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Ungleiches Geschlechterverhältnis: Für und Wider einer Frauenquote in den Medien

Anfang 2016 wird die Frauenquote für Aufsichtsräte börsennotierter deutscher Unternehmen Pflicht. Politischer Handlungsbedarf besteht, da trotz steigender Qualifizierung von Frauen diese in Führungspositionen nach wie vor deutlich unterrepräsentiert sind und die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft nicht gefruchtet hat. Für große Medienkonzerne gibt es jedoch nur die politische Empfehlung eines Mindestanteils von 30 Prozent Frauen im Führungsbereich. Braucht die Medienwelt keine Frauenquote?

Zahlen zum Geschlechterverhältnis

Sechs große deutsche Verlagshäuser gaben 2010 und 2015 gegenüber „journalist.de“ Prozentzahlen zum Frauenanteil in ihren Führungsetagen an. Bei der ersten Befragung nannten der Zeit-Verlag und Condé Nast jeweils rund 50 Prozent, es folgten Gruner + Jahr mit 30 sowie Hubert Burda Media und der Spiegel-Verlag mit jeweils 23 Prozent, Schlusslicht war die Axel Springer AG mit 16 Prozent. Anfang 2015 war der Frauenanteil höher: Zeit-Verlag und Condé Nast führen weiterhin mit rund 50 Prozent, Hubert Burda Media und der Spiegel-Verlag steigerten sich auf 44 bzw. 32 Prozent. Gruner + Jahr kommt nach wie vor auf einen 30-Prozent-Anteil in Verlag und Redaktionen, während der Springer-Verlag nun 28 Prozent Frauen in der Spitze konstatiert.

Auch der Verein „Pro Quote“ beobachtet die deutsche Medienlandschaft in Hinblick auf das „Mann-Frau-Verhältnis“ in Führungspositionen. Der von vielen Medienschaffenden unterstützte Verein setzt sich für eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent im Journalismus und deren Umsetzung bis 2017 ein.

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Dorothea Heintze, Vorstandsmitglied von Pro Quote: „Bei den großen Medien ist es jetzt ein bisschen besser geworden.“

Während die Zahlen von „journalist.de“ auf den Angaben der Medienkonzerne beruhen, hat „ProQuote“ das Geschlechterverhältnis „von außen“ im Blick. Eine dynamische Grafik, das „Kamelrennen„, gibt einen Überblick über die Entwicklung des Frauenanteils in Führungspositionen bei Leitmedien. „Dazu wurden beginnend mit Februar 2012 die Impressen von acht überregional erscheinenden Leitmedien ausgezählt, berücksichtigt wurden Führungspositionen von der Chefredaktion bis zur Ressortleitung“, berichtet Dorothea Heintze, Vorstandsmitglied von Pro Quote.

Im Februar 2012 ergab sich folgendes Bild: Die „Zeit“ beschäftigte mit rund 22 Prozent die meisten Frauen in Führungspositionen, es folgten „Stern“ und „Focus“ mit rund 17 sowie „Bild“ mit 16 Prozent; im Mittelfeld lagen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und die „Welt“ mit rund 14 Prozent, „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ bildeten mit sechs und vier Prozent die Schlusslichter. Die letzte Auswertung im Februar 2015 zeigte tendenziell positive Entwicklungen: Spitzenreiter ist weiterhin „Die Zeit“ mit rund 38 Prozent weiblicher Führungskräfte, gefolgt von „Bild“ mit 30 und „Stern“ mit 26 Prozent. Deutlich aufgeholt auf 23 Prozent hat der „Spiegel“ (mittlerweile sind es sogar rund 29 Prozent), es folgen „Focus“ mit rund 20, „SZ“ und „FAZ“ (jeweils rund 17 Prozent) und die „Welt“ mit rund 12 Prozent. Bei sieben der beobachteten Leitmedien zeigen sich also Steigerungen, „Zeit“, „Bild“ und der „Spiegel“ haben sich dabei im Vergleich zu 2012 am meisten entwickelt, die „Welt“ verzeichnet einen leichten Rückschritt.

Höherer Frauenanteil bei Leitmedien, große Defizite in der Lokalpresse

Insgesamt also ein positives Bild? „Bei den großen Medien ist es jetzt ein bisschen besser geworden“, meint Heintze. „Es gibt aber Schwankungen.“ Auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei der Führungsanteil von Frauen nicht stabil. Hier hatten im März 2013 WDR, RBB und ZDF die 30-Prozent-Marke „geknackt“, aber: „Auch hier kommt es zu Rückschritten, zurzeit etwa durch den Wechsel des Intendanten beim WDR“, nennt Heintze ein Beispiel. Das Media-Monitoring 2009/10 des Journalistinnenbundes zeigt ergänzend, dass zur Einschätzung von komplexen Themen nur wenige Frauen vor die Kamera gebeten werden. Der Anteil von Kommentatorinnen liegt bei 12 Prozent.

Eine detaillierte Pro-Quote-Auswertung der Führungsstruktur bei 16 Redaktionen vom Februar 2013 zeigt darüber hinaus, dass die obersten Führungsebenen von großen Printmedien, also Chefredaktion und Herausgeberschaft, fast ausschließlich von Männern belegt sind: „Wenn man heute sagt, um die 90 Prozent aller deutschen Medien werden von Männern geleitet, ist das immer noch richtig“, fasst Heintze zusammen. Ganz eklatant sei das bei der Lokalpresse, wo weit über 90 Prozent der Chefredakteure männlich sind.

Eigeninitiative: Beispiel Axel Springer

Der Axel-Springer-Verlag hat sich eigene Ziele gesteckt. Unter dem Titel „Chancen:gleich!“ startete das Unternehmen 2010 ein Projekt mit dem Ziel, die Quote in fünf bis acht Jahren auf über 30 Prozent zu erhöhen. Matthias Brüggelmann, Leiter des Lenkungsausschusses des Projekts und stellvertretender Chefredakteur bei BILD, nennt als Ziele, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu optimieren, das Potenzial junger Frauen zu fördern und deren Weiterentwicklung in einer „attraktiven Unternehmenskultur, die weniger männerdominiert ist.“ Die Regelung, dass bei der Nachbesetzung von Führungspositionen immer auch eine weibliche Kandidatin nominiert werden muss, habe sich als „besonders sinnvoll“ erwiesen: „Eine Maßnahme, die alle daran erinnert, kompetente Frauen nicht zu übersehen, wenn es um Karriereförderung geht.“

Gemischte Teams statt Buddywirtschaft

Sabine Hockling

„Zeit“-Autorin Sabine Hockling: „Old-Boys-Networks“

Für Dorothea Heintze ist die Quote ein unerlässliches Instrument, um Geschlechterparität und damit Geschlechter-Diversity zu erreichen. Denn als einen Grund, warum sich Frauen in der Führungsspitze nicht etablieren, nennt sie die „Buddywirtschaft“: Männer würden sich wiederum Männer an die Spitze holen. Auch das „Lobe-Kartell“ greife bei der Besetzung von Führungspositionen: „Man lobt sich gegenseitig hoch. Das ist nicht männerspezifisch. Frauen würden das wahrscheinlich genauso machen.“

Auch für die Journalistin und Sachbuchautorin Sabine Hockling ist die gute Vernetzung der an der Spitze etablierten Männer nichts Neues: „Wir brauchen uns doch nur anzuschauen, wie viele Männer und wie viele Frauen an der Spitze von Medienunternehmen oder Zeitungen und Magazinen stehen. Das zeigt, dass die Leistung allein nicht entscheidend ist.“ Hockling, Autorin der Zeit-Serie „Chefsache„, spricht von den „Old-Boys-Networks“, in denen Rituale wie ein gemeinsames Feierabendbier oder eine Runde Golf über den Aufstieg entscheiden: „Wichtige Infos über neue Topjobs gibt es häufig nur in solchen Runden. Wer nicht Teil dieser Seilschaften ist, hat es schwer, aufzusteigen.“ Um hier auszugleichen, plädiert auch sie für eine Geschlechterparität per Quote. Sie nennt auch Vorteile, die Unternehmen von gemischten Teams haben: „Diverse Forschungen belegen, dass auch die Zusammensetzung von Teams entscheidend ist für Innovationen. Im Klartext: Unternehmen mit vielen Frauen in Top-Positionen erzielen bessere Ergebnisse als Unternehmen, die von männlichen Führungskräften dominiert werden.“

Qualifikation statt Quote

Neben Befürwortern hat die Quote aber auch Gegner in den journalistischen Reihen. So hatten alle sechs der zur hausinternen Quote befragten Medienkonzerne 2010 gegenüber journalist.de angegeben, eine Zwangs-Quotenregelung abzulehnen. Auch eine Meedia-Umfrage von 2011 zeigt eine generelle Ablehnung der Frauenquote.

European-Chefredakteur Alexander Görlach beschreibt die Forderungen nach einer Quote als veraltet. Frau zu sein sei längst kein Diskriminierungsgrund mehr. Was seiner Ansicht nach zählt, ist Qualifikation. Die Tatsache, dass „seit Jahren in den Journalistenschulen mehr junge Frauen in Ausbildung1 sind als Männer“, werde sich „in den kommenden Jahren auf die Führungsetagen durchschlagen“.

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Journalistin Daniela Möckel: „Werde ich genommen, weil ich gut und überzeugend bin, oder weil das Unternehmen die Quote erfüllen muss?“

Auch für Nachwuchsjournalistin Daniela Möckel scheint eine Quote nicht das geeignete Mittel zu sein, um eine berufliche Gleichstellung zu erreichen. Für sie stellen sich Fragen wie: „Werde ich genommen, weil ich gut und überzeugend bin, oder weil das Unternehmen die Quote erfüllen muss?“ Zählen nicht mehr „Können, Leistung und Neugier, sondern der Blick auf die Quote“, ergeben sich ihrer Ansicht nach Nachteile für die gesamte Branche – und auch die Stimmung leidet: „Weil immer Mitarbeiter ‚wegen der Quote‘ eingestellt werden, könnte ein Geschlechterkampf auf der Führungsebene entstehen.“

Unterstützt wird diese Meinung von Frauke Christiansen. Die Beraterin und Trainerin beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Fragen der Organisationsentwicklung und Führung: „Ich kenne keine Frau in einer Führungsposition, die sich nachsagen lassen möchte, dass sie den Job aufgrund ihres Geschlechts und nicht aufgrund ihrer Leistung erhalten hat“, so Christiansen. „Damit verwässert eine Quote die Leistung all der Frauen, die es ohne Quote geschafft haben und noch schaffen wollen.“

Themenrelevanz

In manchen Bereichen der Medienlandschaft sind Frauen besonders unterrepräsentiert: „Vor allem im Ressort Wirtschaft und insbesondere dort, wo es um ‚harte Themen‘ geht: innere Sicherheit, Geheimdienst“, berichtet Heintze. Zum einen stünden Frauen auch hier vor den verschlossenen Türen männlicher Netzwerke, zum anderen liege es an den Frauen selbst. „Viele Frauen trauen sich das nicht zu. Sie denken, das braucht eine gewisse Härte und sie seien für ‚weichere Themen‘ besser geeignet.“

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Beraterin Frauke Christiansen: „Eine Quote verwässert die Leistung all der Frauen, die es ohne Quote geschafft haben und noch schaffen wollen.“

Die Tendenz, dass Frauen vor gewissen Bereichen zurückschrecken, beobachtet Christiansen nicht nur in den Medien: „Es gibt sehr wenige Frauen in Führungspositionen, die in Vertrieb, Produktion oder Entwicklung arbeiten. Eher im Controlling, mehr noch in Stabs-/Admin-Bereichen wie Personal, Marketing oder Kommunikation – Bereiche ohne direkte Renditeverantwortung.“ Hier greifen in der Kultur verankerte Rollenmuster und Stereotype, wie Studien (etwa der DGFP) zeigen. Dazu gehört, dass Frauen sich tendenziell weniger zutrauen und daher im Gegensatz zu Männern nicht gerne Aufgaben übernehmen, wenn sie diese nicht vollständig beherrschen. Dies bestätigt Christiansen auch aus ihrer Praxiserfahrung.

Heintze meint, beim Zugang von Frauen zu männerdominierten Themen habe sich jedoch auch „generationsbedingt schon etwas geändert“. Jungjournalistin Möckel gibt dazu ein Fallbeispiel. Sie weiß, ihre Wunschressorts Politik „und allen voran Sport sind Männerdomänen“. Sie selbst hat jahrelang Fußball gespielt und Erfahrungen gemacht: „Als Frau beim Fußball wird man zunächst schief angeguckt. Aber dann wird festgestellt, dass man ja doch Ahnung hat.“ Ihrer Meinung nach kommt es auf Kompetenz an: „Ich will die Menschen überzeugen, weil ich kompetent und neugierig bin, nicht, weil ich eine Frau bin.“

Fazit: Mehr Transparenz, bessere Vereinbarkeit

Obwohl Medienkonzerne selbst Maßnahmen in die Wege leiten, um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, fehlt zum Teil die Transparenz, um diese auch von außen beurteilen zu können. Das Geschlechterverhältnis in den Führungsetagen reguliert sich jedenfalls durch selbstgesetzte Maßnahmen der Unternehmen nicht in ausreichendem Maße selbst, die Zahlen sprechen für eine Quote auch im Medienbereich.

Dabei ist die Anzahl der weiblichen Führungspersonen einerseits vom Ressort abhängig: Auch bei harten Themen greifen Männernetzwerke und Frauen schrecken vor gewissen Themen zurück. Die Tendenz geht dahin, mit Kompetenz auch in diesen Bereichen zu punkten. Hier ist eine „Generationsabhängigkeit“ zu beobachten, die auch auf der vermehrten Ausbildung von Journalistinnen beruht.

Bei der Befragung von Gegnern und Befürwortern einer Frauenquote stellte sich außerdem heraus, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf allen besonders wichtig erscheint, damit sich mehr Frauen in Führungspositionen etablieren können. Politik und Wirtschaft sind hier gefragt. Die Mehrheit der Deutschen scheint sich auf jeden Fall mehr Frauen in den Chefredaktionen zu wünschen: Bei einer aktuellen, von ProQuote initiierten, Emnid-Umfrage gaben 56 Prozent der Befragten an, dass sie eine 30-Prozent-Quote für Frauen in Führungspositionen der deutschen Medienhäuser für „wichtig“ bis „sehr wichtig“ erachten.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Friederike SchwabelDie Autorin Friederike Schwabel arbeitet als Fachjournalistin in Wien und Berlin. Sie promoviert zurzeit an der Universität Wien im Studienfach Vergleichende Literaturwissenschaft. Ihre Dissertation behandelt die Aufnahme zeitgenössischer Literatur in der deutschen und amerikanischen Presse.

 

 

  1. Einen hohen Frauenanteil in der journalistischen Ausbildung in Deutschland belegt eine Befragung von Journalistenschülern von 2013, die im Rahmen einer Diplomarbeit am Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund durchgeführt wurde. Von 259 Befragten in verschiedenen journalistischen Ausbildungswegen waren 67 Prozent Frauen, wie die Autorin berichtet.

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