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„Tooor für den FC Bayern!“ – „Elfer für die Hertha!“ – „Rote Karte auf Schalke!“

Ausgewählte Ergebnisse einer Studie der TU München zu Fußball-Radio-Übertragungen der ARD und des Internetanbieters Sport1.fm

Was sind Kriterien für eine gute Radio-Kommentierung? Welche Fehler machen Hörfunk-Journalisten bei der Live-Übertragung von Fußballspielen? Sollten die Reporter im Stadion sein oder genügt eine Berichterstattung aus dem Studio? Um solche Fragen zu beantworten, wurde am Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation der Sportfakultät der Technischen Universität München eine vergleichende Inhaltsanalyse durchgeführt. Ausgewählte Ergebnisse werden hier präsentiert.

Seit Gründung der Fußball-Bundesliga 1963 zieht die ARD-Konferenz Samstag für Samstag Millionen Fußballfans in ihren Bann. Erfunden wurden die „Ruck-Zuck-Schalten“ schon elf Jahre vorher vom damaligen Sportchef des NWDR, Herbert Zimmermann (vgl. Eggers, E. 2007, S. 31), der durch seine Reportage des Fußball-Weltmeisterschaftsfinales Deutschland gegen Ungarn 1954 selbst zur Radio-Kultfigur wurde. Jahrzehntelang war die ARD Monopolist beim Fußball im Hörfunk. Ab 2008 gab es dann mit dem Internetanbieter „90elf“ erstmals private Konkurrenz. Von der Saison 2013/14 bis 2016/17 übertrug Sport1.fm die Bundesliga im Internet. In der laufenden Saison hat sich Amazon die Streaming-Rechte gesichert.

Bedeutung von Fußball-Live-Reportagen im Hörfunk

Dass Fußball einen der größten Publikumsmagneten im Fernsehen darstellt, ist empirisch oft belegt. Doch auch im Radio erreicht er – selbst bei parallelen Übertragungen im Pay-TV und trotz der Nachberichte im Free-TV – Millionen Hörer. Die ARD-Bundesliga-Konferenz wird nach der Studie „Media Analyse Radio 2016“, bei der eine repräsentative Stichprobe von 69.585 Personen befragt worden ist, von hochgerechnet 8,4 Millionen Menschen regelmäßig gehört (vgl. Tepper, M. 2017). Darüber hinaus verfolgen mittlerweile noch Hunderttausende die Spiele im Internet. So stellte Sport1.fm in der Saison 2014/15 sogar den bisherigen User-Rekord auf. „1,17 Millionen Streaming-Sessions (also Abrufe mit einer Dauer von mindestens 60 Sekunden) wurden am 34. Spieltag gezählt“ (Mantel, U. 2015). Selbst wenn ein Vergleich der Nutzung wegen divergierender Datenerhebungsverfahren – Umfragen versus elektronische Erfassung von Stream-Abrufen – kaum möglich ist, wird man die Zahl der regelmäßigen Bundesliga-Hörer auf rund zehn Millionen taxieren können.

Forschungsstand

„Studien mit Bezug zu Live-Kommentaren bei Sportereignissen sind insgesamt selten in der Sportkommunikationsforschung“ (Vögele, C./Gölz, H. 2016, S. 2). Diese aktuelle Bestandsaufnahme bezieht sich auf die Forschungsaktivitäten zur Live-Kommentierung im Fernsehen, obwohl hierzu doch einige Studien vorliegen (vgl. die Übersicht bei Vögele, C./Gölz, H. 2016, S. 2 f.). Demgegenüber stellen Analysen zur Live-Kommentierung im Radio eine absolute Ausnahme dar. Horky und Kamp konstatieren für die letzten 20 Jahre zu Recht „eine deutliche Zurückhaltung bei der wissenschaftlichen Beobachtung des Radiosports“ (Horky, T./Kamp, C. 2012, S. 70).

Kriterien für Fußball-Live-Kommentierungen im Hörfunk

Da bislang keine empirischen Untersuchungen zu Fußball-Übertragungen im Radio vorlagen, erfolgte zur Identifizierung von Qualitätskriterien zunächst ein Rückgriff auf zwei Studien, die Aspekte für TV-Kommentierungen herausgearbeitet hatten. Die Gruppe um Klimmt (Klimmt, C./Bepler, M./Scherer, H. 2006) eruierte die Publikumspräferenzen, Lang erfragte Einschätzungen von Fernseh- und Zeitungsjournalisten zum Sujet (Lang, M. 2009). Daneben erschien das Hinzuziehen von Best-Practice-Literatur sinnvoll (vgl. Scheu, H.-R. 2007 und 2013, Dahl, H. 2009, Willmann, G. 2009).

Zu den Hauptaufgaben jedes Radio-Reporters zählt, „beim Hörer Bilder des Ereignisses entstehen zu lassen“, schreibt der frühere SWR-Redakteur Scheu (2013, S. 194). Von Bedeutung ist auch die „richtige Aussprache mit verständlichen Betonungen“, meint WDR-Reporter Dahl (2009, S. 137). „Stimme und Stimmeinsatz müssen dem Geschehen angepasst werden“, fordert der frühere BR-Reporter Rubenbauer (2016). Und ein guter Kommentator sollte „mitfiebern“, „mitleiden“ und „sich freuen“ können, sagt Radio-Gong-Mann Willmann (2009, S. 146). „Emotionalität“, „Sprachfärbung“ und „Stimmlage“ sind wichtig, empirisch aber nur sehr aufwendig zu prüfen. Deshalb standen bei der ersten Analyse von Radio-Konferenzschaltungen insgesamt sechs leichter zu operationalisierende Qualitätskriterien im Vordergrund, und zwar „Einblendungsdauern“, „Spielstandsnennungen“, „Sachliche Fehler“, „Sprachliche Präzision/Versprecher“, „Orientierungsfunktion“ sowie „Einordnung strittiger Szenen“. Aus Platzgründen können hier nur die drei Letztgenannten fokussiert werden.

Sprachliche Präzision/Versprecher
Aufgrund der hohen Dynamik funktioniert die Fußball-Radio-Reportage „am besten über eine klare Sprache. Kurze Sätze ohne komplizierte Satzkonstruktionen“, fordert WDR-Reporter Dahl (2009, S. 137). Ein Kriterium, das sprachliche Präzision konterkariert, sind Versprecher. Versprecher sind in einer Konferenzschaltung wohl kaum zu verhindern. Wünschenswert wäre jedoch, dass sie „bemerkt und korrigiert werden“, schreibt der ehemalige SWR-Reporter Scheu (2007, S. 274).

Orientierungsfunktion
Bei der Fußball-Reportage im Radio ist es essenziell, dem Hörer eine Orientierung zu geben, was gerade auf dem Feld passiert und wo sich der Ball aktuell befindet. Das Nennen von solchen „Ortsmarken“ sollte also in den Einblendungen häufig erfolgen. Äußerungen wie „Ballgeschiebe im Mittelfeld“ oder „Flanke in den Strafraum“ helfen dem Hörer bei der Einordnung, ob schon etwas Spannendes passiert oder noch nicht.

Einordnung strittiger Szenen
Zur Kompetenz von Kommentatoren gehört auch die „Analyse des Ergebnisses bzw. des Ereignisverlaufs“ (Scheu, H.-R. 2013, S. 195). Dazu zählt die zügige und korrekte Bewertung strittiger Spielszenen. Der Reporter sollte schnell in der Lage sein, ein elfmeterreifes Foul- oder Handspiel sowie eine vermeintliche oder tatsächliche Abseitsstellung richtig zu erkennen.

Methode und Untersuchungsdesign

In der Studie wurden vier Bundesliga-Konferenzen von der ARD und von Sport1.fm aus der Saison 2014/2015 vergleichend analysiert. Zur Stichprobenziehung wurde die Saison in vier Abschnitte unterteilt (1. bis 11. Spieltag; 12. bis 22. Spieltag, 23. bis 32. Spieltag sowie 33. und 34. Spieltag), aus denen jeweils eine Konferenz im Losverfahren gezogen wurde. So konnten verschiedene Saisonphasen repräsentiert werden (Tabelle 1). Alle Spielkommentare wurden wortwörtlich transkribiert und dann auf der Basis des 100 Seiten umfassenden Transkriptionsbandes inhaltsanalytisch ausgewertet. Das Code-Buch beinhaltete 25 Variablen.

Tabelle 1: Das Untersuchungsmaterial

Tabelle 1: Das Untersuchungsmaterial

Zentrale Ergebnisse

Sprachliche Präzision/Versprecher
Den Reportern beider Kanäle kann man eine recht hohe sprachliche Präzision attestieren. Vor dem Hintergrund, dass Radio-Kommentatoren visuelle Eindrücke sofort verbalisieren müssen, fällt die Anzahl der Versprecher eher gering aus. Alle ARD-Reporter versprachen sich zusammen 69 Mal; die Sport1.fm-Kollegen nur 57 Mal (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Anzahl an Versprechern

Abbildung 1: Anzahl an Versprechern

Die Anzahl an Versprechern korrespondiert mit der Anzahl der kommentierten Partien. Bei der Art der Versprecher sind zwei Formen zu unterscheiden. Zum einen „Verhaspelungen“, wie zum Beispiel „Die spielen sich da Ball den Ball zu“ (Augustin, 23.05.2015) oder „Führung für den FC Augsburger“ (Fetzer, 20.09.2014), die genauso selten auftraten wie Buchstabendreher oder Verkürzungen wie „das Spiel ist wahrscheinlich entsieden“ (Fetzer, 07.03.2015). Zum anderen gab es Versprecher bei Spielernamen. So bringt Sport1.fm-Reporter Bosse bei Bremen gegen Freiburg den Ex-Stuttgarter „Didavi“ ins Spiel statt des für Freiburg kickenden Darida (Bosse, 07.03.2015) oder man hört „Jens Wenger“ statt Jens Wemmer (Kaußen, 20.09.2014). Korrigiert werden solche Fehler jedoch selten. Die ARD-Reporter verbesserten 42 Prozent ihrer Versprecher nicht. Bei Sport1.fm waren es immerhin 35 Prozent.

Orientierungsfunktion
Um dem Hörer eine Orientierung zu ermöglichen, ist das Nennen von Orts- und Schussmarken essenziell. Diese Orientierung wird auf beiden Sendern ausführlich gegeben: Die ARD-Reporter erwähnten in 177 Einblendungen 198 Ortsmarken und 17 Schussmarken, die Sport1.fm-Reporter formulierten in 131 Einblendungen sogar 245 Mal, wo sich auf dem Spielfeld der Ball befindet, und nannten 24 Mal, wohin der Ball nach einem Abschluss fliegt (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Anzahl Ortsmarken und Schussmarken

Abbildung 2: Anzahl Ortsmarken und Schussmarken

Einordnung strittiger Szenen
Die größten Unterschiede zwischen beiden Sendern zeigten sich bei den Reporter-Bewertungen strittiger Spielsituationen. Insgesamt kamen in den vier Konferenzen elf solcher Szenen vor.[1] Die ARD-Reporter schätzten sieben davon korrekt ein, was 64 Prozent entspricht. Dagegen lagen die Sport1.fm-Reporter nur ein einziges Mal richtig, also in neun Prozent aller Fälle (siehe Abbildung 3). Neben persönlichen Unterschieden der Reporter hinsichtlich Fachkompetenz und Auffassungsgabe erscheinen unterschiedliche Arbeitsbedingungen ein wichtiger Erklärungsfaktor für diese Diskrepanz zu sein. Während die ARD-Reporter im Stadion sind, müssen die Sport1.fm-Kollegen aus dem Studio die Spiele von einem TV-Monitor abkommentieren. Doch so sind sie nicht in der Lage, das komplette Spielfeld einzusehen und können oft gar nicht erkennen, ob etwa ein Spieler im Abseits steht oder ob ein Abwehrspieler der letzte Mann ist oder nicht.

Abbildung 3: Einordnung kritischer Spielszenen; Angaben in Prozent

Abbildung 3: Einordnung kritischer Spielszenen; Angaben in Prozent

Fazit

Die erste Studie zu Hörfunk-Konferenzschaltungen zeigt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Übertragungen der ARD und Sport1.fm. Sachliche Fehler passierten selten, was in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht näher beschrieben werden konnte. Versprecher kamen je nach Reporter und in Abhängigkeit von der Anzahl der Spiele unterschiedlich oft vor. Ortsmarken zur Verbesserung der Orientierung für den Hörer wurden auf beiden Kanälen vielfach gesetzt. Bei der Einordnung strittiger Spielszenen waren die ARD-Reporter klar besser als die Sport1.fm-Kollegen. Dies kann auch auf die unterschiedlichen Kommentierungsbedingungen zurückgeführt werden, denn das Kommentieren von TV-Bildern führt oft zu Unsicherheiten oder gar kompletten Fehleinschätzungen. Deshalb kann diese Studie auch als ein Plädoyer verstanden werden, dass Radio-Reporter immer aus dem Stadion und nicht aus einem Studio kommentieren sollten, auch wenn Letzteres kostengünstiger ist.

Jenseits der Frage „Radio oder Internet?“ wird die Bundesliga-Konferenz aufgrund der emotionalen Schilderungen der Reporter sowie des zeitgleichen Dabeiseins in mehreren Stadion für Millionen Fußballfans ein echtes Hörerlebnis bleiben.

Literatur:

Dahl, H. (2009): Mit Sprachwitz und Wortschatz in die Konferenzschaltung. In: Schaffrath, M. (Hrsg.): Traumberuf Sportjournalismus. Ausbildungswege und Anforderungsprofile in der Sportmedienbranche. Berlin: LIT Verlag, 3. Aufl., S. 125-138.

Eggers, E. (2007): Die Geschichte der Sportpublizistik in Deutschland von 1945 bis 1989. In: Schierl, T. (Hrsg.): Handbuch Medien, Kommunikation und Sport. Schorndorf: Hofmann-Verlag, S. 25-41.

Horky, T./Kamp, H.-C. (2012): Sport. Basiswissen für die Medienpraxis. Köln: Verlag Herbert von Halem.

Klimmt, C./Bepler, M./Scherer, H. (2006): „Das war ein Schuss wie ein Mehlkloß ins Gebüsch!“. Fußball-Live-Kommentatoren zwischen Journalistik und Entertainment. In: Schramm, H., Wirth, W./ Bilandzic, H. (Hrsg.): Empirische Unterhaltungsforschung: Studien zu Rezeption und Wirkung von medialer Unterhaltung, München: Verlag Reinhard Fischer, S. 169-189.

Lang, M. (2009): Fußball-TV-Kommentierung – Sicherung von Qualität und Standards. Eine Online-Befragung unter Sportjournalisten. Berlin: LIT Verlag.

Mantel, U. (2015): Radio Update vom 28. Mai 2015: Sport 1.fm mit Rekord. DWDL. Abgerufen von http://www.dwdl.de/radioupdate/51128/sport1fm_mit_rekord_holtmann_hoert_beim_swr_auf, am 22.02.2017.

Rubenbauer, G. (2016): Mitschrift eines Telefoninterviews, geführt von den Verfassern am 19.07.2016.

Scheu, H.-R. (2007): Zwischen Animation und Information. Die Live-Reportage im Fernsehen. In: Hackforth, J./Fischer, C. (Hrsg.): ABC des Sportjournalismus. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft, S. 246-277.

Scheu, H.-R. (2013): Beiträge und Darstellungsformen. Sportreportage. In: Von La Roche, W./ Buchholz, A. (Hrsg.): Radio-Journalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis im Hörfunk. Wiesbaden: Springer VS, 10. Aufl., S. 192-200.

Tepper, M. (2017): Mail des ARD-Hörfunk-Sportkoordinators Markus Tepper an die Verfasser vom 22.02.2017.

Vögele, C./Gölz, H. (2016): „Das ist der Wahnsinn von Salvador. So ist wohl noch nie ein Weltmeister filetiert worden“. Der Einfluss des Live-Kommentars bei Fußballübertragungen am Beispiel des WM-Gruppenspiels Spanien vs. Niederlande. In: Journal für Sportkommunikation und Mediensport, Bd. 1, Nr. 1-2.

Willmann, G. (2009): Mit Sprachwitz und Wortschatz in die Konferenzschaltung. In: Schaffrath, M. (Hrsg.): Traumberuf Sportjournalismus. Ausbildungswege und Anforderungsprofile in der Sportmedienbranche. Berlin: LIT Verlag, 3. Aufl., S. 139-151.

[1] Als Referenzmedien diente die Berichterstattung auf den Internet-Portalen „bundesliga.de“ und „kicker.de“.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

SchaffrathProf. Dr. Michael Schaffrath ist Leiter des Arbeitsbereichs Medien und Kommunikation an der Sportfakultät der TU München. Vorherige wissenschaftliche Stationen: Deutsche Sporthochschule Köln, TU Dresden sowie die Universitäten in Lüneburg, Gießen und Koblenz-Landau. Er ist Herausgeber der Schriftenreihe „Sportpublizistik“ sowie der Sammelbände „Sport-PR und PR im Sport“, „Traumberuf Sportjournalismus“ und „Die Zukunft der Bundesliga“ sowie Autor von zehn Fachbüchern und mehr als 100 Aufsätzen zu diversen Themen der Sportkommunikation.

 

SchmidPatrick Schmid arbeitet als Sportreporter beim Bayerischen Rundfunk. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Fußball-Live-Reportagen für den BR und den ARD-Hörfunk. Er studierte „Wissenschaftliche Grundlagen den Sports“ an der TU München und war am Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation der Sportfakultät der TU als studentische Hilfskraft tätig.

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