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„Wir brauchen starke, eigene Persönlichkeiten“

Seit 15 Jahren ist er Chefredakteur des renommierten Kunstmagazins ART, dem Flaggschiff des Kunstjournalismus in Europa. Im Interview mit dem Fachjournalist spricht Tim Sommer darüber, inwiefern man als Kulturjournalist eigene künstlerische Ambitionen haben sollte, wovor man keine Angst haben darf und wie er zu Kunst als Investment steht.

Hilft es, wenn man als Kunstjournalist selbst Künstler ist oder künstlerische Ambitionen oder Talent hat?

Das ist natürlich überhaupt keine Voraussetzung. Aber ich habe ja Kunstpädagogik studiert und es hat mir tatsächlich im Gespräch mit Künstlern immer sehr geholfen, dass ich das Handwerk zumindest mal praktisch ausprobiert hatte, sodass ich da gut mitreden konnte. Das war bei meinen ersten Gehversuchen in Ateliers sehr, sehr hilfreich.

Nähe versus Distanz: Ist der persönliche Kontakt zu Künstlern wichtig?

Ich kenne natürlich viele Leute im Kunstbetrieb, aber ich pflege da nicht so viele Freundschaften, muss ich gestehen. Und ich sammle selbst auch keine Kunst.

Es ist immer eine Gratwanderung: Wir als Journalisten dürfen uns nicht als Teil der Szene begreifen – es gilt, eine gewisse Distanz zu wahren, um sie unabhängig zu betrachten und urteilsfähig zu bleiben. Gleichzeitig müssen wir uns gut auskennen, wissen, wer wichtig war, ist oder gerade wird. Und wir müssen die recht speziellen Codes beherrschen, die in der Kunstwelt gelten. Wer nicht mitreden kann, prallt hier einfach ab.

Es ist für freie Kollegen immens wichtig, dieses Wissen mit anzubieten, wenn sie Kontakt zu Magazinen oder anderen Auftraggebern aufnehmen.

Wovor darf man als Kulturjournalist keine Angst haben?

Eine eigene Meinung zu haben! Und, man muss es leider sagen: Man darf keine Angst vor prekären Lebensverhältnissen haben.

Es ist sicherlich ein herrlicher Beruf mit wunderbaren Begegnungen und irren Erfahrungen. Aber das Ganze wirtschaftlich gut auf die Reihe zu bekommen, ist eine schwierige Aufgabe für Nachwuchsredakteure.

Im Kulturjournalismus ist es die Regel, frei anzufangen. Da ist es wahnsinnig wichtig, sich eine hohe Kompetenz anzueignen. Auch eine regionale Verankerung ist sehr hilfreich, sodass man mindestens eine Szene und ihre Akteure wirklich gut kennt. Dafür muss man viel Zeit und Energie investieren.

Ich würde aber trotzdem jedem Kulturjournalisten empfehlen, sich ein zweites Standbein aufzubauen, um eine größere ökonomische Sicherheit zu haben. Sei es bei einem weiteren Medium – neben Print also beispielsweise auch Hörfunk, Fernsehen oder Onlinemedien zu beliefern, Podcasts zu machen – oder noch ein weiteres Fachgebiet hinzuzunehmen.

Wir arbeiten bei ART mit freien Korrespondenten zusammen, oft über sehr lange Zeiträume. Die meisten haben entweder eine Festanstellung oder eine Pauschale bei einer Zeitung, sind Korrespondenten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, moderieren oder machen nebenbei Dokumentarfilme. Es gibt ganz wenige freie Kollegen, die im Kulturbereich rein vom Printjournalismus leben können. War nie einfach, wird immer schwieriger werden.

Meine Erfahrung ist, dass Journalisten, die in einer Festanstellung sind, heutzutage selten freiwillig den Sprung in die Selbstständigkeit wagen und junge Journalisten – selbst, wenn sie Elite-Absolventen der Henri-Nannen-Schule sind – selten sofort nach der Ausbildung in eine Festanstellung kommen und ohnehin erst einmal eine Zeit lang selbstständig arbeiten müssen. Da ist es natürlich ganz wichtig, viele Kontakte aufzubauen, sich sowohl in den Redaktionen als auch in der Kunstszene, also nach beiden Seiten hin, gut zu vernetzen, um sich in Stellung zu bringen.

Was würden Sie jemandem empfehlen, zu studieren, um in Ihrem Ressort tätig zu sein? Sollte man auf jeden Fall Praktika in Galerien oder Museen machen?

Ein einschlägiges Hochschulstudium würde ich jedem Journalisten empfehlen, sonst fehlt einfach die Basis. Bei uns arbeiten Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler, Germanisten, Fotografen – nur Journalismus hat keiner studiert.

Ansonsten gibt es keinen Königsweg. Es gibt viele tolle Journalisten, die über alles schreiben können – nur nicht über Kunst. Und es gibt jede Menge kluge Kunstfachleute, die aber nicht journalistisch schreiben können. In dieser Schnittmenge suchen wir unsere Autorinnen und Autoren. Wir brauchen Übersetzer, starke, eigene Persönlichkeiten, die die Sprache der Kunst verstehen und ihre Erlebnisse und Erkenntnisse einem breiteren Publikum vermitteln können.

Deshalb mein wenig origineller Ratschlag: schreiben, schreiben, schreiben – egal, wo. Das ist das A und O, um Routine zu gewinnen und sein Handwerk zu erlernen. Ich war ein völliger Seiteneinsteiger, ohne Volontariat, ohne Journalistenschule, fand aber immer, dass man sich das auch gut selbst beibringen kann. Es schadet natürlich auch nicht, mal Redaktionen von innen gesehen zu haben, bevor man loslegt.

Wie war Ihr Weg?

Ich habe beim Leipziger Stadtmagazin Kreuzer angefangen, bin dann superschnell Ost-Korrespondent von ART geworden, das war ein großer Glücksfall.

Bei der Leipziger Volkszeitung hatte ich eine Pauschalistenstelle. Das war eine ganz tolle Erfahrung, eine prägende Zeit, denn als Kunstkritiker der einzigen Tageszeitung so einer mittelgroßen Stadt spürte ich eine unglaubliche Wirkung. Man geht vormittags in eine Ausstellung, schreibt am Nachmittag den Text – und am nächsten Morgen sitzt man im Café und der Tisch teilt sich in Freund und Feind. Die Leute regen sich darüber auf oder feiern einen. Als Macher eines Monatsmagazins in Hamburg bekommt man nicht so unmittelbares Feedback.

So eine Stelle, wie ich sie zweieinhalb Jahre bei der Leipziger Volkszeitung hatte, gibt es dort wohl heute nicht mehr – jemand, der eine auskömmliche Pauschale hat, nur um drei Ausstellungen pro Woche zu besprechen, das gibt es heute kaum noch.

An anderer Stelle haben Sie mal gesagt, dass sich Print im Kulturjournalismus erstaunlich wacker hält. Wieso ist das so?

Wir wissen ja alle, in welch schwierigem Fahrwasser sich der Printjournalismus gerade befindet. Aber ich glaube: Magazine, die sich an eine sehr spezielle Klientel richten und diese auch sehr gut kennen, haben eine reelle Chance auf dem Markt.

Gerade in unserer Sparte hat ein gut gemachtes, kompetentes, neugieriges Printmagazin sehr gute Chancen, zu reüssieren. Das liegt sicherlich auch an unserer Spezialität, dass es bei uns um bildende Kunst geht. Und bildende Kunst will man sich in Ruhe anschauen. Die Ausstellungskataloge der Museen sind immer noch riesige Wälzer, die ihre Abnehmer finden. Auch Auktionskataloge werden immer noch gedruckt. Insofern bin ich sehr optimistisch, was die Zukunft angeht.

ART ist das auflagenstärkste europäische Kunstmagazin. Worauf basiert Ihr Erfolg?

Wir haben in den letzten Jahren konsequent auf Qualität gesetzt. ART ist ein hochpreisiges Magazin. Dafür muss man schon etwas bieten.

Ich sage immer: Wir machen ein teures Magazin, das preiswert ist. Da ist es entscheidend, dass die Texte toll sind, dass im Layout ganz viel Liebe steckt, dass die Bilder erstklassig sind. Das Produkt muss Qualität haben und diese Qualität auch ausstrahlen. Das honorieren die Leser. Außerdem bieten wir unseren Abonnenten mit der ArtCard reduzierten Eintritt in über 300 der besten und wichtigsten Kunstmuseen, auch ein wichtiges Argument.

Wir machen reinen Kunstjournalismus. Bei uns spielen Bereiche wie Film oder auch mal Mode oder Design hinein, aber wir sind ein erklärtes Kunstmagazin. Und auf diesem Spielfeld wollen wir die Besten sein.

Wie unterscheiden Sie gute von schlechter Kunst?

Da gibt es keine Regeln. Das ist eine Sache der Erfahrung, dass man Qualität und Relevanz erspürt.

Es ist ja auch so: Wenn man länger den Beruf des Kunstjournalisten ausübt, dann lernt man, dass die angesagte Kunst von heute nicht unbedingt die wichtige Kunst von morgen ist. Da gibt es noch einmal eine Abstufung von Werken, die überzeitlichen Wert haben, und tollen Künstlern, die eine relativ kurze Saison haben, wo sie irgendwie wichtig und relevant sind. Für beides muss man ein Gespür entwickeln.

Wir versuchen, ein Heft zu machen, das für den jeweiligen Monat aktuell die wichtigen Themen aufgreift. So werden wir von unseren Lesern auch genutzt.

Was schätzen Ihre Leser besonders?

Unsere Leser, die noch nicht einmal Abonnenten sein müssen, nutzen die Ausstellungskalender und Tipps wie einen Ratgeber: Was sollte man sich in diesem Monat angucken? Worüber redet man gerade?

Das ist für uns ganz wichtig, da die richtigen Filter zu haben, um das zu erkennen und dann so aufzubereiten, dass es spannend und ein Abenteuer ist, intellektuell und visuell. Wir haben den ganzen Museums- und Ausstellungsbetrieb um uns herum, der uns – und das ist ja das Wunderbare an unserem Metier – mit einem nie versiegenden Strom an herrlichen Geschichten versorgt, aus dem wir schöpfen können.

Es ist tatsächlich ein Privileg, solche Leser wie wir zu haben: Das sind gebildete, liberale und neugierige Menschen, die ganz offen sind für Provokationen. Die setzen sich auch mit schwierigen Themen auseinander und sind gleichzeitig total genussfähig. Es ist eine große Freude, für solche Leser zu arbeiten.

Die wirtschaftliche Grundlage unseres Magazins sind die Abonnenten, die rund 80 Prozent der Auflage abnehmen. Die sind unglaublich treu, die bleiben dem Heft in der Regel über Jahre, sogar Jahrzehnte erhalten, was natürlich ein großartiger Zustand ist. Wenn man sich mit denen trifft oder sich mit denen unterhält, stellt man fest: Das grenzt oft schon an Liebe. Die lesen das Heft von vorne bis hinten durch und bewahren es danach meistens sogar auf, als Sammlung im Bücheregal. Das ist schon ein Kompliment für unsere Arbeit.

Wie geht man als Journalist um mit den Entwicklungen des Kunstmarktes? Der Tendenz, dass Kunst zum bloßen Investment verkommt?

Auch, wenn das kein neues Phänomen ist: Das ist für uns zwar ein Thema, aber nicht das zentrale, das ist höchstens ein Nebenschauplatz.

Wir wissen, dass unsere Leser hin und wieder Bilder kaufen. Aber wir sind als Magazin nicht in erster Linie ein Kunstmarkt-Tippgeber, sondern bieten die Hintergrundinformationen, die Anregung zur Auseinandersetzung mit der Kunst. Unser zentrales Thema ist die Begegnung mit Kunst und Künstlern. Das wird natürlich auch von Sammlern geschätzt, die sich über unser Magazin auf dem Laufenden halten und an ihrer Urteilsfähigkeit arbeiten. Wer Kunstkauf als Investment sieht, sollte sich schon extrem gut auskennen, sonst kann es ganz bitter enden!

Inwiefern bereichert Kunst das Leben?

Die Begegnung mit Kunst und Kultur gibt uns die Möglichkeit, immer wieder in andere Rollen zu schlüpfen. Und dem, was uns umgibt, neue Perspektiven abzugewinnen, das Denken permanent durchzuschütteln. Das sollte man sich eigentlich nicht entgehen lassen.

Es hält den Kopf total in Bewegung, wenn man auf einem Konzert ist oder durch eine Ausstellung geht und diese Erfahrungen mit Erinnerungen aus dem eigenen Leben zusammenbringt. Ich weiß, dass eine ganze Menge Leute unbeleckt von Kultur durchs Leben kommen – aber: Ich beneide sie nicht.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: Henning Kretschmer

Tim Sommer kam 1968 in Freyburg (Sachsen-Anhalt) zur Welt. Er studierte in Leipzig Kunstgeschichte und Kunstpädagogik. Seine journalistische Laufbahn begann er als Quereinsteiger bei der Leipziger Volkszeitung, schrieb Artikel für das Kulturressort der Tageszeitung. Ab 1998 war er als freier Korrespondent aus Leipzig für das Kunstmagazin ART tätig; ab 2000 arbeitete er in der Redaktion in Hamburg, ab 2004 in der Funktion des stellvertretenden Chefredakteurs. Seit Anfang 2005 leitet er Europas größtes Kunstmagazin als Chefredakteur.

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