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Investigative Recherchen, Teil 3: Whistleblower & Co – Tipps zum Umgang mit Informanten und brisanten Informationen

Ob VW-Skandal, Snowden-Papiere oder Pfusch beim Bau des Berliner Flughafens – ohne investigativen Journalismus kommt die Wahrheit nur selten ans Licht. Auch Fachjournalisten stoßen bei ihrer Arbeit immer wieder auf Themen, die hartnäckige Recherchen oder gar unkonventionelle Methoden erfordern. Was gilt es dabei zu beachten? Der „Fachjournalist“ stellt in einer Serie Ansätze und Methoden der investigativen Recherche vor. Im dritten Teil geht es um die Fragen, wie glaubwürdig sogenannte „Whistleblower“ sind und wie sich die Aussagen von Informanten überprüfen lassen.

Es war ein verschneiter Winterabend im Jahr 1981, als der Reporter des „Stern“ aufgeregt vor einem Haus im Stuttgarter Stadtteil Heslach stand. Seine Brille war beschlagen und so konnte er den Namen am Klingelschild nur undeutlich erkennen. Bei sich trug er 200.000 D-Mark in bar – ein erstes „Vorzeigegeld“ für brisante Unterlagen, die bis dahin offenbar noch niemand zu Gesicht bekommen hatte. Als er schließlich eingelassen wurde, war der Reporter fest davon überzeugt, einer Jahrhundertsensation auf der Spur zu sein. Doch der vermeintliche Scoop entpuppte sich später als Desaster: Der „Stern“ war nämlich einer plumpen Fälschung aufgesessen. Die vermeintlich wertvollen Dokumente – insgesamt 62 Bände angeblich von Adolf Hitler niedergeschriebener Tagebücher – kosteten das Magazin unterm Strich nicht nur 9,3 Millionen D-Mark, sondern auch den Ruf einer bis dahin für seine gründlichen Recherchen hoch angesehenen Redaktion. Das Schneetreiben und eine scheinbar grenzenlose Gier nach Erfolg und Gewinn hatten eine kleine Clique im Hamburger Verlagshaus derart blind gemacht, dass sie die einfachsten Regeln des journalistischen Handwerks missachtete und dadurch dem Fälscher Konrad Kujau auf den Leim ging.

Als der ganze Schwindel im Frühjahr 1983 aufflog, beauftragte der frühere „Stern“-Herausgeber Henri Nannen den damaligen Leiter des Ressorts „Deutschland Aktuell“, Michael Seufert, mit der internen Aufklärung des Skandals um die Hitler-Tagebücher. Heute ist Michael Seufert überzeugt: „Kujau trat unter dem falschen Namen ‚Fischer‘ auf. Hätte sich der Reporter den richtigen Namen Kujau vom Klingelschild notiert und sich bei der Polizei nach ihm erkundigt, hätte er schnell erfahren, dass der Mann dort bereits als Betrüger aktenkundig war.“

Etwa zur gleichen Zeit, als der „Stern“ viele Millionen für ein paar gefälschte Kladden auf den Tisch blätterte, meldete sich noch ein anderer Informant bei der Redaktion: Mit Bitte um vertrauliche Behandlung seiner Identität bot der Whistleblower Dokumente an, aus denen hervorging, dass sich einige Vorstandsmitglieder des damals mächtigsten europäischen Baukonzerns, „Neue Heimat“, in großem Stil persönlich bereichert hatten. Michael Seufert erinnert sich: „Dieser Informant wollte damals 100.000 Mark für seine brisanten Informationen. Aus meiner Sicht wäre es eine gute Investition gewesen.“ Doch die Chefredaktion des „Stern“ lehnte das Angebot dankend ab, obwohl in diesem Fall kein Zweifel an der Echtheit der Dokumente bestehen konnte. Bald darauf brachte der „Spiegel“ die Enthüllungen, die damals beim gewerkschaftseigenen „Neue Heimat“-Konzern ein Erdbeben auslösten …

So unterschiedlich diese beiden Fälle sein mögen, die Frage für jeden Journalisten lautet stets: Wie glaubwürdig ist meine Quelle? Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, die Rolle eines „unabhängigen Ermittlers“ einzunehmen, der – durchaus kritisch – alle entscheidenden Kriterien prüft und seine Recherchen absichert.

Die zehn wichtigsten Schritte dabei sind:

1. Identität des Informanten feststellen

Es gibt viele Gründe, warum Informanten ihren Namen nicht in der Öffentlichkeit preisgeben wollen. Doch der Journalist, dem sich ein Hinweisgeber anvertraut, sollte dessen Identität kennen. Nicht nur der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher zeigt, wie wichtig es ist, zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Und auch wenn die Hollywood-Verfilmung der legendären Watergate-Affäre etwas anderes suggeriert, kannten Bob Woodward und Carl Bernstein bei ihren Recherchen zu den illegalen Machenschaften um den früheren US-Präsidenten Richard Nixon die wahre Identität ihrer wichtigsten vertraulichen Quelle sehr wohl: Hinter dem Decknamen „Deep Throat“ verbarg sich seinerzeit ein hochrangiger FBI-Mann, der wusste, wovon er sprach, als er den beiden Reportern der „Washington Post“ Anfang der 1970er-Jahre die entscheidenden Tipps gab, die letztlich zum Sturz der damaligen US-Regierung führten. Was aber, wenn „Deep Throat“ ein Aufschneider, Psychopath oder gar ein professioneller Desinformant gewesen wäre, der die Reporter hätte in die Irre führen wollen? „Auch solche Leute gibt es reichlich“, weiß der frühere „Stern“-Profi und heutige Buchautor Michael Seufert aus seiner langjährigen Erfahrung.

2. Ausweispapiere checken

Der einfachste Weg, die Identität eines Informanten festzustellen, ist der Blick in den Personalausweis: Stimmen Foto, Alter und Adresse mit den Angaben der Person überein? Falls nicht: Wie lassen sich eventuelle Ungereimtheiten erklären? Wer mit lauteren Absichten handelt, wird sicherlich keine Einwände gegen diesen – ersten – kurzen „Sicherheitscheck“ haben. Auch der Hinweis, dass sich des Öfteren Menschen bei Redaktionen mit allerlei Behauptungen melden, die keineswegs immer stichhaltig sind, wird jeden seriösen Gesprächspartner von der Notwendigkeit einer solchen „vertrauensbildenden“ Maßnahme überzeugen. Eine Fotokopie oder ein Handyfoto vom Ausweisdokument kann sehr hilfreich sein, falls später doch einmal Zweifel an der Identität des Informanten oder dem Wahrheitsgehalt seiner Informationen aufkommen.

3. Internetprofile nutzen

In einem zweiten Schritt sollten die einschlägigen Personen-Suchmaschinen und Social-Media-Portale wie zum Beispiel Facebook, Xing, LinkedIn & Co genutzt werden, die nicht ohne Grund auch bei vielen Personalbüros beliebt sind. Doch Vorsicht: Oft sind Internetdaten zu einzelnen Personen veraltet oder beruhen auf fehlerhaften Angaben Dritter. Zudem ist die Verwechslungsgefahr enorm. Wer zum Beispiel seine eigenen Daten einmal in der Google-Bildersuche eingibt, wird selbst bei einem ungewöhnlichen Namen auf zahlreiche Porträtfotos stoßen, die keinen Bezug zur eigenen Person haben. Erst recht mit Vorsicht zu genießen sind die Ergebnisse sogenannter Gesichtserkennungs-Software wie „Find Face“. Denn auch wenn es für investigative Reporter verlockend klingen mag, die Spuren von bestimmten Personen mithilfe eines Algorithmus zur Erkennung von Gesichtszügen im Internet nachzuverfolgen, ist die Verwechslungsgefahr in den meisten Fällen viel zu hoch um den Aufwand einer hundertprozentigen Nachprüfung zu rechtfertigen.

4. Website-Historien rekonstruieren

Um herauszufinden, wer hinter der Rufnummer eines telefonischen Hinweisgebers steckt, nutzt man am besten die Rückwärtssuche der einschlägigen Telefonverzeichnisse im Internet oder gibt die Nummer (mit und ohne Leerzeichen sowie vollständig oder um eventuell enthaltene Durchwahlnummern verkürzt) in der Google-Suche ein. Bei Unternehmensmitarbeitern oder Geschäftsführern helfen Branchenverzeichnisse, Bewertungsportale und natürlich die zugehörige Firmenhomepage weiter. Auch Behörden und andere öffentliche Einrichtungen verfügen häufig über Websites, auf denen Kontaktdaten, Zuständigkeiten und gelegentlich auch Fotos von bestimmten Mitarbeitern verzeichnet sind, von denen sich ein Journalist wertvolle Informationen erhofft. Ältere Webseiten lassen sich in der „Way Back Machine“ der Archivsuchmaschine Archive.org rekonstruieren. In einer Sammlung von derzeit etwa 491 Millliarden (historischen) Websites aus aller Welt finden sich oft erstaunliche Informationen zu Personen, die bestimmte frühere Kontakte, Tätigkeiten oder Weltanschauungen lieber verbergen würden.

5. Persönliches Umfeld erkunden

Bestehen Zweifel an den Aussagen oder an der Identität eines Informanten, kann es notwendig sein, telefonisch oder persönlich im direkten Umfeld der Person Erkundigungen einzuziehen. Um dabei den Schutz eines (tatsächlich seriösen) Informanten zu wahren und die weiteren Recherchen nicht zu gefährden, sollte dies jedoch mit aller Vorsicht geschehen. Bei besonders gefährdeten Personen oder bei Recherchen zu Straftaten kann es erforderlich (und durchaus auch ethisch gerechtfertigt) sein, dabei in eine andere Rolle zu schlüpfen: Als „Arbeitskollege“, „entfernter Verwandter“ oder „Schulfreund“ und unter einem geeigneten Vorwand lässt sich oft leicht feststellen, ob ein Informant wirklich mit offenen Karten spielt.
Merke: Erst wenn alle Zweifel an der Integrität der Quelle ausgeräumt sind, lohnt es sich, mit ihr an einem Thema zu arbeiten.

6. Herkunft und Echtheit von Unterlagen klären

Mündliche Aussagen sind nur dann etwas wert, wenn sie sich auch belegen lassen. Das gilt erst recht für Hinweisgeber, die bei einer späteren Veröffentlichung anonym bleiben wollen. Daher sollte stets geklärt werden, ob schriftliche Unterlagen zu dem jeweiligen Vorgang vorhanden sind. Auch hierbei gilt: Lässt sich die Herkunft solcher Dokumente zweifelsfrei nachvollziehen, ist für die Einschätzung ihrer Belastbarkeit bereits viel gewonnen. Trägt das Papier ein Signet, einen Briefkopf oder eine Unterschrift? Dann sollte im nächsten Schritt – idealerweise mit einem passenden Vergleichsdokument – geprüft werden, ob die Herkunftsquelle stimmig ist oder ob sich hier jemand einer nur scheinbar glaubwürdigen Referenz bedient.

7. Gutachter beauftragen

Um zweifelsfrei festzustellen, ob ein Dokument echt ist, kann es zudem notwendig werden, Sachverständige hinzuzuziehen. Dabei sollte die Auswahl eines Gutachters mit derselben Gründlichkeit erfolgen wie die übrigen Rechercheschritte. Michael Seufert stellen sich etwa „noch heute die Nackenhaare auf“, wenn er daran denkt, wie nachlässig seinerzeit die „Prüfung“ der gefälschten Hitler-Tagebücher erfolgte: „Der ausgewählte Gutachter, ein Amerikaner, konnte weder deutsch noch war er in der Lage, die altdeutsche Schriftweise zu lesen, in der die gefälschten Kladden abgefasst waren – eine Katastrophe!“ Liegen keine Originaldokumente vor, können starke Vergrößerungen von typografischen oder handschriftlichen Elementen einen Abgleich mit einem (echten) Vergleichsdokument erleichtern. Natürlich sollten auch Inhalt, Sprachfindung, Format und Beschaffenheit des Papiers zur Prüfung der Authentizität herangezogen werden.

8. Eidesstattliche Versicherungen einholen

Das wichtigste Grundrezept für investigativen Journalismus lautet: Je mehr Zeugen, desto besser. Oft kennt die Hauptquelle Personen, die ebenfalls sachdienliche Hinweise liefern können. Falls nicht, ergeben sich unter Umständen aus dem Zusammenhang weitere mögliche Ansprechpartner, die die Angaben der Hauptquelle bestätigen können. Es empfiehlt sich, mündliche Befragungen möglichst zu zweit durchzuführen und durch Mitschnitte zu dokumentieren. So können später Missverständnisse oder plötzlich auftretende „Erinnerungslücken“ eines Gesprächspartners vermieden werden. In den meisten Fällen empfiehlt es sich zudem, schriftliche eidesstattliche Versicherungen von allen Informanten einzuholen, aus denen der jeweilige Sachverhalt klar ersichtlich ist und durch Unterschrift des Zeugen bestätigt wird. Eine von den Gerichten akzeptierte Eidesformel lautet:

Hiermit erkläre ich (Name, Geburtsdatum, Anschrift) in Kenntnis der Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Versicherung und ggf. zur Vorlage bei Gericht Folgendes an Eides statt (Sachverhalt, Ort, Datum, Unterschrift)

Der Informant sollte in jedem Fall vorher darüber aufgeklärt werden, dass die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung strafbar ist und mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann. Das gilt allerdings nur dann, wenn die Erklärung jemals bei einer Behörde oder bei einem Gericht vorgelegt wird. Ohne den Zusatz „zur Vorlage bei Gericht“ ist eine eidesstattliche Erklärung wertlos.

9. Experten befragen

Auch wenn alle Fakten „wasserdicht“ zu sein scheinen, können oft nur Experten beurteilen, ob bestimmte Vorwürfe stichhaltig sind. Besonders bei Umwelt- oder Gesundheitsthemen ist eine wissenschaftliche Absicherung der Recherchen sinnvoll, häufig sogar unabdingbar. Doch selbst Wissenschaftler stehen manchmal vor einem Rätsel – etwa beim Thema EHEC (Enterohämorrhagische Escherichia coli), einem Bakterium, das im Jahr 2011 durch zahlreiche Erkrankungen und Todesfälle für Aufsehen sorgte. Bis heute ist die Ursache der EHEC-Epidemie nicht zweifelsfrei geklärt – der „Fall“ bleibt also auch weiterhin für investigative (Wissenschafts-)Journalisten interessant.

10. Gegenseite um Stellungnahme bitten

„In meiner Zeit beim ‚Stern‘ gab es einmal einen Informanten, der behauptete, dass im Waschmittel eines bekannten Herstellers hochgiftiges Dioxin verwendet würde“, erzählt Michael Seufert. „Sogar unabhängige Wissenschaftler hielten das für möglich. Erst eine Recherche bei dem Produzenten selbst brachte Klarheit, denn dieser konnte die Vorwürfe in allen Punkten nachvollziehbar entkräften.“ Dieser Fall steht für viele. Denn es ist nicht allein ein Gebot der Fairness, den oder die Betroffenen abschließend mit den erhobenen Vorwürfen zu konfrontieren – und seien sie noch so gründlich recherchiert: Nur wer auch alle Gegenargumente kennt und diese unvoreingenommen prüft, kann beurteilen, ob eine Veröffentlichung zu bestimmten Vorgängen berechtigt ist oder aber neue Fragen aufwirft. Michael Seufert: „Außerdem ist es bei einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung von Vorteil, die Gegenseite gehört zu haben. Denn sonst kann eine Umkehr der Beweislast drohen.“

Fazit

Die Welt ist bunt und vielfältig. Wirklich guter investigativer Journalismus sollte daher niemals versuchen, sie schwarz-weiß zu malen. Auch Jahrzehnte nach dem Fiasko mit den falschen „Hitler-Tagebüchern“ ist die Versuchung unter Journalisten jedoch noch immer groß, aus „erster Hand“ erhaltene Informationen zu verallgemeinern, zuzuspitzen und in Einzelkämpfer-Manier als „die“ Enthüllung zu präsentieren. Damit ist allerdings weder der Sache noch den Lesern gedient und erst recht nicht einem Whistleblower, der sich am Ende vielleicht als Fälscher entpuppt – oder aber durch die Weitergabe seines brisanten Wissens womöglich sein Leben riskiert.

Wie gefährlich ist die Weitergabe geheimer Informationen – und was können Journalisten tun, um ihre Informanten besser zu schützen? Diese Fragen stehen in Kürze im vierten und letzten Teil unserer Serie über „Investigative Recherchen“ im Fokus. In zwei ersten Beiträgen mit praxisnahen Aspekten des investigativen Journalismus beleuchtete der Autor Uwe Herzog bereits die „Suche nach der Wahrheit“ sowie „Auskunftsrechte für Journalisten„.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Uwe HerzogDer Autor Uwe Herzog ist Fachjournalist für Innovationen, Design und Lifestyle. Er war langjähriger Autor der ARD und Nachrichtenredakteur bei Privatsendern wie Radio ffn und Radio Victoria. Er berichtete u.a. über Risiken der Atomwirtschaft, die „Wehrsportgruppe Hoffmann“, den Bombenanschlag von Bologna, die „Colonia Dignidad“ und das Attentat auf Henriette Reker. Darüber hinaus ist der ehemalige Mitarbeiter von Günter Wallraff Koautor zweier investigativer Sachbücher über Innere Sicherheit. Herzog plädiert für einen verantwortlichen Umgang mit den Instrumenten des investigativen Journalismus.

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