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Was macht eine VR-Reporterin, Frau Wolfangel?

Artikel in den wichtigen Publikums- und Fachzeitschriften, Auftritte im Fernsehen und Beiträge im Radio, ein Fellowship beim Technologie-Olymp MIT in Boston, Deutscher Reporterpreis, Einladungen zu Kongressen und Konferenzen für Reden und Diskussionsrunden – es läuft rund für die Fachjournalistin Eva Wolfangel. Häufig gefragt und hoch geschätzt wird sie vor allem, weil sie komplexe Themen wie Cyberkriminalität und künstliche Intelligenz (KI) in lebendige Reportagen verpackt und so Menschen erreicht, die ansonsten wenig technologieaffin sind. Im Interview beschreibt sie ihre Arbeitsweise, ihr journalistisches Selbstverständnis und wie sie zur „VR-Reporterin“ geworden ist.

Sie sind gerade omnipräsent – in den wichtigen Publikums- und Fachtiteln, im TV und im Hörfunk, als Preisträgerin und als Speakerin auf großen Kongressen. Man kann sagen, dass Sie die Marke „Eva Wolfangel“ erfolgreich etabliert haben. Wie haben Sie das geschafft?

Ich habe die Bezeichnung „Marke“ für meine Arbeit erst gehört, als ich – nach Ansicht anderer – schon eine war. Das hatte ich aber nie geplant, im Sinne von: „Wie gehe ich strategisch vor?“ Und das so zu planen halte ich auch nicht für sinnvoll.

Wenn mich junge Kolleg:innen fragen, wie man sich als Marke aufbaut, sage ich ihnen vor allem, dass es wichtig ist, nicht als Erstes die Markenfrage zu stellen, sondern sich mit Themen zu beschäftigen, die einen wirklich interessieren, und eine Arbeitsweise zu etablieren, die einem entspricht.

Wichtig ist, authentisch zu sein. Dabei können Karriere- oder Unternehmensberater:innen nur bedingt helfen.

Welche Themen interessieren Sie und welche Arbeitsweise haben Sie entwickelt? Und was treibt Sie an?

Mein Antrieb ist, komplexe Themen zu Menschen zu bringen, die vielleicht erst einmal sagen: „Davon verstehe ich nichts.“

Gute Beispiele sind meine aktuellen Schwerpunkte Cyberkriminalität und KI. ChatGPT ist gerade ein riesiger Hype und alle schreiben darüber. Mir aber ist es wichtig, dass die Menschen das Thema auch wirklich verstehen, um dann entscheiden zu können, was unsere Gesellschaft damit tun soll – oder eben nicht tun soll. Wer sich vor Cyberangriffen schützen will, muss wissen, wie sie funktionieren. Es ist meine Mission, den Leuten dabei zu helfen.

Dabei ist es aber wenig sinnvoll, den Leser:innen zu sagen: „Das Thema ist wichtig! Deshalb müsst ihr das Stück lesen!“ Um gelesen zu werden, muss ein Stück vor allem interessant und unterhaltsam geschrieben sein. Deshalb verbinde ich Fach- und Technikjournalismus mit dem Genre Reportage, um diese Themen lebendig werden zu lassen.

Wie kamen Sie dazu, Reportagen mit Fachjournalismus zu verbinden?

Ich liebe es, Reportagen zu schreiben und Menschen schreibend zu begleiten. Das habe ich bereits getan, bevor ich zum Wissenschaftsjournalismus gekommen bin. Früher, bei der Esslinger Zeitung, hatte ich als angestellte Tageszeitungsredakteurin allerdings zu wenig Zeit, Platz und Mittel dafür. Deshalb habe ich mich selbstständig gemacht.

Seither erlebe ich immer wieder, dass Reportagen über technische Themen sehr erfolgreich sein können. Und ich finde es immer wieder toll, wenn sich Leser:innen bei mir melden und sagen: „An dieses Thema hätte ich mich als Leser:in nie rangetraut, aber dank Ihres Artikels habe ich es jetzt verstanden.“

Wie weit kann man als Fachjournalistin Zugeständnisse an die Lesbarkeit machen, ohne dass der unter Umständen komplexe Inhalt darunter leidet?

Natürlich muss man als Autorin aufpassen, dass man bei der Verbindung aus Reportage und Wissenschaftsthemen keine unpassenden Vergleiche oder Verkürzungen nutzt.

So habe ich einmal für Die Welt ein Stück über Quantenkryptografie geschrieben, das die Redaktion dann anschließend – ohne Absprache mit mir – verändert hat. Im Text tauchten plötzlich verliebte Quanten auf, was natürlich völlig unsinnig ist. Danach befürchtete ich, dass kein seriöser Quantenphysiker mehr mit mir sprechen würde. Beim Medizinjournalismus dagegen besteht die Gefahr, Menschen, die man zu Protagonisten einer Reportage macht, auf ihr Schicksal zu reduzieren – dabei sollte man sie als Menschen respektieren.

Zum Thema Quantenphysik habe ich dann übrigens während meines Fellowships am MIT (Massachusetts Institute of Technology) 2019/2020 im Harvard Visualization Lab mit einem Quantenphysiker eine interaktive Virtual-Reality- (VR-)Welt gebaut. Das ist ein dreidimensionaler Raum, in dem ich als Wissenschaftsjournalistin Physiker interviewen kann, während das Publikum live dabei ist, aber auch mit den Quanten hantieren und die Welt der Quantenphysik selbst erfahren kann. Das hat sehr gut funktioniert.

Gerade beklagen sich Sicherheitsexpert:innen darüber, dass jetzt – im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine – viele Journalist:innen ohne entsprechende Expertise über Wehrtechnik und Militärstrategie schreiben. So entstünden in der Öffentlichkeit ganz falsche Bilder und Überzeugungen. Sehen Sie diese Gefahr auch bei Ihren Fachthemen?

Diese Gefahr besteht natürlich. Deshalb ist es wichtig, dass man als Autorin nicht nur Expertise im narrativen Schreiben, sondern auch im jeweiligen Fachgebiet hat, über das man schreibt.

Seit ChatGPT schreibt die ganze Welt über KI. Vielen Kolleg:innen fehlt dazu aber Hintergrundwissen, sodass viele Artikel inhaltliche Fehler aufweisen. Das halte ich für gefährlich, weil uns die Öffentlichkeit – im besten Fall – für kompetent hält und sich an unseren Beiträgen orientiert.

Sie beschäftigen sich auch intensiv mit der formalen Darstellung und Präsentation von fachjournalistischen Stücken. Welche Darstellungsformen funktionieren für Sie besser: Lange reine Textstücke oder Texte, die stark mit Multimedia – Video, Animation, Audio – angereichert sind? Vielleicht sogar VR-Experiences?

Das ist schwer zu beantworten. Ich habe mich im Rahmen der Masterclass Wissenschaftsjournalismus intensiv mit solchen Formatfragen beschäftigt. Eine gute multimediale Aufbereitung von Texten mit eingestreuten Videos und Animationen ist nicht einfach, auch weil man nicht weiß, wo und wie sie letztlich konsumiert werden.

Ich plädiere mittlerweile entweder für echte Reportagen, reine Textstrecken also, bei denen die Bilder im Kopf der Leser:innen entstehen, oder für echte immersive VR-Erfahrungen, bei denen sich die User:innen ganz in diese Welten begeben. Letztere sind aber, besonders für freie Journalist:innen, natürlich unglaublich aufwendig und zeitintensiv zu produzieren und werden deshalb selten realisiert.

Sie haben bei RiffReporter das Format VR-Reporterin entwickelt. Wer ist die VR-Reporterin? Wie arbeitet die?

Die VR-Reporterin ist quasi die Korrespondentin aus virtuellen Welten. Ich kam auf die Idee, die virtuelle Realität als eine Art Berichtsgebiet zu definieren, als ich mich 2015 – als noch niemand vom Metaversum gesprochen hat – länger in virtuellen sozialen Welten aufgehalten habe.

Diese virtuellen Räume bergen ein unglaubliches Potenzial, um Menschen zusammenzuführen. Deshalb wollte ich mehr darüber schreiben. Ich habe dann eine große Reportage über Menschen aus ganz verschiedenen Ländern gemacht, die ich in der Social-VR-App AltSpace VR kennengelernt hatte. Und eine weitere Reportage, für die ich diese virtuellen Bekanntschaften in ihrem realen Leben besucht habe, um zu zeigen, dass diese Freundschaften aus der virtuellen Welt echt und real sind. Diese wurde dann sogar mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.

Wo sehen Sie die Verlage und die Journalist:innen beim eigenen produktiven Einsatz von VR als Technologie zur Berichterstattung?

Medienhäuser sind oft noch sehr unkreativ darin, neue Technologien selbst sinnvoll einzusetzen. Meistens werden die Dinge weitergemacht, die man immer gemacht hat, nur  halt in VR. Also etwa 360-Grad-Filme, die nur ganz kurz spannend waren, als sie neu waren. Doch dann merkt man als Zuschauer:in, dass das Geschehen eben doch nur in einer Blickrichtung interessant ist, und man schwebt wie ein Geist über der Szene. Ein anderes Beispiel sind Talkshows in VR, die aber die Vorteile dieser Technologie kein bisschen ausnutzen, sondern dem Publikum wieder nur etwas von der Bühne herunter erzählen.

VR im Journalismus kann nur gut werden, wenn wir unsere Formate loslassen und erst einmal überlegen, was die Vorteile der Technologie sind und was wir damit machen könnten.

Zusammen mit dem SWR arbeite ich gerade am Prototypen eines VR-Spiels zum Klimawandel. Das wäre ohne den vorangegangenen kreativen Prozess mit gänzlich offenem Ausgang – einer Zielgruppenbefragung und einem iterativen Vorgehen mit Menschen verschiedener Disziplinen – nie gut geworden. Wenn man solche Entwicklungen nicht systematisch und sinnvoll angeht, bleiben neue Technologien nur ein kurzfristiger Hype.

Bei der New York Times habe ich Kolleg:innen der vermutlich größten eigenständigen Extended-Reality- (XR-)Redaktion besucht. Die wurde inzwischen massiv zusammengekürzt. Aus meiner Sicht war ein Grund dafür, dass sie zu wenig mutig waren. Wenn sich Augmented-Reality-Journalismus in die App einer Zeitung einfügen muss, kann das keine neuen spannenden Formate geben.

Mit ihren Reportagen, zum Beispiel zur Cyberkriminalität, verlassen Sie manchmal auch die Komfortzone Fachjournalismus und rücken Kriminellen investigativ auf den Leib. Gab es da bereits Reaktionen oder Drohungen bestimmter Kreise?

Bisher gab es keine solchen Reaktionen, doch davor habe ich durchaus Respekt und halte das auch nicht für eine unbegründete Sorge.

Ich versuche deshalb, meine Daten – vor allem meine Privatadresse – zu schützen, soweit das machbar ist. Wo immer möglich, gebe ich meine Büroadresse an – auch wenn ich dafür manchmal behaupten muss, dass ich dort wohne. Manche halten das für übertrieben, aber ich habe so viele Leaks privater Daten im Darknet gesehen, dass ich weder Unternehmen noch Behörden zutraue, meine Daten sicher verwahren zu können.

Sie sind nicht nur im virtuellen Raum, sondern auch in der realen Welt global unterwegs. Wie finanzieren Sie ihre aufwendigen Rechercheprojekte, vor allem die vielen Reisen und Auslandsaufenthalte?

Meistens habe ich zumindest einen konkreten Auftrag in der Tasche. Zudem bin ich mittlerweile Expertin für günstige Reisen, inklusive AirBnB. Redaktionen überschätzen oft solche Kosten – oder vielleicht sind wir Freien da auch einfach flexibler, als man das in den Verlagshäusern gewohnt ist (lacht).

Das klappt in der Praxis meistens ganz gut und lohnt sich in der Regel über die Mehrfachverwertungen. Daraus entstehenden auch Vorträge oder Radiobeiträge.

Generell sollte man als Freie:r nicht zu eng denken beim Thema Geld und öfter „einfach mal machen“ – wenn irgend möglich. Meistens macht es sich hinterher dann doch bezahlt.

Das Interview führte Gunter Becker.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

 

© Helena Ebel

Die Fachjournalistin Eva Wolfangel schreibt u.a. für die ZEIT, Geo, Spiegel, Brand eins, Technology Review und Spektrum der Wissenschaft. Bekannt wurde sie mit ihrer Mischung aus Reportage- und Fachjournalismus. Ihre Themen findet sie in den Bereichen  Technik, Wissenschaft, Künstliche Intelligenz, Informatik und Digitalisierung. Ausgezeichnet wurde sie u.a. mit dem European Science Writer of the Year Award und dem Deutschen Reporter:innenpreis für die beste Wissenschaftsreportage. Sie ist auch als Moderatorin und Speakerin tätig und lebt in Stuttgart.

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