Rezension zu „Geradegerückt“: Was glaubt sie, wer sie ist?
Berühmte Frauen werden in den Medien abgestraft, weil sie zu sexy, zu ehrgeizig, zu laut – kurzum: zu selbstbestimmt – sind. Die Autorinnen und Herausgeberinnen Beate Hausbichler und Noura Maan präsentieren in ihrem Buch „Geradegerückt“ gemeinsam mit 14 weiteren Kolleginnen die Porträts von 28 Protagonistinnen und zeigen auf, was an den medial festgeschriebenen Biografien, die sich in unser aller Köpfe eingebrannt haben, falsch ist.
Luder, Intrigantin, komplizierte Diva … diese und andere herabwürdigende Zuschreibungen müssen sich Frauen, ob berühmt oder nicht, von den Medien gefallen lassen. Immer wieder fällt der Boulevard über Personen des öffentlichen Lebens her – meist sind die Betroffenen weiblich. Denn Frauen im Rampenlicht werden anders beurteilt als Männer.
Wie anders ist es zu erklären, dass nicht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika namensgebend für die Affäre bzw. sein eigenes Fehlverhalten war, sondern die 21-jährige Praktikantin? Als ein männlicher Popstar bei einer Live-TV-Übertragung vor rund 100 Millionen Zuseher:innen seiner nicht minder bekannten Kollegin die Brust entblößt, wird die Schuld bei der Sängerin gesucht und gefunden. Nachdem Natascha Kampusch gegen die ihr zugedachte Opferrolle aufzubegehren begann, war Schluss mit der wohlwollenden Berichterstattung.
Denn eines gilt offenbar im Boulevard als gesichert wie Hausbichler und Maan in ihrem Buch „Geradegerückt“ aufzeigen: Die Schuld trägt die Frau, vor allem, wenn sie zu ehrgeizig, zu sexy, zu laut ist. Kurzum: zu selbstbestimmt agiert. Diese und andere unverzeihliche weibliche Sünden behandeln die Journalistinnen Beate Hausbichler und Noura Maan, unterstützt von 14 weiteren Kolleginnen. Sie beleuchten in den Texten, die in der gleichnamigen Kolumne in der österreichischen Tageszeitung Der Standard erschienen sind, den Weg der Skandalisierung und fragen, wie es dazu kommen konnte.
Verstellter Blick
Selbstbewusste Frauen werden allzu schnell als kompliziert, undankbar oder labil abgestempelt. Obschon sich seit der medialen Hetze gegen Jean Seberg und deren (mutmaßlichem) Selbstmord 1979, befeuert durch das FBI, sowie dem Aufkommen der #MeeToo-Bewegung viel verändert hat, sind die jüngsten Ereignisse um die Schauspielerin Amber Heard oder die Rapperin Meghan Thee Stallion weiterhin kritisch zu sehen, wie Maan am Beispiel der Rapperin festmacht. Und im Skiunfall-Prozess von Gwyneth Paltrow spielte neben dem unterhaltsamen „Show“-Charakter für viele Twitter-Nutzer:innen ihr Outfit eine tragende Rolle, um sich daran abzuarbeiten. Dabei stellt sich die Frage, ob man bei BuzzFeed ebenfalls über die Garderobe eines Brad Pitt oder George Clooney berichtet hätte. Oder wäre Meghan Thee Stallion nach Schüssen in beide Füße von einem Rap-Kollegen mit den Lyrics „This bitch lie ‚bout gettin‘ shots, but she still a stallion“ verunglimpft worden, wäre sie ein Mann? Wohl kaum.
Victim Blaming betrifft Frauen viel häufiger als Männer – und schwarze Frauen besonders, wie auch Moya Bailey, feministische Wissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin, in einem Interview am Beispiel von Stallion bestätigt. Ein Umstand, den auch Hausbichler und Maan in abgewandelter Form bemerken mussten. Obwohl die anfänglichen Reaktionen der Online-Community bei der Erstveröffentlichung der wöchentlich erscheinenden Serie „Geradegerückt“ von Maan als „sehr positiv“ bezeichnet wurden (die ersten drei Frauen waren Britney Spears, Monica Lewinsky und Paris Hilton), änderte sich dies mit der ersten schwarzen Frau: Serena Williams. Da „hat sich das Forum ein bisschen gedreht“, so Maan im FM4-Interview. Spannend ist auch, dass Hausbichler von einem überraschend positiven Feedback spricht, denn beim Start der Serie war man nicht sicher, ob diese beim Lesepublikum auf ausreichend Interesse stoßen würde.
Mittlerweile wurde die Serie durch die Reihe „Vorgerückt “ erweitert. In dieser stellen die Autorinnen „vergessene, kaum gewürdigte und (noch) zu unbekannte, aber beeindruckende Lebensgeschichten von Frauen vor, die deutliche Spuren hinterlassen haben“.
Kontrolle über das Narrativ
Die Geschichten, die im Buch erzählt werden, handeln von starken Frauen – wenngleich manche an ihren Widersachern und der Welt zugrunde gegangen sind, wie Anna Nicole Smith oder Jean Seberg. Die Lektüre räumt mit hartnäckigen Mythen auf und lädt ein, auch die eigene Meinung zu hinterfragen. Die Autorinnen zeigen in den gut recherchierten Erzählungen, was es heißt, als Frau in der Öffentlichkeit zu stehen. Egal ob Aristokratin, Popstar, Millionenerbin oder Sexsymbol …
Letzteres wird am Beispiel von Pamela Anderson deutlich: Als der Elektriker Rand Gauthier wegen unbezahlter Rechnungen aus Rache den Safe aus der Garage des Hauses von Anderson und ihrem Mann Tommy Lee stiehlt, weiß er anfangs nicht, was er mit der Videokassette, die er darin findet, anfangen soll. Doch dies ändert sich rasch: Denn das Band zeigt das Ehepaar in höchst intimen Momenten – und acht Minuten beim Sex. Als der Diebstahl bemerkt wird, hat Gauthier bereits einen florierenden Online-Versandhandel damit eröffnet. Wenig später sichert sich das Penthouse-Magazin eine Kopie. Lee und Anderson reichen eine einstweilige Verfügung ein und klagen auf Schadenersatz, immerhin handelt es sich bei dem Video um Diebesgut. Doch die Klage wird abgewiesen. Das Argument: Anderson, allseits bekannt aus der TV-Serie „Baywatch“, posierte mehrere Male nackt für den Playboy. Sie hat ihr Recht auf Privatsphäre verwirkt. Penthouse veröffentlicht eine große Story und bebildert diese mit expliziten Filmstills. Auch wenn dies heute rechtlich nicht mehr möglich wäre: „1996 attestiert der zuständige Richter den Bildern (…) Nachrichtenwert.“ Die 2022 gedrehte Serie „Pam & Tommy“ walzt die Geschichte neuerlich aus und zeigt die einseitige, unfaire sowie sexistische Berichterstattung. Und auch dieses Mal hatte Pamela Anderson hat ihre Einwilligung nicht erteilt.
Eine Frau, die es geschafft hat, die Kontrolle über das eigene Narrativ zurückzuerlangen, ist Monica Lewinsky. Im sehenswerten TED Talk „The Price of Shame“ reflektiert sie den damaligen Skandal, Cyber-Mobbing und die Kultur der Erniedrigung. Während sich Bill Clinton auch nach seiner Zeit als Präsident hoher Beliebtheitswerte erfreute, reichten die Langzeitfolgen für Lewinsky von einer posttraumatischen Belastungsstörung bis hin zu Suizidgedanken. Da die studierte Psychologin aufgrund ihres Namens Probleme bei der Arbeitssuche hatte, schlug man ihr vor, diesen zu ändern. Sie lehnte ab und konterte: „Niemand hat Bill Clinton jemals gefragt, ob er seinen Namen ändert.“
Maan zeichnet in diesem Kapitel das Bild einer Selbstermächtigung, das Mut macht. Neben Meghan Markle und Camilla Parker Bowles werden zudem Courtney Love, Mia Farrow, Caster Semenya, Bettina Wulff, Yoko Ono sowie Sinead O´Connor porträtiert – um nur einige der Frauen zu nennen, deren Biografien im von Ūla Šveikauskaitė illustrierten Buch neu aufgerollt werden.
Angst vor Machtverlust
Die Inspiration für die Zeitungskolumne lieferte der 2018 von Michael Hobbs und Sarah Marshall gestartete Podcast „You´re Wrong About“. Er animierte Anya Antonius, eine der Autorinnen von „Geradegerückt“, 2021 zum Vorschlag für die Standard-Reihe.
Im Vorwort des Buches greifen Hausbichler und Maan die frauenfeindlichen Strukturen auf, welche die medialen (Vor-)Verurteilungen der dargestellten Frauen erst möglich machten: „Es ist ein uralter misogyner Nährboden, der unser frauenfeindliches Denken, Sprechen und Handeln am Leben erhält. Misogynie beschreibt die Verachtung, die Abwertung von Frauen und den Hass auf sie – aber nicht von Einzelnen, sondern als System: über tausende Jahre eingeübte und verinnerlichte Hierarchien zwischen den Geschlechtern, die in der Gesellschaft fest verankert sind.“ Für Frauen gelten schlichtweg andere Bewertungskriterien.
Zwar ist Hillary Clinton keine Protagonistin im Buch, doch ihr Beispiel zeigt, was falsch läuft: 2016 erhielt sie während der Vorwahlen der US-Demokraten nahezu doppelt so viele beleidigende Twitter-Nachrichten wie ihr Konkurrent Bernie Sanders. Woran das lag? Vermutlich an ihrem ehrgeizigen Ziel. Das Hauptergebnis einer Umfrage von Atlantic ergab: Hillary Clinton sei zu ehrgeizig. Männer dürfen sein, wie sie wollen, Frauen nicht. „Gewisse Männer, die in einer von männlichen Stimmen und Gesichtern dominierten Kultur aufgewachsen sind, fürchten, dass Frauen Macht und öffentlichen Raum beanspruchen, der eigentlich ihnen, den Männern, gehört“, schreibt Caroline Criado-Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen“.
Die Angst vor männlich motiviertem Machtverlust schwingt bei einigen der Frauenschicksale, die Hausbichler und Maan im Buch aufgreifen, mit. Die beiden Journalistinnen diskutieren auch kurz das Korsett der vorherrschenden Geschlechterrollen. Denn die unerfreuliche Möglichkeit, dass man selbst noch unfrei ist, liegt nahe, wie sie im Vorwort anmerken. Das Bild von Frauen, wie sie (nicht) zu sein haben und wie die Öffentlichkeit mit ihnen umgeht, verändert sich. Langsam. „Für künftige Generationen von Mädchen ist es wichtig, dass sich diese frauenverachtenden Erzählungen nicht mehr durchsetzen – und sie einfach Menschen sein können“, so die Autorinnen.
Fazit
Die Autorinnen werfen einen unverstellten Blick auf 28 Frauenleben und entrümpeln die Biografien von alten, unfairen und sexistischen Erzählungen. Zugleich liefern sie einen wertvollen Beitrag, der das misogyne Muster sichtbar macht, das in unserer Gesellschaft festgeschrieben scheint und welches auch die Medien immer wieder mitbedienen.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)
Die Autorin Beate Hausbichler hat Philosophie studiert und ist seit 2008 Redakteurin bei der Tageszeitung Der Standard; seit 2014 leitet sie das frauenpolitische Ressort dieStandard. Hausbichler beschäftigt sich vor allem mit Gleichstellung, Geschlechterpolitik und Feminismus. Im Februar 2021 erschien ihr Buch „Der verkaufte Feminismus. Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde.“
Noura Maan hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und schreibt seit 2014 für die Tageszeitung Der Standard, wo sie auch als Chefin vom Dienst im Ressort Außenpolitik tätig ist, unter anderem mit dem Schwerpunkt Rechtspopulismus und US-Politik. 2019 wurde sie für ihre journalistische Arbeit mit dem Jungjournalistinnenpreis des Frauennetzwerks Medien ausgezeichnet. Sie lebt ebenso wie ihre Kollegin Beate Hausbichler in Wien.
Buchdaten
Herausgeberinnen: Beate Hausbichler und Noura Maan
Titel: Geradegerückt. Vorverurteilt, skandalisiert, verleumdet: Wie die Biografien prominenter Frauen verzerrt werden.
Preis: Euro 24,00 (Hardcover)
Umfang: 224 Seiten
Erscheinungsjahr: 2023
Verlag: Kremayr & Scheriau
ISBN: 978-3-218-01372-7
Die Rezensentin Carola Leitner, Dr. phil., promovierte 2016 im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet(e) als Buchhändlerin, Buchproduzentin, Lektorin und Reise- und Kulturjournalistin. Tätigkeit für den Residenz Verlag, Ueberreuter, Metro Verlag, die Tageszeitung Der Standard oder ORF.at. Sie unterrichtet Journalismus an der FH Wien der WKW sowie Verlagswesen an der Universität in Wien, wo sie derzeit lebt und arbeitet.