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Ressort Umwelt & Natur: „Ein Thema für die Zukunft ist, grüne Lügen aufzudecken“

Interview mit der Klima- und Umweltjournalistin Susanne Götze

Sie ist eine der profiliertesten Klima- und Umweltjournalistinnen Deutschlands: Susanne Götze (37) schreibt für Medien wie die „Süddeutsche Zeitung“ oder „Spiegel Online“ und macht Features für den „Deutschlandfunk“. Im Interview erzählt die Berlinerin, wie sie arbeitet und welche Gedanken sie sich um die Umwelt und die Zukunft ihres Ressorts macht.

Frau Götze, haben Sie schon als Kind Regenwürmer gerettet?

Aufgewachsen bin ich in Berlin – aber im grünen Köpenick, wo es große Seen und Wälder gibt. Nach der Wende haben meine Eltern ein Haus in Schweden gekauft, ohne fließend Wasser, ganz einsam im Wald gelegen. Dort habe ich mit meinem Bruder in den Schulferien Höhlen gebaut, die Gegend erkundschaftet, sicher auch mal Regenwürmer gerettet und mich keine Sekunde gelangweilt – das war mein „Erweckungserlebnis“. Ich brauche es noch heute, regelmäßig in der Natur zu sein.

Nach dem Abitur habe ich bei der GEPA, einer Großhandelsmarke des fairen Handels, ein Freiwilliges Ökologisches Jahr gemacht und Vorträge an Schulen über das Welthandelssystem und seine Alternativen gehalten. Als Studentin bin ich dann Anfang der 2000er in die globalisierungskritische Bewegung geraten und habe später als Journalistin viele soziale Proteste, aber auch Umweltaktionen beruflich begleitet.

Wie politisch muss man als Umweltjournalist sein? Ist man automatisch grün?

Klimajournalisten wird oft Aktivismus unterstellt. Natürlich: Wenn einem die Umwelt egal ist, ist das keine gute Grundlage. Das heißt aber nicht, dass wir unkritisch gegenüber den Grünen oder der Umweltbewegung sind. Es ist schließlich unser Job, auf Distanz zu gehen und die Dinge zu hinterfragen.

Privat frage ich mich jeden Tag: Brauche ich wirklich alles, was ich habe, oder kann ich auf etwas verzichten und bin damit sogar noch glücklicher? Wenn ich mir jeden Tag Berichte und Bilder von vermüllten Plastikstränden, zerstörten Regenwäldern, sterbenden Korallenriffen und Flüchtlingen oder Menschen vor ihren zerstörten Häusern anschaue, muss ich eigentlich kein Öko sein, um das schrecklich zu finden. Die Realität ist schon schrecklich genug, da brauche ich gar keine ideologische Bezeichnung.

Das Umweltressort ist ja ein relativ junges Ressort

Zu den Hochzeiten der Globalisierungskritiker war das Ökothema noch nicht so omnipräsent, es schwebte eher so mit. War es Anfang der 2000er-Jahre noch ein Randthema, ist das Interesse für Umwelt und Klima inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Eine große Masse an Mediennutzern erreicht der Umweltjournalismus, wenn sie von einem bestimmten Thema direkt in ihrem Alltag betroffen sind. Sicher ist inzwischen: Die Umwelt geht uns alle an. Deutlich geworden ist das beim Klimawandel. Das ist das erste globale Thema; es betrifft alle Länder. Da geht es nicht um ein regionales Baumsterben durch Kohle. Inzwischen haben alle verstanden, vor welcher immensen Herausforderung wir da stehen. Aber leider setzt das bisher nur selten wirkliche Veränderungen in Gang.

Was wird uns in Zukunft beschäftigen, was noch nicht so im Fokus der Öffentlichkeit steht?

Vor allem in den 1980er-Jahren deckten Umweltjournalisten oft Umweltskandale auf. Auch heute noch haben sie die Funktion, kritisch zu beleuchten, was schief läuft.

Ein Thema für die Zukunft ist, grüne Lügen aufzudecken, das sogenannte Greenwashing. Denn immer mehr Konzerne versuchen, ihr schmutziges Kerngeschäft durch Öko- und Sozialversprechen zu verschleiern, während in Wirklichkeit die Zerstörung unserer Umwelt ungebremst fortschreitet.

Ein weiteres Thema ergibt sich dadurch, dass ganz neue Märkte und Branchen entstehen, die noch nicht reguliert sind. Klima- und Umweltjournalisten fragen: Wer steht hinter der Lobby, die Geo Engineering will? Wer kontrolliert den CO2-Zertifikate-Handel, den Bau von neuen Gaspipelines? Wer steht dahinter? Wer will was? Natürlich will jeder Geld machen – aber nützt das am Ende der Umwelt und dem Menschen oder nur wenigen Konzernen oder Politikern?

Und dann beginnt 2020 der Weltklimavertrag zu wirken. Da müssen wir beobachten: Schaffen es die Länder, die gesteckten Ziele zu verwirklichen? Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen kann das haben? Alle Länder haben sich verpflichtet, bis 2050 komplett aus der fossilen Verbrennung auszusteigen. Wir stehen vor einer Transformation aller Gesellschaften, die von uns Umweltjournalisten kritisch begleitet werden muss.

Als selbstständige Fachjournalistin sind Sie unabhängig in der Themenwahl. Wie würden Sie Ihr Geschäftsmodell als freie Umwelt- und Klimajournalistin beschreiben?

Ich habe mich mit zehn anderen Freien in einem Verlag namens KlimaJournalistenBüro UG in Berlin zusammengeschlossen. Wir arbeiten unter einem Dach, helfen uns gegenseitig mit Rat oder Kontakten und schreiben alle für ganz verschiedene Printmedien oder machen Radio. Wir befruchten uns gegenseitig, tauschen uns über Themen aus. Seit 2007 geben wir auch das unabhängige, mehrfach ausgezeichnete Onlinemagazin klimaretter.info heraus, das Nachrichten und Hintergründe, Debatten und Kommentare zur Klima- und Energiewende bietet. Ich bin froh, dass ich keinen Chef habe und mir meine Themen selbst aussuchen kann – natürlich mit allem Stress, der da dazu gehört.

Sie sind eine der angesehensten freien Umweltjournalisten Deutschlands; Sie haben es geschafft. Wenn Sie jetzt zurückschauen: Welche ersten Schritte sollten junge Kollegen gehen?

Ich würde jedem raten, bevor er sich selbstständig macht, zumindest ein paar Praktika bei Zeitungen zu absolvieren. Denn man muss wissen, wie die redaktionellen Abläufe sind. Dann würde ich für möglichst verschiedene Zeitungen oder Radiostationen Beiträge machen, denn es ist wichtig, in der Zusammenarbeit den richtigen Ton zu treffen.

Und was ist bei der Umsetzung von Themen zu beachten?

Dass man mit wissenschaftlichen Fakten arbeitet. Wir Journalisten sind keine Experten. Aber wir müssen gut recherchieren, Studien, die uns zur Verfügung gestellt werden, auswerten und gegenchecken. Meine Aufgabe als Umweltjournalistin sehe ich darin, Entwicklungen zu beobachten, darüber zu schreiben. Die Themen aus verschiedenen Perspektiven betrachten, immer alle Seiten anhören, den Finger in die Wunde zu legen und auch kritisch über die Umweltbewegung zu berichten.

Es ist auch wichtig, vor Ort zu recherchieren. Ich war beispielsweise für eine Geschichte über den Emissionsrechtehandel auf Baumplantagen in Uganda. Durch das Anpflanzen der Bäume soll der CO2-Ausstoß (verursacht etwa durch Dienstflüge) kompensiert werden. Das ist ein Riesenmarkt: Die Zertifikate werden verkauft, damit sich Unternehmen ihre Weste weiß waschen können. Dafür werden Bäume gepflanzt, die besonders schnell wachsen und dadurch viel CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen. Aber: Für diese Aufforstung wird wertvolles Buschland gerodet, eine Menge chemischer Dünger gebraucht, die Bauern wurden von ihren Ländereien vertrieben, die Eukalyptus- und Kiefernplantagen bieten Tieren keinen Lebensraum, die Monokulturen laugen den Boden aus. Die Regierung unterstützt die ausländischen Investoren, schießt im Namen des angeblichen Klimaschutzes auf ihre eigenen Leute. Das alles konnte ich nur durch eine Vorortrecherche herausfinden. Unsere Zunft muss raus, nur am Telefon kann man kein lebendigen Journalismus machen und wirklich gute Geschichten recherchieren.

Was würden Sie einem jungen Umweltjournalisten-Kollegen raten: Sollte er sich spezialisieren? Womit sollte er sich beschäftigen?

In meinem Ressort kann man sich auf Teilaspekte konzentrieren – und zwar abhängig von den eigenen Interessen. Das können politische, wirtschaftliche oder auch technische Aspekte sein, denn der Umweltjournalismus beleuchtet soziologisch-politische Entwicklungen und umweltpolitische Überlegungen. Grundsätzlich ist es gut, mindestens zwei Themen zu haben, in denen man wirklich fit ist. Dann kann man ein Buch schreiben oder wird auf Podiumsdiskussionen eingeladen. Denn am Ende lebt man nicht nur von seinen Artikeln.

Wo sehen Sie Fallstricke? Welchen Fehler sollten angehende Umweltjournalisten vermeiden? 

Ein Fachidiot sollte man trotz einer möglichen Spezialisierung nicht werden. Denn Umwelt ist ein Thema, bei dem es starke Überschneidungen mit Ressorts wie Wirtschaft, Politik, Feuilleton und dem Lokalem gibt. Außerdem sollte man lernen, komplexe Themen anschaulich und leicht verständlich aufzuschreiben – Stichwort Storytelling. Das spielt gerade bei den teils komplexen Themen zu Klimawandel und Umweltpolitik eine ganz große Rolle.

Wie beurteilen Sie die künftige Entwicklung Ihres Ressorts?

Das größte Problem sehe ich darin: Wie kommt man überhaupt an einen Auftrag? Seit 2000 ist die Vergütung gesunken. Zeitungen verzichten größtenteils darauf, ein eigenes Umweltressort einzurichten. Und das Thema hat in den Medien an Relevanz verloren, weil viele es für erledigt halten, nach dem Motto: Wir haben doch jetzt einen Weltklimavertrag und die Energiewende läuft doch! Alle Umweltjournalisten beklagen sich, dass sie ihre Themen schwerer unterkriegen.

Ich versuche, meine Geschichten verschiedenen Ressorts anzubieten. Am besten funktioniert es noch im Wirtschaftsressort sowie in den Sparten Wissen, Verbraucher oder Wissenschaft. Als freie Klima- und Umweltjournalistin zu arbeiten, ist ein hartes Brot. Die goldenen Zeiten der 70er-/80er-Jahre in Sachen Bezahlung sind vorbei. Das bestätigen auch meine älteren Kollegen, die für eine Reportage noch Reisekostenvorschüsse und Verpflegungsgeld bekommen haben.

Um den Beruf des Umweltjournalisten zu ergreifen, ist ein gewisser Idealismus, aber auch Genauigkeit und wissenschaftliches Interesse unabdingbar. Ich sollte Lust haben, endlose englischsprachige Studien zu durchforsten und gleichzeitig mit dem afrikanischen Bauern, der noch nie etwas vom Klimawandel gehört hat, über seinen Alltag zu diskutieren. Dafür braucht es vor allem eine große Portion Neugier und Leidenschaft!

Frau Götze, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Susanne_Götze_neuDr. Susanne Götze arbeitet als Journalistin in Berlin. Sie schreibt seit 2002 über Umwelt- und Klimathemen – in Tageszeitungen und Magazinen wie Frankfurter Rundschau, Der Freitag, Zeit Online, Süddeutsche Zeitung, die tageszeitung oder Spiegel Online. Zudem arbeitet sie als Radiojournalistin, u. a. für den Deutschlandfunk. Für Umweltfragen begeistert sie sich schon seit ihrem Freiwilligen Ökologischen Jahr 2001. Götze hat Literatur, Politik und Geschichte in Potsdam, Paris und Grenoble studiert, vier Jahre in Paris und Brüssel gearbeitet und 2014 ihre deutsch-französische Promotion in Neuerer Geschichte abgeschlossen. Götze ist Preisträgerin des DUH-Umweltmedienpreises 2016 und Mitherausgeberin des mehrfach ausgezeichneten Onlinemagazins Klimaretter.info, das ab Mai 2018 zu Klimareporter wird. Außerdem leitet sie die Redaktion des Umweltmagazins Movum und arbeitet für klimafakten.de, ein Projekt, das Fakten zum Klimawandel und seinen Folgen darstellt.

 

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