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Gerade jetzt ist Wissenschaftsjournalismus unerlässlich

In Zeiten von Corona steigt die Nachfrage nach fundierter Berichterstattung. Doch dem Wissenschaftsjournalismus geht es leider schlecht. Eine Bilanz

Die Märkte für bezahlte journalistische Dienstleistungen schrumpfen. Das ist längst eine Binsenweisheit. Keine Journalistentagung, auf der angesichts sinkender Honorare und Gehälter nicht über neue Finanzquellen (z.B. Crowdfunding, Stiftungen) oder Bezahlmodelle (z.B. Micropayment für einzelne Artikel) diskutiert wird. Und natürlich hat die ›Krise‹ auch die Möglichkeiten für Wissenschaftsjournalisten, ihre Beiträge zu verkaufen, eingeschränkt. So bekam die deutsche Ausgabe des New Scientist kaum ein halbes Jahr Zeit sich auszuprobieren, da stellte die Spiegelgruppe das Magazin 2013 schon wieder ein. Gruner + Jahrs Sparkurs erfasste nicht nur Stern und Brigitte, auch in der Geo-Redaktion wurden viele Redakteurs- und Autorenstellen gestrichen. Von den Ende 2004 fast zeitgleich gestarteten Wissens-Magazinen Zeit Wissen und SZ Wissen wurde letzteres im Mai 2009 eingestellt. Im gleichen Jahr wurden die Wissenschaftsressorts der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau zusammengelegt, und seit 2014 hat die Berliner Zeitung kein eigenständiges Wissenschaftsressort mehr. Als die Online-Tageszeitung Netzeitung 2003 in Finanzierungsnöte kam, stellte sie zuallererst das Wissenschaftsressort ein, bevor es ein paar Jahre später komplett vom Markt verschwand. Im Jahr 2015 wurde die traditionsreiche Wissenschaftsberichterstattung der Stuttgarter Zeitung aus einem eigenen Ressort heraus eingestellt. Zum selben Zeitpunkt wollte der WDR im Bereich Wissenschaft sparen und unter anderem aus der 3sat-Sendung nano aussteigen.

Der fachliche Hintergrund entscheidet

Gespart werden muss allerorten, aber an Klein-Ressorts wie der Wissenschaft, selbst 2015 von manchen Intendanten noch als ›Nischen-Ressort‹ betrachtet, lässt sich womöglich mit weniger Widerstand kürzen als in den einflussreichen Politik- und besonders massenwirksamen Unterhaltungssparten. Keine rosigen Aussichten also. Einerseits. Andererseits spricht einiges dafür, dass es gerade in Zeiten wachsenden Konkurrenzdrucks nicht unbedingt von Nachteil ist, Wissenschaftsjournalist mit exklusiver Themenexpertise zu sein (und das nicht nur wegen des stetig wachsenden Ersatz-Arbeitsmarkts in der Wissenschafts-pr). Redaktionen, die mit weniger Redakteuren ihre Seiten oder Sendungen füllen müssen, weichen auf freie Autoren aus – und den Job bekommt häufig der, dessen fachlicher Hintergrund dem zu bearbeitenden Thema gerecht wird. Bei wissenschaftlichen Themen scheiden die besonders zahlreichen auf Politik, Wirtschaft oder Kultur spezialisierten Freien also meist aus. Oder andersherum: Nur wer nicht erst recherchieren muss, was doch gleich pcr, Crispr/Cas9 oder ipcc bedeutet, kann solche Themen schnell genug produzieren und trotz gesunkener Honorare überleben.

Außerdem blieb die Wissenschaftsberichterstattung, wenngleich ihr Volumen im Vergleich zu anderen Themenbereichen klein ist, zumindest in manchen Segmenten noch relativ lange recht stabil. So hat laut ivw-Zahlen zwar jedes einzelne der klassischen Wissenschaftsmagazine von Spektrum und bild der wissenschaft über Geo bis P.M. zwischen 2001 und 2018 für sich genommen an verkaufter jährlicher Auflage verloren. Doch im gleichen Zeitraum kamen neue Magazine mit Wissenschaftsschwerpunkt oder thematisch fokussierte Ableger als ›Line Extension‹ des Mutterblatts auf den Markt: Zeit Wissen, Hörzu-Wissen, Geo-Epoche, Geo-kompakt, Spiegel Geschichte, Spiegel Wissen. In der Summe ergab das für Wissenschaft im Special-Interest-Segment der Zeitschriften nach ivw-Zahlen sogar ein kleines Auflagenplus, zumindest im Zeitraum 2001 (1,75 Millionen verkaufte Exemplare) bis 2011 (1,82 Millionen).

Auch Magazine, die nicht auf wissenschaftliche Themen spezialisiert sind, wissen um das Leserinteresse an Wissenschaft. So hebt der Spiegel in schöner Regelmäßigkeit Forschungsthemen auf den Titel – denn wenn die Headline einen Leser interessiert, dann kauft er das Heft auch noch Tage nach Erscheinen, während das (oft tages-)aktuelle Politikthema schon am Ende des Erscheinungstages kalter Kaffee sein kann. Es gibt also zumindest für freie Wissenschaftsjournalisten gute Argumente, sich für ein Leben in der Nische einzurichten. So haben sich 2017 freie Wissenschaftsjournalisten als ›Riff-Reporter‹ in einer Genossenschaft zusammengeschlossen, in der die Autoren thematisch spezialisierte Beiträge in einer eigenen ›Koralle‹ als medialer Plattform gegen Bezahlung präsentieren – etwa zum Klimawandel, zur Raumfahrt oder zur Vogelkunde.

Dank dritter Programme gut aufgestellt

Auf den ersten Blick steht auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das immerhin einen gesetzlich vorgeschriebenen Bildungs- und Informationsauftrag hat, in Sachen Wissenschaftsberichterstattung im europaweiten Vergleich recht gut da, vor allem Dank seiner dritten Programme. Im ersten Programm der ARD wird das Themenfeld von manchen Programmmachern allerdings marginalisiert – sofern man sich nicht damit trösten mag, dass es Wissenschaftssendungen zumindest im Unterhaltungsbereich zwischen Hirschhausens Quiz des Menschen und Frag doch mal die Maus regelmäßig in die Primetime schaffen. Der Anteil von Wissenschaftsthemen in den großen Nachrichtensendungen wie Tagesthemen, heute-journal, Tagesschau und heute liegt dagegen nur bei etwa drei bis vier Prozent, inklusive Natur- und Umweltthemen. Damit ist das Feld abgeschlagen hinter Politik- (38 %), Gesellschafts- (9 %) und Wirtschaftsthemen (7 %). Sogar Naturkatastrophen und Unfälle finden mit 5 Prozent häufiger Platz – von Sport (10 %), Klatsch (8 %) und Kriminalität (4 %) ganz zu schweigen.

Bei den Wissenschaftsseiten der Zeitungen sieht es nicht viel besser aus. Während es in den 1990er-Jahren bis hinein in die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts noch einen Boom gab und Wissenschaft vielfach sogar tägliche Seiten und mehr Platz im Blatt als je zuvor bekam, folgten die Rückschläge: 2001 stellte die Berliner Zeitung die mittwochs erscheinende sechsseitige Wissenschaftsbeilage ein und hat mittlerweile nur noch an drei Tagen eine Wissenschaftsseite. Die Wissenschaftsseiten der Berliner Morgenpost und der Welt wurden bis zum Verkauf der Morgenpost von einer einzigen Redaktion bestückt. Und beim Berliner Tagesspiegel müssen sich Wissenschaft und Bildungspolitik auf einer einzigen, wenn auch täglichen Seite drängeln – wochentags. Die samstägliche »Wissenschaft am Wochenende« fiel einer hastigen Sparrunde des Holtzbrinck-Verlags im Herbst 2015 zum Opfer. Immerhin haben sich Wissenschaftsthemen bei überregionalen Zeitungen wie faz und sz sowie der Zeit inzwischen jenseits ihrer eigenen Seiten auch regelmäßig auf dem Titel und – anders als eben bei ARD und ZDF – im Nachrichtenteil fest etabliert. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Überregionalen frei vom Sparzwang wären. Beispielsweise hat auch das einst fast fünfseitige Wissenschaftsbuch der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Platz einbüßen müssen.

Anderswo sind tägliche Wissenschaftsseiten, die von einem autonomen Ressort bearbeitet werden, die Ausnahme in der deutschen Zeitungslandschaft. Selbst zu dieser Hochzeit leistete sich nur etwa ein Drittel der Zeitungsredaktionen demnach ein separates Ressort mit auf Wissenschaft spezialisierten Redakteuren. Oft sind sie anderen Ressorts wie der Kultur, der Service- oder Wochenendbeilage zugeteilt.

„Allround“-Redakteure als Ersatz

»Bei einem weiteren Drittel gibt es Redakteure, die Wissenschaft und Forschung neben anderen Themengebieten bearbeiten«, so Klaus Meier. Beim Rest erledigen »Allround«-Redakteure die Wissenschaftsthemen oder es werden die Wissenschaftsmeldungen der Nachrichtenagenturen ins Blatt gehoben. Eine Sonderrolle spielt noch die Medizin, für die mitunter eigene Gesundheitsseiten oder sogar eigene Redakteure reserviert sind – nicht nur bei Zeitungen, sondern beispielsweise auch bei Spiegel Online. Wie eine Redaktion mit Wissenschaftsredakteuren bestückt ist, wirkt sich auch auf die Auftragslage freier Wissenschaftsjournalisten aus. Und als solche sind die meisten der vielleicht 1.000 bis 3.000 hauptberuflichen Wissenschaftsjournalisten in Deutschland unterwegs.

Festangestellte Wissenschaftsredakteure pflegen ihre Kontakte zu freien Autoren mit Expertise in bestimmten Fachrichtungen, während Redakteure, die Wissenschaft nur unter ›ferner liefen‹ ins Blatt bringen, oft weder ein (nennenswertes) Budget haben noch die Zeit, externe Autoren zu beauftragen und zu redigieren. Außerdem dienen die »Ressorts als Wahrnehmungsstruktur«, so Klaus Meier. Die Organisation der Redaktion in Ressorts bestimmt, welche Themen überhaupt in den Medien stattfinden. Das sei »sinnvoll, weil dadurch gesellschaftlich relevante Bereiche kontinuierlich und verlässlich beobachtet werden«. Nachteilig sei es, dass dadurch Themen eben im negativen Sinne »gettoisiert« werden können: Wer sich für Wissenschaft nicht per se interessiert, überblättert den Text zu einem Forschungsthema auf einer Seite, weil Wissenschaft drübersteht, obwohl er den gleichen Text auf einer »Kultur«-Seite vielleicht gelesen hätte. Sobald Wissenschaft aber kein eigenes Ressort mehr hat, geht die Berichterstattung darüber erfahrungsgemäß zurück. Denn in einer klassischen Zeitungsredaktion gibt es kein »Dazwischen«, meint Meier. »Entweder ein Ereignis fällt in die Politik, die Wirtschaft, die Kultur, den Sport, die Wissenschaft – oder es fällt durchs Raster.«

Das bedeutet für den einzelnen Journalisten, dass der Wissenschaftsjournalismus-Markt allein limitiert ist. Laut einer Studie des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität München von 2008 arbeitet der durchschnittliche freie Fach- bzw. Wissenschaftsjournalist etwa 38 Stunden in der Woche, für fünf bis sechs verschiedene Medien und auch für Kunden aus der Öffentlichkeitsarbeit und PR. Das bringt im Jahresdurchschnitt 2.584 Euro Brutto pro Monat. Das klingt wenig motivierend, sich in den freien Wissenschaftsjournalismus aufzumachen. Aber jenseits der simplen Hoffnung, irgendwann zu den überdurchschnittlich verdienenden Wissenschaftsjournalisten zu gehören, scheint es eine vielversprechende Strategie zu geben, die Chancen zu verbessern: das (schon begrifflich fragwürdige) Getto regelmäßig zu verlassen, ohne allerdings die Pflege des eigenen Ressorts zu vernachlässigen.

Fachexpertise wichtiger denn je

Dieser Weg erschließt dem Wissenschaftsjournalismus schon jetzt neue Märkte. So liefert die Wissenschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung spätestens seit Ende der 1990er-Jahre regelmäßig Nachrichtenkästen für die Titelseite, Kommentare für die Meinungsseite, die Seite zwei (Thema des Tages) oder sogar Seite-3-Reportagen. Und wenn eine Berliner Biotech-Firma ein millionenschweres Kooperationsabkommen mit einer Pharmafirma landet, dann erklärt das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels, was dort überhaupt fabriziert wird. Solche Zusammenarbeit über die Ressortgrenzen hinweg lässt nicht nur das alte Image von Wissenschaftsjournalisten als die Exoten und Nerds in der Redaktion verblassen, sondern macht auch unentbehrlich, wenn die nächste Sparrunde droht. Denn wer mag schon angesichts von wochen- und monatelangen Ebola- oder Mers-Epidemien diejenigen hinauswerfen, die womöglich als einzige das Fachkauderwelsch von WHO und RKI (Robert Koch-Institut) verstehen und in der Alltagshektik schnell übersetzen und einordnen können?

Damit der Auszug aus dem Getto aber langfristig gelingt, müssen sich zwei Kulturen einander annähern: der naturwissenschaftlich geprägte Berichterstattungsstil des Wissenschaftsressorts und der traditionelle, eher geisteswissenschaftlich oder ›literarisch‹ geprägte Journalismustypus der übrigen Ressorts. Die Chancen, die in einer gegenseitigen Annäherung und Durchdringung liegen, aber auch ihre Probleme, hat der Physiker und Romancier Charles Percy Snow schon 1959 in seinem Buch The Two Cultures beschrieben – wenngleich damals natürlich zunächst mehr mit Blick auf die akademische als auf die Medien-Welt: »The clashing point of two subjects, two disciplines, two cultures – of two galaxies, so far as that goes – ought to produce creative chances. In the history of mental activity that has been where some of the breakthroughs came. The chances are there now. But they are there, as it were, in a vacuum, because those in the two cultures can’t talk to each other« (C. P. Snow: The Two Cultures. Cambridge 1998. S. 16).

Seitdem ist viel Zeit vergangen und Snow ist mehr als einmal für seine (übrigens offenbar auch vom Alltagsklatsch seiner Universität selbst geprägten) Ideen kritisiert worden. Ganz überwunden scheint die Kluft des gegenseitigen Nichtverstehens zwischen »literarisch Gebildeten« und »naturwissenschaftlich Denkenden« indes noch lange nicht.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Wissen. Basiswissen für die Medienpraxis“ von Holger Wormer und Sascha Karberg, erschienen im Herbert von Halem Verlag, Köln 2019. 

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Holger Wormer, Jahrgang 1969, ist seit 2004 als Professor für Wissenschaftsjournalismus am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund in der Forschung, Lehre und Weiterbildung von Journalisten engagiert. Zuvor war er von 1996 an fast neun Jahre lang Wissenschafts- und Medizinredakteur der Süddeutschen Zeitung.

Sascha Karberg, Jahrgang 1969, ist Verantwortlicher Redakteur im Ressort Wissen & Forschen des Berliner Tagesspiegel. Zuvor arbeitete er viele Jahre als freier Wissenschaftsjournalist und schrieb über die Erforschung des Lebens und wie Bio- und Gentechnik unsere Gesellschaft verändern. Nach Biologie-Studium und Forschungstätigkeit in der Entwicklungsgenetik absolvierte er den Studiengang Wissenschaftsjournalismus der Freien Universität Berlin und gründete das Journalistenbüro „Schnittstelle“, ein Netzwerk freier Wissenschaftsjournalisten.

 

 

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