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Phrasen: Die Medien müssen präziser werden

Phrasen sind nichts anderes als nichtssagende Aussagen. Dass Politiker so gern in Phrasen sprechen, liegt auch an der Gesellschaft und an der Debattenkultur, die immer mehr zur Skandalisierung neigt. Den Medien kommt bei der Bekämpfung von Phrasen eine Schlüsselrolle zu.

Journalisten kritisieren Politiker mit Vorliebe für ihre hohlen Phrasen – dabei verbreiten sie sie beispielsweise in Interviews oft selbst gedankenlos weiter, ohne sie durch beharrliche Nachfragen oder eine angemessene, kritische Einordung zu relativieren. Sie lassen die Volksvertreter also mit Phrasen widerstandslos durchkommen – und verlieren damit eigentlich jedes Recht, sich über deren entleerte Sprache zu mokieren. Aber auch schon ohne ein Zutun von Politikern finden sich in vielen journalistischen Texten zahllose Phrasen, denn die Medien sind nun einmal eng mit dem Politikbetrieb verflochten und bedienen sich folglich eines gemeinsamen Wortschatzes, der oft ähnlich hermetisch ist wie der von Ärzten und Juristen. Wenn es zu Recht heißt, Politikerinnen und Politiker hätten mit ihren Phrasen mit dazu beigetragen, dass die Kluft zwischen der Politik und dem Volk immer größer wird, und jetzt müssten sie sich der Bedeutung ihrer Sprache dringend wieder bewusster werden, dann gilt das ohne Einschränkung auch für die Medien. Wenn sie mehr als bislang darauf achten würden, hohlen Phrasen so lange mit kritischen Nachfragen zu begegnen, bis sie gleichsam in sich zusammenfallen, wie es ausgerechnet Stefan Raab 2013 bei jenem Fernsehduell mit Peer Steinbrück vorgemacht hat, wäre das ein weiterer Schritt, Politiker zu einer offeneren Sprache zu „erziehen“.

Achtung bei Autorisierung

Dass es auch für Medien so schwierig ist, dem Phrasenkarussell zu entkommen – und Politiker ihre Floskeln oft so leicht an den Mann bringen können –, liegt indes auch an einer journalistischen Praxis, die es in vielen Ländern der Welt so gar nicht gibt: der Autorisierung von Interviews. Diese stillschweigende Übereinkunft, die im Pressekodex seit 2007 gar nicht mehr zwingend vorgeschrieben ist, besagt, dass Interviewpartnern das Interview vor Veröffentlichung noch einmal zur Freigabe vorgelegt wird. Das hat zur Folge, dass Antworten von Politikern, Künstlern oder Managern, die im mündlichen Gespräch mit dem Journalisten vielleicht noch offen und mutig formuliert waren, nachträglich oft entschärft werden, weil dem Politiker oder seinem Pressesprecher das Risiko zu groß erscheint, mit dieser Äußerung zu viel Ärger zu bekommen. Ein Politiker, der eigentlich gesagt hat, es stehe „verheerend“ um die Partei, macht dann daraus in der Freigabe mit einiger Wahrscheinlichkeit die Formel „es gibt noch Gesprächsbedarf“. Eine nachträgliche Form der Zensur, sagen manche Journalisten. Auch führt die Autorisierungspraxis immer wieder zu absurden Szenen, weil Gesprächspartner sich im Nachhinein sogar von einem ganzen Interview distanzieren. Medien stehen dann vor der Wahl, es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen oder etwa eine leere Seite zu drucken.

Es wird sich wohl kaum etwas ändern

Aus gutem Grund gibt es diese Autorisierungspraxis im angloamerikanischen Raum nicht – dort gilt, wie in Deutschland nur bei Live-Interviews im Hörfunk oder Fernsehen: gesagt ist gesagt. Es wäre im Sinne einer authentischeren, präziseren politischen Sprache eigentlich unabdingbar, schriftliche Autorisierungen auch hierzulande ad acta zu legen. Das würde auch die Politiker dazu erziehen, sich vorher genau zu überlegen, was sie preisgeben wollen und was nicht. Und es würde die Unmittelbarkeit der politischen Sprache deutlich erhöhen, weil Journalisten bei Phrasen so lange nachbohren könnten, bis der Politiker rhetorisch Farbe bekannt hat. Es steht allerdings zu befürchten, dass sich an dieser Autorisierungspraxis auf lange Sicht nichts ändern wird.

Thema auch mal links liegen lassen

Also bleibt den Journalisten im Kampf gegen Phrasen vorerst nur, selbstkritischer auch mit der eigenen Rolle in der Empörungsdemokratie umzugehen und die häufig hysterische Berichterstattung über vermeintliche Skandaläußerungen von Politikerinnen und Politikern deutlich herunterzufahren. Das heißt: Wenn alles, sei es eine vermeintliche provakante Äußerung von Jens Spahn, ein überschaubarer Dissens in der Koalitionsregierung oder ein – letztlich wieder einmal weitgehend folgenloser – Streit zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister, gleich immer zur medialen Staatskrise hochgekocht wird, in der kein Superlativ und kein Untergangsszenario dramatisch genug sein kann, dann sind eben auch die Medien mit dafür verantwortlich, dass die Erregungsspirale sich immer schneller dreht und in ihrem Strudel eine sachliche politische Auseinandersetzung mit Themen kaum noch möglich ist. Man kann es vielen Politikern nicht verdenken, dass sie angesichts dieser Entwicklungen Phrasendrescher bleiben oder erst recht zu solchen werden, weil sie das Gefühl haben, schon ein klares Wort zu viel könnte sie in den Abgrund ziehen. Auch bei den Medien ist Differenzierung deshalb das Gebot der Stunde – und der Mut, ein Thema, das man für marginal hält und über das man nur berichten würde, weil alle anderen es tun, auch einfach mal links liegen zu lassen. Großes groß, Kleines klein – diese alte Regel aus dem Zeitungslayout gilt umso zwingender für die Berichterstattung, wenn wir alle das Gefühl für Relevanz nicht immer mehr verlieren wollen.

Vom richtigen Umgang mit Twitter

Und noch etwas ist unabdingbar: Kontextualisierung, wo es nur geht. Ein Beispiel dafür, warum das nicht nur im Kampf gegen Phrasen, sondern auch gegen die Verbreitung von Falschinformationen so wichtig ist, liefert der Umgang der amerikanischen Medien mit Donald Trump. Spätestens seit er zum Präsidenten gewählt worden ist, wird unter amerikanischen Journalisten kontrovers diskutiert, wie man mit Trump Tweets umzugehen habe, in denen er Politiker und Medien rüde beschimpft, offenkundige „Fake News“ verbreitet, ausländischen Staatschefs droht und seine eigene Großartigkeit preist. Sie sind sein Propagandainstrument Nummer eins. Für die Medien ist das ein Dilemma: Sie haben zu Recht das Gefühl, über Trumps teils ungeheuerlichen Äußerungen auf Twitter berichten zu müssen, weil dort ja faktisch Politik gemacht wird. Trotzdem bleibt bei vielen ein fader Beigeschmack: Gibt man Trump dadurch nicht erst die Bühne, die er für seine Propaganda braucht? Spielt man damit nicht erst sein Spiel mit?

Wichtiges von Marginalem trennen

Nach einer kurzen Phase der Selbstvergewisserung haben sich die großen amerikanischen Medien besonnen – und zeigen seither einen beispielhaften Umgang mit Trumps Verbalattacken. Sie berichten zwar fast über jeden seiner Tweets, aber sie ordnen sie stets ein, erklären warum sie skandalös sind und inwiefern Trump sich mit einem Satz wieder einmal selbst widerspricht. Damit leisten sie das, wofür Medien von jeher da waren: Sie trennen Wichtiges von Marginalem und entlarven Lügen, soweit das in diesen Zeiten noch geht. Auf Deutschland übertragen könnte das heißen: Wenn Jens Spahn in einem Interview differenziert über die schlechten Bedingungen in der Pflege spricht, dass ist es die Aufgabe der Medien, ihn wahrheitsgemäß zu zitieren, statt ein isoliertes Zitat aus dem Kontext zu reißen und damit einer Skandalisierung Vorschub zu leisten, die Politiker die Angst vor einer offenen Sprache lehrt. Gerade die Onlinemedien, aber auch die einzelnen Journalisten selbst, von denen viele die Meinungsmache in den sozialen Netzwerken längst als perfektes Mittel auch der Selbstvermarktung erkannt haben, stehen deshalb in der Pflicht, der Versuchung einer Skandalisierung durch die Veröffentlichung knackiger Politikerzitate zu widerstehen und Wahrhaftigkeit im Zweifel immer vor Empörung zu setzen.

Doch es gibt neben den Politikern und den Medien noch einen dritten Part im Pakt für eine bessere, nachhaltigere Kommunikation zwischen den Politikern und dem Volk – und seine Bedeutung kann gar nicht hoch geschätzt werden: den der Medienrezeption. Ohne eine umfassende Medienbildung schon in den Schulen, die Heranwachsende lehrt, politische Äußerungen, ihre Herkunft und ihre Motivation einzuordnen und zu hinterfragen, wird alles Bemühen um eine authentischere, differenzierteren und unaufgeregtere politische Kommunikation nicht viel nützen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos aus dem September 2018 glaubte nicht einmal jeder zweite Befragte, Falschinformationen als solche zu erkennen zu können.

Frühe Medienkompetenz von Vorteil

In den Daten werde „eine Resignation vor der Komplexität der Lebenswelten und dem Datenüberfluss in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft ersichtlich, in der es schwerfällt, sich in verschiedene Expertensysteme in Politik und Wirtschaft hineinzudenken“, zitiert der Branchendienst meedia.de den Ipsos-Direktor für Politik und Sozialforschung Robert Grimm. Grimms Aussage sollte uns alarmieren. Denn für Falschnachrichten gilt, gilt schließlich auch für die politische Sprache generell: Wer nicht die Motivation hinter einer Aussage hinterfragen kann, weil er weder mediale Genese kennt noch die Mechanismen, mit denen er sie auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen kann, der wird Fake News auch hohlen Phrasen weithin schutzlos ausgeliefert sein. Die Vermittlung von Medienkompetenz, um den zu begegnen, kann gar nicht früh – und intensiv – genug beginnen.

 

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Und täglich grüßt das Phrasenschwein. Warum Politiker keinen Klartext reden – und wieso das auch an uns liegt“ von Oliver Georgi, erschienen im Dudenverlag (2019).

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Der Autor Oliver Georgi, geboren 1977 in Hamburg, ist Journalist und arbeitet seit 2008 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, zunächst als Redakteur vom Dienst bei FAZ.NET, seit 2015 als politischer Redakteur bei der FAZ. Regelmäßig schreibt er dort die Sprachglosse „Fraktur“ in der Samstagsausgabe.

Kommentare
  1. Fiete sagt:

    Das exakte Gegenteil macht Sinn!
    Um den Mächtigen das Privileg des Authorisierungsvorbehalts zu entziehen, muß dasselbe für alle Menschen gelten, in dem Fall ausnahmsweise sogar per Gesetz!
    Es geht einfach nicht an, daß „Journalisten“ ( oder sonstige Schreiberlinge ) nachträglich komplette Inhalte bestenfalls zu hanebüchenem Unsinn, oder in das glatte Gegenteil der Originalaussage umstricken. Und das ist leider übliche Praxis!

    Sicher, eine der Folge wäre gewiss, daß kritische Menschen kaum noch interviewt werden würden. Das kann in dem Fall aber nur gut sein, da sich die manipulativen Meinungserfinder damit selbst entblößen und der effektive Schaden, den dieselben anrichten erheblich reduziert werden würde.

    Mittels Freibrief zur Fälschung ist das garantiert nicht zu erreichen.