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TV-Fußball-Kommentare – ein Metier in der Kritik

Kaum ein Einsatz im öffentlich-rechtlichen, privaten oder Pay-TV vergeht ohne anschließende Kritik im Netz – und wer im Fernsehen Fußballspiele kommentiert, erhält in den seltensten Fällen lobenden Beifall für seinen Auftritt. Eine Studie der Technischen Universität München (TUM) unter dem Titel „Wahrnehmung männlicher und weiblicher TV-Fußball-Kommentatoren“ untersuchte nun, wie die Leistung von Kommentierenden bewertet wird und ob zukünftig mehr weibliche Personen an den TV-Mikrofonen gewünscht sind. Die wichtigsten Ergebnisse fasst Romy Schwaiger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation der Sportfakultät der TUM, zusammen.

Man kennt das Phänomen: Während eines großen Fußballturniers, egal ob Europa- (EM) oder Weltmeisterschaft (WM), verwandeln sich 80 Millionen Deutsche in Bundestrainer und -trainerinnen. Sie alle wissen besser, mit welcher Taktik die deutsche Nationalmannschaft ins Spiel gehen oder wen der amtierende Bundestrainer Hansi Flick aufstellen sollte. Kaum geht die Fernsehübertragung los, mutieren genau diese 80 Millionen Personen dann nahtlos zu Medienfachleuten und jammern und nörgeln vor ihren TV-Geräten über alles, was der oder die Kommentator*in so von sich gibt. Die Kritik reicht dabei von fehlender Neutralität über zu viel Redeanteil bis hin zur unpassenden Tonalität.

Frauen-Duo im Einsatz

Seit einiger Zeit kommentieren auch Frauen Fußballspiele im Fernsehen. Claudia Neumann machte 2011 im Rahmen der Frauenfußball-WM in Deutschland den Anfang, seit der EM 2016 ist sie auch bei Spielen der Männer im Einsatz. Ein Novum gab es bei der EURO 2020 im vergangenen Sommer, als Neumann und die ehemalige deutsche Nationalspielerin Ariane Hingst gemeinsam aus der Kommentatoren-Kabine des ZDF berichten durften. Es hagelte eine Vielzahl an sexistischen Kommentaren im Netz, von einem regelrechten Twitter-Shitstorm war die Rede. Das ZDF nahm die vielen frauenfeindlichen Tweets aber nicht einfach hin, sondern verteidigte sein Frauen-Duo vehement gegen die Hasstiraden. „Statistisch gesehen machen Frauen etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung aus. Dass zwei von ihnen zusammen ein Fußballspiel kommentieren, sollte Menschen mit mathematischen Grundkenntnissen nicht überraschen“, war nur eine der schlagfertigen Antworten des Social-Media-Teams des ZDF (ZDF sportstudio 2021).

Wir befinden uns mittlerweile im Jahr 2022 – die Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau sollte selbst im Männerfußball längst angekommen sein. Zwar sind Frauen als Sportjournalistinnen immer noch unterrepräsentiert (vgl. Schaffrath 2020, S. 1), doch kompetente Fachvertreterinnen müssten auch ihren Platz vor der Kamera erhalten, um Sportereignisse zu kommentieren.

Live-Kommentierung als journalistische Stilform

Die Live-Kommentierung ist laut Schaffrath (Schaffrath 2018) eine „ ,Mischform‘ aus Reportage und Kommentar […], weil sie Anforderungen beider Stilmittel erfüllen muss“. Die Reportage ist dabei „die lebendigste und subjektivste journalistische Darstellungsform“ (Liesem 2015, S. 79), sie will „den Leser fesseln“ und ihm „die Illusion vermitteln, selbst bei einem spannenden oder außergewöhnlichen Ereignis zugegen gewesen zu sein“ (Liesem 2015, S. 80). Der Kommentar ist dagegen „die Grundfigur der Kritik“, der „Urteil abgeben, Stellung nehmen, Position beziehen“ soll (Schalkowski 2011, S. 19). Im Kommentar ist die „dezidierte, explizite Meinung des Verfassers erlaubt und gefordert“ (Neuberger/Kapern 2013, S. 53). Er hat die Aufgabe, Sachverhalte zu erklären und darüber hinaus diese Erklärung oder Bewertung kritisch zu überprüfen (vgl. Schalkowski 2011, S. 24). Jede Live-Kommentierung im Fernsehen sollte dementsprechend sowohl Elemente der Reportage als auch des Kommentars enthalten.

Neue Studie der TU München

Studien mit Bezug zur Qualität im Sportjournalismus und speziell zur Live-Kommentierung sind in der Sportkommunikationsforschung eher selten (vgl. Klimmt/Bepler/Scherer 2006, S. 172). Aus diesem Grund hat die Technische Universität München eine Studie konzipiert, mit der herausgefunden werden sollte, unter welchen Umständen mehr Akzeptanz des Metiers TV-Fußball-Kommentar erreicht werden kann. Wie wird die Leistung der Kommentierenden bewertet? Und wünschen sich fußballinteressierte Personen grundsätzlich mehr Frauen am TV-Mikrofon? Diese Fragen sollten im Rahmen der Studie beantwortet werden.

Untersuchungsdesign

Als Methode wurde eine Online-Befragung gewählt und durchgeführt. Als Zielgruppe wurde die fußballinteressierte Bevölkerung identifiziert, die regelmäßig Fußballübertragungen im Fernsehen oder per Livestream verfolgt. Anhand eines Link-Posts auf der Facebook-Seite „fussball-vorort.de“ (Gesamt-Followerzahl knapp 20.000 Personen) wurde zur Teilnahme an der Online-Umfrage aufgerufen. „fussball-vorort.de“ gehört zum Angebot des regionalen Internet-Fußballportals „FuPa“, das sich der Berichterstattung aus den deutschen Amateurklassen widmet.

Der Fragebogen umfasste 18 Fragen. Der Erhebungszeitraum der Befragung erstreckte sich vom 16.12.2020 bis zum 02.01.2021. Insgesamt 236 Facebook-User klickten auf den Beitrag, davon 212 auf den Link zur Online-Umfrage. 171 Personen beendeten die Umfrage komplett, davon waren 142 Personen männlich (83 %), 28 Personen weiblich (16,4 %) und eine Person divers (0,6 %). Auch wenn die Studie keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt, bietet sie doch einige interessante Einblicke und Aspekte in einen eher selten erforschten Bereich.

Bewertung der Leistung von TV-Fußball-Kommentator*innen

Wie kann man die Leistung von TV-Fußball-Kommentator*innen überhaupt bewerten? Hängt die Leistung davon ab, wie selten jemand Spieler verwechselt, wie hoch der Redeanteil während eines Spiels ist oder ob elfmeterverdächtige Szenen korrekt beurteilt werden? Diese Aspekte wurden bereits in einer vorherigen Studie des Arbeitsbereichs für Medien und Kommunikation an der TU München untersucht (vgl. Schaffrath 2018).

Um einen Vergleich zwischen der Leistung von männlichen und weiblichen TV-Fußball-Kommentator*innen ziehen zu können, wurden die an der Umfrage Teilnehmenden gebeten, Schulnoten von eins bis sechs zu vergeben. Nur jeweils 2,3 Prozent der Befragten vergaben dabei die Schulnote eins – sowohl für männliche als auch weibliche Kommentatoren (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Frage: „Wie bewerten Sie die Leistung von weiblichen/männlichen Fußballkommentatoren in Deutschland?“; n = 171; Quelle: eigene Darstellung

Interessant wird es im Bereich der weiteren Schulnoten. Insgesamt werden männliche Fußballkommentatoren tendenziell besser bewertet als weibliche. Mehr als 42 Prozent der männlichen Vertreter der Zunft erhielten die Schulnote zwei, knapp 41 Prozent die Schulnote drei. Bei den weiblichen Kommentatoren erhielt dagegen nur gut ein Fünftel (20,5 %) die Schulnote zwei, während insbesondere die Schulnoten vier (17 %), fünf (13,4 %) und sogar sechs (7 %) deutlich öfter vergeben wurden. Insgesamt ist als Tendenz klar zu erkennen, dass die Leistung von Frauen am TV-Mikrofon insgesamt schlechter bewertet wird. Bestätigt wird dies durch den Mittelwert der Schulnoten, der bei 2,7 (männlich) und 3,4 (weiblich) lag.

Auch wenn aufgrund der Werte weder die weiblichen noch die männlichen TV-Fußball-Kommentatoren versetzungsgefährdet sind, zeigen die Ergebnisse, dass die Zuschauenden mit der Leistung prinzipiell eher unzufrieden sind. Betrachtet man geschlechterspezifische Unterschiede, lässt sich feststellen, dass männliche Befragte Kommentatorinnen (Schulnote 3,53) deutlich schlechter bewerten als deren männliche Kollegen (Schulnote 2,75). Auch hinsichtlich des Alters der an der Umfrage Teilnehmenden gab es deutliche Unterschiede in der Leistungsbewertung. So wurden Kommentatorinnen von älteren Befragten (ab 51 Jahren) mit der Schulnote 3,09 besser eingeschätzt als von jüngeren Personen (16 – 30 Jahre) mit der Durchschnittsnote 3,62.

Sind mehr TV-Kommentatorinnen gewünscht?

Mit Claudia Neumann (ZDF) und Stephanie Baczyk (ARD) sind derzeit lediglich zwei Kommentatorinnen bei Fußballübertragungen im Einsatz. Im Rahmen der Studie sollte daher untersucht werden, ob sich fußballinteressierte Personen mehr Frauen am TV-Mikrofon wünschen. 27 Prozent der Umfrageteilnehmenden waren der Meinung, dass mehr Kommentatorinnen eingesetzt werden sollen, mit 32 Prozent stimmte rund ein Drittel aber auch dagegen. Dem Großteil der Befragten (41 %) ist das Geschlecht der kommentierenden Person dagegen gleichgültig, sie antworteten „Mir egal“ (vgl. Abbildung 2). Interessanterweise waren 44 Prozent der Umfrageteilnehmerinnen dafür, dass mehr Frauen als Kommentatorinnen zum Einsatz kommen sollen, bei den männlichen Befragten war es dagegen nur rund ein Viertel (24 %).

Abbildung 2: „Sollten grundsätzlich mehr weibliche Kommentatorinnen bei Fußball-Übertragungen eingesetzt werden?“; n = 171; Quelle: eigene Darstellung

Mehr Frauen als Kommentatorinnen im Männerfußball?

Ist der deutsche Männerfußball reif für weitere Frauen als Kommentatorinnen? 27 Prozent der Teilnehmenden hatten sich im Rahmen der Online-Umfrage dafür ausgesprochen, dass grundsätzlich mehr Kommentatorinnen bei Fußballübertragungen eingesetzt werden sollen. Doch betrifft dies nur die Übertragungen von Frauenfußballspielen? Oder dürfen es auch mehr Kommentatorinnen bei Männerfußballpartien sein?

Dies sollten die Befragten im Rahmen von zwei zusammenhängenden Aussagen bewerten. Bei der ersten Aussage „Es sollten häufiger Frauen als Kommentatorinnen im Männerfußball eingesetzt werden“ antworteten rund 30 Prozent der Teilnehmenden mit „trifft zu“ und „trifft eher zu“. Im Vergleich dazu bewerteten jedoch auch mehr als 40 Prozent der Interviewten, dass dies „weniger“ und „nicht zutrifft“ (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Bewertung der Aussage: „Es sollten häufiger Frauen als Kommentatorinnen im Männerfußball eingesetzt werden.“; n = 171; Quelle: eigene Darstellung.

Im Vergleich dazu wurde die Aussage „Es sollten häufiger Frauen als Kommentatorinnen im Frauenfußball eingesetzt werden“ abgefragt. Es wird ersichtlich, dass hier tendenziell mehr der Befragten zustimmen (vgl. Abbildung 4). Mit 55,4 Prozent („trifft zu“ und „trifft eher zu“) findet mehr als die Hälfte der an der Umfrage Teilnehmenden, dass Frauen häufiger als Kommentatorinnen im Frauenfußball zum Zug kommen sollten. Vergleicht man die beiden Aussagen, ist insbesondere auffällig, dass die Befragten der Meinung sind, dass Frauen häufiger im Frauen- als im Männerfußball eingesetzt werden sollen.

Abbildung 4: Bewertung der Aussage: „Es sollten häufiger Frauen als Kommentatorinnen im Frauenfußball eingesetzt werden.“; n = 171; Quelle: eigene Darstellung

Fazit

Frauen am TV-Mikrofon sind bei Fußballübertragungen bislang eine eher unterrepräsentierte Spezies. Dabei gäbe es unter den Sportjournalistinnen in diesem Land sicherlich einige sehr kompetente und erfahrene Vertreterinnen, die dieser Aufgabe als sinnvolle Ergänzung neben Claudia Neumann und Stephanie Baczyk ebenso gewachsen wären. Mit dem Einsatz von aktuellen und ehemaligen Nationalspielerinnen wie Ariane Hingst oder der viel gelobten Almuth Schult als Expertinnen im Rahmen der EURO 2020 haben die öffentlich-rechtlichen Sender vieles richtiggemacht. Diesem Trend sollten das private Fernsehen und insbesondere auch Pay-TV-Anbieter wie Sky oder DAZN folgen. Je mehr TV-Fußball-Kommentatorinnen zukünftig an den Mikrofonen zu hören sein werden, desto größer wird sicherlich auch die Akzeptanz beim Fernsehpublikum.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Dipl.-Sportwiss. Romy Schwaiger M. A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München (TUM). Davor volontierte sie an der Axel Springer Akademie, anschließend arbeitete sie als Redakteurin für eine Münchner Kommunikationsberatung und als Persönliche Referentin des Präsidenten beim Bayerischen Fußball-Verband. Kontakt: romy.schwaiger@tum.de

 

 

 

 

Literatur:

Klimmt, C.; Bepler, M.; Scherer, H. (2006): „Das war ein Schuss wie ein Mehlkloß ins Gebüsch!“. Fußball-Live-Kommentatoren zwischen Journalistik und Entertainment. In Schramm, H.; Wirth, W.; Bilandzic, H. (Hrsg.): Empirische Unterhaltungsforschung: Studien zu Rezeption und Wirkung von medialer Unterhaltung. S. 169-189, München.

Liesem, K. (2015): Professionelles Schreiben für den Journalismus. Wiesbaden.

Neuberger, C.; Kapern, P. (2013): Grundlagen des Journalismus. Wiesbaden.

Schaffrath, M. (2018): Fußballjournalismus: Die Kunst des Kommentars; https://www.fachjournalist.de/fussballjournalismus-die-kunst-des-kommentars/ (06.09.2018).

Schaffrath, M. (2020): Warum es so wenig Frauen im Sportjournalismus gibt. Fachjournalist 12/2020, S. 1-4.

Schalkowski, E. (2011): Kommentar, Glosse, Kritik. Konstanz.

ZDF sportstudio [@sportstudio] (2021): Statistisch gesehen machen Frauen etwa 50 Prozent der Weltbevölkerung aus. Dass zwei von ihnen zusammen ein Fußballspiel kommentieren, sollte Menschen… [Tweet]. Twitter. https://twitter.com/sportstudio/status/1403803799731453957 (12.06.2021).

 

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