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Onlinemagazin „Der Kontext“: Durchblick für den Leser

Interview mit Initiatorin Julia Köberlein

Sie ist der Wunsch vieler Mediennutzer im Zeitalter des schnellen digitalen Medienkonsums: eine verständliche Gesamtschau zu komplexen Themen. Das Onlineportal „Der Kontext“ aus München will genau das bieten. Die Gründer sind Bernhard Scholz (Inhalte), Erich Seifert (Technik) und Initiatorin und Creative Director Julia Köberlein. Mit ihr sprachen wir über das Konzept, die Zielgruppe und erste Themen des neuen Magazins.

Der Kontext, Gründerteam

Das Gründerteam von „Der Kontext“ (v. l. n. r.): Bernhard Scholz, Erich Seifert, Julia Köberlein

Julia Köberlein, das Google-Snippet  zu „Der Kontext“ lautet: „Das interaktive Hintergrundmagazin für aktuelles Zeitgeschehen. Eintauchen. Entdecken. Verstehen“. Was bietet Ihr genau?

Unser Anspruch ist, die aktuellen Big Topics, etwa den Syrienkrieg, dem User über eine Multiperspektive aufzuschlüsseln. Wirtschaft, Politik, Kultur, Geschichte und Gesellschaft – alle Aspekte zu einem Thema werden journalistisch aufbereitet und über eine virtuelle Themenkarte vernetzt, wo sie sich durchstöbern lassen.

Auf der ersten Ebene gibt es das Thema mit Basisinfos. Klickt man dort hinein, kommt die Ebene mit ersten Verästelungen auf Kernaspekte aus Politik, Wirtschaft und so weiter. Je tiefer man den Verästelungen folgt, desto detaillierter wird das Hintergrundwissen. Der Mehrwert soll sein, dass der Kontext-Leser bei den komplexen großen Themen wieder durchblickt. Vor allem, indem er versteht, wie die einzelnen Themenfelder zusammenhängen.

Der Kontext, Anwendungsbild Desktop

Beispiel für die Darstellung eines Themenaspekts bei „Der Kontext“.

Woher kam Dein Interesse, so ein Projekt zu starten?

Aus der eigenen Unzufriedenheit heraus. Ich fand, dass es unglaublich schwierig geworden ist, aktuelles Zeitgeschehen für sich einzusortieren. Obwohl ich zahlreiche Medien wie Magazine oder Webseiten konsumiere. Der Frage, wie man hier Abhilfe schaffen kann, habe ich dann meine Masterarbeit gewidmet.

Ein Paradebeispiel für einseitige Berichterstattung, das ich in der Masterarbeit aufgegriffen habe, war die Piraterie vor Somalia. Da drehte sich fast alles nur um die Piratenjagd auf hoher See. Die kulturellen und historischen Hintergründe zum Thema kamen viel zu kurz. Dabei kam dann die Idee auf, ein Hintergrundmagazin für aktuelle Themen zu machen.

Die Initialzündung, um es anzugehen, war dann 2013 die erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne des niederländischen Onlinemagazins „De Correspondent„, das ein ähnliches Konzept verfolgt.

Raus aus dem Nachrichtensturm, das große Ganze verstehen, das will sicher die Mehrheit der Mediennutzer. Aber nicht wenige haben sich schon ihre Kontext-Strukturen geschaffen; selbst maßgeschneidert über Blogrolls, Twitterlisten etc. Wer hat da noch Bedarf an einem Hintergrundmagazin wie „Der Kontext“?

Bei unserem allgemeinen Ansatz haben wir sicher mehrere Zielgruppen, die wir nach und nach entdecken müssen. Wer sich für unser Konzept interessiert, sind hauptsächlich junge Akademiker zwischen 18 und 35 Jahren. Das zeigten unsere Tests.

Als Erstes haben wir qualitative Interviews geführt; zunächst mit Bekannten, später mit wildfremden Leuten, um zu sehen, wer unsere Idee auf Anhieb versteht, ohne dass wir sie erklären müssen. Dann sind wir auf die Straße gegangen; haben dort erfragt, wer grundsätzlich Interesse hat – und in einer zweiten Aktion, wer den „Kontext“ kaufen würde. Das lief über gefakte Themen-Voucher zu jeweils 5 Euro.

Wir erlebten dabei auch Überraschendes. Bibliotheksbesucher mit Interesse für Politik, von denen wir dachten, sie seien eine sichere Bank für unser Projekt, haben praktisch null Interesse gezeigt.

Die jungen Akademiker sind genau jene, von denen man annimmt, sie kommen noch am besten mit der Nachrichtenflut zurecht und bauen sich souverän ihre Infonetzwerke auf. Wieso kommt gerade von dort Interesse?

Eine absolute Antwort kann ich da nicht geben. Unter anderem gibt es bei dieser Gruppe generell eine große Lust, „online herumstöbern“ – so zumindest unser Eindruck, den wir unter anderem beim Google Launch Pad bekamen, wo wir auch die Usability testeten.

Von vielen kam das Feedback, sie finden die Knotenpunkte in der Karte toll. Da könnten sie zielgenau auf den Pfad einsteigen, der sie an dem jeweiligen Thema am meisten interessiert. Andere meinten, es spart ihnen eine Menge Arbeit beim Zusammensuchen der Infos, wenn es um ein Thema geht, zu dem sie mehr erfahren möchten.

Vor Kurzem ist die Crowdfunding-Kampagne von „Der Kontext“ auf Startnext mit über 12.000 Euro erfolgreich zu Ende gegangen. Nach dem Anschub durch die Crowd: Wie soll die Folgefinanzierung laufen?

Erst mal wollen wir Jahresabos verkaufen: 60 Euro für Studenten, 80 Euro Normalpreis. Das wird aber nicht reichen.

Deshalb überlegen wir in alle Richtungen, wie eine Querfinanzierung aussehen könnte. Investoren wie Stiftungen wären denkbar oder auch ein „Business Angel“. Eine weitere Idee ist, unsere Programmierung als Whitelabel anzubieten. Dann könnten sich beispielsweise Unternehmen die Karte in Lizenz holen, um damit dann eigene Inhalte aufzubereiten.

Aber jetzt fokussieren wir uns darauf, die ersten Themen inhaltlich gut umzusetzen.

Wie sucht Ihr Themen aus und wann und mit welchem Thema geht Ihr jetzt online?

Beim Crowdfunding haben wir, wie üblich, auch Mitgliedschaften an unserem Projekt angeboten. Den Kontext-Mitgliedern schlagen wir vier bis fünf Themen vor; sie wählen dann eines aus, das wir beackern sollen. Unser Plan ist es, jeden Monat ein neues Themenfeld aufzulegen.

Gerade bereiten wir TTIP und Syrien vor. Mit einem von den beiden Themen werden wir dann im April starten; welches, entscheidet sich demnächst. Das genaue Datum steht noch nicht fest; wir feilen momentan an den letzten Herausforderungen bei der Technik.

Ultrakomplexe Zeitthemen wie den Syrienkrieg mit Inhalten aufzuschlüsseln, schafft sicher eine große Erwartungshaltung bei den Usern. Ist die Gefahr einer Enttäuschung gleich zu Beginn nicht groß?

Ich glaube, dass wir die Themen von Anfang an in einer ausreichenden Info-Dichte präsentieren können.

Die Knotenpunkte beispielsweise, über die sich die Nutzer, laut unseren Tests, am häufigsten durch ein Thema klicken, haben in der neuen Version, mit der wir jetzt starten, noch mal umfangreichere Infotexte bekommen. Zudem werden gleich zu Beginn einige Experteninterviews in der Themenkarte sein, die spannenden Content bieten.

Klar ist, dass bei so einem umfassenden Ansatz nicht alles sofort passen kann und wird. Da haben mich die Erfahrungen der letzten Jahre demütiger gemacht. Je nach Kritik, ob und wo inhaltlich zu dünn, werden wir das Konzept erweitern.

Interviews spielen also eine große Rolle bei Euch. Welche Textformen erwarten uns noch?

Interviews werden definitiv immer drin sein. Um Sachthemen überzeugend rüberzubringen, sind Gespräche mit Experten immer die erste Wahl. Wichtig ist uns dabei, dass jede Stimme auch eine Gegenstimme bekommt, um das Thema in der Balance zu halten.

Grundsätzlich gilt für uns, dass das Thema die Form vorgibt. Das können Videos sein, aber auch Reportagen oder Infografiken. Ein eher technisches, trockenes Thema wie TTIP muss sicher anders bespielt werden als der Syrienkrieg, wo es um menschliche Dramen geht.

Mit wem werdet Ihr in der Hauptsache konkurrieren?

Das sind vor allem die Anbieter von Themen-Dossiers, wie beispielsweise SPONs „Endlich verständlich“ und die Live-Dossiers von ZEIT Online.

Ich sehe hier vor allem zwei Stärken unsererseits: Wir bieten nicht nur einen linearen Zugang, beispielsweise über eine Timeline, sondern einen viel breiteren Überblick und damit individuell wählbare Einstiege für die User. Die Multiperspektive über unsere Ressorts Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft und Geschichte findet sich so kaum in bisherigen Themendossiers. Außerdem sind wir nicht nur auf unsere eigenen Inhalte beschränkt. Unsere Plattform soll auch externe Inhalte aufnehmen, die wir dann kuratieren.

Zum Schluss: Wie pflegt Ihr Eure einmal angelegten Themendossiers weiter?

Entweder einer von uns dreien aus dem Kernteam hat ein Thema im Blick, oder einer der sieben Redakteure, die den Kontext unterstützen. Aktualisierungen können wir für unsere User farblich abheben. Sehr große, drastische Änderungen würden eher zu einem neuen Themenkomplex führen. Das wäre beispielsweise, wenn die Schuldenkrise in Griechenland doch noch den Grexit herbeiführt.

Unsere Inhalte veralten ja nicht, sondern haben grundsätzliche Bedeutung, um ein Thema zu verstehen. Ein Beispiel dafür sind die historischen Hintergründe der Reparationsforderungen von griechischer Seite an Deutschland bei der Griechenlandkrise. Obwohl wir online sind, wollen wir auch zeitlos sein, wie eine gute Geo-Ausgabe, die man immer wieder gerne aufschlägt.

Julia Köberlein, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Koeberlein_JuliaJulia Köberlein, geboren 1981, studierte Kommunikationsdesign in Augsburg und Editorial-Design in Zürich. Sie ist Gründerin von „Der Kontext“ und verantwortet dort alle kreativen Prozesse, von Konzeption und Design bis zur Prozessgestaltung im interdisziplinären Team.

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