RSS-Feed

Zwischen Job, Herzensprojekt und Ehrenamt

Viele Journalist:innen, besonders Freie, sind ausgeprägte Multitasker:innen: Neben ihrem „Brotjob“ pflegen sie ihren Blog, schreiben Bücher oder drehen eigene Filme. Und auch beim Kampf gegen die globalen Krisen wollen viele nicht abseits stehen und engagieren sich für NGOs und Kampagnen. Wie organisiert man solch ein Multitasking zwischen Job, „passion projects“ und Ehrenamt? Wie hoch ist die Akzeptanz bei Auftrag- und Arbeitgeber:innen? Wie belastend oder befruchtend wirkt sich der Mix auf die Karriere und die eigene journalistische Arbeit aus? Wir haben drei „Multiengagierte“ getroffen.

Drei Multiengagierte

Kamerafrau Susanne Hensdiek
Als die Bremer Kamerafrau Susanne Hensdiek im April beim Bremer Filmfest den Publikumspreis für ihre Doku „Die Bergmanns“ gewann, war das auch ein Triumph einer Multiengagierten. Hensdiek, einstmals jüngste EB-Kamerafrau Deutschlands (EB: elektronische Berichterstattung) und über den Journalismus zur Kamera gekommen, hat schon beruflich verschiedene Hüte auf. Neben ihrem wichtigsten Standbein, dem ZDF-Landesstudio in Bremen, absolviert sie als sogenannte Multitechnikerin Auslandseinsätze für den Auslandspool des ZDF. Für verschiedene regionale TV-Formate vom Norddeutschen Rundfunk und Radio Bremen sowie für externe Produktionsfirmen macht sie EB-Kamera, E-Kamera und Schnitt.

Susanne Hensdiek 1975 in Gütersloh geboren, kam über den redaktionellen Weg bei Radio und Zeitungen zur Kameraassistenz (u. a WDR, Teuto TELE Bielefeld). Ab 1997 arbeitete sie bei Television Aktuell als (später leitende) Kamerafrau und Cutterin. Seit 2005 ist sie freiberuflich als Kamerafrau tätig.

Trotz der zahlreichen Buchungen nimmt sich Hensdiek immer wieder Auszeiten für eigene Dokumentarprojekte, zuletzt „Die Bergmanns“. Weil es ihr darüber hinaus wichtig ist, Themen wie Inklusion oder Frauenrechte nach vorne zu bringen, unterstützt sie mit ihrer Kameraarbeit – teilweise pro bono, teilweise bezahlt – die Öffentlichkeitskampagnen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Initiativen. Für die Rotenburger Werke, eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, hat sie Filme für das Recruiting neuer Mitarbeiter:innen produziert. „Solche Filme habe ich auch für ein integratives Theaterprojekt, verschiedene Frauenrechtsorganisationen und zum Thema Altersarmut gedreht“, berichtet Hensdiek und fügt hinzu, dass sie für solche Projekte auch mal einen öffentlich-rechtlichen Auftrag liegen lässt.

Oyindamola Alashe arbeitet als freie Journalistin für Print-, Online- und TV-Medien. Zudem bietet sie PR-Arbeit & -Konzepte, redaktionelles Projektmanagement, Workshops und Moderationen an. Ihre Lieblingsthemen sind: Inklusion, Bildung, Gesundheit, Pflege, Medizin und Familie. Foto: Carolin Windel.

Journalistin Oyindamola Alashe
Auch der Arbeitstag der Journalistin Oyindamola Alashe wird vom Multitasking dominiert. Sie hat tagesaktuellen Print- und Onlinejournalismus unter anderem bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) gelernt, beliefert aber mittlerweile als freie Fachjournalistin Fachverlage mit Beiträgen zu Medizin, Gesundheit, Pharma, Inklusion und Bildung. „Ich schreibe unter anderem Fachartikel für verschiedene Medizin-Agenturen. Das sind spezielle Formate, teilweise auch ohne Autorinnen-Nennung“, berichtet Alashe. Zudem managt sie für eine Künstler:innen- und PR-Agentur Journalist:innen, Moderator:innen und Schauspieler:innen.

Auch Alashe will trotz ihres dichten Terminkalenders nicht auf eigene Herzensprojekte verzichten. Mit ihrem Buch „Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit“ ist sie gerade auf Lesereisen und organisiert mit ihrem Co-Autor Gianni Jovanovic Talk- und Kulturveranstaltungen. „Alles unter dem Motto ,#KleineMehrheiten‘. Themen sind die Inhalte des Buches, also Rassismus, Queer-Feindlichkeit und Intersektionalität“, erklärt Alashe. Wegen der Vermarktung ihres Buchs hat sie ihre journalistische Tätigkeit gerade etwas zurückfahren müssen.

Für NGOs wie beispielsweise Queer Roma und für einzelne Aktivist:innen hat Alashe – auf Honorarbasis, aber auch ehrenamtlich – Medientrainings für Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Und sie hat mit anderen Aktivist:innen anlässlich des Pride Month die Aktion „Colours of Change“, eine Kundgebung mit Kulturprogramm, organisiert.

Datenjournalist Lorenz Matzat
Wie Alashe und Hensdiek gehört auch Datenjournalist Lorenz Matzat zur wachsenden Zahl von (Fach-)Journalist:innen, die gleichzeitig ihre Erwerbsarbeit, persönliche passion projects und gesellschaftliches Engagement organisiert bekommen – wollen und müssen. Thematisch hat er sich auf Medien und Entwicklungspolitik spezialisiert, hat für Zeit Online, Süddeutsche Zeitung und Spiegel datenjournalistische Projekte umgesetzt und für Fachjournalist, taz und Übermedien geschrieben. Inzwischen beschäftigt er sich allerdings häufiger mit Infrastrukturprojekten als mit Beiträgen fürs Publikum. An der Universität Leipzig bildet er Nachwuchsjournalist:innen aus.

Auch Matzat ist neben seinem Job ehrenamtlich unterwegs. 2016 hat er die NGO Algorithm Watch mitgegründet, letztes Jahr in der Schweiz ein Non-Profit-Medien-Start-up begleitet und zudem das Netzwerk Klimajournalismus, einen Zusammenschluss von etwa 700 Umweltjournalist:innen, mit aufgebaut.

Prioritäten und Trennlinien

Wie strukturieren die drei ihr Arbeitsleben zwischen Lohnarbeit, persönlichen Leidenschaften und Ehrenamt? Wie lassen sich Prioritäten setzen und Trennlinien ziehen, um Kollisionen zu vermeiden?

Lorenz Matzat ist Diplom-Politologe und arbeitet seit Ende der 90er-Jahre als freier Journalist,  Journalismustrainer und Unternehmer. 2016 gründete er die NGO AlgorithmWatch mit und baute das Netzwerk Klimajournalismus mit auf. Foto: Julia Bornkessel.

„Trennlinien zwischen Brotjob, eigenen Projekten und ehrenamtlichem Engagement kann ich als Selbständiger kaum ziehen. Diese Dinge überschneiden sich dauernd und entwickeln sich ineinander. Mit Kontakten aus einem Bereich startet man dann gemeinsame Projekte in einem anderen Bereich. Insofern überlappt sich das alles bei mir und ist kaum zu trennen“, ist sich Lorenz Matzat sicher.

Zudem glaubt er fest daran, dass sich ehrenamtliches Engagement in jedem Fall lohnt und nebenbei auch auf das Berufsleben einzahlt. „Das ist kein reiner Altruismus. Netzwerken, Profil- und Markenbildung sind da in jedem Fall auch wichtige Aspekte“, betont er.

Oyindamola Alashe dagegen weiß inzwischen sehr genau, wo ihre Grenzen verlaufen und dass sie sich ihr ehrenamtliches Engagement nur leisten kann, wenn sie finanziell stabil dasteht. „Das geht nur, wenn ich einen Kreis von Auftraggebenden habe, der mich regelmäßig mit Aufträgen versorgt, mit denen ich vernünftig planen kann. Ich bin niemand, der viel akquiriert oder sehr kleinteilig arbeitet bzw. arbeiten kann“, beschreibt sie ihre Situation. Zudem verlangt ihre Rolle als alleinerziehende Mutter Sicherheit beim Einkommen.

Auch Susanne Hensdiek bekommt die Ausflüge zu ihren passion projects jedes Mal bei der Auftragsarbeit zu spüren. Nach ihrem Erfolg beim Filmfest muss sie jetzt die Zeit wieder aufarbeiten, die sie in ihr Doku-Projekt investiert hat. „Bremen hat den Vorteil, dass es klein ist und man sich lange kennt in der Szene. Trotzdem: Ich werde zwar nicht gerade von den Listen gestrichen, aber ich merke schon, dass ich, sobald ich einige Monate in eigenen Projekten unterwegs war, auf den Dispo-Telefonlisten nach unten rutsche. Das empfinde ich durchaus als Stress in meiner Situation“, bedauert die Kamerafrau und fügt hinzu: „Aber manche Themen sind so wichtig, dass man sie einfach machen muss.“

Zeitmanagement

Auf die Frage, wie sich ihre verschiedenen Aktivitäten zeitlich aufschlüsseln lassen, geraten Alashe und Hensdiek ins Nachdenken. Tatsächlich verschieben sich solche Aufteilungen in der Realität ständig, je nach aktuellem Bedarf.

„Puh – das ist schwierig. Vielleicht 2/4 Hauptjob, 1/4 eigene Projekte und 1/4 NGO? Im Moment sieht das allerdings bei mir anders aus, da bleibt für NGOs keine Zeit“, weiß Kamerafrau Hensdiek. Inzwischen versucht sie, an ein bis zwei Tagen pro Woche keine Hauptjobs anzunehmen, um Tage frei zu lassen für Büroarbeit und die Arbeit an liegenden Projekten, die nicht zeitkritisch sind. „Es fällt mir aber schwer. Zum einen, ,Nein‘ zu sagen, und zum anderen, die Arbeit an eigenen oder auch kleineren Projekten mit der gleichen Wertschätzung zu betrachten. Und Freizeit und Urlaub müsste ich auch mehr berücksichtigen“, sagt sie.

Oyindamola Alashes Wochenarbeitszeit kann – mit etwa zehn Stunden für ihre rein journalistischen Jobs, 25 Stunden für die Agentur und zehn Stunden für das Marketing ihres Buches – „durchaus mal ein krasses Volumen erreichen“, wie sie sagt.

Wie reagieren Auftraggeber:innen auf Multiengagierte?

Neben der Tatsache, dass ihre privaten Engagements sie für Auftraggeber:innen manchmal schwerer planbar macht, sieht Kamerafrau Hensdiek durchaus auch Profilierungschancen in ihren Privatprojekten. So war die Regisseurin des Films „Die Liebe zum Leben“, für den sie die Bildgestaltung macht und der in diesem Jahr erscheinen wird, über Hensdieks eigene Filme auf sie aufmerksam geworden. „Regisseurin Annette Ortlieb hat mich auch wegen meiner speziellen Herangehensweise an solche besonderen Lebenswege gebucht“, ist sich Hensdiek sicher.

Und auch bei Lorenz Matzat tragen ehrenamtliche Engagements zu geschäftlichen Aufträgen bei. Einen Job für eine niederländische NGO hat er auch bekommen, weil er als kompetent im Klimathema wahrgenommen wird, also auch aufgrund seiner NGO-Aktivitäten beim Netzwerk Klimajournalismus. Matzat berichtet auch, dass es im Netzwerk Klimajournalismus eine Slack-Gruppe gibt, in der Jobs und Aufträge, auch Schulungen und Beratungen, vermittelt werden. „Die Aktivitäten in dieser Gruppe nehmen ständig zu. Also scheint die professionelle Nachfrage auch nach Menschen, die sich in einer NGO engagieren, bei dem Thema ständig zu wachsen. Nachgefragt werden dort unter anderem Inhouse-Trainings zum Thema Klimajournalismus bei Verlagen, aber auch bei der ARD.ZDF medienakademie“, berichtet der Daten- und Klimajournalist.

Oyindamola Alashes soziales Engagement, zum Beispiel für Menschen mit Diskriminierungserfahrungen, hat auch ihre eigene (journalistische) Kompetenz bei diesem Thema gesteigert und hilft ihr dabei, solche Themen besser zu kommunizieren. „Auch die Auftraggeber:innen und die Agentur, für die ich arbeite, schätzen meine Kombination aus Medienkompetenz, persönlicher Empathie und inhaltlicher Informiertheit sowie mein Netzwerk“, ist sich Alashe sicher. Ihr Ehrenamt dient ihr zwar nicht vorrangig zur persönlichen Profilierung und Selbstdarstellung, steigert aber durchaus ihre Berufskompetenz.

Fazit

Dass sich Journalist:innen – besonders Freie – neben ihrem Broterwerb in persönlichen Projekten verwirklichen und sich zudem, als informierte Insider, für gesellschaftlich wichtige Themen ehrenamtlich engagieren, ist weit verbreitet.

Wichtig sind für solche Multiengagierten zunächst einige organisatorische Regeln. Ein gutes Zeitmanagement berücksichtigt die Zeitplanung der Auftraggeber:innen und sorgt für pünktliche Abgaben. Eine frühzeitige Freizeit- und Urlaubsplanung verhindert den Burn-out, der schnell aus solchen Doppel- und Dreifachbelastungen entstehen kann.

Eine offene und transparente Kommunikation über Ehrenämter, NGO-Aktivitäten sowie persönliche Seiten- und Nebenprojekte (Transparenzhinweis) vermeidet inhaltliche und organisatorische Missverständnisse bei Redaktionen und Kolleg:innen.

Letztlich können „Multiengagements“ – den Journalist:innen selbst, aber auch ihren Auftraggeber:innen – zahlreiche Vorteile bringen. Über ihre NGO- und Projektarbeit steigern sie ihre inhaltliche, methodische und medientechnische Kompetenz, bauen Netzwerke auf und profilieren ihre journalistische Marke – wovon dann wiederum auch Redaktionen und Verlage profitieren, für die sie publizieren.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

© Eberhard Kehrer

Der Autor Gunter Becker schreibt seit Beginn der 1990er-Jahre als freier Autor über elektronische Medien, Internet, Multimedia und Kino Anfangs für die taz, dann für den Tagesspiegel und im neuen Millennium vorwiegend für Fachmagazine, wie ZOOM und Film & TV Kamera. Für das verdi-Magazin Menschen Machen Medien verfolgt er die Entwicklung nachhaltiger Filmproduktion, die Diversität in den Medien und neue Medienberufe.

 

Kommentare sind geschlossen.