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Über die Bedeutung von Hintergrundgesprächen 

Immer wieder werden Hintergrundgespräche in der Öffentlichkeit kritisiert. Der Vorwurf: Politik und Medien stecken unter einer Decke. Unser Autor sieht das anders.

Der jeweilige Status in der Verwendung von Hintergrundinformationen ist in der Satzung der Bundespressekonferenz in Paragraf 16 verankert. Darin heißt es: „Die Mitteilungen auf den Pressekonferenzen erfolgen: unter 1. zu beliebiger Verwendung oder unter 2. zur Verwertung ohne Quelle und ohne Nennung des Auskunftsgebenden oder unter 3. vertraulich.“

„Das Mittel Hintergrundgespräch sollte [von politischen Akteuren] nur dann gewählt werden, wenn auch tatsächlich Hintergrundinformationen geboten werden können.“[1] Letztlich dient ein Hintergrundgespräch dazu, „Journalistinnen und Journalisten mit Informationen zu versorgen, die über die Tagesaktualität hinausgehen und ihnen einen besseren Einblick“[2] in das politische Geschehen ermöglichen.

„Politiker nutzen solche Gespräche gerne, um Medien auf Themen vorzubereiten, die sie demnächst in die öffentliche Debatte bringen wollen, oder über Kandidaten (oder eigene Kandidaturen) für anstehende Wahlen zu sprechen.“[3]

Die falsche Sichtweise

Die Relevanz von Hintergrundgesprächen zwischen politischen Akteuren und Journalisten wird in der Öffentlichkeit zu wenig erklärt. Allein schon das Wort Hintergrundgespräch schürt bei vielen Außenstehenden Misstrauen. Alles, was im Verborgenen stattfindet, erscheint zuerst einmal verdächtig. Nicht selten mündet dies in wilden Verschwörungstheorien.

Doch das Instrument Hintergrundgespräch wird im politisch-medialen Kontext vom Publikum fatal verkannt. Gerade jene, die von der Politik mehr Transparenz fordern, sollten das Hintergrundgespräch als einen politisch-journalistischen Beitrag verstehen, der insbesondere Transparenz fördert.

Die thematische Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Transparenz ermöglicht die Legitimation der Anwendung von Hintergrundgesprächen. Vergegenwärtigt man sich die Beschreibung des Transparenzbegriffes des Wirtschaftswissenschaftlers Stephan A. Jansen, so erhält man darin die Begründung:

„Transparenz versteht sich im Sinne einer ‚Durch-Sichtigkeit‘ in der Differenz zur ‚Offen-Sichtlichkeit‘. Der Unterschied ist, dass das Transparente nicht etwas bloß Sichtbares ist, sondern etwas durch Durchsichtiges sichtbar Gemachtes. […] Während in der Physik die Außenseite der Transparenz unter anderem die Absorption bzw. Reflexion ist, wird sozialwissenschaftlich hingegen schnell deutlich: Thematisieren wir Transparenz, dann thematisieren wir die Außenseite der Unterscheidung: die Intransparenz – und damit in der Regel ein Problem. Die Intransparenz wird dabei nicht selten negativ generalisiert, also als Geheimnis […].“[4]

Vertraulichkeit als wichtiger Garant

Sicherlich machen Verweise und Andeutungen in einem journalistischen Beitrag darauf aufmerksam, dass der Verfasser mehr weiß als er berichtet, doch ohne das Instrument Hintergrundgespräch würden die Journalisten und erst recht die Bürger, weit weniger von politischen Hintergründen und Zusammenhängen erfahren.

Gerade in Zeiten der digitalen Revolution und der daraus resultierenden Herausforderungen stärkt das Hintergrundgespräch den Qualitätsjournalismus immens. Die Qualitätsmedien können sich aufgrund der im Hintergrundgespräch exklusiv erhaltenen Informationen untereinander, aber auch gegenüber Konkurrenzformaten wie Blogs besser behaupten bzw. abgrenzen. Das Vertrauen der politischen Akteure zu einzelnen Journalisten ist hierbei ein entscheidender Faktor für die Generierung neuer Nachrichten.

Die Entwicklung zeigt, dass es immer mehr unter drei (vertraulich) geäußerte Hintergrundinformationen von politischen Akteuren in die Öffentlichkeit schaffen. Dieser Gewinn für den Nachrichtenkonsumenten, mehr zu erfahren, und der der Redaktion, mehr Leser zu erhalten, hat jedoch eine große Kehrseite. Die politischen Akteure stellen die Regel unter drei immer mehr infrage und sind bei zukünftigen Hintergrundgesprächen weit vorsichtiger und zurückhaltender. Zu viel Zurückhaltung und Misstrauen von Seiten der Politik gegenüber den Medien macht das Hintergrundgespräch jedoch zunehmend obsolet. Das Hintergrundgespräch lebt von der Offenheit beider Akteure, auch wenn dabei nicht alles zur Sprache kommt. Die Kanzlerschaft Angela Merkels zeigt sehr gut, wie man die Medien auf Distanz hält, doch wer als Politiker seine Politik in Hintergrundgesprächen zu wenig erklärt, der schafft weniger Verständnis in der Bevölkerung. Nicht nur der Bürger wird orientierungslos, nein, auch die Journalisten. Politik und Medien müssen gemeinsam Diskurse führen und dies auf allen Ebenen – ob öffentlich oder unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Verwehrt die Politik den Diskurs, indem sie ihr Handeln weniger erklärt, so schadet sie der Demokratie des Landes. Egal welche Meinung man gegenüber Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder vertritt – er hat recht, wenn er sagt, dass die Politik „‚medienfähig sein‘ [muss], genauso, wie die Medien ‚politikfähig bleiben müssen‘.“[5] Ist dies nicht mehr gegeben, so rächt sich dies früher oder später.

Um das Vertrauen der Politik in die Medien nicht zu verlieren, gehört es dazu, dass der Journalist über Dinge unter drei lieber schweigt bzw. in seiner Berichterstattung dezent anklingen lässt. In absehbarer Zeit profitiert der Leser von dem Hintergrundwissen des Journalisten, welches dieser in einem Hintergrundgespräch erfuhr.

Achtung vor Instrumentalisierung

Politische Akteure tun gut daran, wenn sie in Hintergrundgesprächen, vor allem in großer Runde, nicht lästern. Am Ende kommt dies meist heraus, was sich in der Regel rächt. Jeder politische Akteur sollte dabei bedenken, dass Lästereien von journalistischer Seite durchaus als Anlass genommen werden können, Konflikte zu initiieren. Der Gebrauch des Hintergrundgesprächs für Intrigen, initiiert von politischen Akteuren, zeigt einmal mehr, wie brutal auf der Hinterbühne zwischen politischen Gegnern und Parteifreunden agiert wird. Der Journalist muss sich dabei die Frage stellen, ob er überhaupt dieses Spiel mitspielen will und ob nicht die Initiierung einer Intrige der größere Skandal ist. Jochen Hoffmann hat recht, wenn er schreibt, dass Intrigen keine Hintergrundinformationen sind[6] und nicht auf „irgendwelche generellen Strategien, personelle Konstellationen oder politische Zukunftspläne, die das gegenwärtige Vorderbühnenverhalten politischer Akteure erklären könnten“[7], verweisen. Der Hinweis eines Medienvertreters im Experteninterview, dass jeder Journalist wissen sollte, zu wessen Politikers Knecht er sich mache, ist sehr ratsam. Grundsätzlich ist die Reflexion und das Sich-hinein-Versetzen in einen politischen Akteur für den Journalisten zu empfehlen. Das Handeln und das Denken des politischen Akteurs können noch besser erklärt sowie auf Probleme und falsche Einschätzungen verwiesen werden. Journalisten sollten gerade im Zeitalter der digitalen Revolution mehr Zeit für das Reflektieren und das Ordnen ihrer Informationen erhalten. Reflexion bedeutet, „dass das Denken vom Gedachten zu sich zurückkommt, Distanz wird [nicht] nur zur Welt, sondern auch zu sich selbst“[8] dabei ermöglicht. Zu wenig Zeit für Reflexionen und Recherchen verflüssigen den Journalismus und mindern dessen Qualität.

Eine Frage des perfekten Timings

Die Beschleunigung des Informationsflusses durch das Internet hat den Beruf des Journalisten stark verändert − in vielen Aspekten zum Negativen − so auch das Hintergrundgespräch. Ein erfahrener Journalist bringt es im Experteninterview deutlich auf den Punkt: „Man erfährt im Hintergrundkreis manchmal nur einen Zipfel von irgendetwas. Das Wichtigste ist dann, was man daraus macht. Das Wichtige ist, dass man daran weiterzieht. Meine Sorge ist, dass dazu heutzutage zu wenig Zeit in Berlin dafür ist. Man schreibt nur über Zipfel, aber nicht über das, was hintendran war.“[9]

Dies ist ein Plädoyer, sich für die journalistische Arbeit einmal mehr intensiv Zeit für Recherchen und Artikel einzuräumen. Es kommt nicht darauf an, wie viele Artikel erscheinen, sondern, welche Qualität diese haben. Dies muss der bewusste Nachrichtenkonsument schätzen, der bereit sein sollte, für Inhalte zu bezahlen. Mehr Mut bei der Umsetzung neuer Finanzierungsmodelle, wie etwa Paywalls, stärkt den Qualitätsjournalismus. Hierbei sind gemeinsam vereinbarte Finanzierungsregelungen unter den Verlagen sehr sinnvoll.

Der Trend, Hintergrundgespräche am Morgen, in sogenannten Pressefrühstücken, zu veranstalten, ist weniger gewinnbringend für Politik und Medien. Der gemeinsame Austausch am Morgen laufe der Ansicht eines politischen Akteurs nach sehr viel nüchterner und professioneller ab als am Abend. Das Gewand des Abends ist gerade für Hintergrundgespräche sehr wichtig. Die Stimmung am Ende eines Arbeitstages ist meist entspannter und geselliger. „Der Abend ist eine Zeit der Kontemplation.“[10]

Analog schlägt digital

Das Hintergrundgespräch als Instrument von Politik und Medien wird auch zukünftig von Angesicht zu Angesicht und somit analog geführt werden. Videoschalten per Internet oder Konversationen per Telefon, SMS, Chat oder E-Mail sind kein gleichwertiger Ersatz für das Hintergrundgespräch im klassischen Sinne. Die Akteure profitieren vom analogen Gebrauch des Hintergrundgesprächs, da sich hierbei gerade zu Beginn des Kennenlernens gegenseitige Sympathien bzw. Antipathien besser feststellen lassen. Per Telefon, Chat, Mail oder Videoschalte lässt sich Vertrauen schwer aufbauen, allein der zu Beginn des Gesprächs gepflegte Small Talk ist in der Regel sehr verkürzt oder kommt gar nicht zustande.[11] Die Ankommens- und Anfangsphase der Akteure des Hintergrundgesprächs ist nicht zu unterschätzen, denn gerade hierbei werden erste Gesten untereinander ausgetauscht, private Konversationen geführt.

Im Experteninterview verweist ein politischer Akteur darauf, dass es gerade dabei auf die kleinen Gesten ankomme.[12] Ein guter Politiker, der in ein Hintergrundgespräch gehe, der hat sich vorab bei seinem Pressesprecher über private Dinge von Journalisten erkundigt.[13]

„Dort erfährt er, dass sich Max Müller vor einem halben Jahr geschieden und Helene Langes Tochter ein Kind bekommen hat. In einem Hintergrundgespräch geht man dann auf den Max Müller zu, umarmt den und fragt: ‚Geht es dir gut?‘ – ‚Schön, freut mich.‘ Helene Lange wird gefragt: ‚Wie geht es denn Ihrer Tochter?‘ Das ist wichtig, da braucht man nicht viel Empathie, man muss denen signalisieren, ihr gehört gewissermaßen zur weiteren Familie. Das ist das Geheimnis.“[14]

Weit mehr als ein Deutungsinstrument

Bei Videoschalten fällt überwiegend diese emotional geprägte Phase weg, die Person auf dem Bildschirm ist weniger greifbar. Das klassische Hintergrundgespräch jenseits digitaler Hilfsmittel ist, auch wenn sich die Akteure sehr gut kennen, immer der analogen Form vorzuziehen. Wie in dieser Forschungsarbeit deutlich wurde, legen die Akteure selbst in Hintergrundgesprächen sehr selten alle Karten auf den Tisch. Die vollständige Wahrnehmung der verbalen und paraverbalen sowie der nonverbalen und extraverbalen Kommunikation des politischen Akteurs im direkten Gespräch ermöglicht es den Journalisten jedoch, gezielter nachzufragen. Ein Mangel an sozialen Kontexthinweisen (Lack of social context cues) sowie ein erschwertes Erkennen von Rückmeldungssignalen (Back-Channeling: u. a. Nicken, Schmunzeln) und Sprecherwechseln (Turn-Taking) wird hierbei umgangen.[15]

Das Hintergrundgespräch ist jedoch weit mehr als ein Deutungsinstrument für Journalisten. Es ist ein Multitool, sich der Wahrheit anzunähern. Der Journalist arbeitet nicht nur mit verbal geäußerten Informationen, sondern hat die Möglichkeit, sein Bild über das Gesagte u. a. durch die Mimik, Gestik und die Stimmlage des politischen Akteurs zu vervollständigen, indem er auf sie reagiert. Gerade in Zeiten wilder Verschwörungstheorien und der Manipulation von Meinungen im Internet – teils in Auftrag gegeben durch Staaten – müssen Journalisten als unabhängige Aufklärer die Bevölkerung objektiv informieren. Wenn Politiker nicht öffentlich die Wahrheit sagen können, ihnen aber daran liegt, diese in den Medien zu verbreiten, sollten sie das Instrument Hintergrundgespräch auf alle Fälle nutzen. Die bewusste Mitteilung falscher Hintergrundinformationen ist definitiv nicht zu empfehlen, meist kommt es früher oder später heraus. Sonst ist die Glaubwürdigkeit beschädigt, das Vertrauen ist dahin.

Hintergrundgespräche wird es auch in Zukunft geben, es müssen jedoch Politiker und Journalisten beidseitig daran interessiert sein.

Dieser Text ist ein zusammengefasster Auszug aus dem Buch „Hintergrundgespräche. Konsensuales Geheimnis-Management im Mediensystem des digitalen Zeitalters“ von Florian Beißwanger, erschienen im Tectum-Verlag, Baden-Baden 2019. 

Florian Beißwanger studierte im Bachelor Politikwissenschaft und Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Universität Jena und Antwerpen. Seinen Master absolvierte er im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste Berlin. Seit Beendigung seines Volontariats arbeitet er als DFJV-Redakteur.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

[1] Franck, Norbert, Praxiswissen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Wiesbaden 2012, S. 178.

[2] Ebd.

[3] Steinke, Lorenz, Kommunizieren in der Krise. Nachhaltige PR-Werkzeuge für schwierige Zeiten, Wiesbaden 2014, S. 145.

[4] Jansen, Stephan A., „Undurchsichtige Transparenz – Ein Manifest der Latenz. Oder was wir aus Terrornetzwerken, von Geldautomatensprengungen und Bankenaufsichten lernen könnten“, in: Jansen, Stephan A. / Schröter, Eckard / Stehr, Nico, Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen, Wiesbaden 2010, S. 25f.

[5] Hogrefe, Jürgen, Gerhard Schröder. Ein Porträt, Berlin 2002, S. 79.

[6] Vgl. Hoffmann, Jochen, Inszenierung und Interpenetration. Das Zusammenspiel von Eliten aus

Politik und Journalismus, Wiesbaden 2003, S. 268.

[7] Ebd.

[8] Zimmer, Jörg, Reflexion, Bielefeld 2003, S. 11f.

[9] Experteninterview Journalist

[10] Grill, Heinz, Die geistige Berechnung des Schlafes, Soyen 1999, S. 62.

[11] Vgl. Universitätsfolien: Strohschneider, Stefan, Interkulturelle Teamarbeit, Part 6 Virtuelle Teamarbeit, WS 2011/2012, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Folie 8.

[12] Vgl. Experteninterview Politischer Akteur

[13] Vgl. ebd.

[14] Ebd.

[15] Vgl. ebd.

 

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