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Rezension: Wiener Cyber-Krimi „Tödlicher Crash“– IT-Journalistin unter Mordverdacht

Selbstfahrende Autos, Überwachungsszenarien, Fragen zur IT-Sicherheit und eine veränderte Medienbranche in der unmittelbaren Zukunft: Der Wiener Cyber-Krimi „Tödlicher Crash“, in dem eine IT-Journalistin unter Mordverdacht gerät, zeichnet ein realitätsnahes und beunruhigendes Bild von der vernetzten Gesellschaft im Jahr 2022.

Die junge, investigative IT-Journalistin Stefanie Laudon befindet sich im Barcelona-Urlaub, als sie von einem aufsehenerregenden Todesfall erfährt: Der österreichische Finanzminister Wolfgang Steinrigl ist gestorben, als er mit seinem Flexus Alpha, einem der ersten zugelassenen selbst fahrenden Autos Österreichs, von der Straße abkam und gegen einen Baum prallte.

Laudon stellt auf Twitter die Frage, ob der Minister von dem Fahrzeug in den Tod „katapultiert“ wurde; eine Spekulation zum Hergang des Crashs, die von vielen Medien übernommen wird. Die brennenden Fragen lauten: War es ein Unfall oder gar ein Hackerangriff? Wer kommt im Fall von Fremdverschulden als Täter infrage? Und: Wo hat die innovative Technologie des Autos versagt?

Da es sich um den ersten Toten in einem selbstfahrenden Auto handelt, ermittelt auf Anordnung des Innenministeriums die Kriminalpolizei. Zu den Verdächtigen im Fall eines Mordes zählt der zuständige Beamte Michael Leyrhofer den Bruder des Verstorbenen, Thomas Steinrigl. Dessen mögliches Motiv ist seine finanzielle Notsituation. Der schwer verschuldete Milchbauer musste nach der Liberalisierung des Milchmarktes, die sein Bruder als Finanzminister mit verantwortet hatte, einen Millionenkredit aufnehmen, um durch eine Vollautomatisierung seines Kuhstalls wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Geldsorgen, die durch die bisher wenig lohnende Investition entstanden, könnte er durch seine Begünstigung in Wolfgang Steinrigls Lebensversicherung ausbügeln.

Ein von der Polizei eingesetzter Precrime-Computer, der zur Ermittlung potenzieller Täter eingesetzt wird, spuckt im Zuge der Ermittlungen jedoch auch Stefanie Laudons Namen aus: Sie hatte den Werdegang des Politikers durch ihre Berichterstattung als Redakteurin für das Blatt 24 Stunden stets kritisch durchleuchtet. Ihre Artikel begleiteten scharfzüngige, gegen die konservative Finanzpolitik Steinrigls gerichtete Statements in den sozialen Medien. Aufgrund dieser Daten schlägt der Precrime-Computer in ihrem Fall Alarm.

Der Verdacht gegen die Journalistin verhärtet sich, als der Hersteller des Flexus Alpha der Polizei die IP-Adresse eines vermeintlichen Angreifers auf das Fahrzeugsystem des Autos zuspielt. Diese soll beweisen, dass der Wagen zum Zeitpunkt des Unfalls fremdgesteuert wurde und kein falsch programmierter Algorithmus zu dem Unglück führte. Die Schlinge der Ermittlungen schnürt sich nun enger um die Journalistin zu: Die IP-Adresse stammt aus dem Umkreis ihres Aufenthaltsortes in Barcelona zum Tatzeitpunkt, wie der Ortungsdienst ihres Handys verrät.

Da Laudon nun unter Mordverdacht steht, wird sie von der Zeitung, für die sie arbeitet, vom Dienst freigestellt. Als wäre dies nicht existenzbedrohend genug, hat sie noch dazu tatsächlich etwas vor der Polizei zu verheimlichen: Einige Zeit vor dem Unglück hatte sie sich in das Steuerungssystems des „Wunderautos“ des Ministers gehackt, da sie eine gute Story witterte. Ihr langjähriger Freund Paul, ein gewiefter Hacker, hatte ihr erzählt, dass man in die Systeme (teil)autonomer Fahrzeuge leicht eindringen kann. Durch bloßes Kopieren von Codezeilen, die im Internet kursierten, war es Stefanie gelungen, in das Fahrzeugsystem vorzudringen. Die Journalistin fürchtet nun, sie könnte bei dieser aktivistischen Aktion unwissend einen Befehl eingeschleust haben, der zu dem Unglück führte.

Gemeinsam mit Paul, mit dem sich eine Romanze entspinnt, versucht sie, ihre Unschuld zu beweisen. Dabei haftet den beiden nicht nur die Polizei an den Fersen: Auch die wahren Drahtzieher hinter dem Unglück wittern die Chance, Laudon zum Sündenbock für den Autocrash zu machen.

Vernetzung versus Sicherheit

Ob es um den Einsatz sogenannter Precrime-Software der Polizei geht, die aus Big Data schöpft, um mögliche Täter ausfindig zu machen, um autonome Fahrzeuge, deren Steuerungssysteme leicht von außen manipulierbar sind, oder auch nur um die Ortungsdienste von Smartphones, die die Standorte ihrer User „verraten“: Der Krimi zeichnet das Bild einer immer stärker vernetzten Gesellschaft mit hohen Überwachungsbefugnissen der Behörden und zeigt damit einhergehende Probleme des Privatsphären- und Datenschutzes auf. Dazu werden reale, aktuelle technische Entwicklungen, wie der Trend zum autonomen Autofahren, aufgegriffen, weitergedacht und kritisch hinterfragt.

Letzteres geschieht zu einem guten Teil durch die Figur der investigativen, zum Aktivismus neigenden Journalistin Stefanie Laudon. Ähnlich wie die Autorin des Romans, die Netzjournalistin Barbara Wimmer, die mit „Tödlicher Crash“ im fiktiven Fach debütiert, hat diese eine hohe IT-Kompetenz. Die fiktive Journalistin steht der Hackerszene nahe und ist netzpolitisch aktiv. Sie geht sorgsam mit beruflich wie privat ausgetauschten Informationen um. Per Handy kommuniziert sie fast ausschließlich über den verschlüsselten Messenger Signal und sie arbeitet auf vier verschiedenen Rechnern, auf die sie aus IT-Sicherheitsgründen ihre Kommunikation aufsplittet.

Thema Privatsphärenschutz

Nicht nur der sorgsame Umgang mit ihrem eigenen Datenverkehr ist Laudon ein Anliegen, sondern auch die Bewusstmachung der Relevanz des Privatsphärenschutzes in der größeren Öffentlichkeit. Um aufzuzeigen, wie schlecht es um die IT-Sicherheit des Einzelnen steht, übertritt sie immer wieder die Grenzen zum Aktivismus.

Das wird im Laufe der Geschichte zum Beispiel in einer Nebenhandlung aufgezeigt: Stefanie will im Weiterdreh der Skandalgeschichte um das vermeintlich gehackte Auto des Ministers beweisen, wie einfach es heutzutage im Internet of Things ist, in ein IT-System einzudringen und dieses zu manipulieren. Dafür hackt sich Stefanies Freund Paul in einer Livesendung des österreichischen Rundfunks in Thomas Steinrigls vernetzten Kuhstall. Leider bringt die Aktion nicht den von Stefanie und Paul gewünschten Effekt. Vielmehr sehen sie sich mit der Sorglosigkeit einer breiten Öffentlichkeit im alltäglichen Umgang mit ihren persönlichen Daten im Internet konfrontiert. Anstatt eine Diskussion in den sozialen Medien über IT-Sicherheit loszutreten, werden der Bauer und seine Stalltiere dank des Beitrags zu Social-Media-Lieblingen.

Veränderte Medienlandschaft

Neben dem beunruhigenden Bild einer vernetzten Überwachungsgesellschaft, die sich zu wenig um den Schutz ihrer Daten sorgt, beschreibt der Krimi auch eine ihrer Objektivität immer mehr beraubte Medienlandschaft. Die Arbeitsbedingungen für Journalisten haben sich in naher Zukunft noch verschärft, Printmedien sind aufgrund einer sinkenden Leserschaft und ausbleibender Anzeigenkunden zu immer neuen Sparpaketen gezwungen. PR und Journalismus sind noch näher zusammengerückt, viele Medien sind wirtschaftlich von Unternehmen abhängig. Der ORF wurde kürzlich privatisiert und die Redakteure des Senders unterliegen strikten Social-Medial-Guidelines, die ihnen untersagen, das Polit- und Weltgeschehen zu kommentieren.

Unverändert groß geblieben ist in der fiktiven Krimiwelt die Bedeutung von Social-Media-Diensten zur Verbreitung von Nachrichten. Davon bekommt die mordverdächtige Journalistin, die für ihre Arbeit selbst oft diverse Social-Media-Kanäle nutzte, nun auch die Schattenseiten zu spüren: Als bekannt wird, dass sie des Mordes am Finanzminister verdächtigt wird, bricht ein Shitstorm über sie herein, an dem sich auch angesehene Journalisten des Landes beteiligen. Tweets, in denen sie sich in der Vergangenheit abfällig über Steinrigl äußerte, werden neu kommentiert und sie wird grob beschimpft.

Diese Reaktionen sind ein Schock für die junge Journalistin, aber das Cybermobbing stimmt sie auch nachdenklich: Sie erinnert sich, dass sie sich im Laufe ihrer Karriere selbst immer wieder gerne an „Verbalschlachten“ auf Twitter beteiligte und Social-Media-Beiträge für ihre Storys herangezogen hatte. Die Gefühle der betroffenen Menschen, über die dann in der Folge eventuell ein Shitstorm hereingebrochen war, hatten sie – wie sie sich eingesteht – wenig interessiert.

Showdown

Nachdem die Journalistin durch Nachforschungen auf eigene Faust dem für den Crash Verantwortlichen auf die Spur kommt, geraten sie und ihr Freund Paul immer mehr ins Visier der gefährlichen Drahtzieher hinter dem Mord. Das ist trotz einiger Nebenschauplätze, die die Story komplexer machen, flüssig und nachvollziehbar geschrieben. Es gelingt, die Krimispannung final höherzuschrauben.

Bei den Figuren hingegen handelt es sich um recht einfach gestrickte Charaktere. Ihr Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen, wie in der Liebesgeschichte zwischen Stefanie und Paul, ist oberflächlich.

Fazit

„Tödlicher Crash“ bietet leichte Cyberkrimi-Unterhaltung. Die Stärke des Buches liegt im Einbau realitätsnaher technischer und digitaler Sachverhalte in eine fiktive Krimiwelt und deren kritischer Hinterfragung. In Bezug auf den Umgang mit persönlichen Daten in IT-Bereichen kann die Lektüre durchaus nachdenklich stimmen.

Buchautorin Barbara Wimmer – Fotocredit: Joanna Pianka

Barbara Wimmer ist eine preisgekrönte österreichische Netzjournalistin, Buchautorin und Vortragende. Sie schreibt seit rund 15 Jahren als Redakteurin für unterschiedliche tagesaktuelle Print- und Onlinemedien über Technikthemen wie IT-Sicherheit, Netzpolitik, Datenschutz und Privatsphäre. 2018 erhielt sie den Journalistenpreis „WINFRA“ für Wiener Infrastrukturberichterstattung, 2019 wurde sie mit dem Dr. Karl Renner Publizistikpreis und dem Prälat Leopold Ungar Anerkennungspreis jeweils für ihre Online-Berichterstattung zu netzpolitischen Themen ausgezeichnet. „Tödlicher Crash“ ist ihr erster Kriminalroman.

 Buchdaten:

Autorin: Barbara Wimmer
Titel: Tödlicher Crash
Preis: Euro 13,50 (Softcover)
Umfang: 408 Seiten
Erscheinungsjahr: 2020
Verlag: Gmeiner
ISBN: 978-3-8392-2597-4

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Friederike SchwabelDie Rezensentin Friederike Schwabel, Dr.in phil., promovierte im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und ist Absolventin der Deutschen Fachjournalisten-Schule. Ihre Dissertation behandelt die kritische Rezeption zeitgenössischer deutscher Literatur in der amerikanischen Presse. Sie lebt in Wien und ist als freie Fachjournalistin tätig.

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