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Wie funktioniert die digitale Welt?

In dieser Frage steckt Potenzial für den Fachjournalismus

Der Begriff „Digitalisierung“ schlich sich vor rund 20 Jahren in unseren Sprachgebrauch ein. Spätestens mit dem Start von Google in Deutschland im Oktober 2001 wurde auch das Wort „googeln“ salonfähig. Es folgten Diskussionen über den Datenschutz und das Recht deutscher Verleger an den von ihnen veröffentlichten Inhalten. Und es kamen immer mehr soziale Netzwerke auf. Allen voran Facebook – genauso wie Google längst als Datenkrake verschrien und Vorreiter für heutige Phänomene wie TikTok oder Clubhouse.

Heute sind wir mittendrin in der digitalen Transformation und wissen manchmal weitaus weniger über die Vorgänge hinter den Begrifflichkeiten als uns lieb ist. Aufklärung ist gefragt. Die Menschen müssen verstehen, wie die digitale Welt funktioniert. Doch wer liefert die Erklärungen? Wie verständlich informiert der Journalismus und um wie viel mehr kann der Fachjournalismus differenzieren? Die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ hat im vergangenen Jahr nach Antworten gesucht und den Medienpreis für digitale Aufklärung vergeben. Jurymitglied Mike Friedrichsen, Professor an der HdM (Hochschule der Medien) Stuttgart und Gründer der University of Digital Science in Potsdam hat im Gespräch mit Silke Liebig-Braunholz die Souveränität der 142 eingereichten Beiträge eingeordnet.

Herr Friedrichsen, wie viel Aufklärung steckt generell in den journalistischen Beiträgen deutscher Medien zur Digitalisierung unserer Lebensbereiche?

Im Prinzip muss man wohl unterscheiden in Fachmedien, die da schon sehr intensiv und mit Tiefgang aufklären, und den eher klassischen Medien, bei denen die Themen zwar auf der Agenda stehen, aber letztlich doch die eigentliche Aufklärungsarbeit zu kurz kommt.

Aber wir haben gerade bei der Vergabe des Medienpreises bei den meisten eingereichten Beiträgen erkennen können – auch wenn das sicherlich nicht repräsentativ für die gesamte Medienlandschaft ist –, dass es eine steigende Anzahl von journalistischen Beiträgen gibt mit einem Anspruch, zur Aufklärung beizutragen. Letztlich sind aber wohl auch die tagesaktuellen Zwänge in den Medien zu hoch, insofern muss da etwas Geduld aufgebracht werden. Aber Corona hat viele digitale Themen in die Wohnzimmer der Bevölkerung gebracht und auch den Unternehmen im Hinblick auf ihre strategische Ausrichtung und ihre Geschäftsmodelle aufgezeigt, dass wir dringend digitale Kompetenzen benötigen. Dazu gehört eben auch die Erklärung der digitalen und zumeist komplexen Zusammenhänge.

Welche Medien engagieren sich Ihrer Meinung nach in besonderem Maß?

Nimmt man die Einreichungen im Rahmen des Medienpreises als Bewertungsbasis, waren es im Hörfunkbereich vor allem Bayerischer Rundfunk (BR) sowie Westdeutscher Rundfunk (WDR) und, mit viel Engagement, ein kleiner Sender wie Radio Hochstift. Im Printbereich sind dies sicherlich die SZ (Süddeutsche Zeitung) sowie DIE ZEIT.

Gibt es bestimmte Mediengattungen, die sich besonders gut für die Vermittlung dieser Themen eignen, oder können Zeitschriften ein Thema genauso gut vermitteln wie Filme, Radio-Features oder TV-Sendungen?

Es sind natürlich vor allem die neuen Medienformate wie Podcasts, die aufklärerische Arbeit leisten. Auch YouTube zeigt bei den audiovisuellen Aufbereitungen von digitalen Themen, wie erfolgreich Aufklärung funktionieren kann. Dies zieht sich mittlerweile durch alle Mediengattungen hindurch, da gerade diese beiden Formen offensichtlich besonders gut für diese Funktion geeignet sind. Nur: Sehr häufig fehlt es an der journalistischen Fachkenntnis zu den speziellen Digitalthemen.

Inwiefern?

Die Digitalisierung verändert die journalistische Arbeit und die Kriterien für Qualität im Journalismus. Auch die Qualitätsbewertungen der Rezipienten haben sich durch die Digitalisierung der Medienlandschaft verändert. Die Effekte der digitalen Technologien auf den Journalismus müssen auch hier zu Transformationen führen. Und das meine ich damit, dass es eben in der digitalen Welt nicht mehr die eine Mediengattung gibt, sondern die Themen multimedial aufbereitet und in den teilweise neuen Kommunikationskanälen entsprechend veröffentlicht werden müssen.

Also ist das Kompetenzprofil im Kontext der Arbeitsweise der Journalistinnen und Journalisten anzupassen. Auf der anderen Seite sind, gerade im Bereich der Digitalisierung, entsprechend inhaltliche Kompetenzen aufzubauen. Diese Kombination der Kompetenzen wird sich dann auf die Beiträge auswirken und seinen entsprechenden Teil zur dringend notwendigen digitalen Aufklärung beitragen.

Wie souverän und fachlich kompetent klären die journalistischen Beiträge denn bislang auf?

Insgesamt wird aus meiner Sicht noch viel zu wenig digitale Aufklärung via Medien betrieben. Ich halte das in einem Zeitalter von Informationsüberflutung und Fake News für eine originäre Aufgabe des Journalismus. Die Beispiele im WDR mit Sendungen wie „Quarks“ oder bei ZEIT ONLINE zeigen ja, dass es möglich ist.

Es ist letztlich immer ein schmaler Grat, die Themen so aufzubereiten, dass sie eben nicht „oberlehrerhaft“ wirken und die notwendige fachliche Tiefe beinhalten. Diese Souveränität zu finden, wird die erfolgreichen Beiträge zur Aufklärung in der Zukunft ausmachen.

Generell wäre es sicherlich sinnvoll, wenn die Fachmedien mit ihrer Fachkompetenz für eine gewisse Souveränität sorgen würden. Hier sind Kompetenzen zu Fachthemen vorhanden, die dann aber in die neuen Mediengattungen transformiert werden müssen. Es muss Mut vorhanden sein, auch neue Wege zu beschreiten, auch bei der Produktion mit neuen medialen Optionen.

Werden bislang bereits alle Prozesse der digitalen Transformation ausreichend beleuchtet oder gibt es Themen, die auf der Strecke bleiben?

Es wäre sicherlich zu eingeschränkt, nur den eigentlichen Transformationsprozess zu betrachten. Es sind ja sehr viele Themenbereiche, die entweder die bestehenden Prozesse betreffen oder eben vollständig neue Geschäftsbereiche und -modelle ansprechen – oder auch die gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalität bzw. die Ausgestaltung des zukünftigen Lebens in einer virtualisierten Welt, wo das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine eine gewichtige Rolle spielt. Gerade Letzteres ist sicherlich noch deutlich zu wenig beachtet worden und muss verstärkt in den Mittelpunkt gebracht werden.

Sie konnten als Jurymitglied des Medienpreises für digitale Aufklärung alle 142 eingereichten Beiträge beurteilen. Welche Beiträge und Preisträger haben Sie besonders beeindruckt und warum?

Es waren insgesamt überzeugende Beiträge und es war erkennbar, dass in der Medienlandschaft viel Potenzial steckt, um die journalistische Leistung zur digitalen Aufklärung auch zu erbringen.

Von Capital hätte ich einen hervorragenden Beitrag zum Thema „Quantenvorsprung“ mit sehr präzisen Bewertungen auch aus Technologieperspektive nicht erwartet, das hat mich schon beeindruckt. Ich durfte für den Sonderpreis Kinder- und Jugendformat den Beitrag „Wie kommt das Wissen ins Internet“ von Deutschlandfunk Kultur auszeichnen. Das ist schon nahe dran an dem, wie ich mir digitale Aufklärung in den Medien vorstelle. Klar in der Argumentation, gutes Storytelling und dann auch noch die nicht oberlehrerhafte Erklär-Funktion. Stark natürlich der Podcast „Der Mann in Merkels Rechner“ von Bayern2. Hier ist auch die Stärke des Audiomediums spürbar, zumal es in der Regel keine Restriktionen in der Länge der Beiträge gibt.

Wie schon sichtbar, waren die öffentlich-rechtlichen Audiomedien deutlich stärker vertreten in der engeren Auswahl. Hier kann sicherlich im privaten Rundfunkbereich noch mehr getan werden in Sachen digitaler Aufklärung.

Wird es auch in diesem Jahr einen Medienpreis geben?

Ja. Der Erfolg des Jahres 2021 hat alle Beteiligten dazu motiviert, auch im Jahr 2022 eine Preisverleihung zu gewährleisten. Wir haben gerade zur Einsendung neuer Beiträge aufgerufen.

Welche Empfehlungen können Sie den Journalisten sowie insbesondere den Fachjournalisten mit einer besonders hohen Kompetenz im Bereich der Digitalisierung geben? Wie sollten sie ihre Themen anpacken?

Sie sollten den Mut haben, mit ihrer Kompetenz die neuen Medienformate zu bespielen und auch über die Zielgruppen einmal nachzudenken. Wir erleben gerade eine massive demografische Veränderung und gerade für die jüngeren Zielgruppen sind nachhaltige, professionell recherchierte und gut aufbereitete Beiträge von hohem Nutzen.

Und: Sie sollten keine Angst vor dieser mit der Digitalisierung groß gewordenen Generation haben. Auch deren Angehörige haben noch erhebliche Mängel in der digitalen Kompetenz. Ich sehe hier gerade für die Fachjournalisten einen attraktiven Markt für ihre Inhalte.

Welche journalistische Darstellungsform hat Sie in den Beiträgen besonders überzeugt?

Beeindruckend fand ich, dass es durchaus möglich ist, auch in „klassischen“ Zeitungsberichten einen Beitrag zur digitalen Aufklärung zu liefern – allerdings immer unter der Bedingung, dass genügend Raum zur Verfügung steht. Letztlich ist sicherlich die multimediale Verknüpfung von Print, audiovisuellen und Audio-Formaten eine verstärkende Wirkungsvariante. Hier geht es dann um die optimale Mischung, um die relevanten Zielgruppen tatsächlich zu erreichen.

Bei der Durchsicht der eingereichten Beiträge hat sich gezeigt, dass Audio-Produktionen, hierbei besonders Podcasts, ein sehr geeignetes Mittel sind, um digitale Zusammenhänge in der Komplexität darzustellen. Aber auch einige Printbeiträge konnten – bei entsprechender Länge – absolut überzeugen.

Es wird sich dann zeigen, was die nun auch aufgenommene Kategorie „Bewegbild“ für innovative Ideen hervorbringt. Es ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass die audiovisuelle Option zur Erläuterung der Digitalisierung, etwa durch Trickanimationen, eine besondere Stärke aufweist.

Wie sieht Ihr „exzellenter journalistischer Beitrag“ aus, der die digitale Aufklärung voranbringt?

Es gehören drei Aspekte dazu:

  1. Journalistische Qualität. Der Beitrag muss zunächst journalistisch sehr gut sein. Dazu zählen die tiefgehende Recherche entsprechend dem Genre und die handwerkliche Umsetzung, bezogen auf die Schreibweise, Verständlichkeit oder, bei Audiobeiträgen, die Einsprache des Beitrags.
  2. Fachliche Expertise. Die Eigenschaften der digitalen Technologien sollten in ihrer Beschreibung dem aktuellen Stand entsprechen. Wichtig ist vor allem, dass Zukunftsprognosen fachlich nachvollziehbar und realistisch sein sollten. Hier gibt es nun wirklich genug „Zukunftsforscher“, die methodisch unsauber arbeiten.
  3. Thema treffen. Der Beitrag sollte konsequent einen Gegenstand der digitalen Transformation unserer Gesellschaft ansprechen. Dazu zählen insbesondere digitale Wandlungen, die unsere Gesellschaft in der Breite betreffen. Es geht letztlich um Aufklärung.

Das Gespräch führte Silke Liebig-Braunholz. 

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Der Medienpreis für digitale Aufklärung:

Die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ in Partnerschaft mit dem Hasso-Plattner-Institut, dem Burda Verlag, dem Business Council for Democracy (BC4D) – eine Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und des Institute for Strategic Dialogue Germany – und der Digital Science Foundation schreibt wieder einen Preis zur Förderung der digitalen Aufklärung durch Journalistinnen und Journalisten aus, um sehr gut recherchiertes und eindrucksvoll präsentiertes Wissen zur Digitalisierung auszuzeichnen. Neben den bereits im letzten Jahr bewährten Kategorien geschriebenes Wort (Text/Online), gesprochenes Wort (Radio/Podcast) sowie Sonderpreis Kinder- und Jugend-Format kommt 2022 noch der Sonderpreis Bewegtbild über Desinformation (TV/Online) hinzu. Bewerbungsschluss ist der 15.07.2022. Das Gesamtpreisgeld beträgt insgesamt 18.000 Euro.

 

Prof. Dr. Mike Friedrichsen ist seit mehr als 20 Jahren Full-Professor an diversen staatlichen Hochschulen. Derzeit ist er Professor für Wirtschaftsinformatik und digitale Medien (Schwerpunkt Digital Economy & Innovation) an der HdM Stuttgart und Founder der University of Digital Science (UDS) in Berlin. Zusätzlich nimmt er regelmäßig diverse Gastdozenturen und Lehraufträge an internationalen Universitäten weltweit wahr. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist er unternehmerisch tätig, unter anderem als Founder und Vorstand der Humboldt School AG oder der ditcom GmbH sowie als Gesellschafter diverser Start-up-Unternehmen. Als ein Pionier im Zeitalter der Digitalisierung gründete er bereits Anfang der 1990er-Jahre Unternehmen mit dem Schwerpunkt Internet & E-Commerce. Aktuell betreibt er die Gründung der Stiftung Digital Science Foundation, die gezielt innovative Bildungsprojekte fördern soll.

 

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