Zeitungssterben: Lösungsansätze aus Skandinavien
Auch in Ländern wie Schweden ist die Pressevielfalt in Gefahr. Nicht nur dort setzt die Regierung auf direkte staatliche Förderung, die reformiert und ausgebaut wird. In Deutschland meidet der Medienbetrieb die Debatte komplett.
Zu ereignisfixiert, zu kurzatmig, nicht ausrecherchiert, zu punktuell – das sind die Vorwürfe, die der journalistischen Themenauswahl und Recherche häufig gemacht werden. In Zeiten von gesellschaftlicher Beschleunigung, immer neuen Technologiesprüngen und der Verdichtung vieler Arbeitsabläufe mag dies nicht verwundern, wissenschaftlich ist diese Kritik jedoch schwer zu fassen. Denn viele Einflussfaktoren bestimmen Nachrichtenauswahl, Textformulierung und Recherche und damit den Zeitfaktor, der all diesen Schritten zugrunde liegt.
Einzelne Auswertungen weisen jedoch darauf hin, dass die Kritik nicht ganz unberechtigt ist. Im Projekt „Mediendoktor Umwelt“ der Technischen Universität Dortmund bewerten Fachjournalisten gemeinsam mit der Redaktion anhand von 13 Kriterien Beiträge aus dem Umweltjournalismus, sowohl von überregionalen als auch von regionalen Medien. Die Analyse der ersten 50 begutachteten Beiträge machte klar, wo es vor allem klemmt: Es fehlt der Kontext. 42 von 50 Zeitungsartikeln, Radioanalysen und Onlinestücken berichteten nur linear über Umweltprobleme und setzten sie nicht weiter zu wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Hintergründen in Bezug.
Ein Grund für die „Dekontextualisierung“, wie Forscher sagen, ist das Mehrfachparadoxon, in dem Journalisten heute oft arbeiten: Sie sollen mit weniger Personal in kürzerer Zeit komplexer werdende und anzahlmäßig zunehmende Themen in insgesamt besserer Qualität mithilfe sich ständig weiter entwickelnder Technologien immer attraktiver produzieren – im Hinblick auf immer mehr Aufmerksamkeit und steigende Einnahmen des Mediums. Dieses Branchendiktum führt vor allem zum Verlust einer Ressource: der Zeit. Zeit für Recherche und Nachrecherche, für Weiterbildung und Wissenserwerb, für Kreativität und Kommunikation mit Kollegen.
Wenn die Zeit fehlt, fehlt der Kontext
Unter diesem Zeitmangel leidet vor allem der Journalismus in der Fläche und auf dem Land. Dort, wo in Deutschland seit 30 Jahren eine Pressekonzentration geschieht und die Verluste an regionaler Meinungsvielfalt schon erheblich sind. Und dies gerade, aber keineswegs nur, in Ostdeutschland.
Unstrittig ist, dass lokale und regionale Redaktionen neue Finanzierungswege brauchen – und suchen. Dabei verwundert, dass ein möglicher Weg in der Verlags- und Medienlandschaft kaum diskutiert wird: die direkte staatliche Presseförderung. In Skandinavien etwa gibt es schon lange das System der öffentlichen Presseförderung durch unabhängige Räte, die staatliche Gelder an Zeitungen und Verlage geben – um explizit die publizistische Vielfalt zu sichern. Aber auch die Niederlande, Österreich, Belgien, Italien und Luxemburg geben Geld direkt, in unterschiedlicher Weise
Direkte und indirekte Förderung
Doch zunächst zu den Begriffen: Direkte Presseförderung, die bisher keineswegs automatisch Onlinemedien miterfasst, meint, dass staatliche Gelder direkt an Massenmedien gehen. Traditionell sind dies Zeitungen und Magazine, die im Wettbewerb stehen, sehr klein sind oder auch Lokaljournalismus in abgelegenen Gebieten betreiben.
Von der direkten Unterstützung dieser Massenmedien zu unterscheiden sind Formen der Hilfen, die häufiger vorkommen: Gelder für Zeitungen, die in Regional- oder Minderheitensprache erscheinen, oder für Publikationen von besonderer kultureller Bedeutung, etwa für Musik, Geschichte oder Kunst. Daneben gibt es noch – wie in Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern – indirekte Hilfen für die Presse, zu denen reduzierte Mehrwertsteuersätze und vergünstigte Posttarife zählen.
Vorbild Skandinavien?
Insgesamt werden die Fördersysteme skandinavischer Länder in der Fachdebatte am häufigsten besprochen. So hebt der Kommunikationswissenschaftler Manuel Puppis in seiner „Einführung in die Medienpolitik“ Schweden bei der direkten Presseförderung als „Vorbild“ hervor, attestiert aber auch Norwegen Erfolge.
Schweden hat ein Redaktionssterben und Verluste in der lokalen Pressevielfalt erlebt. Die taz zitierte 2018 eine Bilanz des Stockholmer Instituts für Medienstudien, nach der es in jeder dritten schwedischen Gemeinde keine tägliche lokale Berichterstattung mehr gegeben habe.
Dieser Schwund war der Grund für die damalige grüne Kulturministerin Alice Bah Kuhnke, 2018 das seit 1971 existierende System der direkten Presseförderung auszuweiten: Grundlegend läuft die „Presstöd“, die staatliche „Presseunterstützung“ für Printmedien, weiter wie bisher; über 140 Publikationen bekamen damit 2018 Hilfen für Produktion und Vertrieb. Doch es gibt nun mehr Geld: 75 Millionen Euro, was einem Zuwachs von 20 Prozent entspricht. Im neuen Fördersystem werden nun Kommunen unterstützt, die schon ihre lokale Tagesberichterstattung verloren haben oder von dem Verlust bedroht sind.
Die Stockholmer Regierung drehte mit der Reform das Rad wieder zurück. Denn in der Vergangenheit wurden die Fördersummen immer wieder verkleinert. Jährlich machen diese Gelder immer nur wenige Prozent des gesamten Umsatzes der schwedischen Zeitungen aus; sehr kleine Verlage profitieren aber dennoch stark davon. Doch mit der Ausweitung der alten Presseförderung auf eine erweitere Medienförderung musste die Summe nun wieder steigen. Jetzt steht der Inhalt im Vordergrund, nicht mehr der Verbreitungskanal: Die Regierung vergibt Gelder nicht nur an Zeitungen, sondern auch an Onlinemedien, Podcasts und Web-Fernsehen, solange sie Qualitätsjournalismus machen, der pluralistisch ist und auf demokratischen Prinzipien beruht.
Medien können außerdem nur Hilfe erhalten, wenn mindestens 60 Prozent ihres Inhalts aus Redaktionen stammen und ein Fünftel aus der eigenen, wie es in einem Bericht des Deutschen Bundestages von 2017 heißt. Über die Förderungen, die beantragt werden müssen, entscheidet auch nicht mehr wie bisher der eigenständige Presseförderungsrat (Presstödsnämnden). Seine Aufgaben sind nun innerhalb der Schwedischen Rundfunkagentur im neuen „Media Subsidies Council“ gebündelt.
Norwegen hat ein funktionierendes System der staatlichen Presseförderung für Massenmedien, vor allem für Lokalzeitungen. Die gezielte Förderung des Lokaljournalismus in Norwegen begann 1969 und hat die Vielfalt vor Ort bis heute meistens mit erhalten– auch wenn die meisten Zeitungen des Landes mit Schibsted Media, Amedia und Polaris Media nur drei Verlagen gehören. Es gibt in Norwegen nur wenige Orte, die keinen unabhängigen Lokaljournalismus mehr haben – im Unterschied zu Deutschland oder auch Schweden. Die gezielte Förderung der lokalen und regionalen Medien erklärt sich durch große Verbundenheit der Norweger mit ihnen – was auch an der Struktur des zerklüfteten Landes liegt. Norwegen ist stark von den Regionen geprägt und hat nur wenige große Städte, daher sind die lokalen Öffentlichkeiten sehr wichtig. So sei es normal für Radioprogramme und TV-Stationen in der Provinz, auf den eigenen Dialekt zu setzen, wie Roy Krøvel, Journalismus-Professor an der Oslo Metropolitan University, im Gespräch erklärt. „Ein Standard-Norwegisch würde bei dem Publikum in den Regionen nicht akzeptiert“, sagt er.
Finnland hat seine staatliche Presseförderung inzwischen größtenteils abgeschafft, wie Professor Tom Moring im Interview erklärt, der in Helsinki Journalismus unterrichtet. Nach wie vor werden kulturelle und andere thematische, meist kleinere Magazine unterstützt. „Es sind Förderungen erhalten geblieben für Zeitungen in den nationalen Minderheitensprachen“, fügt Moring hinzu. Dazu zählen Schwedisch und die Sprachen der indigenen Minderheit der Sami, die eigene Zeitungen, Websites, aber auch Radioprogramme und TV-Sendungen haben.
Mehr Gelder, so berichtet Moring, seien nach der Abschaffung des Fördersystems vor rund zehn Jahren dann an die Kommunikationsapparate der politischen Parteien in Finnland gegangen. Dies sei „eine rein politische Entscheidung“ gewesen. Moring spricht gar vom Missbrauch der öffentlichen Gelder für die politische Kommunikation – und eben nicht für den Journalismus.
Auch in Dänemark wird die redaktionelle Arbeit seit den 1960er-Jahren direkt vom Staat unterstützt, explizit nun auch für digitale Medien, was fortschrittlich ist gegenüber anderen Ländern. Dies ist der Reform des Fördergesetzes 2013 geschuldet. Es gibt auch einen Fonds speziell für kleinere Magazine, der vor allem Gewerkschaftszeitschriften und anderen Blätter hilft, die kein Geld verdienen müssen.
Reformen in ganz Europa
In der Presseförderung in Europa stehen derzeit viele Reformen an. In den meisten Ländern wandelt sie sich wohl, bedingt durch die Digitalisierung, von einer titelbezogenen Presseförderung zu einer breiteren, auf Inhalte ausgerichteten Medienförderung. Für den wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages erscheinen in der Analyse von 2017 daher „bestehende Instrumente nicht länger geeignet, den Bestand und die Vielfalt der Medien in der bisherigen Struktur zu garantieren“. Vor allem „Qualität und Unabhängigkeit des Journalismus kommen dabei eine besondere Rolle zu“, schreiben die Experten des Parlaments und lenken damit den Blick auf Staaten wie Schweden, die mit Mut und Geld ihr altes System reformiert haben, um den Demokratiegaranten Journalismus zu stützen.
In Österreich ist die Förderung mit der in Schweden vergleichbar. Bezuschusst werden hier traditionell Bereiche wie die Volontärausbildung, Auslandskorrespondenzen sowie journalistische Forschungsprojekte, Presseklubs oder Initiativen in der Journalistenausbildung. Es scheint jedoch, dass das Ziel, die Vielfalt zu sichern, bisher nicht erreicht worden sei; Kritik wird in diesem Zusammenhang – wie in Schweden – am „Gießkannen-Prinzip“ (Wiener Zeitung) der Förderung geübt, von der auch große Titel immer wieder profitieren. Auch in Österreich gab es Forderungen, die Staatshilfen stärker nach den Inhalten und weniger nach den Titeln auszurichten. Ganz so, wie es Schweden mit der Reform nun versucht.
Schweigen in Deutschland
Und Deutschland? Entzieht sich dieser Debatte fast ganz. Nichts ist zu hören zu direkter Presse- und Onlineförderung, weder von Gewerkschaften, Journalistenverbänden oder Verlegern noch aus der Politik selbst – obwohl der Journalismus vielerorts finanziell in Not ist. Andererseits verwundert die Zurückhaltung auch nicht in Zeiten, in denen Medien großer Kritik ausgesetzt sind. Sie dann noch stärker staatlich zu fördern, erscheint dann als unliebsame, wenn nicht gar abwegige Idee. Zumal es ja schon immer berechtige Zweifel gab: Schon 2009 schrieb der Bundestag, dass die direkte Presseförderung in Europa oft abgelehnt werde. Die häufigsten Kritikpunkte seien neben dem Gießkannenprinzip „die Wettbewerbsverzerrung, die politische Abhängigkeit und Intransparenz bei der Vergabe der Fördermittel“.
Andererseits gibt es funktionierende Systeme mit einer unabhängigen Mittelvergabe, siehe Skandinavien. Darüber hinaus braucht es dringend neue Finanzierungsideen, denn Redaktionen verschwinden weiter, Märkte konzentrieren sich. Die Verluste an pluraler Öffentlichkeit in manchen Gegenden nehmen zu und werden zur Gefahr für die Demokratie. Warum sollte man da nicht doch den Blick nach Norden lenken, so, wie man es in der Bildung, bei der Digitalisierung, im Klimaschutz oder der Steuerpolitik auch schon macht? Und wo Systeme der Presseförderung ausgebaut statt abgeschafft werden.
Zustimmung vom Bundesverfassungsgericht
Wie im Bundestagsbericht von 2017 nachzulesen ist, hat das Bundesverfassungsgericht schon 1989 grundlegend erklärt, dass staatliche Presseförderung in Deutschland möglich ist. Dies aber nur, solange Medien nicht einseitig nach ihrer politischen Ausrichtung gefördert würden. Der Staat könnte dennoch Grenzen ziehen und „nur Presseerzeugnisse fördern, die Meinungen und Informationen verbreiten“, wie die Experten des Bundestages schreiben. Auf jeden Fall müsste ein formelles Gesetz her.
Die Hilfen der Regierung dürften einerseits keine Gefahr für „die Staatsfreiheit und Kritikbereitschaft der Presse“ sein. Aber andererseits seien Hilfsleistungen nötig, wenn „die Aufrechterhaltung eines freiheitlichen Pressewesens nicht mehr gewährleistet sei“. Dass ein solches Pressewesen auf lokaler Ebene mancherorts gefährdet ist, war bereits Thema von besorgten Artikel und Debatten. Diese mit Lösungsdiskussionen zu verbinden, wäre nun der nächste Schritt.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Der Autor Torsten Schäfer ist seit 2013 Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt. Dort koordiniert und leitet er zusammen mit Peter Seeger das Medien- und Rechercheforum “Grüner Journalismus”. Zuvor arbeitete Schäfer zehn Jahre als Wissenschafts- und Umweltjournalist, u. a. als fester und freier Redakteur für „GEO International“ und die „Deutsche Welle“.