Sportjournalismus: „Sport ist mehr als die klassische Ergebnisfabrik“
Interview mit dem freien Sportjournalisten Ronny Blaschke
Sport bewegt die Massen. Allein das Halbfinale der Fußball-WM zwischen Deutschland und Brasilien im vergangenen Sommer sahen über 32 Millionen Zuschauer – die höchste Einschaltquote, die jemals im deutschen Fernsehen gemessen wurde. Doch Sport besteht nicht nur aus Wettkämpfen, Medaillen und Superstars. Er ist auch ein Spiegel der Gesellschaft und somit politisch relevant. Ein Sportjournalist, der die gesellschaftspolitische Dimension des Sports zu seiner Leidenschaft gemacht hat, ist der gebürtige Rostocker Ronny Blaschke. Bekannt geworden vor allem durch die Beschreibung von rechtsextremen Umtrieben im deutschen Fußball. Im Interview mit dem Fachjournalist erzählt Blaschke, wie er seine Themen entwickelt, was seine spezielle Art der Zweitverwertung ist und weshalb er die sozialen Medien meidet.
Herr Blaschke, das Champions-League-Finale steht an. Was ist Ihr Tipp als Fußballjournalist – gewinnt Juve oder gibt es eine Messi-Show?
Tut mir leid, da muss ich passen; die Champions League interessiert mich eher weniger. Ich sehe mich nicht als Fußballjournalist. Wenn Sie jetzt fragen würden, welches das letzte Fußballspiel war, das ich im Stadion gesehen habe – ich müsste erst überlegen.
Aber Sie sind doch mit Fußballthemen, zum Beispiel in der ZEIT, bekannt geworden?
Da ging es aber nicht um das Spiel an sich. Ich möchte die gesellschaftspolitischen Themen des Fußballs beschreiben: Rechtsextremismus oder Homophobie. Auch mit dem Medium Sport lassen sich solche Themen gut erörtern.
Dazu hätten wir gerne ein Beispiel …
Im vergangenen Jahr bin ich vor den Commonwealth Games nach Schottland gereist. Das war ein spannendes Rechercheumfeld, denn kurz nach den Spielen fand das Referendum statt, in dem die Schotten entscheiden sollten, ob sie Teil von Großbritannien bleiben oder sich lossagen. Ich wollte ergründen, ob Sport den Patriotismus der Schotten stärken kann.
Ähnlich habe ich es bei Recherchereisen nach Taiwan, Japan oder Südafrika gemacht: Gesellschaftliche Spannungen und Trends spiegeln sich immer auch im Sport. Manchmal lassen sie sich durch Sport sogar leichter für Außenstehende abbilden. Bei diesen Reisen habe ich enorm viel gelernt. Ich hatte keine Lust mehr auf die klassische Ergebnisfabrik Sport, wo man ständig von einem Wettkampf zum nächsten hetzt.
Stichwort „Raus aus der Ergebnisfabrik Sport“: Wie entwickelt der Journalist Blaschke dann seine Themen?
Es ist wichtig, langfristig zu planen und sich thematische Nischen zu suchen, in denen man nicht gleich von einer medialen Empörungswelle niedergerissen wird. Ein Beispiel: Im Sommer 2014 habe ich meine Kernthemen für 2015 vorbereitet. Ich wollte drei wichtige Anlässe dieses Jahres mit Sport in Verbindung bringen: 70 Jahre Kriegsende und Befreiung von Auschwitz sowie 50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen.
Am Anfang steht für mich das Thema, erst dann suche ich eine passende mediale Darstellungsform. Ich habe überlegt: Mit wem kann ich einen hintergründigen Zugang entwickeln? Hier schienen mir Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur die geeigneten Partner zu sein, die auch ein Interesse an abseitigen, aber nicht weniger interessanten Themen haben. Das Deutschlandradio Kultur hat eine besondere Reihe, das „Nachspiel„, ein knapp 30-minütiges Feature zu Sportthemen. Dort konnte ich drei „Nachspiele“ gestalten: Antisemitismus im Fußball, deutsch-israelischen Fußballbeziehungen und die jüdischen Makkabi-Spiele 2015 in Berlin.
Drei Features als Themen- und damit Einkommensgrundstock für ein Jahr – ist das nicht ein bisschen wenig für einen freien Journalisten?
Sie ermöglichten mir zumindest zeit- und reiseintensive Recherchen. Das Skript eines Features entspricht rund 25.000 Anschlägen, das sind etwa zwei durchschnittliche Zeitungsseiten. Ich konnte Wissen ansammeln, das ich nach Ausstrahlung der Sendungen auch für Zeitungsartikel oder Onlineberichte verarbeiten konnte. Diese Honorare für sich genommen hätten ein solch großes Projekt nicht finanzieren können.
Meine spezielle Art der Zweitverwertung ist, dass ich aus den Kernthemen eine Vortragsreise mache. Parallel zu den Recherchen habe ich zu 250 Partnern Kontakt aufgenommen, für die ich schon mal Vorträge oder Workshops gehalten habe. Mit meiner jetzigen Vortragsreihe „Fußball und Antisemitismus“ war ich beispielsweise bei der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen zu Gast, im Sportmuseum in Köln oder in einer Fankneipe in Bielefeld. Dort habe ich wiederum Menschen kennengelernt, die künftige Recherchen bereichern könnten.
Bei der Akquise von Referentenjobs – wie gehen Sie da vor?
Es ist wichtig, persönlich vorstellig zu werden, per Mail oder telefonisch, immer und immer wieder. Meine Bücher wie – „Angriff von Rechtsaußen“ – haben mir geholfen, einen Expertenstatus zu erlangen. Entscheidend ist es, die Scheu vor der Akquise zu verlieren. Ich habe den Eindruck, dass sich einige Sportjournalisten-Kollegen zieren. Dabei sind sie es, die über ihre Recherchen enormes, wertvolles Fachwissen angehäuft haben.
Es gibt hunderte Stiftungen, Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen, die spannende Konzepte der politischen Bildung aufgelegt haben, in denen der Sport ein wichtiges Forum darstellt. Dort zählen nicht nur prominente Namen, sondern nüchterne Expertise. Und erfüllend sind diese Referenten- und Moderatorenjobs in jedem Fall.
Definieren Sie bitte dieses „erfüllend“.
Für mich ist es gehaltvoller, mit 10 oder 12 Schülern über Gewalt im Fußball zu diskutieren, als von einem Redakteur am Telefon wieder den Satz zu hören: „Morgen ist Champions League, da sind unsere Sportseiten dicht!“ Ich mache mir keine Illusionen: Die meisten Menschen wollen in ihren Lieblingsmedien Fußball, Fußball, Fußball. Aber ein wenig Platz sollte schon sein, um Sport als Kulturgut zu diskutieren.
Ich habe in Fanprojekten immer wieder erlebt, wie sich zum Beispiel die Auseinandersetzung mit dem Holocaust durch den Verweis auf verfolgte Trainer und Spieler leichter erarbeiten lässt. Und ich kenne einige Sport-Kollegen, die gesellschaftliche Debatten auf anderem Gebiet ebenfalls durch Sport prägen könnten: Doping, Korruption, Ethik, Inklusion, Wettmanipulation. Eigentlich gibt es kein Ressort, in dem der Spielraum so groß ist. Aber leider auch so oft verschenkt wird.
Von den Werten zum schnöden Mammon: Wie viel verdienen Sie mit den Referentenjobs als Sportjournalist?
Da richte ich mich nach den Budgets und der Bekanntheit der Auftraggeber. Im oberen dreistelligen Bereich liegt mein Honorar vielleicht einmal im Jahr. Der mittlere Honorarbereich liegt zwischen 150 und 300 Euro. Das sind oft Vortrags- und Diskussionsabende in Fanprojekten oder politischen Stiftungen.
Ich bin mir bewusst, dass ich damit in einem Abhängigkeitsverhältnis stehe, denn zum Beispiel werden pädagogische Fanprojekte anteilig auch vom Deutschen Fußball-Bund finanziert, über den ich sonst kritisch berichte. Für mich gilt aber, dass ich nur Jobs annehme, wo ich das sagen kann, was ich möchte. Ohne Honorar und nur gegen Erstattung der Reisekosten geht es auch mal, zum Beispiel bei ehrenamtlichen Initiativen in Schulen oder Jugendklubs.
Diese Vortragsreisen hören sich aufwendig an. Wie sieht deren Organisation aus?
Ebenso wichtig wie Recherche und Schreiben ist das Zeitmanagement. Das hat nichts direkt mit den Honoraren zu tun, ist aber wichtig, um die Kosten im Griff zu haben. Ich muss meine Vortragsreisen geografisch sinnvoll planen, um vor Ort oder bei Zwischenstopps noch Interviews für andere Projekte führen zu können. Wenn man hier nicht konsequent ist, reist man in der Republik herum und verliert viel Zeit.
Sie haben beschrieben, wie wichtige die Vorträge für ihr Geschäftskonzept sind. Aber wenn man ins Netz geht, findet man nur Ihre Präsentationsseite. Müssten Sie nicht rege auf Facebook und Twitter unterwegs sein, um eine Community zu pflegen und Werbung zu machen?
Vielleicht verpasse ich hier wichtige Trends, aber ich richte mich nach meinen Erfahrungen. Ich habe mich gegen Social Media entschieden. Wenn ich damit anfinge, müsste ich diese Kanäle auch permanent bespielen. Aus meiner Sicht lenkt das zu sehr von der eigentlichen Arbeit ab, von der Recherche und Referententätigkeit.
Ich konzentriere mich auf fünf, sechs Kernthemen im Sport, wo ich auf dem Laufenden bleiben muss. Ich verfasse auch Aufsätze für Fachmedien, zum Beispiel für die Bundeszentrale für Politische Bildung. Wenn dann ein Projekt abgeschlossen ist, schicke ich Links oder Artikel an rund 500 Multiplikatoren, die ein konkretes Interesse an meiner Arbeit für ihre jeweiligen Bildungsprojekte haben. Dass ich dadurch ein relativ kleines Publikum habe, nehme ich in Kauf.
Auf welche Quellen greifen Sie dann zurück?
Es ist nicht so, wie viele denken, dass ich permanent in der rechten Hooliganszene unterwegs bin. Das würde den Alltag verzerren. Es ist wichtig, sein Netzwerk zu pflegen, zu Wissenschaftlern, politischen Fußballaktivisten und Kulturarbeitern. Es geht mir nicht um die große Schlagzeile, es geht mir schlicht um gesellschaftliche Relevanz im und durch Sport. Um Aufklärung und Einordnung. Viele Informationen sind ganz leicht zu bekommen, die meisten Journalisten fragen bloß nicht danach.
In Sachen „Weiterentwickeln“: Was für ein Potenzial sehen Sie noch in Ihrer Nische „Hintergründiges zum Sport“?
Im Gegensatz zu Politik und Wirtschaft sind viele Medien im Sport ökonomisch mit ihrem Berichterstattungsobjekt verflochten, durch Fernsehrechte oder Medienpartnerschaften. Die Konsequenz sind Unterhaltung, Inszenierung und Banalitäten. Auch wenn es dafür ein riesiges Publikum gibt, sollten wir auch alternative Formen fördern.
Es ist wunderbar, wie das „Netzwerk-Recherche“ oder das „Reporter-Forum“ einen Austausch zwischen unterschiedlichen Themenfeldern herstellen und so Journalisten zum Nachdenken anregen. Im Sport gibt es das leider selten. Eine selbstkritische Debatte würde unserer Branche helfen.
Gibt es denn in den Medien wirklich kein überzeugendes Format für Analysen und Hintergrundberichte im Sport?
Aus meiner Sicht nur wenige. Im Fernsehen ist „Sport Inside“ das einzige Rechercheformat, es läuft am späten Montagabend im WDR. Natürlich kann ich als Fachautor leicht daherreden. Viele Ressortleiter müssen gerade bei den Zeitungen mit immer weniger Redakteuren immer mehr Seiten füllen, ihr Druck ist enorm.
Dass es trotzdem geht, zeigt die so genannte G14, ein Zusammenschluss von 14 Sportredaktionen aus mittelgroßen Regionalzeitungen. Ihr Prinzip: Die Redaktionen bilden einen Honorartopf und können sich so auch zeit- und rechercheintensive Themen von Fachautoren widmen. Der Journalist hat den Vorteil, dass sein Beitrag in 14 Regionalzeitungen läuft und fair honoriert wird.
Welche Pläne verfolgen Sie selbst in nächster Zeit?
Gerade weil „Hintergründiges“ im Sport noch als Nische gilt, möchte ich mich noch breiter aufstellen. Ich recherchiere für ein neues Buch. Die Leitfrage ist: Wie sozial und politisch sollte der deutsche Fußball sein? Da geht es dann darum, ob Fußballvereine eine CSR-Abteilung brauchen. Wie klimaneutral muss ein Stadion sein? Wie wirkmächtig sind die Stiftungen der Profikicker? Was bedeutet das Ehrenamt fürs Gemeinwohl? Vielleicht sind diese Fußballthemen ja auch für Wirtschafts- und Umweltmedien interessant.
Herr Blaschke, vielen Dank für das Gespräch.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Ronny Blaschke, Jahrgang 1981, ist freier Sportjournalist in Berlin. Er studierte Sport- und Politikwissenschaften in Rostock. Blaschke berichtet über gesellschaftspolitische Hintergründe des Sports, vor allem für das „Deutschlandradio“, die „Süddeutsche Zeitung“ und die „Deutsche Welle“. Er hat drei Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Angriff von Rechtsaußen„. Seine Recherchen lässt er in Politische Bildung einfließen.