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„Als Autojournalistin muss ich bereit sein, in neue Technologien einzusteigen“

Die SZ-Reporterin Christina Kunkel im Interview.

Der Bereich „Automobilindustrie & Mobilität“ ist im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung (SZ) angesiedelt. Im Interview mit dem Fachjournalist spricht die in diesem Feld tätige Reporterin, Christina Kunkel, über den Wandel in der Automobilbranche und damit im Autoressort, über Influencer-Marketing versus Fachjournalismus – und über Vorurteile gegenüber Frauen, die über die Autoindustrie schreiben.

Als Frau im Autojournalismus gehören Sie immer noch zu einer seltenen Spezies. Wie haben Sie sich in diesem männlich besetzten Ressort etabliert? Inwiefern spielt Ihr Geschlecht im Zusammenhang mit Ihrem Beruf eine Rolle?

Nur etwa zwei von 100 Leserbriefen kommen von Frauen. Sie stellen mir Fragen oder schildern eigene Erfahrungen. Bei Männern hingegen lösen Autos offensichtlich sehr große Emotionen aus – zumal, wenn eine Frau darüber schreibt. Diese Kombination verleitet Männer auch schon mal dazu, ihren Titel als Diplomingenieur oder Physiker heraushängen zu lassen, um ihre Fachkenntnis zu belegen. Bei einer Leser-Mail fing jeder Absatz mit „Sie als Frau …“ an.

Abgesehen davon, dass meine Fachkompetenz in Abrede gestellt wird: Ich bekomme ab und zu auch richtig schlimme, frauenfeindliche Leserbriefe – „so blond und doch so blöd“ ist da noch harmlos.

Hat Ihr Herz schon in Ihrer Kindheit für Autos geschlagen?

Ja. Ich habe mich schon immer für Autos interessiert, auch gerne Autorennen geschaut. Und wenn ein Wagen unsere Dorfstraße entlangfuhr, konnte ich schon als kleines Kind sagen, was für eine Marke das ist. Mein Vater hat im Autoteilehandel gearbeitet, mein Onkel in einer Autowerkstatt.

Meine Journalistenkarriere habe ich aber im Lokalen im Fußball begonnen. Denn ich habe schon als kleines Mädchen selbst gespielt. Wenn ich beruflich auf Sportplätzen unterwegs war und über Fußball geschrieben habe, waren die Vorurteile denen ähnlich, wie ich sie heute als Autojournalistin erlebe.

Und wie sind Sie dann im Autoressort gelandet?

Ins Autoressort bin ich eher zufällig hineingerutscht. Ich habe mich vor fünf Jahren einfach mal auf die Stelle in der Online-Redaktion „Auto“ der SZ – Print und Online waren damals noch getrennt – beworben. Mein Glück war, dass die SZ eben nicht den klassischen Autojournalisten mit Ingenieurstudium wollte, keinen, der wahnsinnig technikverliebt ist und jede Fahrwerksabstimmung bis ins Detail beschreibt. Sie wollten jemanden, der unverkrampfter an das Thema Mobilität herangeht.

Das habe ich damals bei den Produktthemen gemacht, als ich Autos getestet und Fahrberichte geschrieben habe. Und das versuche ich auch heute, auch wenn ich jetzt in der Wirtschaftsredaktion angesiedelt bin und viel Unternehmensberichterstattung mache.

Was heißt das? Wie würden Sie Ihren Ansatz beschreiben?

Ich schreibe nicht nur für Technik-Nerds, sondern bunter und alltagstauglicher. Im positiven Sinne niedrigschwelliger. Ich versuche, mehr Menschen in das Thema einzuschließen.

Begegnen Ihnen Ihre (vermutlich zumeist männlichen) Interviewpartner mit einer gewissen Skepsis?

So wie früher bei Autovorstellungen bin ich auch jetzt im Wirtschaftsjournalismus oft die einzige oder eine von wenigen Frauen in Gesprächsrunden. Und diese Geschlechterverteilung spiegelt sich auf Firmenseite wider: Zumindest in Deutschland gibt es keine Chefin bei einem Autohersteller. Aber das kann ja auch ein Vorteil sein: An mich erinnern sich die Gesprächspartner dann eher.

In der Regel – Ausnahmen bestätigen die Regel – werde ich als Frau nicht anders behandelt als ein Mann. Meine Interviewpartner sind ja Profis, die sich vorab darüber informieren, mit wem sie es zu tun haben. Und wenn sie meine Texte lesen, haben sie das Gefühl, dass da jemand kommt, der sich auskennt. Insofern sind das Gespräche auf Augenhöhe. Ansonsten hat das eher mit der Persönlichkeit zu tun, wie Menschen grundsätzlich Medien gegenüber eingestellt sind. Es gibt Manager, die offen sind; andere verhalten sich eher konfrontativ.

Allerdings würde ich schon sagen, dass ich als Frau manchmal anders beurteilt werde: Ich muss doppelt korrekt sein, jeder kleiner Fehler wird mir angekreidet. Stellen Sie sich mal vor, ich hätte einen Kratzer in einen Testwagen gefahren. Dann hätte es doch gleich geheißen: „Ja klar, ist halt eine Frau.“

Wie kommen Sie auf Ihre Themen?

Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Ich lese selbst sehr viel; das fängt an mit Artikeln von anderen Medien wie der Automobilwoche und Auto Motor und Sport. Zur E-Mobilität gibt es Online-Portale wie zum Beispiel Electrive. Auch t3n und Heise beschäftigen sich unter anderem mit Autothemen. Dann folge ich Social-Media-Accounts von Autojournalisten, aber auch von Menschen, die sich einfach für Autos interessieren und sich gut auskennen. Teilweise melden sich Leute bei uns mit Themen oder Fragen.

Weiter gibt es feste Termine wie die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in München, Bilanz- und Jahrespressekonferenzen. Wir machen aber nicht mehr die klassische Termin-Berichterstattung, beten nicht nur die nackten Geschäftszahlen herunter, sondern überlegen uns vorher einen Dreh, eine Geschichte drumherum. Bei uns geht es um Meinungen, Analysen, Produkttests, Preisthemen, Alltagsfragen à la „Wie funktioniert eigentlich ein E-Auto?“ oder „Worauf sollte ich beim Autokauf achten?“.

Ich generiere auch Geschichten aus Sachen, die ich selbst mit meinem E-Auto im Alltag erlebe. Oder komme in Gesprächen mit Freunden oder Menschen aus Unternehmen auf Ideen. Bei uns in der Redaktionskonferenz kann jeder Themen in die Runde werfen, die er spannend findet. Wenn diese aus dem Bereich Auto sind, setze ich das um.

An Themen herrscht kein Mangel: Es gibt immer viel, viel mehr Geschichten als Zeit, sie aufzuschreiben.

Was ist für eine Karriere im Autoressort wichtig?

Nichts anderes als in jedem anderen journalistischen Bereich auch: Es geht darum, sich für sein Thema zu begeistern. Man sollte wissen, wer sein Leserkreis ist; die Verbraucherperspektive im Blick haben. Und sich nicht nur auf Firmen-PR stützen, sondern mehrere Quellen zurate ziehen.

Was ist Best Practice in Ihrem Ressort?

Ich halte es für unerlässlich, das Produkt des Unternehmens, über das ich schreibe, aus eigener Erfahrung zu kennen, sprich: nicht nur Verbrenner, sondern auch E-Autos selbst gefahren zu sein und beurteilen zu können. Zu wissen, was einen BMW ausmacht, was einen Tesla ausmacht. Ich bin dafür, rauszugehen, Sachen auszuprobieren, Marken zu verstehen, mit Menschen aus den Unternehmen zu sprechen, Unternehmenskulturen zu erfahren, kurzum: Menschen und ihre Produkte kennenzulernen.

Mir war es zum Beispiel wichtig, im vergangenen Frühling auf der Automesse in China (der Auto Shanghai) gewesen zu sein, vor Ort zu sehen, mit welchem Selbstbewusstsein die Chinesen auftreten und wie gut ihre E-Autos mittlerweile sind.

Inwiefern spaltet der Wandel in der Automobilindustrie ältere und jüngere Generationen von Autojournalisten?

Vieles, was es heute auf dem Markt gibt, war vor fünf Jahren vielleicht nur eine Idee. Es ist nicht mehr zwingend so, dass die besten Autos aus Deutschland stammen – mit Tesla und den Chinesen gibt es neue Anbieter.

Jahrzehntelang ging es darum, wer noch größere Motoren, noch schnellere Autos baut. Das Auto war etwas sehr Analoges. Ich bin eingestiegen, zwischendurch an die Tanksäule gefahren und fertig. Ich musste mich nicht mit vielen Technikfeatures beschäftigen.

Mittlerweile ist ein Auto ein Computer, manche sagen: ein Smartphone auf Rädern. Und als Autojournalistin muss ich bereit sein, in neue Technologien einzusteigen, mich mit der Software auseinanderzusetzen, mit Batterietechnik, mit allem rund ums Laden: wie das Auto mit der Ladesäule kommuniziert, wie ich schnell oder langsam lade, dass ich über eine App das Ladeniveau verfolgen kann. Dann gibt es immer mehr Technik im Auto: Mein Handy verbindet sich mit dem Fahrzeug, das Auto parkt allein ein und aus und soll in Zukunft (teil)autonom fahren.

Inwiefern spiegelt sich dieser Wandel im journalistischen Angebot wider?

Es gibt viele junge Männer und auch Frauen, die – vor allem online – neue Magazine gegründet haben, die gezielt nur über E-Mobilität schreiben. Das war in den letzten Jahren ein sehr großer Markt, in dem man sich etablieren konnte, weil sich viele alteingesessene Autojournalisten noch nicht so gut ausgekannt haben.

Manch erfahrener Autojournalist ist auch eher Verbrennerfreund. Es gab E-Auto-Tests, bei denen man wirklich dachte, da will jemand E-Mobilität mit Absicht schlecht darstellen. Wo die nächste Säule ist, ob ihre Ladekarte da funktioniert, was das Laden da kostet – darüber haben sie sich nicht informiert. Aber genau wie ich beim Tanken mit Verbrennermotor die Spritpreise vergleiche, fahre ich auch nicht zur teuersten Ladesäule, um dann darüber zu lamentieren, wie teuer und unpraktisch ein E-Auto doch sei.

Hat sich durch die inhaltliche Entwicklung Ihres Ressorts weg von Verbrennungsmotoren hin zu E-Mobilität Ihre Zielgruppe verändert? Ist sie geschrumpft?

Da der Autobestand trotz Fahrrädern, E-Scootern, Carsharing und ÖPNV steigt, schrumpft die Zielgruppe grundsätzlich nicht. Viele unserer Leser sind Ü50, also über 50 Jahre alt, und nicht auf Anhieb begeistert von der neuen Technik. Aber das ist die Hauptaltersgruppe, die neue Autos kauft. Und es gibt immer noch mehr Menschen, die Verbrenner kaufen, als E-Auto-Käufer. Dennoch ist der Anteil an der Berichterstattung über Verbrenner bei uns inzwischen sogar kleiner als der über E-Autos.

Der Trend im Journalismus geht ja dahin, Klima als eine übergreifende Konstante für alle Ressorts anzusehen. Denken Sie Klimafragen im Automobilressort immer mit?

Ich schreibe zum Beispiel immer öfter Texte gemeinsam mit der für das Thema „Energie“ zuständigen Kollegin bei uns im Ressort. Ohne den Kampf gegen den Klimawandel wäre der Wandel hin zur E-Mobilität, zur Abkehr von den fossilen Brennstoffen und zum geplantem Verbrenner-Aus 2035 vermutlich nicht so schnell und so nachhaltig gewesen.

Manche Leser finden es aber schlimm, dass wir überhaupt noch Autotests machen, weil Autos für sie grundsätzlich etwa Schlechtes sind. Sie wollen, dass wir nur noch über Fahrräder oder die Bahn schreiben. Es gibt auch immer noch Leute, die glauben, E-Autos seien schlechter für die Umwelt als Verbrenner; es gibt immer noch unseriöse, veraltete Studien, die zitiert werden.

Insofern finde ich es wichtig, über diesen Markt, diese Technologie zu schreiben, den aktuellen Stand der Wissenschaft abzubilden.

Rund um das Thema „Auto“ gibt es in den sozialen Medien Influencer mit vielen Followern. Wie beurteilen Sie die Übergänge zwischen journalistischer Arbeit, Influencer-Dasein und Content-Creation? Ist das für Sie noch (Fach-)Journalismus? Wo ist die Grenze?

Die Influencer-Bubble ist für Unternehmen als Marketing-Kanal in den letzten Jahren wahnsinnig wichtig geworden. Bei Fahrvorstellungen gibt es schon seit Jahren Extra-Veranstaltungen nur für Influencer, die fachlich keine Ahnung haben, aber eben dafür bezahlt werden, Werbung zu machen.

Mit Journalismus hat das rein gar nichts zu tun und ich finde es wichtig, dass wir Journalisten uns davon abgrenzen. Ich bekomme kein Geld für einen möglichst freundlichen Artikel – meine Aufgabe ist, objektiv zu berichten.

Journalisten sollten in der Lage sein, das zu trennen und trotzdem kritisch zu berichten, selbst wenn sie vom Hersteller eingeladen wurden und das Auto auf einer tollen Strecke im Süden präsentiert bekommen haben. Das kann ein Influencer in dem Moment nicht – muss er aber auch gar nicht. Journalist und Influencer – das sind zwei komplett unterschiedliche Berufsbeschreibungen und Welten. Oder anders ausgedrückt: Journalisten und Influencer verhalten sich zueinander wie Redaktion und Anzeigenabteilung in einem Verlag.

Das Gespräch führte Ulrike Bremm.

Titelillustration: Esther Schaarhüls.

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Christina Kunkel, Foto: Niklas Keller / SZ

Foto: Niklas Keller / SZ

Christina Kunkel berichtet für die Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung (SZ) über Themen rund um Automobilindustrie und Mobilität. An der Hochschule Darmstadt, wo sie heute als Lehrbeauftragte tätig ist, studierte sie Online-Journalismus. Nach einem Volontariat war sie fast zehn Jahre lang Online-Redakteurin beim Main-Echo in ihrer Geburtsstadt Aschaffenburg und meist als Reporterin auf Regionalsportplätzen unterwegs. Seit 2018 ist sie bei der SZ – zunächst als Redakteurin Auto/Mobilität, dann als Wissensredakteurin, später als Wirtschaftskorrespondentin in Baden-Württemberg und heute als Reporterin Automobilindustrie & Mobilität. Twitter: @kunkeline

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