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Weiblicher Auslandsjournalismus weltweit: Berichterstattung aus dem Libanon

Wirtschaftskrise, Proteste und eine verheerende Explosion: Die Auslandskorrespondentin Julia Neumann hat im Libanon einiges durchlebt und darüber berichtet. Im Fachjournalist beschreibt sie, wie sie als Frau an die Themen herangeht – und wie sie die Berichterstattung aus Westasien konfliktsensitiv gestaltet.

In Downtown Beirut, unweit des Jachthafens und der Shopping-Straße auch mit Läden von Edelmarken wie Gucci, rauchen Menschen auf Plastikstühlen Wasserpfeife, spielen Fußball, musizieren. Es ist eine ausgeprägte Proteststimmung im Oktober 2019. An schicken Häuserwänden stehen Tags, die zur Revolution gegen die herrschende politische Klasse und ihre Korruption aufrufen. Rund um die Märtyrerstatue in der Innenstadt schlafen Aktivist*innen auf Schaumstoffmatratzen in Zelten. Auch mein Protagonist, der seit Wochen in einem Schlafsack übernachtet. Ich beobachte ihn beim Yoga und rede mit ihm, um ein journalistisches Porträt anzufertigen. Als ich ihn zwischen den Zelten fotografiere, beugt er sich zu mir und versucht, mich zu küssen. Ich drücke ihn perplex weg und erkläre: Ich bin nur aus Arbeitsgründen an ihm interessiert.

Wenn ich daran denke, ob es einen Unterschied macht, als Frau oder als Mann zu berichten, fällt mir diese Szene ein. Hätte eine Protagonistin einen Korrespondenten während einer klaren Arbeitssituation auch so forsch küssen wollen? Ich glaube kaum. Sexuelle Belästigung ist ein großes Problem, nicht nur als Journalistin und in den Ländern, in denen ich arbeite, sondern als Frau und global.

Tatsächlich erfahre ich im Libanon, aber auch in Jordanien oder in den Emiraten kaum Diskriminierung als Reporterin. Im Gegenteil: Ich kann unverblümt mit aus Syrien geflüchteten Frauen in einem Zelt sitzen und zuhören, wie sie über Genitalhygiene oder die Periode reden. Auch im Iran habe ich viele Frauen zu ihrer politischen Meinung bei den Wahlen befragen können. Als Reporterin habe ich einen direkten Zugang, vor allem zu Frauen in ländlichen Gegenden. Wenn ein Reporter mit einer Frau in einem privaten Raum sprechen möchte, muss bei konservativen Familien oft ein Mann anwesend sein – der dann auch gerne mal das Wort übernimmt.

Dass Männer lieber mit den Medien reden als Frauen, habe ich nicht nur im Ausland erlebt: Als ich in Deutschland eine Reportage zu interkultureller Musik machte und gezielt Frauen für eine Umfrage ansprach, meldeten sich die dabeistehenden Männer eher freiwillig, um ins Mikro zu sprechen – eine Frau verwies direkt auf ihren Mann, der könne das besser.

Viele Einladungen auf einen schwarzen Kaffee

Oftmals werde ich gefragt, ob ich mich in arabischsprachigen Ländern sicher fühle. Aber dass dort ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für Frauen besteht, ist leider ein noch immer verbreitetes Vorurteil. Ich fahre im Libanon auch nachts in informellen Minibussen und wurde dort nie belästigt. Obwohl die Türen meiner alten libanesischen Wohnung alles andere als einbruchssicher sind und ich auf der Straße lieber auf spannende Gebäude statt auf meine Tasche achte, wurde mir nie etwas gestohlen.

Unsicherheit ist ein Gefühl, genährt von Vorurteilen und der Angst vor dem „Fremden“. Meine Zeit als Korrespondentin verbringe ich bei Interviews in hippen Cafés oder damit, in Privathäusern schwarzen Kaffee zu trinken. Mir stehen viele Türen offen und ich werde sehr herzlich empfangen – manchmal sogar an Orten, an denen ich es nicht erwarte.

Wie am Hafen, an dem am 4. August 2020 falsch gelagertes Ammoniumnitrat explodierte. Seitdem gilt der Krater neben einem zerrissenen Weizensilo als Tatort. Das Militär bewacht die Zufahrt zu dem Gelände. Als ich mich einer deutschen Delegation anschloss, fuhren die schwarzen SUVs direkt vom Flughafen kommend vor mir durch die Kontrolle, ich fuhr mit meinem Fahrrad hinterher. Leider hatte der Presse-Organisator meine Akkreditierung und saß im Auto, das gerade durch das offene Metallgitter gefahren war. Ich setzte meinen Helm ab und erklärte den Militärs, dass ich Teil der Delegation war. Nach ein bisschen Geplauder bot ich an, meinen internationalen Presseausweis zu zeigen. Das war nicht nötig, sie ließen mich passieren. Warum haben sie nicht den Pressesprecher der Botschaft angerufen? Oder ihren Chef nach meinen Unterlagen gefragt? Es hat wohl für Erheiterung gesorgt, dass ich auf dem Fahrrad statt im klimatisierten Auto kam und für Verwunderung, dass ich Arabisch sprach. Manchmal komme ich als Frau vielleicht sogar harmlos herüber. Und es war natürlich auch der Delegation zu verdanken, angeführt von der Botschaft.

Tatsächlich ermöglicht nämlich ein anderer Faktor als mein Frausein, dass ich kaum auf Hindernisse oder Widerwillen von Gesprächspartner*innen stoße: mein Weißsein. Als ich über den Einsatz von Entwicklungsgeldern bei einem Wasserprojekt und einen dubiosen Dammbau recherchierte, wollte ich mit dem Wasserministerium sprechen. Wochenlang erreichte ich nichts, weder per Mail noch per Telefon. Weil die Deadline nahte, stapfte ich an einem Vormittag kurzerhand ins Ministerium. Eine Bekannte zeigte mir, wo der Zuständige für das Thema saß, und ich klopfte ohne Termin an. Sofort bekam ich ein Interview; der Berater wollte nicht einmal meinen Journalistinnenausweis sehen. Ich bin mir sicher, dass er eine Schwarze Kollegin sofort hinauskomplimentiert hätte.

Bei der Arbeit: Die Korrespondentin Julia Neumann interviewt den Koordinator einer Kampagne (Roland Nassour) zur Verhinderung eines Damm-Projektes am Fluss Bisri. Aufgenommen am Sonntag, 6. September 2020 im Bisri Tal, Libanon. Bild: Maria Klenner.

Vor der eigenen Haustür kehren

Als großes Problem sehe ich die sehr männliche, weiße Sichtweise auf den Journalismus in meiner Heimat. Oftmals wird das falsch zitierte Friedrichs-Zitat zum Nicht-Gemein-Machen mit einer guten Sache herausgekramt. Für Frauenrechte einzustehen sei ja prinzipiell gut, aber Journalismus sei kein Aktivismus, erzählte mir einmal ein Journalist in leitender Funktion. Für mich übergeht die Forderung nach einem neutralen, objektiven Blick, dass kein Mensch jemals objektiv sein kann. Dass ich als Frau durch die Welt gehe, bedeutet, dass mein Nein manchmal übergangen wird oder dass ich im Schnitt weniger verdiene als meine Kollegen. Es bedeutet, dass ich sexualisiert werde oder zwei Mal überlege, ob ich mich mit älteren Kollegen auf ein Feierabendbier treffe.

Während Kollegen im Alter von 20 bis 30 Jahren als Nachwuchstalente gefeiert werden, müssen wir Frauen uns oft „noch beweisen“. So wurde mir beispielsweise gesagt: „Du hast ja noch Zeit“. Für den Job bei einer Nachrichtenagentur war der Ablehnungsgrund „zu jung“. Wenn wir die Zeit, in der wir potenziell Kinder bekommen könnten, überschritten haben, gelten wir als zu alt, als Korrespondentin im Ausland auch nicht mehr so belastbar. Oft frage ich mich, wann eigentlich das „richtige“ Alter für Frauen ist, um karrieretechnisch durchstarten zu dürfen.

Feminismus ist nicht Aktivismus, sondern prägende Erfahrungen

Der Feminismus ist daher wie eine Brille, durch die ich die Welt sehe und analysiere. Ich kann die Erfahrungen als Frau in einer patriarchalen Welt nicht ablegen. Daher nutze ich sie, um andere Diskriminierungserfahrungen zu verstehen und Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Das hilft mir, anders an meine Texte heranzugehen: Für Texte über die Strom- und Gasversorgung im Libanon habe ich mit Energiewissenschaftlerinnen gesprochen. In Reportagen über Proteste im Libanon habe ich viele LGBTQI+ zitiert und in einem Radiostück spricht eine non-binäre Person über Graffiti in Jordanien. Nicht immer müssen Menschen mit einer bestimmten Identität auch über genau diese Erfahrungen sprechen. Das gehört für mich zu einem diversen Journalismus dazu.

Wir können aber auch nicht leugnen, dass wir alle gewisse Erfahrungen gemacht haben, die uns prägen. Wir haben unterbewusst Leitsätze im Kopf, nach denen wir handeln. Menschen sind weitgehend blind gegenüber ihren eigenen Vorurteilen. Gerade Journalist*innen sind fix darin, zu denken, sie seien Fachleute auf einem Gebiet. Viele verdienen ihr Geld damit, sich als „Nahost“- Expert*innen zu vermarkten. Es ist für mich sinnvoller, mit den eigenen Denkmustern und Leitsätzen offen umzugehen – und sie kritisch zu hinterfragen. Das fängt schon bei dem „Nahen Osten“ an: Aus welcher Perspektive ist es denn der Osten? Und aus wessen Perspektive ist er nah?

Doch an Selbstkritik ist in der vielmals toxisch-vermännlichten Szene der Krisenreporterschaft oft nicht zu denken. Sie gehen als weiße Journalist*innen in ein Gebiet, das sie vorher nicht kannten und dessen Sprache sie nicht sprachen, um sich als Krisenreporter*innen einen Namen zu machen. So sind auch bei Ausbruch des Kriegs in der Ukraine viele Journalist*innen aus Beirut in die Ukraine gereist, um von dort zu berichten. Reportagen aus und über den Libanon zeigen Drogengeschäfte oder Kämpfer und weiße Journalisten, die für ein paar Tage in das Land reisen, um zu verstehen, wie es sich ohne Strom in Armut lebt. Kriege, Krisen, Katastrophen – das reicht als Selling-Point.

Negativitäts-Bias im Auslandsjournalismus

Negative Erfahrungen prägen uns nachhaltiger als positive – und davon zehrt der Auslandsjournalismus, besonders im arabischen Sprachraum. Terror ist dabei ein besonders oft verwendetes Wort – das wiederum auch Autokraten nutzen, um dafür zu werben, wie sehr sie gegen den Terror kämpfen, um Gelder aus Europa zu bekommen. Historische Dokumentationen aus dem Libanon, aus Irak oder Afghanistan betonen häufig, dass diese Länder früher viel freier waren. Diese Freiheit wird gerne mit leicht bekleideten Frauen am Strand untermalt – als ob sexualisierte Frauenkörper ein Indikator für Meinungsfreiheit seien. Wir Journalist*innen müssen aufpassen, welche pauschalisierenden, stereotypen Bilder wir verbreiten.

Das Ergebnis wird mir zu Hause gespiegelt: in Annahmen, mein arabischer Partner könne nicht kochen oder würde mich nach der Hochzeit zwingen, ein Kopftuch zu tragen. Daher wollte ich gerne Korrespondentin werden: Gegen Rassismus anschreiben, meine eurozentristische Sicht auf die Welt hinterfragen.

Fazit: Es braucht mehr Gleichberechtigung an allen Ecken

Mit meinem Pass und meinem Job bin ich wirklich privilegiert: Ich darf kluge Menschen treffen, die manchmal traurige, manchmal schöne, aber immer spannende Geschichten zu erzählen haben. Ich lerne jeden Tag etwas dazu und erweitere meine weiße Perspektive.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es mehr Kooperation mit lokalen Journalist*innen, gemeinsame Projekte, die globale Verknüpfungen und kreative Lösungen für global drängende Fragen aufzeigen. Und in meiner kleinen Utopie könnten Menschen aus dem globalen Süden ganz selbstverständlich und unkompliziert aus und über den globalen Norden berichten. Das wäre sehr bereichernd: Wir würden dabei sicher viel lernen und uns vielleicht sogar leichter einmal selbst kritisieren.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Bild: Julia Neumann

Die Autorin Julia Neumann (30) arbeitet im vierten Jahr als Korrespondentin im Libanon. Sie berichtet unter anderem für die taz und den Deutschlandfunk über Westasien und arabischsprachige Länder. Für die taz hat sie 2021 über den Einsatz von Entwicklungsgeldern im Wasserbereich in Libanon und Jordanien recherchiert. Ihre Lieblingsthemen sind soziale Gerechtigkeit, inklusive Raum- und Stadtplanung sowie Migration. Sie hat Journalistik im Bachelor und Soziologie und Geschichte der WANA-Region (Westasien und Nordafrika) studiert, mit Auslandssemestern in Marokko und Ägypten. In ihre Arbeit fließt ein feministischer, post-kolonialer und konstruktiver Blick ein.

 

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