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Snapchat-Journalismus: Spielerei oder nützliches Storytelling-Tool?

Auf den Profilfotos in sozialen Netzwerken wimmelt es neuerdings von lauter gelben Geistern – das Logo von Snapchat. Sogar Parteien versuchen, über die App an die Wähler von Morgen heranzukommen. Auch für Journalisten und Medien könnte Snapchat den lange vermissten Zugang zur jungen Zielgruppe bieten. Dabei gibt es jedoch einiges zu beachten. Und: Lohnt sich der Aufwand am Ende?

Snapchat ist in Deutschland angekommen. Immer mehr Unternehmen und Medien interessieren sich für die App und versuchen herauszufinden, was vor allem die 14- bis 20-Jährigen daran fasziniert. Doch die wenigsten Erwachsenen scheinen Snapchat zu verstehen: Noch nicht einmal die Netzgemeinde, wie Sascha Lobo in seinem Vortrag auf der diesjährigen re:publica in Berlin mit einem kleinen Augenzwinkern bemerkte. Wie sollen dann erst Journalisten mit diesem leider nicht sehr intuitiven Tool umgehen? Und ist die junge Zielgruppe überhaupt an journalistischen Inhalten auf Snapchat interessiert?

Kleine Snapchat-Historie

Als Snapchat 2011 gelauncht wurde, konnte man dort nur Fotos an andere Nutzer schicken. Allerdings mit der Besonderheit, dass die Bilder nach zehn Sekunden gelöscht wurden. Endlich konnten Jugendliche auch Fotos durch das Internet senden, die Eltern oder zukünftige Arbeitgeber besser nicht sehen sollten. Doch wie jede andere App entwickelte sich auch Snapchat über die Jahre weiter. Eine der größten Veränderungen war die Einführung sogenannter „Snapstories“ 2013. Prompt avancierte die App zum Storytelling-Medium, denn die hier hintereinander geposteten Bilder und Videos bleiben für 24 Stunden verfügbar. Richtig spannend wurde Snapchat für Medien, als im Januar 2015 das Feature „Discover“ vorgestellt wurde.

Discover-Bereich: Spezielle Features für ausgewählte Medien

Hier verbreiten von Snapchat ausgewählte Medien professionell aufbereitete Snapstories. Allerdings unterscheiden sich diese Geschichten massiv von den herkömmlichen Snapstories, denn hier werden ganze Artikel im Snapchat-Stil mit Videos, Grafiken, Musik und Sounds produziert.

In Deutschland kann man aktuell den Inhalten von 17 Medien, darunter Daily Mail, Buzzfeed, CNN oder MTV, im Discover-Bereich folgen. Deutsche Medienhäuser haben es bisher nicht in die Auswahl geschafft; die Auswahlkriterien gibt Snapchat zudem nicht bekannt. In Branchenkreisen heißt es, dass Snapchat rund ein Drittel der Gewinne, die Teilnehmer unter anderem durch Anzeigenverkäufe auf ihren Discover-Kanälen generieren, kassiert.

Ob sich Discover für Medien wirklich rentiert, wird sich noch zeigen. Einen Vorteil haben die speziellen Kanäle aber: Sie werden den Nutzern in der App ganz oben und mit Firmenlogo angezeigt – Inhalte können so direkt von den über 150 Millionen Nutzern, die täglich snapchatten, abgerufen werden. In Deutschland nutzen Hochrechnungen zufolge aktuell 3,25 Millionen Menschen Snapchat. Zum Vergleich: Facebook hat 28 Millionen, Instagram 9 Millionen Nutzer.

Medien, die mit dem herkömmlichen Snapstory-Feature Inhalte publizieren, müssen von den Nutzern erst gefunden werden. Das ist gar nicht so einfach, denn nur, wenn man den exakten Nutzernamen eines Mediums oder einer Person kennt, kann man diese auch zu seinen Snapchat-Freunden hinzufügen und so deren Geschichten sehen. Aktuell versuchen die meisten Medien, über andere soziale Netzwerke auf ihren Snapchat-Account aufmerksam zu machen, indem sie dort ihren Nutzernamen oder ihr Snapchat-Profilbild posten.

Viel Arbeit für wenig Ertrag?

Aber lohnt sich der Aufwand? Im April dieses Jahres berichtete der Branchendienst Meedia über eine Studie, laut der Snapchat als Newslieferant in Deutschland unbedeutend ist. In diesem Ergebnis liegt jedoch ein Denkfehler. Snapchat ist nicht unbedingt für Nachrichteninhalte, wie wir sie zum Beispiel sonst aus dem Internet oder anderen Kanälen kennen, gedacht. Auch wenn die Vergänglichkeit der Snaps an die schnelllebigen Nachrichten von heute erinnert, Snapchat kann mehr – wenn man es richtig zu benutzen weiß und nicht versucht, alte journalistische Modelle auf die App zu übertragen.

Washington Post, Bild und ZDF – wie Medien Snapchat nutzen

Bei den Medien ohne Discover-Kanal sind die Snapstories der Washington Post beachtenswert. Die Zeitung snapt nicht täglich, sondern nur zu besonderen Anlässen oder Terminen. Im Mai nahm ein Reporter die Follower der Washington Post (washingtonpost) mit zu einer ersten Begehung des National Musem of African American History and Culture, das im Herbst dieses Jahres in Washington D.C. eröffnet wird. Der Zuschauer bekam so einen bisher Pressevertretern vorbehaltenen exklusiven Einblick in das Museum und dessen Aufbau. Alle ein bis zwei Wochen snapt die Zeitung außerdem die feste Rubrik „Nerd Chat“, in der zwei Redakteure sehr unterhaltsam zum Beispiel über Superhelden oder Fernsehserien sprechen. Die Snaps werden mit Text unterlegt oder es werden kleine Zeichnungen eingebaut – Features, die auch normale Nutzer einbauen können.

In Deutschland drängt sich aktuell die Bild-Zeitung unter „helloBILD“ in den Vordergrund. Deren fast tägliche Snapstories beinhalten sowohl „Snap News“ – Nachrichtenbilder mit der jeweiligen Schlagzeile, manchmal auch mit passenden Emoticons – als auch die Entstehung von Geschichten, die auf anderen Kanälen der Bild stattfinden. Immer wieder werden User außerdem zur Interaktion aufgefordert und sollen beispielsweise eigene Snaps zu einem Thema an Bild schicken. Philipp Steuer (philippsteuer), Experte für digitale Trends und unter anderem Autor des E-Books „Snap me if you can“, findet, dass helloBILD die richtige Mischung gefunden hat: „Sie haben verstanden, die News und Infos der Redaktionen entsprechend für die Plattform aufzubereiten. Neben aktuellen Nachrichten gibt es aber auch ein bisschen Unterhaltung für Zwischendurch, damit es nicht langweilig wird.“

Erwähnenswert ist auch das Snapchat-Experiment „Blickwechsel“ vom ZDF, in dem man jeden Tag eine andere Persönlichkeit durch deren Alltag begleiten konnte – vom Astronautenausbilder bis zur Dragqueen. Der Snapchat-Kanal ZDFlab bot so einen spannenden Einblick in andere Leben. Das Projekt ist 2015 im Zuge des Formatfestival-Finales des Medieninnovationszentrums Babelsberg von drei Redakteuren der Produktionsfirma AVE entwickelt worden und hat dort das Interesse des ZDFs geweckt. Die Zukunft des Formats ist noch ungewiss – aktuell wird es ausgewertet. Für tagesaktuelle Medien ist ein solches Konzept sicherlich zu aufwendig, da die Umsetzung mehrere Redakteure fordert. Es hat jedoch gezeigt, was mit der App alles möglich ist – und dass Geschichten vor allem dann interessant für Snapchat-Nutzer werden, wenn sie von einer Person oder aus deren Sicht erzählt werden.

Snapchat aus Expertensicht

Dieser Ansicht ist auch Richard Gutjahr (richardgutjahr). Fast täglich snapt der Journalist sehr unterhaltsam aus seinem Leben. Für ihn ist die Person hinter den Snaps am wichtigsten: „Das heißt nicht, dass Snaps nicht auch durch Situationen oder Landschaftsaufnahmen wirken können. Nur muss dadurch eben auch die Persönlichkeit des Machers zum Ausdruck kommen.“ Das heißt aber auch, dass Medien vor einer weiteren Herausforderung bei der Nutzung von Snapchat stehen, meint t3n.de-Redaktionsleiter Florian Blaschke (trotzdendorff): „Publisher müssen sich davon lösen, dass Inhalte durch eine Kontrollinstanz wie das klassische Lektorat gehen. Wer als Reporter von unterwegs snapt, nimmt ein Foto oder ein Video auf und veröffentlicht es. Das braucht Vertrauen, gerade in junge Kollegen, die vermutlich oft die ersten sein werden, die mit Snapchat experimentieren.“

Florian Blaschke hatte Anfang des Jahres einen der wenigen kritischen Artikel zum Umgang von Journalisten mit Snapchat auf seinem Blog trotzendorff.de veröffentlicht. Auf Nachfrage, ob er seine Meinung inzwischen geändert hat, verneint er – „zumindest nicht im Kern“. Bisher würde noch kein deutsches Medium Snapchat überzeugend nutzen. Journalisten sollten sich vor einer Snapstory die klassischen W-Fragen stellen: „Welche Kollegen sollen snapen, wie teilen sie sich auf – und was bietet sich überhaupt für Snapchat an? Morgens einfach nur die News der eigenen Seite in die Kamera zu sprechen, unterfordert Snapchat-User in meinen Augen eher. Diese App ist etwas für Reporter, die unterwegs sind.“

Wichtig ist außerdem, dass sich Journalisten nicht krampfhaft jünger machen als sie sind; Snapchat-Inhalte müssen zum restlichen Programm passen. Da Snapstories eine Live-Situation abbilden, sollte man davon ausgehen können, dass sie authentisch sind. Richard Gutjahr sieht darin noch einen weiteren Vorteil: „Snapchat ist point-and-shoot – einfach draufhalten und nicht lange nachdenken. Das schafft eine unglaubliche Spontanität und Nähe.“ Aber: Ein paar Gedanken darüber, was man snapt, sollten sich Medien trotzdem machen: „Wir alle kennen diese ,Und-dann‘-Aufsätze aus der Schule. Ich persönlich bevorzuge halbstrukturierte Snapstories. Also: Es gibt ein Thema, einen roten Faden, der sich durch den Tag zieht, der aber durch das Unerwartete, spontane Begegnungen oder Ereignisse aufgebrochen wird“, sagt Gutjahr.

Fazit

Ein dauerhaftes „Drauf-los-snapen“ ist schlicht langweilig. „Neue Konzepte“ heißt jedoch nicht, dass Redaktionen ihre bereits für andere soziale Medien erarbeiteten Ideen auf Snapchat übertragen sollten. Das wird aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen der verschiedenen Medien nicht funktionieren; so liegt ein Vorteil bei Snapchat in den alltagstauglicheren Videos im Hochformat, die mittels Textbausteinen auch ohne Ton verständlich sind.

Und es muss ein Umdenken stattfinden: Bisher haben Medienmacher ihren Erfolg im Internet vor allem an Followerzahlen und Gefällt-mir-Angaben gemessen, doch bei Snapchat heißt die Währung anders: „In Zeiten, in denen wir nur noch wie Zombies durch unsere Feeds und Timelines scrollen, ist Aufmerksamkeit das höchste Gut. Und genau die bekommt man auf Snapchat, dann die Geschichten müssen aktiv angeklickt werden. Das bewirkt einen viel aktiveren Konsum, der vor allem für Journalisten und Medienmenschen spannend ist“, wie Philipp Steuer passend zusammenfasst. Denn wir leben vom Interesse an unseren Inhalten. Wenn dieses am Ende gewonnen werden kann, lohnt sich Snapchat definitiv.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Katharina PenczDie Autorin Katharina Pencz ist Onlineredakteurin bei Radio Fritz vom rbb und freie Kulturjournalistin in Berlin. Für Funkhaus Europa und Radio Bremen  ist sie als Hörfunkautorin unterwegs und berichtet über Themen aus den Bereichen Gesellschaft, Kultur und Stadtgeschehen. Außerdem bespricht sie regelmäßig Kunstausstellungen in der Berliner Zeitung und engagiert sich als ehrenamtliche Redakteurin bei dem hyperlokalen Blog Neukoellner.net.

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