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Sportjournalismus: Die Konkurrenz fest im Blick

Studie zeigt: Süddeutsche, Kicker und Bild sind Leitmedien

Welche Sportmedien werden von deutschen Sportressortchefs für die eigene Arbeit genutzt? Welche gehören zu den Leitmedien im Sportjournalismus? Um das herauszufinden, wurde von der Sportfakultät der TU München eine Onlinebefragung durchgeführt, an der sich 115 Ressortleiter beteiligt haben. Ausgewählte Ergebnisse werden hier vorgestellt.

„Information ist ein Zerfallsprodukt“, sagt der Systemtheoretiker Niklas Luhmann (Luhmann, N. 1997, S. 1090). Seiner Meinung nach verwandelt der Journalismus permanent Informationen in Nichtinformationen, wodurch die Medien selbst den Sog erzeugen, immer wieder neue Informationen produzieren zu müssen (vgl. Luhmann, N. 1996, S. 42). Das gilt nicht nur für die Ressorts Politik und Wirtschaft, sondern trifft auch auf Sportredaktionen zu. Sport bewegt Millionen: Menschen und Euro. Er ist Quotengigant, Auflagengarant und Usermagnet, weshalb auch die Zahl der Sportmedien immens gewachsen ist. Mehr als 4.000 Medienunternehmen berichten in Deutschland über Sport – in welchem Umfang, in welcher Frequenz und in welcher Qualität auch immer (vgl. Schaffrath, M. 2012, S. 50).

Steigender Aktualitätsdruck

Da inhaltliche Exklusivität durch die Vielzahl der Anbieter im Sportjournalismus kaum noch existiert, wird zeitliche Exklusivität immer wichtiger. „Brandaktuell“, „hautnah dabei“ und am besten „live“ lauten die neuen Qualitätskriterien im Sportjournalismus. „Der Aktualitätsimperativ ist zum zentralen Programm-Credo geworden“ (Schaffrath, M. 2006, S. 82). Internet und Social Media haben den Kampf um die schnellste Schlagzeile und deren Diffusion weiter verschärft. Die grassierende Selbstdarstellung und Eigenvermarktung von Spitzensportlern auf Facebook und Twitter haben die Informationsflut erhöht und den Druck auf die klassischen Medien forciert. Heute gilt: „Nichts ist so alt wie die Meldung von eben!“

Durch den wachsenden Wettbewerb und den daraus resultierenden Zeitdruck werden Journalisten intensiver zur Orientierung an der Konkurrenz gezwungen. Die Kollegenorientierung im Journalismus dient primär zur Reduktion der Unsicherheit bei der Entscheidung, ob eine Nachricht publikationswürdig ist oder nicht (vgl. Schauerte, T. 2006, S. 36f.). Zu dem Phänomen, inwieweit sich Sportjournalisten an Kollegen orientieren, indem sie andere Sportmedien nutzen, gibt es nur ganz wenige und relativ alte Studien (z. B. Schauerte, T. 2006). Gleiches gilt für die Frage, ob sich über die Nutzung hinaus Leitmedien im Sportjournalismus identifizieren lassen.

Der Einfluss von Leitmedien oder Meinungsführermedien beruht auf ihrem Status im System. Dieser macht es wahrscheinlich, dass von ihnen publizierte Meldungen von der Konkurrenz aufgegriffen werden. Ihre wichtigste Wirkung erzielen Leitmedien durch sogenannte „reziproke Effekte“; darunter werden direkte Einflüsse auf die Entscheider in Politik, Wirtschaft oder Sport verstanden (vgl. Kepplinger, H.-M. 2000, S. 87). Die publizistische Resonanz, die diese Medien generieren können, festigt wiederum ihre eigene Position.

Um diesen Status zu erreichen, gilt es, immer wieder Themen zu publizieren, die Newswert auch für andere Medien haben. Oder plakativer formuliert: „Die beste Nachricht ist die, die am nächsten Tag in allen Zeitungen und TV-Sendungen zitiert werden muss“ (Kühne-Hellmessen, U. 1994, S. 211). Welche Sportmedien die Sportressortchefs in Deutschland nutzen und welche für sie Leitmedien des Sportjournalismus sind, wurde im Rahmen einer aktuellen Umfrage vom Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation der Sportfakultät der TU München erhoben.

Methode, Stichprobe, Rücklauf

Die Studie wurde als Onlinebefragung mit insgesamt 26 Fragen in der Zeit vom 7. Oktober bis zum 4. November 2014 durchgeführt. Sie richtete sich an die Leiter der wichtigsten Sportredaktionen in Deutschland aus den Bereichen Fernsehen, Radio, Zeitung, Presseagentur, Sportzeitschrift und Internet. Von 200 angeschriebenen Sportressortchefs nahmen 115 teil (57,5 Prozent), 104 Befragte beendeten die Umfrage komplett (52,0 Prozent). Die Rücklaufquote kann mit Blick auf frühere Sportjournalisten-Studien – siehe Görner (1996) mit 42,5 Prozent Rücklauf, Schauerte (2006) mit 51,3 Prozent oder Helm (2013) mit 35,6 Prozent – als sehr gut eingestuft werden; vermutlich auch deshalb, weil im Unterschied zu den genannten Umfragen hier die Ressortleiter befragt wurden.

Presseagenturen am intensivsten genutzt          

Zu den Sportmedien, die von den Sportressortchefs regelmäßig für die eigene Arbeit rezipiert werden, gehören primär die Agenturen Sport-Informations-Dienst (sid) und Deutsche Presse Agentur (dpa) mit etwa 87 Prozent der Nennungen (Tab. 1). Mit jeweils über 70 Prozent folgen die Printausgaben der Sportzeitschriften Kicker und Sportbild sowie deren Internetportale. In der Spitzengruppe liegt auch noch der Sportteil der Bild, die bei vielen als die heimliche „Sporttageszeitung“ in Deutschland gilt.

Tab. 1: Regelmäßige Nutzung verschiedener Sportmedien für die eigene Arbeit

Tab. 1: Regelmäßige Nutzung verschiedener Sportmedien für die eigene Arbeit

Print „leitender“ als TV

In dieser Studie wurden deutsche Sportressortchefs erstmals gefragt, welche Sportmedien für sie Leitmedien des Sportjournalismus darstellen (Tab 2.). Ganz oben auf dem „Treppchen“ stehen die Qualitätszeitung Süddeutsche Zeitung, die Sportzeitschrift Kicker und das Boulevardblatt Bild. Der deutliche Abstand dieser Top 3 zu allen übrigen Anbietern unterstreicht den attestierten Leitmedien-Status zusätzlich. Auch TV-Sender, die intensiv über Sport berichten – wie ARD, ZDF oder Sky –, besitzen für die Befragten ebenso selten eine Meinungsführerfunktion wie manche Onlineportale, z. B. Bild.de oder Sport1.de. Begründet wird dies damit, dass die zunehmende Live-Orientierung der elektronischen Medien oft zu wenig Raum für Hintergründiges und Meinungsbildendes lässt. Genau dies wird neben der aktuellen Berichterstattung aber von einem Leitmedium ebenso erwartet.

Tab. 2: Leitmedien im Sportjournalismus

Tab. 2: Leitmedien im Sportjournalismus

Fußball mit Abstand vorn

Bei der Frage, aus welchen Sportarten Nachrichten für die eigene Arbeit am wichtigsten sind, sollten die Ressortleiter jeweils die für sie bedeutendsten drei Sportarten nennen und in ihrer Rangfolge festlegen. Für eine Platzierung auf Rang 1 wurden bei der Auswertung drei Punkte vergeben, für eine Nennung auf Platz 2 zwei Punkte und für Platz 3 ein Punkt. Insgesamt wurden 26 verschiedene Sportarten genannt. Dass der Fußball mit 311 Punkten an der Spitze steht, ist angesichts seiner gesellschaftlichen und publizistischen Relevanz kaum verblüffend (Tab. 3).

Tab. 3: Sportarten-Präferenzen, Top Ten

Tab. 3: Sportarten-Präferenzen, Top Ten

Ein wenig überraschend ist, wie klar der Fußball alle anderen Sportarten ins Abseits stellt. Der Motorsport liegt zwar noch auf dem 2. Platz, aber auch schon mit klarem Abstand. Der massive und kontinuierliche Rückgang des Zuschauerinteresses am Motorsport, den man besonders bei der Formel 1 beobachten kann, wird von den Sportressortchefs reflektiert. Meldungen aus dem Handball, Basketball und Eishockey sind für die berufliche Tätigkeit der Befragten ebenfalls nur nachrangig wichtig.

Sportnews-Kanal akzeptiert

Zwei Drittel der Ressortleiter hält einen reinen Sportnachrichten-Kanal für „sehr sinnvoll“. Sechs Prozent meinen sogar, ein solches Angebot sei „unbedingt notwendig“ (Abb. 1). Der Nutzen liegt für die meisten Befragten darin, dass ein Sportnews-Sender vor allem eine aktuelle Informationsquelle für „Fußballnachrichten“ (79,8 Prozent) und für „allgemeine Sportnachrichten“ (68,8 Prozent) darstelle. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich die grundsätzliche Skepsis, die gerade viele Ressortleiter beim Start von Sky Sport News HD artikulierten, zwar noch nicht bei allen, aber bei den meisten deutlich reduziert hat.

Abb. 1: Akzeptanz eines Sportnachrichten-Kanals

Abb. 1: Akzeptanz eines Sportnachrichten-Kanals

Fazit

Die Umfrage macht deutlich, dass im Sportjournalismus die Beobachtung der Konkurrenz ein wichtiges Korrektiv für die eigene Arbeit darstellt. Verschiedene Sportmedien werden von den Ressortleitern regelmäßig genutzt. Leitmedien des Sportjournalismus sind klar identifizierbar. News aus dem Fußball sind mit Abstand am wichtigsten. Das liegt auch daran, dass beim steigenden Aktualitätsdruck Informationen aus dem Fußball zwar auch ein „Zerfallsprodukt“ bleiben, aber eines mit ziemlich langem „Verfallsdatum“.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Prof. Michael SchaffrathDer Autor Prof. Dr. Michael Schaffrath ist Leiter des Arbeitsbereichs Medien und Kommunikation an der Sportfakultät der TU München. Vorherige wissenschaftliche Stationen: Deutsche Sporthochschule Köln, TU Dresden sowie die Universitäten in Lüneburg, Gießen und Koblenz-Landau. Schaffrath ist Herausgeber der Schriftenreihe „Sportpublizistik“ sowie der Sammelbände „Sport-PR und PR im Sport“ und „Traumberuf Sportjournalismus“. Er ist Autor von zehn Fachbüchern und zahlreicher Aufsätze zu Themen der Sportkommunikation.
Kontakt: michael.schaffrath@tum.de

Literatur:

Görner, F. (1995): Vom Außenseiter zum Aufsteiger. Ergebnisse der ersten repräsentativen Befragung von Sportjournalisten in Deutschland, Berlin: Vistas.

Helm, K. (2013): Die Aufsteiger der Redaktion traditionell (1995) und aktuell (2010). Eine empirische Studie zum nationalen Sportjournalismus, Pulheim: MedienSportVerlag.

Kepplinger, H.-M. (2000): Problemdimensionen des Journalismus. Theoretischer Anspruch und empirischer Erfolg, in: Löffelholz, M. (Hrsg.): Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, S. 81-99.

Kühne-Hellmessen, U. (1994): Exklusivität, Hintergrund und Trendthemen. Die redaktionelle Arbeit bei Sport-Bild, in: Hackforth, J./Fischer, C. (Hrsg.): ABC des Sportjournalismus, München: Ölschläger, S. 206-219.

Luhmann, N. (1996): Die Realität der Massenmedien. 2. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag.

Luhmann, N. (1997): Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Schaffrath, M. (2006): Spitzensport und Sportjournalismus. Empirische Studie zum grundlegenden Verständnis der Beziehungen zwischen zwei Subsystemen und Akteurgruppen. Köln-Pulheim: MedienSportVerlag.

Schaffrath, M. (2012): Sport-PR als Beruf. Empirische Studie zum Aufgaben- und Anforderungsprofil von Pressesprechern im Sport. Berlin, Münster: LIT Verlag.

Schauerte, T. (2006): Medien im Berufsalltag von Sportjournalisten. Eine Studie zur Bedeutung und Nutzung mediale Sportangebote bei professionellen Sportkommunikatoren, Köln: Sportverlag Strauß.

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