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Wie viel Fachjournalismus ist im Lokalen möglich?

Lokaljournalisten sind meist Generalisten. Sie sind gewissermaßen Alles-Könner, zumindest aber Alles-Macher. Für die tiefere fachliche Durchdringung eines Themas fehlt es oft an Ressourcen.
Wie Fachjournalismus im Lokalen trotz dieser Hürden aussehen und ein Publikum finden kann, zeigt dieser Beitrag anhand einiger positiver Beispiele. Vor allem Lokalblogs übernehmen dabei eine Vorreiterrolle.

Mit Lokaljournalismus verbinden viele vor allem eines: das Hetzen von Termin zu Termin.
Jeder Lokalredakteur muss die Dorftour mindestens einmal gemacht haben: Jahreshauptversammlungen des oft erwähnten Kaninchenzüchtervereins, Stadtfeste, Schulprojekte und bestenfalls Kommunalpolitik.

Wie beispielsweise Franz Müntefering (SPD) auf dem Forum Lokaljournalismus 2014 in Bayreuth deutlich machte, ist es die Aufgabe von Journalisten, zu sammeln, zu ordnen und zu bewerten.
Der Lokaljournalismus ist davon selbstverständlich nicht ausgenommen. Das Sammeln, Einordnen und Bewerten gelingt aber nicht, wenn man immer nur mit ein paar schönen Fotos und Eindrücken der Karnevalssitzung in die Redaktion zurückkehrt, statt die geplante Renaturierung eines Grundstückes am Stadtrand zu analysieren und kritisch zu hinterfragen.

Bestehen Lokalzeitungen heute also nur noch aus Veranstaltungsberichten, dürftigen Pressemitteilungen und gegebenenfalls noch Agenturmeldungen? Bleibt eine fachliche Aufarbeitung von diskussionsbedürftigen Themen aus? Die Antwort lautet nein. Denn einige Lokalmedien beweisen beispielhaft, dass Gesundheit, Umwelt, Politik, Geschichte und andere selbst recherchierte Themengebiete tiefer durchdrungen werden und – sorgfältig bearbeitet – ihren Platz im Medium – online oder offline – finden können.

Die Bundestagswahl vor Ort

Eine Herausforderung für jede Redaktion sind Wahlen: ob kommunal, regional, landes- oder bundesweit oder gar auf europäischer Ebene, wie im Mai dieses Jahres. Auch die Bundestagswahl 2013 wurde von den Lokalredaktionen nicht ignoriert; schließlich kommen die Abgeordneten in Berlin aus Wahlkreisen, wo sie „vor Ort“ als Person und mit ihren Themen um Stimmen werben. Für Lokalredaktionen bedeutet die Wahlkampfphase einen enormen Mehraufwand, wenn sie quasi als Fachredaktion im Politik-Ressort über die reine Hofberichterstattung hinaus ausgewogen und investigativ darüber informieren möchten. Und das sollte ein festgestecktes Ziel eines jeden Chefredakteurs sein.

Der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“, Christian Lindner, hat diese Arbeit mit seinem Team auf sich genommen und mit der „Wahlzeit“ ein bemerkenswertes Format präsentiert. Absicht war es nicht nur, die Bundestagswahl lokal tiefgründig aufzubereiten, sondern dies für ein junges Publikum verständlich zu tun. Weil die Redakteure nicht nur für die Jugendlichen arbeiten wollten, sondern auch mit ihnen, spielte die Zielgruppe eine zentrale Rolle im „Wahlzeit“-Konzept. Sie stand im Mittelpunkt der Berichterstattung und gestaltete sie sogar aktiv mit. Zentrales Anliegen war die anschauliche und leicht verdauliche Vermittlung von Informationen. Das alles erforderte nicht bloß eine andere organisatorische Arbeitsweise der Redakteure, sondern auch eine ungewohnte inhaltliche Herangehensweise: Der direkte Draht zu den jungen Lesern und ihre aktive Teilhabe waren zentrale Elemente des Konzeptes. Es ging plötzlich nicht mehr um die reine Informationsvermittlung, sondern um eine leicht verständliche Aufbereitung. Aus den erfahrenen Redakteuren wurden plötzlich zusätzlich Lehrer, Vermittler und Demokratie-Botschafter.

Mehr als einen kurzen Kandidatencheck hatte auch der „Nordbayerische Kurier“ im Gepäck. Dieser stellte die Direktkandidaten in ganzseitigen Porträts vor und sprudelte dabei vor Kreativität: Zum Beispiel mussten die Kandidaten ihren Wahlkreis malen und ihre Wahlplakate wurden von Nachbarn bewertet. Einen hohen Aufwand betrieb der Kurier auch mit der Produktion von Videos über die Kandidaten, die auf “nordbayerischer-kurier.de“ zu sehen waren. Dabei begleitete die Regionalzeitung den Wahlkampf und die Wahlkämpfer stets kritisch – auch noch nach der Wahl, als es etwa um die Kosten für das Abhängen der Plakate ging.

Sowohl die „Rhein-Zeitung“ als auch der „Nordbayerische Kurier“ wurden für ihre gelungene, kreative Arbeit im Rahmen der Bundestagswahl nicht nur mit einer großen Aufmerksamkeit durch die Leser belohnt, sondern auch als zwei von vier Zeitungen mit dem „W(ahl)-Award“ der Bundeszentrale für politische Bildung ausgezeichnet.

Doch nicht nur Wahlen sind ein Thema, das im Lokalen fachjournalistisch aufbereitet werden kann. Auch andere Fachthemen können lokaljournalistisch eine Rolle spielen, wie folgende Angebote zeigen.

Special-Interest-Lokalblogs

Tatsächlich muss man sich fragen, ob eine doppelte Fokussierung sinnvoll ist, sprich: Erziele ich mit einer thematischen und geografischen Spezialisierung noch genügend Reichweite, damit sich der Aufwand lohnt? Schließlich muss das Thema nicht nur gefunden, recherchiert und aufbereitet werden – es muss auch für eine ausreichend große Anzahl von Personen mit hoher Online-Affinität in einem einigermaßen engen geografischen Umfeld interessant sein. Und ein Blog schreibt sich nicht von alleine und will gepflegt werden, sonst laufen die Nutzer davon – erfahrungsgemäß eine zeitaufwendige Sache und damit teuer.

Trendblogger Christian Simon hat sich diese Frage gestellt am Beispiel des lokalen Kulturblogs „Coucoumagazin“ in der schweizerischen Stadt Winterthur im Kanton Zürich. Er kommt zu dem plakativen Ergebnis: „Doppelt hält besser“. An Inhalten mangele es in der Stadt mit ihren Museen, Theatern, Ausstellungen und musikalischen Angeboten nicht, ebenso wenig an kulturinteressierten Lesern. Dieser und andere Blogs dieser Art scheinen genau das zu bestätigen: Für nahezu jedes Thema findet sich ein lokales Publikum, wenn es fachlich entsprechend gut aufbereitet ist, und den Lesern einen Mehrwert für das Leben vor Ort bietet. Ob dieses lokale Publikum groß genug ist, um den Zweck des Angebots zu erfüllen (etwa die Profilierung auf jenem Fachgebiet oder eine Monetarisierung des Produkts), das wird jeder Anbieter selbst beurteilen müssen.

Während Politik und Kultur in der Regel noch zu den Stammthemen lokaler oder regionaler Medienprodukte gehören, sieht es mit Themen wie Ernährung oder Umwelt schon anders aus. Der Lokalblog „Veganes Paderborn“ hat sich auf ersteres Thema gestürzt und sogar noch weiter ausdifferenziert. Wie der Name schon vermuten lässt, dreht sich dieses Online-Magazin um das vegane Leben in Paderborn: Einkaufstipps, ein Cityguide für Veganer, Informationen zum Tierschutz und eine Plattform zum Austausch (Community). „Nancy’s Kitchen“ in Bremen geht in eine ähnliche Richtung, ist bloß etwas persönlicher aufgezogen. Die Grundidee ist jedoch bei beiden gleich: Die Betreiberinnen haben eine Expertise im Bereich vegane Küche, die sie nun publizistisch mit Erfolg nutzen: „Veganes Paderborn“ etwa ist seit August 2013 online und hat die Besucherzahl im März 2014 verfünffacht – Tendenz weiter steigend. Diese Nischenprodukte haben eine Marktlücke für sich entdeckt und somit ihr Stammpublikum. Die beiden Vegan-Blogs arbeiten erfolgreich, weil es Menschen in ihrer Umgebung zu geben scheint, die sich ebenfalls vegan ernähren und deshalb Informationen hierzu suchen, die geografisch verortet sind. Dieses Bedürfnis ist ebenso auf andere Bereiche übertragbar.

In München existiert seit mehr als anderthalb Jahren ein Blog-Magazin, das sich ausschließlich auf Umwelt, Natur und Nachhaltigkeit in der bayerischen Landeshauptstadt fokussiert. „muenchen-querbeet.de“ thematisiert politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Debatten in seinen Fachgebieten, kündigt thematisch passende Veranstaltungen an oder berichtet über sie und fungiert als Ratgeber. Der Blog hat also die genannten Themen in München (und teilweise darüber hinaus) im Blick – mit Erfolg, wie die steigenden Zugriffszahlen bestätigen. Wem das Format bekannt ist, der wird sich vermutlich seltener über die Angebote traditioneller Medien informieren.

Ratgeber – das dpa-Ressort

Sucht man auf dem Online-Auftritt einer Tageszeitung nach Themen wie Gesundheit, Garten oder Haustiere, so landet man oft im Ressort „Ratgeber“. Schnell findet man Überschriften wie „5 Hausmittel, mit denen Sie Ihre Erkältung in den Griff bekommen“, „Diese Pflanzen lassen Ihren Garten blühen“ oder „So bereiten Sie Ihren Hund auf das Silvester-Feuerwerk vor“. Solche Titel, wie sie das amerikanische Online-Magazin Buzzfeed inflationär einsetzt, ziehen die Aufmerksamkeit der Leser an, erzeugen Klicks und damit Werbeumsatz. Namen eigener Redakteure wird man unter diesen Servicebeiträgen allerdings fast nie lesen können.

Das Ratgeber-Ressort ist bei tagesaktuellen Medien fest in den Händen der dpa und anderen Presseagenturen, wie man beispielsweise hier oder dort nachvollziehen kann. Solche Texte, die von verschiedenen tagesaktuellen Medien oft eins zu eins übernommen werden, sind ortsungebunden, oft Jahr für Jahr wiederverwendbar und für die Redaktion ohne großen Aufwand nutzbar. Dabei könnte man zumindest ab und zu auf diesen Einheitsbrei verzichten und diese Themen mit einem lokalen Bezug aufbereiten. Aber dafür bräuchte es Redakteure, die mit dem jeweiligen Thema vertraut sind und Zeit investieren, um beispielsweise einen Hausarzt im Ort, einen Gärtner in der lokalen Gärtnerei oder den Tierarzt nebenan zu interviewen. Hierfür wären durchaus freie Fachjournalisten prädestiniert, allein wird noch allzu häufig lieber auf freie Allrounder zurückgegriffen, die von der Karnevalssitzung über den Gerichtsprozess bis hin zur Kommunalpolitik alles irgendwie abdecken können. Eine Chance zur Profilierung bleibt damit oft vertan.

Wieviel Fachbezug ist im Lokalen möglich?

Auch für Lokal- und Regionalmedien kann es also sinnvoll sein, sich Fachthemen mit einem lokalen Bezug zu widmen. Doch für welches Nischenthema entscheidet man sich, wenn die zur Verfügung stehenden Ressourcen eben keine breite Abdeckung zulassen? Hier gilt es, die lokalen Gegebenheiten zu analysieren: Ist das sportliche Angebot besonders groß? Kristallisiert sich eine Technik-Szene heraus? Gibt es einen industriellen Schwerpunkt, der die Stadt prägt? Ist ein entsprechendes Themengebiet identifiziert, kann es empfehlenswert sein, dieses kontinuierlich zu bedienen, um hierüber an Profil zu gewinnen und neue Stammleser zu binden, freilich ohne dabei die breite lokale Themenabdeckung zu vernachlässigen.

Die in diesem Beitrag vorgestellten lokalen Blogs bedienen eine Nische. Allerdings muss bei aller Begeisterung für deren Mut und den betriebenen Aufwand betont werden, dass diese Arbeit vorwiegend ehrenamtlich neben dem Beruf geleistet wird. Die Seitenbetreiber nutzen ihre journalistischen Angebote vor allem auch als Spielwiese, auf der sie sich inhaltlich und handwerklich austoben können. Gleichfalls dienen die Angebote als Referenz für die eigene Fachkompetenz, was wiederum zu externen Aufträgen führt. Triebfeder für das Engagement bei der Betreibung der Blogs ist aber vor allem die eigene Überzeugung und die Leidenschaft für das jeweilige Thema. Dass die monetären Erfolge meist überschaubar sind, liegt nach Angaben der Betreiber nicht zwingend an einer zu geringen Reichweite der Angebote, vielmehr sind es fehlende zeitliche Ressourcen oder auch die fehlende Expertise, die für eine intensivere Vermarktung notwendig wären.

Es wird deutlich, dass das lokaljournalistische, von Terminen getriebene Alltagsgeschäft nur punktuell Ressourcen übrig lässt, um Fachthemen kontinuierlich auf ihre Relevanz im lokalen Kontext hin zu durchdringen, wie es einige Lokalblogs in ihrem Themengebiet tun. Aufwendig recherchierte Angebote zu Fachthemen sind daher in der Regel selten in diesen lokalen Medien zu finden. Klar ist aber auch, dass es hier unausgeschöpftes Potenzial gibt. Zumindest punktuell können sich auch lokale Medien mit ihrem eigenen Fokus solchen Fachthemen in stärkerem Maße widmen. Um dies kompetent leisten zu können, kann die Einbindung von Fachjournalisten sinnvoll sein. Der Leser wird es danken.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Julian HeckDer Autor Julian Heck ist Lokal- und Medienjournalist. Er schrieb für diverse Lokalzeitungen und betreibt eine hyperlokale Online-Zeitung. Außerdem hat der Journalist aus Südhessen bei diversen Auftraggebern in Online- und Offline-Publikationen veröffentlicht und ist bundesweit als Dozent tätig. Im Institut für Kommunikation in sozialen Medien (ikosom) beschäftigt er sich mit Journalismus und Crowdfunding. Seine Blogs: ausgeheckt, lokalblogger. Auch auf Twitter lässt er sich täglich aus.

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