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Serienkritik zu „L’Ora – Worte gegen Waffen“: Mit Blei gegen Blei

Die italienische Serie „L’Ora“ setzt den mutigen investigativen Recherchen der gleichnamigen sizilianischen Tageszeitung ein etwas unterkomplexes, aber unterhaltsames Denkmal.

Angesengte Zeitungsseiten schweben durch ein verwüstetes Redaktionsbüro, die Kamera blickt eine Treppenbrüstung hinab in ein Flammeninferno: Das Ende der Einstiegsszene der italienischen Serie „L’Ora – Worte gegen Waffen“ kündet von den desaströsen Folgen eines beherzt-investigativen Zeitungsjournalismus. Umso kontrastreicher wirkt das Bild, das nach dem Vorspann und einem Zeitsprung „einige Monate zuvor“ von der Redaktion gezeichnet wird. Aus Perspektive des 20-jährigen Schreiberlings Domenico Sciamma (Giovanni Alfieri) betreten wir den Sitz der Tageszeitung L’Ora in Palermo, Sizilien. Es sind die 1950er-Jahre und im in blau-gräulichen Sepia-Tönen schimmernden, stets verqualmten Büro sitzen verschlafen bis gelangweilt dreinblickende Journalist*innen vor ihren Schreibmaschinen und warten auf die Personalentscheidungen des neuen Chefredakteurs Antonio Nicastro (Claudio Santamaria). Dieser hat vorher in Rom gearbeitet und wurde engagiert, um das von Finanznöten geplagte Blatt wieder auf Vordermann zu bringen.

Claudio Santamaria als neuer Chefredakteur Antonio Nicastro. © SquareOne Entertainment

Ernst und unermüdlich macht sich Antonio ans Werk und beginnt die Umwälzung der Redaktion nicht etwa mit Entlassungen, sondern mit einer Überarbeitung der Relevanzkriterien der von der kommunistischen Partei PCI (Partito Comunista Italiano) finanzierten L’Ora. Es soll ein Ende haben mit dem Abdruck fünfseitiger Rundschreiben des Parteisekretärs. Stattdessen gelte es, fortan genauer die Hintergründe der sich regelmäßig in Palermo und Umgebung ereignenden Mordfälle zu recherchieren. Kurzum: Die Parteipropaganda soll dem Fokus auf die offensichtlichen Machenschaften der in Sizilien wirkenden Mafia weichen. Wie gut, dass der vom Land stammende Redakteursanwärter Domenico einen Artikel zu einem in Corleone verschwundenen Gewerkschafter als Bewerbung mitgebracht hat.

Annäherung an zwei Legenden

Die zehnteilige erste Staffel von „L’Ora“ konzentriert sich auf den Beginn der Zeit, die die von 1900 bis 1992 erschienene sizilianische Nachmittagszeitung in ganz Italien berühmt und berüchtigt gemacht hat. Die Figur Antonio Nicastro ist dabei dem Chefredakteur Vittorio Nisticó nachempfunden, der L’Ora von 1954 bis 1975 geleitet hat. Unter Nisticós Ägide wurde das Layout verändert, besonderer Wert auf prägnante Fotos und ein Fokus auf investigative Berichterstattung zu Politik, Wirtschaft und Kriminalität in der Region gelegt. Letzteres Thema erforderte herausragenden Mut, da die Recherchen meist in das historisch in Corleone verankerte organisierte Verbrechen führten, das jegliche Kritiker gewaltsam zum Schweigen bringt.

Das Wirken von Nisticó und seiner unerschrockenen Redaktion blieb bis zu dessen Tod 2009 unvergessen: Drei Generationen von Journalisten habe er, so heißt es in einem damaligen Nachruf von Il Foglio, in seiner Redaktion, einer „Fabrik des Mutes und der Gegeninformation in Palermo“, ausgebildet. 1958 zogen die investigativen Berichte der Zeitung über den blutigen Aufstieg des Mafia-Bosses Luciano Leggio aus Corleone jenen Sprengstoffanschlag auf das Redaktionsgebäude nach sich, der den Ausgangspunkt der Serie „L’Ora“ bildet.

Überbordende Emotionen und gestärkte Solidarität

Im weiteren Verlauf zeigt die Serie Nicastro als fordernden und selbst tätig werdenden Chefredakteur, der sich nicht auf offizielle Verlautbarungen verlassen will, sondern seine Redaktionsmitglieder zu Vor-Ort-Recherchen schickt. So geht Domenico mithilfe des jungen Fotografen (und begabten Taschendiebs) Nic (Giampiero De Concilio) dem Verschwinden des Gewerkschafters in Corleone auf den Grund. Er stößt bald auf zum Schweigen gebrachte Zeugen und die spürt die Verwicklung des Landarztes und Mafia-Bosses Michele Navarra (Fabrizio Ferracane) in den Fall auf. Unterdessen recherchieren der ungestüme Salvo (Bruno di Chiara) und seine Kollegin Enza (Daniela Marra) zum tödlichen Anschlag auf ein Bordell am Vorabend des generellen Verbots solcher Etablissements. Dieser neue Arbeitseifer steckt selbst alteingesessene und unmotivierte Redakteure wie Sprachkünstler Giulio „Rampu“ Rampulla (Francesco Colella) und den mit einer Stimmprothese kommunizierenden Marcello Grisanti (großartig: Maurizio Lombardi) an. Dabei hatte sich Letzterer aufgrund seiner Kriegstraumata nach einem friedlichen Job gesehnt.

Antonios früh formuliertes Credo, dass all diese recherchewürdigen Fälle zusammenhängen und der bis dato in sizilianischen Tageszeitungen nie explizit genannten Verbrecherorganisation anzulasten sind, ist es schließlich, das die zuvor disparate Redaktion zur eingeschworenen Gemeinschaft werden lässt. Das von Antonio formulierte Ziel eint sie zudem: „Von jetzt an werden wir auf Blei mit Blei antworten.“ Zur Unterhaltung und Rührung des Publikums führt zudem, dass fortan die Emotionen in der angestaubten Redaktion zunehmend überkochen: Es wird herumgealbert, gestritten, geflirtet und geweint – Schreibmaschinen fliegen umher, ebenso genervte Blicke und mitunter sogar Faustschläge.

Pose und Pathos anstelle von Komplexität

Diese beherzte Mischung aus Emotionalität und Comic Relief in „L’Ora“ fesselt natürlich. An anderer Stelle jedoch wären etwas mehr inszenatorische Subtilität und inhaltliche Komplexität angebracht gewesen: So mutet der übermäßige Einsatz von Bruno Falangas melodramatischen Soundtrack-Kompositionen bei jeder neuen Enthüllung und Entwicklung etwas überbordend an. Zudem erinnern die wiederholten zeitlupenartigen Einmarsch-Sequenzen entschlossener Redakteure, mysteriöser Mafiosi oder verführerischer Prostituierter an den Stil der dafür bekannten BBC-Serie „Peaky Blinders“ und tragen zum Eindruck einer Produktion bei, die sich in der bedeutungsschwangeren Pose besser gefällt als in der bestechenden Analyse.

So bleibt eine klarere Zeichnung der gesellschaftlichen Zustände im Sizilien der 1950er-Jahre in dieser Staffel ebenso aus wie ein konkretes Aufzeigen der Seilschaften zwischen der Mafia, dem Staat und der Kirche. „L’Ora“ beschränkt sich diesbezüglich auf ein generisches und uninteressantes Gut-Böse-Schema. Dies wird vor allem in der fünften Episode offensichtlich, als einige der Redakteure undercover bei einem Treffen zwischen der Corleone-Gang und aus den USA angereisten italo-amerikanischen Mafiosi zugegen sind: „Business – alle gemeinsam!“ lautet der etwas dumpf daherkommende Vorschlag der Letzteren an die Einheimischen. Mit allzu komplexen Details dieses Vorhabens wird das Publikum tunlichst verschont. Lediglich zum Ende dieser ersten Staffel gelingen „L’Ora“ zumindest klare Verweise zur Komplizenschaft der katholischen Kirche, die nicht nur die Augen vor den Verbrechen der Mafia verschließt, sondern ihre Existenz schlichtweg zur „Erfindung der Journalisten“ deklariert.

Am Ende siegt Human Interest

Insgesamt ist es natürlich bedauerlich, dass „L’Ora“ über weite Strecken auf effekthaschende Unterhaltungsaspekte und melodramatische Zuspitzung anstelle durchdringender Komplexität setzt. Dies verwundert insbesondere in Anbetracht der Beteiligung von Drehbuchautor Claudio Fava an dieser Serie: Der Jurist hat eine politische, journalistische und aktivistische Laufbahn eingeschlagen und ist Sohn des 1984 von der Mafia ermordeten Reporters Giuseppe Fava. Im Jahr 2000 gewann das von ihm mitverfasste Drehbuch für den ebenfalls von der Mafia handelnden Spielfilm „100 Schritte“ eine Auszeichnung bei den Filmfestspielen von Venedig. Dieser biografische und thematische Hintergrund ließe eine mit mehr Kompromisslosigkeit und Hingabe zur Faktizität und Gesellschaftsanalyse produzierte Serie erwarten.

Letzten Endes lässt sich aber hoffen, dass die Unterkomplexität dieser ersten Staffel auf reines Kalkül zurückzuführen ist und der Fokus auf Style und Emotion zunächst ein großes Publikum anlocken soll, bevor in die Tiefe gegangen wird. Zum Ende dieser ersten zehn Episoden sind die Figuren den interessierten Zuschauenden jedenfalls mit ihrem sowohl nachvollziehbaren als auch bewundernswerten journalistischen Idealismus dermaßen ans Herz gewachsen, dass man nur auf eine zweite, gelungenere Staffel hoffen kann. Passenderweise wird die in der letzten Episode erfolgende Rückkehr zum Sprengstoffanschlag aus der einleitenden Sequenz unterlegt mit der Erinnerung Antonios an eine Weisheit, die ihm ein alteingesessener Adliger in Corleone nahelegte: „Die Wahrheit ist wie der Nebel: Je näher man ihr kommt, desto weniger sieht man.“ Es bleibt zu erwarten, dass weitere Staffeln von „L’Ora“ diesen dichten Nebel stärker hervortreten lassen.

L’Ora – Worte gegen Waffen
(Originaltitel: L’Ora – Inchiostro contro piombo)
Italien 2021
Serie, 1 Staffel, 10 Episoden à 52 Min.
Regie: Piero Messina, Ciro D’Emilio, Stefano Lorenzi
Drehbuch: Ezio Abbate, Claudio Fava, Riccardo Degni
Kamera: Federico Annicchiarico, Fabrizio La Palombara
Besetzung: Claudio Santamaria, Cinzia Susino, Maurizio Lombardi, Ivan Giambirtone, Francesco Cristiano Russo, Francesco Colella, Silvia D’Amico, Giovanni Alfieri

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Dobrila Kontić hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK) studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin, Film- und Serienkritikerin in Berlin.

 

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