Argumentation und ohne jede „oberlehrerhafte“ Attitüde daherkommen, können die Lösung für die journalistischen Produkte von morgen sein.
Crossmedialer Fachjournalismus als Erfolgsmodell
Die Erfolge der Fachmedienhäuser und ihrer verkauften Inhalte sprechen schon heute dafür. Die Verlage sind profitabel und erwirtschafteten im vergangenen Jahr wieder steigende Erlöse: Der Umsatz lag bei rund acht Milliarden Euro – Tendenz steigend, denn die Branche scheint die Transformation hin zum digitalen Mediengeschäft erfolgreich angeschoben zu haben.
Die bisherigen crossmedialen Strategien sind aufgegangen: Print- und digitale Produkte liegen bei den Titeln schon jetzt beinahe gleichauf. So konnte das rückläufige Printgeschäft auch in den Fachmedienhäusern durch wachsende Digitalumsätze – allein 2021 ein Plus von 14 Prozent – ausgeglichen werden. Damit liegen die Fachverlage voll im Trend aller deutscher Publisher: Laut Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) setzten die Zeitungsverlage im vergangenen Jahr erstmals mehr als eine Milliarde Euro mit digitalen Angeboten um und verbuchten vor allem steigende E-Paper-Auflagen.
Das Geschäft muss jetzt aber ausgebaut werden. Die nächste Generation der digitalen Informationsvermittlung steht bereit. Neben etablierten Elementen sind es nun vor allem audiovisuelle Formate, die auch fachjournalistische Inhalte wirkungsvoll in Szene setzen können. Der Wettlauf um das Bewegtbild ist nach dem Podcast-Boom die nächste große Herausforderung für die journalistische Wissensvermittlung.
Auch wenn diese Art des Publizierens nicht zum Kerngeschäft von Presseverlagen gehört, sollten diese sie nutzen. Das fachjournalistische Erfolgsmodell von morgen lässt sich ohnehin nur noch durch Agilität und Mut erfassen. Erfolgreiche Medienmarken mit großem digitalem Verständnis nutzen laut aktuellem kress pro-Ranking hoch spezialisierte Firmen, um konkurrenzfähige Gesamterlebnisse zu schaffen. Strategische Kooperationen könnten auch den Fachmedienmarken helfen, ihre spezifischen Inhalte und Rechercheergebnisse nicht nur in ihren Printprodukten auszuspielen, sondern etwa auf Konferenzen eindrucksvoll in Szene zu setzen und digital zu streamen.
Fazit
Für das publizistische System ist der Fachjournalismus auch außerhalb der Fachblase unabdingbar und sollte deshalb besser vernetzt werden. Zu viele Generalistinnen und Generalisten in den Medienunternehmen können nicht über das Spezialwissen verfügen, das in einer komplexen Welt für die Rezipientinnen und Rezipienten bereitgestellt werden muss. Zu oft überwiegen in der deutschen Medienlandschaft zudem noch die Wesensmerkmale der Erregung und aktivistischen Haltung. Hier könnte eine fachjournalistische Herangehensweise ein sachliches Pendant sein, das die gesamte Medienberichterstattung qualitativ anhebt. Letztendlich hätte das journalistische System in Deutschland damit an Gewicht gewonnen.
Illustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)
Die Autorin Silke Liebig-Braunholz ist Fachjournalistin (DFJS) und vorrangig als Korrespondentin für die dfv Mediengruppe, also die Deutscher Fachverlag GmbH, und deren Fachtitel, etwa die Lebensmittel Zeitung, tätig. Daneben ist sie als Dozentin beschäftigt, unter anderem für die gemeinnützige Brüsseler Nichtregierungsorganisation Lie Detectors, die Kinder und Jugendliche über Desinformationen und Fake News aufklärt.