Serienkritik zu Faking Hitler: Ein Bruchstück Mediengeschichte
Mit viel Zeitkolorit und einer grandiosen Besetzung erzählt Faking Hitler vom Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher, wagt aber keine vollständige Auseinandersetzung.
Am 25. April 1983 erschien die auf einer aufsehenerregenden Pressekonferenz groß angekündigte, vorgezogene Stern-Ausgabe mit Auszügen aus den ersten beiden Bänden dessen, was die Verlagsleitung von Gruner + Jahr für die Tagebücher von Adolf Hitler gehalten und für 9,3 Millionen Deutsche Mark erworben hatte. „Die Geschichte des Dritten Reiches wird in großen Teilen neu geschrieben werden müssen“, hieß es in der damaligen Ausgabe.
Wie wir heute wissen, waren die Tagebücher eine von Konrad Kujau verfasste Fälschung, der Stern-Redakteur Gerd Heidemann aufgesessen war. Die Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland musste keineswegs neu geschrieben werden. Der sich daraufhin entspinnende Fälschungsskandal wurde hingegen zu einem bis heute nachwirkenden Medienskandal. Dazu trug auch Helmut Dietls Satire Schtonk! 1992 bei, die sich sowohl mit der in den 1980er-Jahren prävalenten Faszination für das „Dritte Reich“ auseinandersetzte als auch Seitenhiebe auf das großspurige Gebaren der Hamburger Medienszene austeilte.
Die 2021 erschienene Serie Faking Hitler wählt eine etwas ernstere Herangehensweise, um zum Kern dieses Skandals vorzudringen.
Die Vollbremsung nach dem Aufbruch
Faking Hitler setzt zu den Klängen von Joachim Witts „Goldener Reiter“ ein und fokussiert dabei aus der Vogelperspektive zwei Autos, die sich am 06. Mai 1983 in gegenläufigen Fahrtrichtungen auf einer Autobahn begegnen. Im einen Fahrzeug sitzt Konrad Kujau (Moritz Bleibtreu) und im anderen Gerd Heidemann (Lars Eidinger). Beide verfolgen einen Radiobeitrag zur nun endgültig vom Bundekriminalamt bestätigten Fälschung der Hitler-Tagebücher. Kurz darauf wird sich eines der Autos nach einer abrupten Vollbremsung mehrfach überschlagen.
Dieser rasante Einstieg deutet geschickt an, was die sechs Episoden dieser Serie nach einem Zeitsprung zurück ins Jahr 1981 recht detailreich ausarbeiten werden: den Beginn der 1980er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland als Jahrzehnt des Aufbruchs, einer in den hier verwendeten Songs so vielfach besungenen, verheißungsvollen und scheinbar unbelasteten Freiheit – und das anschließende Erwachen aus dieser Illusion.
Einer, der sich im Jahr 1981 alle Freiheiten nimmt und Gelegenheiten beim Schopf zu ergreifen vermag, ist Stern-Redakteur Gerd Heidemann. „Hör mal, Gerd, kannst Du nicht einfach mal nur berichten?“, fragt ihn sein Ressortleiter Felix Bloom (Hans-Jochen Wagner), als dieser ihn vom Autotelefon aus anruft und acht Sonderseiten wegen einer Entführungsgeschichte fordert, bei deren Geldübergabe er involviert ist. Trotz Heidemanns Hilfe bei der Rückführung der beiden entführten Kinder eines Sternekochs bleibt dem Stern das Exklusivinterview mit den Eltern verwehrt: Die Bunte habe ihnen mehr Geld geboten, erfährt der enttäuschte Heidemann. So sieht er sich fortan weiter in der Pflicht, seinem Blatt mal wieder „einen echten Knüller“ zu liefern, wie es der Chefredakteur Rudolph Michaelis (Richard Sammel) von ihm fordert.
Entkrampft, aber betont nuanciert
Diese erste Episode von Faking Hitler scheint zunächst dem zu entsprechen, was Christian Krug, damaliger Chefredakteur des Stern, 2018 zum 70-jährigen Jubiläum seines Magazins der ZEIT mitteilte: Er wolle den Umgang mit der Affäre „entkrampfen“. 2019 veröffentlichte der Stern mit „Faking Hitler“ einen zehnteiligen Podcast, in dem unveröffentlichtes Tonbandmaterial der Telefongespräche zwischen Kujau und Heidemann zu hören ist. Die zwei Jahre darauf erschienene gleichnamige Serie wurde schließlich zum ersten fiktionalen Projekt der „Content Alliance“ zwischen der RTL-Mediengruppe und Gruner + Jahr, bevor zu Beginn des Jahres 2022 die Fusion zwischen den beiden Medienunternehmen endgültig umgesetzt wurde.
Da sie quasi aus „eigenem“ Haus stammt, kann die Serie Faking Hitler so im Vergleich zu Schtonk! sehr explizit auf den Stern und einige der damaligen Hauptakteure der Affäre Bezug nehmen. Zugleich ist der Produktion, die vor allem als Comedyserie eingeordnet werden will, der Wille zu einer nuancierteren Nacherzählung mit ernsten Untertönen anzumerken. Dies ist vor allem an der Darstellung von Gerd Heidemann zu sehen: Lars Eidinger spielt ihn mit einer fein abgestimmten Zurückgenommenheit als respektierten Journalisten, der im Verlauf der sechs Episoden mit herausragender Überzeugungskraft und Einfallsreichtum alle Hindernisse überwindet, um zu seinem vermeintlichen Scoop zu kommen, dabei aber den blinden Fleck seiner eitlen Selbstgerechtigkeit außer Acht lässt. Seine problematische Faszination für den Nationalsozialismus, die sich im Erwerb der morschen Jacht von Hermann Göring und seiner Beziehung zu dessen Nichte Edda Göring (Jeanette Hein) äußert, spielt in der Serie immer wieder eine große Rolle, aber wird nicht näher erkundet, sondern lediglich benannt.
„Umstrittener Typ, super Reporter, soll aber angeblich einen Nazi-Fetisch haben“, bringt die junge und aufstrebende Stern-Redakteurin Elisabeth Stöckel (Sinje Irslinger) das auf den Punkt, was viele in der Redaktion über Gerd denken. Elisabeth ist in dieser Serie Teil eines rein fiktionalen Nebenstranges, der zunächst dazu dient, die vorherrschende Atmosphäre in der Redaktion des Stern Anfang der 1980er-Jahre zu veranschaulichen: Es ist eine Männerdomäne, deren Chauvinismus sich sowohl im Umgang mit den wenigen weiblichen Angestellten als auch in der sexistischen Gestaltung der Blattaufmacher manifestiert.
Elisabeth kämpft sich durch diese Umstände in der Hoffnung, an Enthüllungen mitwirken zu können, die ihr wirklich am Herz liegen. Als dem Stern eine Liste mit einstigen Mitgliedern der Waffen-SS zugespielt wird, auf denen auch prominente Namen vertreten sein sollen, wittert sie ihre Chance dazu. Doch schockiert entdeckt sie auf der Liste den Namen ihres Vaters Hans Stöckel (Ulrich Tukur). Dieser ist ein angesehener Universitätsprofessor, der ihr von seiner Rekrutierung nie erzählt hat und von dem sie alles über „Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit und Haltung“ gelernt habe.
Während Gerd durch einen Kontakt von Edda von der vermeintlichen Existenz der Hitler-Tagebücher erfährt und diesen nachspürt, muss sich Elisabeth bald mit der sehr realen Vergangenheit ihrer Familie und ihrem persönlichen wie journalistischen Umgang damit auseinandersetzen.
Lachen mit dem kuriosen Kujau
Der Erzählstrang um Elisabeth verankert Faking Hitler in einer ernsten Reflexion über eine Gesellschaft zu Beginn eines Jahrzehnts, in dem sich die Aufklärung über den Holocaust zeitgleich mit anhaltenden Tendenzen zur Verdrängung, Verschleierung und Leugnung vollzog. Komödiantisch wird es trotz dieser ernsten Note, wann immer Gerd Heidemann mit Konrad Kujau interagiert und um die Beschaffung der Tagebücher feilscht. Moritz Bleibtreu spielt Kujau mit Verve als schwäbelnden Lebenskünstler und recht stümperhaften Berufsbetrüger. Dabei hat Kujau zwar keinerlei Berührungsängste im Umgang mit seiner aus Alt-Nazis bestehenden, von Hitler schwärmenden Klientel, aber scheint selbst keine rechtsextreme Gesinnung zu hegen.
Genau daran werfen jüngste Berichte des NDR Zweifel auf: Für die Sendungen Reschke Fernsehen und STRG_F hat die zuständige Redaktion – ohne Kooperation des Stern – Kopien der kompletten 60 Bände der gefälschten Tagebücher beschafft, diese digitalisiert, transkribiert und ausgewertet. Der interessante finale Beitrag von STRG_F kommt zu dem Schluss, dass Kujau in seinen gefälschten Tagebüchern einen „neuen Hitler“ erfunden habe und diese Schriften, wie Politikwissenschaftler Professor Hajo Funke einordnet, „Ausdruck von Holocaust-Leugnern“ seien. Zudem habe Kujau, der noch bis in die 1990er-Jahre als gewitzter Gast durch diverse deutsche Talk-Formate tingelte, engen Kontakt zu Rechtsextremen gepflegt.
Auf diesen Aspekt geht Faking Hitler ebenso wenig ein wie vormals Schtonk!. Stattdessen begnügt sich die Serie damit, die Geschichte um die Fälschung durch teilweise Fiktionalisierung, viel Zeitkolorit und eine großartige Besetzung unterhaltsam aufzubereiten. Sie sei „keine Dokumentation“ und erhebe „keinen Anspruch, die Geschehnisse authentisch wiederzugeben“, lässt der Abspann wissen – und dies sei dieser Serie auch zugestanden.
Nichtsdestotrotz bleibt anzumerken, dass Faking Hitler damit aber auch trotz des ernsten fiktionalen Nebenstrangs um den Umgang mit familiärer Schuld und den daran geknüpften Epilog über die „wechselseitige Verführung“, die den Skandal befördert habe, am wahren Kern dieser Geschichte vorbeigreift.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)
Faking Hitler
Miniserie, Deutschland 2021
6 Episoden à 47 Min.
Regie: Tobi Baumann, Wolfgang Groos
Drehbuch: Tommy Wosch, Annika Cizek, Dominik Moser
Kamera: Ahmet Tan, Philipp Kirsamer
Besetzung: Lars Eidinger, Moritz Bleibtreu, Sinje Irslinger, Hans-Jochen Wagner, Daniel Donskoy, Jeanette Hain, Tristan Seith, Lukas T. Sperber, Richard Sammel, Ronald Kukulies, Ulrich Tukur u.v.m.
Die Serie ist verfügbar bei den Streamingdiensten RTL+, Prime Video, Apple TV+ und Magenta TV.
Die Autorin Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.