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„Wir brauchen eine zweite Säule von Meinungsjournalismus“

Seit dem vergangenen Jahr gibt es bei der Wochenzeitung Die Zeit das neugegründete Ressort „Streit“. Dort will man „schnell zum Kern der Sache kommen – auch wenn das manchmal wehtut“. Der Fachjournalist sprach mit dem Co-Leiter des Ressorts, Jochen Bittner, über seinen Arbeitsalltag und die Popularität von Meinungsjournalismus. Zugleich erklärt Bittner, was einen guten Kommentar ausmacht und wie er dabei vorgeht.

Im Vergleich zu anderen Zeitungen und Zeitschriften wächst die verkaufte Auflage der Zeit. Wo liegt das Erfolgsgeheimnis Ihrer Zeitung?

Durch unseren Wochenrhythmus und die damit verbundene tiefere Recherche bietet Die Zeit Erholung vom Nachrichtenstrom. Zugleich gibt dies die Möglichkeit, sich in unser Blatt zu vertiefen. Das ist etwas, was viele Leser schätzen: das kontemplative Lesen betreiben zu können und nicht getrieben zu sein von einem ständigen Tickerjournalismus.

Sie sind Co-Leiter des neu gegründeten Ressorts „Streit“. Dort wollen Sie „die Schmerzpunkte von Debatten identifizieren und sie bearbeiten statt um sie herum zu reden“. Warum setzt die Zeit nun verstärkt auf Debatte?

Wir haben, wie andere Redaktionen auch, unsere Lehren aus dem Jahr 2016 gezogen. Ereignisse, die auch unsere Branche erschüttert haben, waren der Brexit und die Wahl Donald Trumps. Mit beiden haben wir nicht gerechnet.

Die Gegenwartsanalyse lautet, dass sich die politischen Ränder immer weiter wölben und die Mitte immer schwächer, glanzloser erscheint – und dass dies auch mit den Medien zu tun hat. Wir hatten den Eindruck, dass wir etwas tun müssen, um die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Also dafür zu sorgen, dass die Ränder miteinander ins Gespräch kommen, die Mitte etwas glanzvoller wird. Wir müssen versuchen, Graustufen wieder spannender zu machen und auszuleuchten.

Wir leben in einer Zeit, in der Lautstärke oft verwechselt wird mit Relevanz und in der marktschreierische Politiker auf der linken wie auf der rechten Seite leider Erfolge feiern. Wir versuchen, das Eros des Arguments stärker zu entdecken – und zwar auf beiden Seiten des demokratischen Spektrums. Also weg von der Lautstärke, weg von der Gefühlsadressierung, rein in den Inhalt.

Reden wir über das, was Menschen zu Recht bewegt, und nicht über das, mit dem versucht wird, die Menschen mit populistischen Mitteln zu bewegen.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag im Ressort aus?

Wir reden ständig über Themen. Wir debattieren intern sehr stark, was wie in den nächsten Wochen tiefer besprochen werden sollte. Wir horchen in uns hinein. Wir rezipieren sehr viele Zeitungen – und Twitter. Schauen uns Debatten an. Fragen uns zugleich aber immer: Was sind die eigentlichen substanziellen Fragen, die wir behandeln sollten, und wen müssten wir zusammenbringen, um den Streit nicht in der twitterhaften Art auf 180 Zeilen auszutragen, sondern in der Tiefe mit Zeit und Ruhe.

Die Grundidee ist, dass wir Leute zusammenbringen wollen, die sonst nicht miteinander reden würden, sondern eher übereinander. Es ist schön, zu sehen, dass das relativ schnell gelingt. Wir stellen fest, dass es ein Bedürfnis gibt, sich auszutauschen und nicht übereinander herzuziehen. Wir haben bei den Gesprächen oft schöne Erlebnisse, weil beide Seiten merken, dass sie doch nicht so weit voneinander entfernt sind, wie sie dachten. Es gibt häufig einen versteckten Konsens oder einen verdeckten Kernkonsens, um den herum man sich um Details trefflich streiten kann. Wenn es gut läuft, machen wir aus Feinden Gegner. Jedenfalls geht man auseinander in dem Gefühl, dass man sich besser uneinig ist als vorher. Das ist schon ein Gewinn.

Gibt es bei „Streit“ auch Tabus? Das ZDF lädt zum Beispiel in keine Talkshow den AfD-Politiker Björn Höcke ein.

Das ist eine Frage, die wir intensiv diskutiert haben und auch weiter diskutieren. Für uns gibt es Grenzen. Wir würden keine Extremisten einladen, also niemanden, der die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt. Wir würden auch keine Leugner des Klimawandels oder des Coronavirus einladen, kurz gesagt: keine Spinner.

Aber wir haben keine Angst vor radikalen Ideen, da muss man unterscheiden zwischen Extremismus und Radikalismus. Sie können Fridays for Future eine radikale Bewegung nennen, weil sie maximalistisch ist; natürlich reden wir mit denen. Aber es gibt auch klare Grenzen.

Der Stern veröffentlichte jüngst eine Ausgabe zum Thema „Klima“ in Kooperation mit Fridays for Future. Wie fanden Sie das?

Das fand ich furchtbar. Als Journalisten ist es unsere Aufgabe, auch und gerade Dinge, die wir für gut und richtig halten, zu hinterfragen. Weil Kritik nicht dafür sorgt, dass eine Sache verschlechtert wird, sondern dafür, dass sie in der Regel verbessert wird. Man steigt im Gegenwind, und dadurch gewinnt das Gemeinwesen.

Wir sollten uns davor hüten, diese grundsätzliche Aufgabe von Journalismus aufzugeben. Der Stern hat genau das gemacht.

Sie selbst sagen, dass Journalisten „Regisseure der öffentlichen Debatte“ seien. Wie meinen Sie das?

Es ist an uns, wen wir in einem auflagenstarken Blatt, Sender oder im Radio eine Bühne geben. Wir haben es in der Hand, den Diskurs sozusagen zu inszenieren. Wir bringen Leute zusammen. Wir versuchen, Gespräche zu arrangieren. Natürlich nicht die Inhalte, sondern die Konstellation. Aber die Inhalte hängen von der Konstellation ab. Deswegen sind wir Regisseure von Debatten.

Es macht einen Unterschied, ob wir Luisa Neubauer von Fridays for Future und eine Grünen-Politikerin zusammenbringen oder Luisa Neubauer und einen Fridays-for-Future-Kritiker. Da kommt ein anderer Diskurs heraus.

Wir finden, dass es nötig ist, hart nachzufragen, sich beiderseitig immer wieder zu hinterfragen. Das ist sozusagen unsere Mission: Menschen, die sich ihrer Sache gewiss sind, mit Leuten zu konfrontieren, die die Dinge ganz anders sehen.

Neben der Zeit schreiben Sie auch Meinungsbeiträge für die New York Times. Welche Unterschiede gibt es zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Meinungsjournalismus?

Das Handwerk ist das Gleiche. Natürlich schreibt man für ein internationales Publikum in der New York Times anders als für ein deutsches Publikum.

Inwiefern?

Wenn ich zum Beispiel über politische Vorgänge in Deutschland für die New York Times schreibe, dann kann ich nicht so viel Wissen voraussetzen wie beim deutschen Publikum. Ich muss erst einmal die Grundzüge der deutschen Debattenlandschaft klar machen. Das hat zur Folge, dass ich mich geistig in eine Art Satellitenposition begeben muss, dass ich manchmal fast kindlich auf Deutschland schauen muss, um mich zu fragen, was passiert hier eigentlich gerade. Das ist für mich immer ein spannender Prozess, völlig Fremden den Planeten Deutschland zu erklären. Da kommt man manchmal auf Ideen, die man im Tagesaktuellen nicht hat.

Im angelsächsischen Journalismus wird zwischen Nachricht und Kommentar strikt getrennt. Befürworten Sie dieses Modell?

Absolut. Wir haben in der Zeit allerdings oft Mischformen, da muss ich ehrlich sein. Wir sind ein Autorenblatt, in dem nicht traditionell zwischen Meinung und Kommentar getrennt wird. Wir bemühen uns stärker darum, was ich richtig finde. Aber es ist auch legitim, wenn man Journalisten kennt und ungefähr weiß, wie sie ticken, und der Leser das einordnen kann.

Das ist eine transparente Subjektivität, die es nicht nur bei der Zeit, sondern auch bei anderen Zeitungen gibt. Man weiß, dass man eine andere Perspektive bekommt, wenn man die FAZ oder die taz kauft. Das finde ich völlig legitim. Es ist meiner Ansicht nach aber wichtig, dass der Leser immer wieder überrascht wird, wie bei der Zeit, und nicht vorhersehbar wissen kann, welche Meinung im Blatt vertreten wird.

Sollte derselbe Journalist, der einen Artikel schreibt, auch den Kommentar verfassen oder sollte dies ein Kollege übernehmen, um mehr die Neutralität des Artikels zu gewährleisten?

Bei der New York Times gibt es da eine sehr strikte Trennung zwischen dem Newsroom, also der Nachrichtenredaktion, und dem Opinion Board, den Meinungsseiten. Die Journalisten kennen sich zum Teil nicht. Sie sitzen in unterschiedlichen Stockwerken im Times Tower in New York. Da gibt es eine große Firewall.

Das ist in Deutschland anders, wir haben diese strikte Trennung nicht. Ich fände es nicht ideal, wenn in ein und derselben Zeitung ein und derselbe Autor sowohl den Kommentar als auch den nachrichtlichen Text schreibt. Ich halte es aber für möglich: Ein und derselbe Journalist kann wechseln zwischen der Rolle des Berichterstatters und der des Kommentators. Unabhängig von der persönlichen Meinung kann jeder den Versuch unternehmen, abgewogen und fair zu berichten. Ansonsten müssten wir ja die Idee des möglichst objektiven Journalismus völlig begraben.

Die ARD-Tagesthemen haben nach 42 Jahren ihren Kommentar in Meinung umbenannt, um damit zu verdeutlichen, dass dies nicht die gesamte Ansicht der ARD-Tagesthemenredaktion ist. Jan Böhmermann sprach von einer Angsthasenreaktion. Wie sehen Sie das?

Ich finde, das ist weder das Problem noch die Lösung bei der ARD. Die meisten Zuschauer wissen, dass der Kommentar eine Meinung ist. Ich glaube, das hat keinen großen Effekt. Das Problem finde ich eher, dass das Meinungsspektrum bei ARD und ZDF nicht mehr ganz so groß ist wie vor 20 Jahren. Anders als privaten Zeitung – für die das nur klug ­ist – haben die öffentlich-rechtlichen Sender die Pflicht, eine möglichst große Perspektivenvielfalt zu bieten. Wir hatten zu dem Thema neulich ein Streitgespräch mit dem SWR-Intendanten Kai Gniffke und dem FDP-Politiker Wolfgang Kubicki mit der Frage: „Wie plural ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk?“

In den vergangenen Jahren gab es einen Trend hin zu mehr Meinungsjournalismus. Woran liegt das?

Dies hat damit zu tun, wie am Anfang gesagt, dass die politischen Ränder immer dicker werden und die Mitte immer dünner. Damit geht eine Art Bekenntniszwang bei vielen Journalisten einher. Ich fand dies deutlich zu beobachten, als mit dem Erstarken der AfD der Drang bei Journalisten zunahm, öffentlich erkennbar zu machen, dass sie nicht die AfD unterstützen.

Auf der einen Seite verstehe ich das, auf der anderen Seite finde ich den ganzen Trend bedauerlich, dass Journalisten selbst zunehmend zu politischen Figuren werden.

Gibt es hierfür noch weitere Gründe?

An der Entwicklung haben auch die sozialen Netzwerke Schuld. Mittlerweile sind Journalisten in der Twitter-Öffentlichkeit ähnlich positioniert wie Politiker. Ich sehe darin keine gute Entwicklung. Es ist völlig legitim und gut, dass unterschiedliche Journalisten mit unterschiedlichen journalistischen Lagern assoziiert werden, wir wollen ja Pluralismus im Journalismus. Aber dieser Zwang, bloß nicht mit dem falschen „Stamm“ assoziiert werden zu wollen oder bestimmte Themen nicht aufgreifen zu wollen, weil das vielleicht eine bestimmte Agenda bedient, ist nicht gut für die Debatte. Denn das führt dazu, dass wichtige Themen im Zweifel eher von den falschen Leuten angefasst werden. Wo das hinführt, wissen wir. Amerika hat es gerade hinter sich.

Wird es in Zukunft noch mehr Meinungsjournalismus geben?

Ich glaube, wir könnten eine zweite Säule von Meinungsjournalismus gebrauchen. Nämlich einen moderierenden Meinungsjournalismus.

Viele Journalisten haben ein sehr hohes Sendungsbewusstsein, glauben auch, dass sie vieles besser wissen als der gemeine Bürger. Oft mag das so sein, aber nicht immer; man lernt ja auch sehr viel dazu in Gesprächen mit den Bürgern.

Ich glaube, wir brauchen in Zukunft noch mehr Journalismus, der die Lager versöhnen kann, die sich in der Gesellschaft ausbilden. In den USA hat dies zum Beispiel überhaupt nicht funktioniert. Im Gegenteil, da haben Journalisten Lager gezielt bedient und damit leider zur Polarisierung des Landes beigetragen. Die starke Polarisierung zwischen Fox News und CNN ist das beste Beispiel dafür.

Müssen Journalisten versöhnen? Ist das deren Aufgabe?

Journalisten sind keine Pfarrer oder Sozialarbeiter. Sie müssen nicht versöhnen – aber wenn das die Wirkung von gutem Journalismus ist, dann hätte ich nichts dagegen. Die Absicht bei uns im Ressort ist, Streitgespräche zu produzieren, die spannend wegen der inhaltlichen Auseinandersetzung sind.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie einen Meinungsbeitrag schreiben?

Ich streite mit mir selbst. Ich versuche, sehr genau zu prüfen, ob die Argumentation wasserdicht ist. Sicher: Keine Argumentation ist vollkommen wasserdicht. Aber ich versuche, bei jedem Argument, dass mich intuitiv überzeugt, noch einmal zu fragen: „Was übersiehst du gerade?“

Wir wissen aus der Psychologie, dass wir alle ein sehr starkes intuitives Urteil haben. Das ist evolutionär bedingt, wir wittern sehr schnell Gefahren. Es gibt diesen intuitiven Elefanten in unserem Kopf, der sich schnell in eine Richtung dreht, und den der Reiter, die Vernunft, nur schwer zurücklenken kann. Deshalb muss man sich immer hinterfragen, ob der intuitive Meinungsimpuls der richtige ist. Zu versuchen, den Elefanten ein bisschen zu steuern, die Intuition zu hinterfragen ist vielleicht ein ganz gutes Rezept, bevor man sich hinsetzt und eine Meinung herunterschreibt.

Was macht einen guten Kommentar aus?

Ein guter Kommentar zeigt, dass der Schreiber mit sich um das richtige Urteil gerungen hat.

Ich habe neulich einen Kommentar in der New York Times von Ross Douthat gelesen, der bestand aus einem Zwiegespräch zwischen ihm und der anderen Meinung in seinem Kopf. Thema war, was er von Donald Trump halten soll. Das war aus meiner Sicht ein tolles Beispiel, wie eigentlich der Denkprozess hinter dem Kommentarschreiben ablaufen sollte. Also die eigene Überzeugung immer in Zweifel ziehen und auch keine Scheu haben, vielleicht auch einmal eine Frage offenzulassen, zu sagen, ich bin mir auch nicht sicher, aber nach allem, was wir wissen, komme ich zu diesem Urteil.

Die Zeit ist noch eines der wenigen Medien, die Kommentarfunktionen für ihre Leser ermöglichen. Viele andere Verlage haben bereits diese Möglichkeit eingeschränkt oder gar eingestellt. Wie wichtig ist Ihnen ein Dialog auf der Seite? Oder wird es bei der Zeit wie bei anderen Verlagen zu Einschränkungen kommen?

Da muss ich vorwegschicken, dass die Online-Redaktion und die Print-Redaktion bei der Zeit getrennt sind. Für die Online-Sparte kann ich nur bedingt sprechen, aber Sie müssen sich vorstellen, dass die Kommentare moderiert werden müssen.

Zeit Online muss dafür Sorge tragen, dass bei den Kommentaren presserechtlich und persönlichkeitsrechtlich alles gesetzeskonform abläuft – also beispielsweise keine Beleidigungen enthalten sind. Deshalb sitzen dort sogenannte Community Manager, die das alles lesen und im Zweifel rechtswidrige Inhalte löschen. Das kostet Geld, das muss man sich leisten können.

Ich finde es prima, dass wir das noch anbieten. Ich kann aber jeden Verlag verstehen, der sagt, dafür haben wir das Geld nicht.

Wie wird man eigentlich Journalist bei der Zeit?

Da gibt es kein Patentrezept. Aber wenn ich einen Tipp geben dürfte, dann wäre das, dass man nicht nur Journalismus lernen sollte, sondern auch noch etwas anderes.

Die Zeit-Redaktion lebt davon, wie andere Redaktionen auch, dass wir Leute haben, die nicht nur schreiben können, sondern viel von einem Fach verstehen, das in den der verschiedenen Ressorts Wissen, Politik, Wirtschaft, Feuilleton gefragt ist.

Meine Empfehlung wäre, sich nicht zu sehr auf den Journalismus in der Ausbildungsphase zu konzentrieren. Journalismus ist ein Handwerk und kein Inhalt.

Würden Sie noch einmal, mit all den Unsicherheiten, die es mittlerweile gibt, den Beruf des Journalisten einschlagen?

Ganz ehrliche Antwort: Ich habe Zweifel.

Können Sie darauf näher eingehen?

Ich hätte Zweifel, ob mich der Journalismus ähnlich anziehen würde wie er das vor 30 Jahren getan hat. Weil ich ihn inzwischen bisweilen als zu aktivistisch wahrnehme.

Gutes Stichwort: Aktivismus. Einige Journalisten sind auf Twitter sehr meinungsgeleitet unterwegs. Haben Sie eine Empfehlung, wie Journalisten sich am besten auf Twitter verhalten sollten?

Die einfachste Regel ist: Don´t do stupid shit! Eine weitere Regel wäre, zu hinterfragen, ob ich wollen würde, dass das, was ich da schreibe, auch in der Zeit steht.

Eine gute Zeitung besteht ja aus einer guten Redaktion. Twitter zeichnet sich durch das komplette Fehlen einer Redaktion aus. Ich glaube, dieser Gefahr sollte man sich bewusst sein. Das intuitive, emotionale Herunterschreiben ist eben kein Journalismus.

Und das verwechseln viele Journalisten?

Wenn Twitter dazu dient, Affekte abzureagieren, dann finde ich das auf der einen Seite verständlich. Man will auch einfach einmal etwas loswerden, etwas rausbrüllen.

Ich finde aber, wir Journalisten sollten da besonders vorsichtig sein. Unser höchstes Gut ist die Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit erlangen wir dadurch, dass wir im Zweifel noch einmal länger nachdenken als andere, die sich öffentlich äußern. Ich glaube, diese Tugend sollte sich auch in sozialen Netzwerken widerspiegeln.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: privat

Jochen Bittner studierte Jura und Philosophie. Nach dem ersten juristischen Staatsexamen wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kieler Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie. Im Anschluss an seine Promotion über die IRA in Belfast kam er im Jahr 2001 zum Politikressort der Wochenzeitung Die Zeit. Von 2007 bis 2011 war er deren Europa- und NATO-Korrespondent in Brüssel. Neben seiner journalistischen Tätigkeit bei der Zeit ist er seit 2013 Gastautor der New York Times. Seit dem vergangenen Jahr ist er Co-Leiter des neugegründeten Ressorts „Streit“. Sein aktuelles Buch „Zur Sache, Deutschland! Was die zerstrittene Republik wieder eint“ ist im Frühjahr 2019 erschienen.

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