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Über Geld spricht man doch! Zur Geschichte des Wirtschaftsjournalismus

Teil I – Handelsjournalismus vom 15. bis zum 17. Jahrhundert

Wirtschaftsthemen in der Berichterstattung haben eine lange Tradition und sind aus der heutigen Presse nicht mehr wegzudenken. Den entwicklungsgeschichtlichen Startschuss gab das ausgehende Mittelalter – eine Zeit, in der die notwendigen Voraussetzungen für ein funktionierendes (Wirtschafts-) Nachrichtensystem aufeinandertrafen. Über Geldmärkte und Fuggerzeitungen, über Münzproduktion und Handelsbeziehungen: ein Blick auf die Geschichte des Wirtschaftsjournalismus.

„Estland will eigene Kryptowährung Estcoin einführen“, lautete Mitte August 2017 eine Artikelüberschrift auf finanzen.net: Das nördlichste Land des Baltikums plant, eine eigene Gegenwährung zum Bitcoin-Boom zu etablieren. Anfang Januar 2018 titelte Handelsblatt Online: „Schicksalsjahr für Athen“ – die Onlineplattform geht damit auf den noch andauernden Kampf der griechischen Geldinstitute mit den Folgen der Finanzkrise ein.

Dass wir heutzutage in der Lage sind, diese und andere Wirtschaftsnachrichten vor dem heimischen Computer zu rezipieren, ohne Reisen, ohne Gespräche in fremden Sprachen und ohne lange Recherche nach passenden Quellen, verdanken wir nicht nur der Erfindung des Internets, sondern auch und vor allem der historischen Entwicklung des Wirtschaftsjournalismus in den letzten 500 Jahren. Denn vor etwa einem halben Jahrtausend trafen die notwendigen Voraussetzungen aufeinander, um die Verbreitung von Nachrichten zu revolutionieren.

Die Urform indirekter Kommunikation: Briefe und Neue Zeytung

Die Landkarte Europas im späten Mittelalter sieht ganz anders aus als heute: Zentraleuropa gehörte zu großen Teilen zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, größere Territorien wie England, Portugal, Spanien oder Burgund werden von Königshäusern regiert, es gibt unzählige Fürstentümer und Adelshäuser.

Der Nachrichtenverkehr zwischen den Machthabern, aber auch innerhalb der jeweils eigenen Herrschaftsgebiete fand zu Beginn des 15. Jahrhunderts hauptsächlich per Brief statt. Es gab Einzelkurierdienste, Posten und Stadtbehörden, aber auch die Post von Staaten und Herrschern, die für den Versand der Briefe sorgten (vgl. Stöber 2005, S. 17). Diese „Urform indirekter individueller Kommunikation“ (Wilke 2000, S. 18) erfüllte dabei allerdings nicht nur die Funktion des sozialen und freundschaftlichen Austauschs, sie diente auch wirtschaftlichen Zwecken. Den meist noch handschriftlichen Korrespondenzen wurden Geschäftsmitteilungen und Nachrichten über beispielsweise Markt- und Finanzsituationen, Kreditgeschäfte oder Geldsorten (vgl. Hömberg 2002, S.14; Stöber 2005, S. 37) angehängt, um so auch über weite Strecken über die heimische Marktlage, Eroberungen oder universell Interessantes zu informieren.

Die Anhänge wurden mit der Zeit umfang- und zahlreicher, verselbstständigten sich und hingen schon bald unter eigenen Überschriften und Rubriken wie beispielsweise „Zettel“ oder „Zeytung“ den Briefen an; allein Francesco di Marco Datini (1335-1410), ein italienischer Fernhändler, Tuchproduzent und Spekulant, hinterließ bei seinem Tod eine Korrespondenz von etwa 140.000 Briefen, die Privates wie „Tagesneuigkeiten“ enthielten.

Durch das rasante Wachstum der Anhänge lösten sich allmählich die Nachrichten über öffentliche Angelegenheiten von den privaten Nachrichten der Korrespondenten. Eine entscheidende Entwicklung, die den weiteren Weg für eine eigenständige Berichterstattung ebnete (vgl. Wilke 2000, S. 18).

Fugger und Fake News an der Wende zur Neuzeit

Um die Nachrichtenübertragung in der Zeit des ausgehenden Mittelalters und der frühen Neuzeit effizienter und sicherer zu gestalten, etablierten größere Kaufmannsvereinigungen wie zum Beispiel die niederdeutsche Hanse (12. – 17. Jh.) oder Handelshäuser wie das der Augsburger Fugger eigene Korrespondentennetze.

Wie die Fürstentümer unterhielten Kaufleute über Briefverkehr einen regen Nachrichtenaustausch über das aktuelle Geschäftsgeschehen. Die Notwendigkeit dieser sogenannten Kaufmannsbriefe ergab sich aus den oftmals weiten Distanzen, die Händler beim Verkauf von Waren überwinden mussten. Weite Distanzen schufen Unsicherheit und Misstrauen, ob Waren und Informationen überhaupt und, wenn ja, auch bei der adressierten Person ankamen. Man benötigte nicht nur Angaben von Ortskundigen, um sich ein Bild über den Zielmarkt machen zu können, sondern suchte vor allem auch verlässliche Quellen, die weder geschäftsschädigend agierten noch ausschließlich eigene Interessen verfolgten. Um die Neutralität der Kaufmannsbriefe zu wahren, etablierten sich daher schon bald Dienstleister, die gegen ein Entgelt die Kaufmannsbriefe anfertigten und die Kaufleute somit zumindest teilweise vor mittelalterlichen „Fake News“ bewahrten (vgl. Wilke 2000; Hömberg 2002;/ Stöber 2005).

Aus dieser Zeit stammt auch die wohl bekannteste organisierte Form der Kaufmannsbriefe, die der Fuggerzeitungen. Handgeschriebene Nachrichten aus den damaligen Handelszentren der Welt erreichten vom 16. bis zum 17. Jahrhunderts das Augsburger Handelshaus, das wiederum ausgewählte Berichte und Meldungen von wirtschaftlicher Bedeutung in Abschriften an Geschäftspartner weitergab (vgl. Hömberg 2002, S. 14). Durch diese Form der wirtschaftsjournalistischen Nachrichtenvermittlung kann man die Zeitungen der Fugger am ehesten mit kostenpflichtigen Wirtschaftsinformationsdiensten der Gegenwart vergleichen: Sie vermittelten wirtschaftsrelevante Nachrichten und richteten sich dabei an ein „hochqualifiziertes, sehr zahlungskräftiges und damit sehr kleines, elitäres Publikum“ (Stöber 2005, S. 302). Es war somit noch ein weiter Weg bis zu einem für die breite Öffentlichkeit bestimmten, zugänglichen und verständlichen Wirtschaftsjournalismus.

Von Lettern und Ligaturen

Johannes zum Hof Gutenberg (ehem. Henne Gensfleisch), der in Mainz um 1445 das Druckwesen revolutionierte, eröffnete durch den Bau seiner Druckerpresse mit beweglichen Lettern gleich auf mehreren Ebenen den Weg für die Entwicklung der Massenmedien, wie wir sie heute bezeichnen – und damit auch für den Wirtschaftsjournalismus.

Von Mainz hinaus in die Welt: Die Druckkunst mit der Gutenberg´schen Druckpresse breitete sich im 15. und 16. Jahrhundert in ganz Europa aus. Quelle: Druckwerkstatt Schöffer/Gutenberg Museum Mainz
Von Mainz hinaus in die Welt: Die Druckkunst mit der Gutenberg´schen Druckpresse breitete sich im 15. und 16. Jahrhundert in ganz Europa aus. Quelle: Druckwerkstatt Schöffer/Gutenberg Museum Mainz

Durch die Vervielfältigung standardisierter und thematisch fokussierter Texte konnten Nachrichten plötzlich an ein potenziell unbegrenztes Publikum weitergegeben werden. Die Produktion in höherer Stückzahl machte Gedrucktes erschwinglicher und damit über den Adel hinaus auch für Teile der Bevölkerung zugänglich. Die Lesefähigkeit in der Bevölkerung wuchs ebenso wie auch die Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge in einen Kontext zu setzen – was nicht allein der Druckkunst zu verdanken ist, denn auch die Bewegungen der Renaissance und des Humanismus förderten den gesellschaftlichen Wunsch individueller Unabhängigkeit und Weiterbildung (vgl. Wilke 2000, S. 14). Das Verständnis für die Themen der Brief-Zeitungen und Flugblätter wuchs und damit auch – langsam zwar, aber stetig – das Verständnis für wirtschaftliche Vorgänge.

Der Meister der Druckkunst: Der Mainzer Johannes Gutenberg, (ehem. Henne Gensfleisch), dessen berühmter Name sich vom Hof zum Gutenberg in seiner Geburtsstadt Mainz ableitet.  Quelle: BR alpha
Der Meister der Druckkunst: Der Mainzer Johannes Gutenberg, (ehem. Henne Gensfleisch), dessen berühmter Name sich vom Hof zum Gutenberg in seiner Geburtsstadt Mainz ableitet.
Quelle: BR alpha

Dennoch dauerte es einige Zeit, bis auch die Briefkorrespondenzen von den epochalen Umwälzungen ergriffen wurden: Trotz der sich rasch verbreitenden Gutenberg´schen Druckkunst wurden viele der Nachrichten noch handschriftlich verfasst. Erst etwa ein halbes Jahrhundert nach Gutenbergs Erfindung verschickten Kaufleute, Händler und Nachrichtenschreiber routinemäßig in multiplizierter Form richtige Drucksachen an einen ausgewählten Adressatenkreis. So arbeiteten zu Beginn der Neuzeit „in 350 Städten Europas über tausend Druckoffizinen“, die etwa „dreißigtausend Titel in 20 Millionen Exemplaren“ verbreiten konnten (Wilke 2000, S. 16).

Informationen bedeuten Macht

Im weiteren Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts intensivierten sich die Handelsbeziehungen zwischen den zentralistisch geführten Territorialstaaten wie Frankreich und England und dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Durch die Verbreitung von Handelsnachrichten über angehängte Zettel und Zeytungen wuchs – zunächst noch immer beschränkt auf einen elitären, meist nicht öffentlichen Kreis – das Wissen über die fremden Märkte und die Handelsbeziehungen der Nachbarn.

Damit stiegen das Interesse und die Neugier an den Geschäften anderer Betriebe. Der Handel verdichtete sich weiter, neue, exotischere Güter kamen durch den Atlantikhandel auf den europäischen Markt – nicht zuletzt infolge der Entdeckung der „westindischen“ Inseln im Jahr 1492 und der sich anschließenden Inbesitznahme. Das Bedürfnis nach regelmäßigerem Informationsaustausch wurde größer und auch notwendiger, um wirtschaftlichen Einfluss zu erringen und aufrechtzuerhalten.

Alte Handels- und Verkehrsrouten, teilweise noch aus der Römerzeit, wurden reaktiviert und die schriftliche Niederlegung von Wirtschaftsbeziehungen zwischen Kaufleuten, Fürstentümern, Händlern oder Geldgebern nahm zu, weil diese Verschriftlichung für den florierenden Handel unerlässlich war (vgl. Stöber 2005, S. 16). An den wachsenden Handelsplätzen, meist Kirchen- und Marktplätze oder Häfen, liefen die Informationswege zusammen und auf meist einseitigen, zum Teil gedruckten, zum Teil noch handschriftlichen Flugblättern1 wurden Wirtschaftsnachrichten und Politisches in der Bevölkerung verbreitet.

Titelblatt der ersten deutschen Zeitung aus dem Jahr 1609: Aviso – Relation oder Zeitung aus Wolfenbüttel.  Quelle: Julius Adolph von Söhne – Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=8584972

Titelblatt der ersten deutschen Zeitung aus dem Jahr 1609: Aviso – Relation oder Zeitung aus Wolfenbüttel.
Quelle: Julius Adolph von Söhne – Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek

Diese Korrespondenzen und Flugblätter ließen erstmals Prognosen zu, etwa über Marktentwicklungen, weil sie als schriftliche Geschäftsverbindungen zwischen den Gemeinden und Städten vermittelten und in einer bis dato nie dagewesenen Aktualität über wirtschaftliche Zusammenhänge berichteten.

Der „Donnerstein von Ensishein“: Das älteste bekannte illustrierte Flugblatt von Sebastian Brants aus dem Jahr 1493, das bildlich über einen Meteoriteneinschlag berichtete und dieses Naturereignis mit einer politischen Interpretation versah.  Quelle: Illustration in Schedel, Hartmann / Wolgemut, Michael / Pleydenwurff, Wilhelm: Liber chronicarum, Nürnberg

Der „Donnerstein von Ensishein“: Das älteste bekannte illustrierte Flugblatt von Sebastian Brants aus dem Jahr 1493, das bildlich über einen Meteoriteneinschlag berichtete und dieses Naturereignis mit einer politischen Interpretation versah. Quelle: Illustration in Schedel, Hartmann/Wolgemut, Michael/Pleydenwurff, Wilhelm: Liber chronicarum, Nürnberg

Die Etablierung europäischer Wirtschaftsnachrichten   

Die Korrespondenzen und Flugblätter trugen ebenso zu einem sich langsam entwickelnden Begriffskonsens bei, der im Verlauf der Jahre zu einer europaweiten Assimilation von Abläufen, Bezeichnungen, Kategorien, Konzepten, Geschäftsmodellen oder Kreditgeschäften führte. Als bestes Beispiel dient hier das Bankwesen, dessen Ursprünge im ausgehenden Hochmittelalter (etwa 13. Jh.) in Italien liegen.

Im 15. Jahrhundert besaßen die Florentiner innerhalb Italiens bereits 33 banchi grossi, Großbanken, die Geldgeschäfte aller Art regelten. Aber auch in Frankreich und Spanien oder in Städten wie Brügge oder London gab es Banken- und Finanzplätze, die durch regelmäßige Geldmärkte kurzfristige Kredite gewähren konnten. Das sogenannte conto corrente, welches Handelsleute eröffnen konnten, ermöglichte erstmals Einlagen, die durch mündliche Zahlungsanweisungen von Konto zu Konto auch überregional überwiesen werden konnten und damit Bankiers die Möglichkeit eröffneten, Kaufleuten oder Fürstentümern Darlehen oder Überziehungskredite zu gewähren (vgl. Gilomen 2014). Bis heute hat sich der Begriff Konto oder Kontokorrent, der sich durch die frühen italienischen Bankfilialen in Europa ausbreitete, gehalten.

Flugblatt_FragandenMünzer

„Wo ist das Deutsche Vermögen hin?“ Flugblatt von 1530 mit dem Titel: Ein Frag an eynen Müntzer. Quelle: German History Documents

 

Fazit und Ausblick

Nach Jahrhunderten des handschriftlichen Nachrichtenverkehrs bahnten sich die noch jungen Massenmedien ihren Weg im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts: Beflügelt und revolutioniert wurden sie durch die neuen Möglichkeiten der Druckkunst, verbreitet und von einem wachsenden Publikum rezipiert durch die zunehmende Lesefähigkeit der Bevölkerung. Strukturiert und institutionalisiert wurden die frühen Massenmedien durch organisierte Netze und Verlagshäuser, deren wirtschaftliche Kraft sich auch aus dem Anstieg der weltweiten Handelsbeziehungen speiste. Dies sollten aber nur die Vorboten sein für die zukunftsweisenden Entwicklungen der kommenden Jahrhunderte.

Wie sich der Wirtschaftsjournalismus vom 17. bis zum 21. Jahrhundert entwickelt hat, erfahren Sie hier.

Literatur:

Gilomen, H. (2014): Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters, München.

Hömberg, W. (2002): Vom Fugger-Brief zur Börsen-Website. Die Geschichte des Wirtschaftsjournalismus. In: Goderbauer-Marchner, G. / Blümlein, C. (Hrsg.): Berufsziel Medienbranche: Wirtschaftsjournalismus. Nürnberg.

Stöber, R. (2005): Deutsche Pressegeschichte. 2. Aufl., Konstanz.

Wilke, J. (2000): Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien/Böhlau

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fabienne MakhoulDie Autorin Anna Fabienne Makhoul ist Dozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Nach ihrem Studium von Publizistik, Jura und Anglistik und nach Stationen unter anderen im ZDF und im SWR arbeitet sie zurzeit neben ihrer Dissertation über deutsche Modejournalisten als freie Journalistin und Autorin im Rhein-Main-Gebiet sowie als Lektorin bei einer großen Lokalzeitung.
Kontakt: anmakhou@uni-mainz.de.

  1. In Italien wurden sie avvisi genannt, und waren somit Namensgeber für den in Wolfenbüttel erscheinenden Aviso, ein Wochenblatt, das Anfang des 17. Jahrhunderts in gedruckter Form als erste deutsche Zeitung oder Relation Wirtschaftsinformationen verkaufte (vgl. Hömberg 2002, S. 13).

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