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Reiseredaktionen: Verhaltener Respekt für die Blogosphäre

Trotz ihres Erfolges innerhalb der Branche müssen sich Blogger den Respekt altgedienter Journalisten in den Reiseredaktionen erst noch erarbeiten. Der hohe Anspruch an die Auswahl ihrer Geschichten und die etablierten Erzählformen lassen kaum einen Vergleich zwischen den hoch spezialisierten Reisemedien und der mit dem Internetzeitalter neu hinzugekommenen Blogosphäre zu. Dennoch gibt es Annäherungsversuche. Teil 2 des Fachjournalist-Themenspecials über Reisejournalismus.

Wie in allen Ressorts einer Vollredaktion ist auch im Reiseressort die Objektivität das höchste Gut der journalistischen Qualität – einerseits. Reisejournalismus lebt andererseits aber gerade von der subjektiven Wahrnehmung des Redakteurs, wenn er, meist in Form einer Reportage, seine Leser durch eine Destination führt. Reiseredakteure, die für Tages- und Wochenzeitungen, Reisezeitschriften, Magazine und Special-Interest-Zeitschriften schreiben, müssen durch das Erleben vor Ort eine Destination erspüren und sie in ihrer Gesamtheit begreifen, um eine spannende Geschichte für ihre Leser aufbereiten zu können. Dazu gehören eine immens umfangreiche Recherchearbeit im Vorfeld und während der Reise sowie eine aufwendige Nachbereitung.

Nicht selten kommen die Redakteure während ihrer Arbeit mit den Annehmlichkeiten einer durch Agenturen und Destinationen mitfinanzierten Reise in Konflikt: Wenn sich für sie vor Ort auf der einen Seite ein wunderschönes Bild der zu beschreibenden Destination zeichnet, das auch möglichst im positiven Licht dargestellt werden sollte – so zumindest wünschen es die Verantwortlichen der Tourismusagenturen. Sie sich aber auf der anderen Seite von diesem Wunschdenken nicht vereinnahmen lassen dürfen und selbst das positivste Erlebnis objektiv beschreiben müssen.

In diesem manipulativen Spannungsfeld treffen nun immer häufiger altgediente Reisejournalisten auf Reiseblogger und erleben die unterschiedlichen Ansätze bei deren jeweiliger Arbeitsweise und Form der Berichterstattung.

Nutzer haben ein Gespür für authentische Berichterstattung

Die Reisebranche hat in den vergangenen Jahren immens profitiert von den vielen neuen Reiseblogs und -bloggern, die ihre Arbeit im Gegensatz zu Reiseredakteuren nicht immer von einem Verlag oder Auftraggeber bezahlt bekommen und über eine Destination in umfangreicher und meist auch neuer Erzählform berichten. Zwangsläufig sind viele von ihnen (Ausnahmen bilden da unter anderem die Blogs von (Welt-)reisenden, die gleichzeitig ein digitales Bilder- und Tagebuch für ihre Leser einrichten, weil sie Spaß am Teilen haben) darauf angewiesen, ihre Reisen finanzieren zu lassen, und bewegen sich dabei auf einem schmalen Grat zwischen ernst zu nehmender Konkurrenz für den Reisejournalismus und schöngefärbten Reisebeschreibungen.

Die Reiseredakteure in den Medienhäusern betrachten diese Entwicklung von daher differenziert. „Blogs, die sich durch PR-Aktivitäten vereinnahmen lassen, haben langfristig ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nutzer haben ein Gespür dafür, ob Inhalte authentisch sind. Aus Sicht eines Redakteurs fehlt mir natürlich die Distanz vom Bloganbieter zu einem Kunden“, beschreibt Uli Dehne, Head of Content bei Merian die Unterschiede.

Falz

Hansjörg Falz, Chefredakteur „Merian“

Hansjörg Falz, Chefredakteur des in Hamburg erscheinenden Magazins, das nach eigenen Angaben für anspruchsvolle, neugierige Menschen, die Spaß am Reisen und an intensiven Erlebnissen haben, produziert wird und im vierten Quartal 2016 eine verkaufte Auflage von 66.172 Exemplaren erzielte, spricht deshalb lieber von einem ergänzenden Blick, den Reiseblogs auf Destinationen werfen: „Sie ergänzen die Berichterstattung so wie Kataloge von Reiseveranstaltern oder Broschüren von Tourismus-Marketing-Organisationen oder auch wie PR-Agenturen, die sich etwa als ‚Manufaktur für Reiseberichte‘ bezeichnen. Dies ist der Versuch, den Blick auf Destinationen zu manipulieren und zu verzerren. Von daher bemängele ich grundsätzlich immer die journalistische Qualität; meistens verlieren sich digitale Angebote in der Selbstbeschau und in technischen Spielereien“, findet Falz.

Auch im Reisejournalismus ist der Scharfsinn der Redakteure unabdingbar

Die strikte Trennung zwischen Journalismus und PR und das Erkennen getarnter Inhalte gehören zu den Kernkompetenzen jedes Redakteurs. Mit deren Scharfsinn haben Agenturen selbstverständlich nicht immer ein leichtes Spiel. Den aufkommenden Reiseblogs näherten sie sich in den letzten Jahren deshalb zunächst zwar verhalten, doch in der Summe mittlerweile beinahe im gleichen Umfang wie den Reiseredaktionen. Agenturen und Tourismus-Organisationen können nun auswählen und manchmal auch schöngefärbte Meldungen aus ihren Destinationen unterbringen, wenn ein Blogbetreiber beispielsweise dafür offen ist.

Diese Entwicklung beobachtet Martin Kunz, seines Zeichen Chefredakteur der ADAC-Publikationen  „Motorwelt“ und „Reisemagazin„, eher augenzwinkernd: „Viele Blogs, die mich erreichen, sind PR-getrieben. Von daher haben Blogs bisher weder mein Leserverhalten noch das professionelle Arbeiten grundlegend verändert. Es ist ein zusätzlicher Kanal mit systembedingten Vor- und Nachteilen.“ Die Reisejournalistin Anna Röttgers, die hauptberuflich in der Reiseredaktion der Verlagsgruppe Rhein Main arbeitet, in der unter anderem das Reisejournal der Allgemeinen Zeitung in Mainz mit einem wöchentlichen Umfang von vier bis zehn Seiten erscheint, rät Bloggern generell zu Transparenz: „Blogger geraten schnell in den Verdacht, PR zu betreiben. Für einen Leser ist so etwas sehr schwer zu erkennen. Von daher sollten Blogger nicht nur sichtbar machen, ob sie eingeladen wurden oder auf den Reiseblogger-Kodex verweisen, sondern auch kennzeichnen, ob sie Affiliate Links einsetzen, also beispielsweise eine Provision erhalten, wenn ein Leser eine Reise über ihr Portal bucht, nachdem er dort eine Reisegeschichte gelesen hat.“ Röttgers selbst betreibt neben ihrer Tätigkeit als Redakteurin den Reiseblog Anemina Travels und zeigt am Ende ihres Beitrags über das 25hours Hotel in Hamburg, wie transparente Berichterstattung auf Reiseblogs gelingen kann.

Uli Dehne von Merian empfindet derartige Kompensationsgeschäfte als legitim: „Das Verlinken auf Onlinebuchungsplattformen ist ein vollkommen legitimes Mittel für ein Blog, sofern der Partner oder die Beziehung zu dem Partner genannt wird. Affiliate-Links sind Standard, Displaywerbung leitet ebenfalls zielgerichtet vom Content auf Buchungsportale. Beides sind durchaus gängige Werbeformate“, sagt er.

Qualität setzt sich durch

Letztendlich belebt Konkurrenz aber immer das Geschäft und wird sich Qualität auch durchsetzen – bei den Reiseblogs wie bei den Reisemedien, die im Printformat erscheinen. Beide Formate haben ihre Daseinsberechtigung, solange sie ihre Leser für sich gewinnen und diese aufgrund des größeren Angebots an Reisegeschichten auch auswählen können.

Martin Kunz, Chefredakteur von ADAC "Motorwelt" und "Reisemagazin"

Martin Kunz, Chefredakteur von ADAC „Motorwelt“ und „Reisemagazin“

Denn wie die Recherche ergab, haben die Reisemedien durch die Blogs nicht etwa an Lesern verloren: „Wir freuen uns über eine hohe Reichweite von 1,37 Millionen Lesern laut Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) 2016 und haben gerade einen Relaunch des Heftes vorgenommen, um die sehr hohe und kostspielige Text- und Foto-Qualität dieses Printheftes noch besser zur Geltung zu bringen. Wir wollen den Kioskkäufern und Abonnenten auch weiterhin ein anhaltendes, lustvolles Lesevergnügen bieten“, sagt Martin Kunz. Daneben hat sich das ADAC Reisemagazin auch digital verstärkt aufgestellt: „Wir sind bereits mit dem Portal adac.de und den Social-Media-Kanälen des Clubs verbunden. Demnächst wird das Reisemagazin zusätzlich im Google Play Store und im Apple App Store auch digital erhältlich sein.“

Dieselben Beobachtungen macht Hansjörg Falz: „Im Einzelverkauf haben wir im vierten Quartal 2016 im Vergleich zum Vorjahr zugelegt. Und dank einer aktuellen Befragung unserer Leser, die mehrheitlich zwischen 48 und 52 Jahre alt sind und über ein hohes Bildungsniveau und ein hohes Haushaltsnettoeinkommen verfügen, wissen wir: Sie interessieren sich nicht sonderlich für Reiseblogs. Sie verirren sich womöglich mal auf so ein Angebot. Aber sie wissen Qualitätsjournalismus zu schätzen. Sie vertrauen unserem Urteil, weil sie uns seit Jahrzehnten kennen und sich auf unsere Handwerkskunst und unsere Expertise verlassen können.“

Von der Konkurrenz lernen

Röttgers

Anna Röttgers, Reisejournalistin und -bloggerin

Anna Röttgers gibt als Printjournalistin mit eigenem Blogformat zu, dass sie Reiseberichte immer noch gern aus einem Reisemagazin rezipiert und sich von den Bildern begeistern lasse und dadurch die Stimmung der Destination aufnehmen könne. Aus ihrem persönlichen Selbstverständnis heraus, sich mit dem Medienwandel zu beschäftigen, habe sie aber auch eine hohe Affinität zur Darstellung von Reisegeschichten im Internet entwickelt. „Wir können von gut gemachten Blogs wie etwa The Travel Episodes im Grunde genommen nur lernen, weil die Macher dort mit Elementen wie Bewegtbildern oder Videos experimentieren, die wir als Printmedien überhaupt nicht in unsere Geschichten einbauen können“, sagt sie. Diese neue Art der Erzählformen könne inspirieren und den Leser auch auf den Onlineportalen der Reisemedien ansprechen.

In ihrer Redaktion gingen die Redakteure zudem mittlerweile anders an die Geschichten heran, orientiere sich das journalistische Angebot immer mehr an Nischenthemen. „Letztendlich haben Blogger so viel Erfolg, weil sie aus eigenem Interesse handeln und in der Nische arbeiten“, sagt Röttgers. Dies bringe auch den Zeitungen mehr Leser, denn: „Wir Redakteure müssen uns darauf einstellen, dass auch die Menschen immer individueller reisen wollen. Sie interessieren sich nicht nur für die Kultur, sondern bereisen Destinationen wegen ihres kulinarischen oder ihres Kunstangebots.“ Sie habe deshalb jüngst eine Geschichte über Street Art in Philadelphia produziert (damals noch als Anna Tillmann) und nicht über die Stadt an sich. „Wenn ich das Gesamtpaket haben will, kann ich mir den Reiseführer kaufen. Ansonsten genügt die Geschichte zunächst zur Inspiration“, sagt sie.

Auch Hansjörg Falz bestätigt, dass es diese Ansätze bereits gibt und beide Medienformate nur voneinander lernen können: „Eine Merian-Heft versucht immer, die Destination in der Gesamtheit zu begreifen und zu beschreiben. Dafür widmen wir uns mitunter ausführlich Teilaspekten, sogar kleinsten Details. Das macht das ganze Paket spannend. Mit einem Blog, der beispielsweise profund, ausführlich und ausschließlich über die kulinarische Heimatküche Südtirols berichtet, könnte ich mehr anfangen als mit einer wild und willkürlich zusammengestellten Tour durch die gesamte Region, die mit Omas Küche und Schlutzkrapfen beginnt und mit dem Besuch eines Feinschmecker-Restaurants in Meran endet.“

Hier wird deutlich, dass sich die beiden Medien gegenseitig bedingen und sogar ergänzen können, neben den ohnehin bereits vielfältig vorhandenen Informationen über Destinationen, die von den Agenturen und Tourismusorganisationen aufbereitet werden oder bereits publiziert worden sind. Hinzugekommen sind nun die vielen kleinen Teilaspekte, die auf Blogs oder in den sozialen Netzwerken über Länder, Städte oder Regionen verbreitet werden und eine Besonderheit darstellen. Daran bedienen sich nicht nur die Reiseblogger, sondern eben auch die Reiseredakteure in den Medienhäusern: „Blogs sind längst ein zusätzlicher Kanal für unsere Recherchen: Wir schauen auf Blogs, um schnelle Trends oder ein neues Reiseverhalten zu erkennen. Als Primärinformation finde ich das gut, wenn ich dort beispielsweise etwas über die kanarische Küche lesen kann, die von einem Blogger umfangreich beschrieben wird und bereits erlebt wurde. Damit kann ich zum Beispiel einen Reisejournalisten oder Fotografen zusätzlich briefen, weil ich so etwas nicht in einem Reiseführer finden kann“, sagt Martin Kunz. Sein Merian-Kollege Falz hat die Zusammenarbeit beider den Reisejournalismus belebenden Berichterstatter einmal so formuliert: „Journalisten sind Schleusenwärter, Blogger sind Sprinkleranlagen“.

Fazit

Die Recherche zu diesem Fachjournalist-Themenspecial hat gezeigt, dass sich der Reisejournalismus durch die neu hinzugekommenen Reiseblogs weiterentwickelt hat, bewährte Medien die Nischeninformationen der Blogger sogar in ihre Arbeit einfließen lassen.

Für Reiseblogger, die ihre Arbeit enorm professionalisiert haben und den Medien keineswegs Konkurrenz machen wollten, ist das mehr als ein Lob. Sie haben sich Respekt verschafft unter den altgedienten Reiseredakteuren, die ihnen dennoch verhalten gegenüberstehen: Für einen Redakteur ist vor allem die Ich-Form, in der Blogger ihre Reiseerlebnisse verbreiten, ein Indiz dafür, dass Reiseblogger keine Distanz zum Objekt ihrer Berichterstattung haben. Der qualitätsverwöhnte Leser deutschsprachiger Reisemedien wird damit jedoch umgehen können und die feinen Unterschiede herauslesen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Silke Liebig-Braunholz studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, ist staatlich geprüfte Kommunikationswirtin und Fachjournalistin (DFJS). Nach ihrer Tätigkeit im Lokaljournalismus hat sie 2002 ihr Redaktionsbüro gegründet. Mit diesem ist sie auf die Themenschwerpunkte Tourismus & Hotellerie, Gastronomie & Lebensmittel spezialisiert. Sie berichtet vornehmlich in Fachpublikationen und für den Deutschen Fachverlag. Zudem betreibt sie unter der Adresse www.narrare-blog.com ihr Blog „Narrare“, das rund 1 Mio. Page Views pro Jahr zählt.

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