„Der Beruf des Journalisten hat an Glamour verloren“
Spiegel-Ressortleiterin (Job&Karriere/Start) Helene Endres über Karriere, Vereinbarkeit und Vielfalt in der journalistischen Arbeitswelt.
Warum Arbeit für sie ein großer Teil des Lebens ist, wieso sie während des Studiums nicht Stocherkahn gefahren ist, ob sie im Journalismus einen Fachkräftemangel beobachtet und weshalb sie eine große Verfechterin der Viertagewoche ist – darüber sprachen wir mit Helene Endres vom SPIEGEL, wo sie den Bereich „Job&Karriere/Start“ verantwortet.
Ihr Ressort Job&Karriere/Start gehört jetzt zum Ressort LEBEN – und Sie seit April 2024 als Stellvertreterin zur Ressortleitung des erweiterten Bereichs. „Können Sie Chef?“ lautete der Titel Ihres 2011 erschienenen Buchs. Können Sie Chefin?
Ich hoffe es – wobei ich das schon vier Jahre lang als Ressortleiterin Job&Karriere/Start bewiesen habe.
Neben der hohen Zufriedenheit der Mitarbeitenden gibt es auch Zahlen, an denen man sich zur Beantwortung dieser Frage orientieren kann: Wenn man sich die Conversions anguckt (die Wandlung von jemandem, der sich für eine Website interessiert, zu jemandem, der aktiv wird, Anm. d. Red.) waren wir – als Job&Karriere/Start noch separat gezählt wurde – das zweiterfolgreichste Ressort unseres Hauses, gemessen an Conversions pro Text. Und wir haben bei Metriken wie der Lesedauer ebenfalls sehr gute Werte.
Offensichtlich treffen Sie mit Ihren Geschichten das Gefühl der Leser:innen. Was fasziniert Sie selbst an Job&Karriere?
Arbeit ist identitätsstiftend. Wir verbringen so viel Zeit damit: Sie ist ein großer Teil unseres Lebens. „Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie will ich arbeiten? Wie definiere ich Erfolg? Was bedeutet mir Arbeit? Wie viel will/muss ich verdienen? Wie kann ich wirksam sein?“ – all das sind Fragen, die durch die Veränderungen in der Arbeitswelt diskutiert und neu definiert werden. Darin stecken viele Chancen, wie das Homeoffice, die Flexibilisierung von Arbeit, die Diskussion um die Viertagewoche. Man muss sich aber auch anschauen, wie hoch die Burn-out-Quote ist, wie viel Krankmachendes im Job steckt – und hinterfragen, wie das besser gehen kann.
Bei diesen Debatten als – wie es unser Chefredakteur so schön nennt – Gefährte unsere Leser:innen zu begleiten, finde ich wahnsinnig spannend. Unser Ressort ist so vielfältig!
Was braucht es, um als Journalist:in erfolgreich im Ressort Job&Karriere zu sein?
Man muss sich für das Thema Arbeit sowie die Grundlagen des Arbeitsrechts begeistern können, so, wie man im Wirtschaftsressort Bilanzen lesen können sollte. Wir beschäftigen uns auch damit, wie Unternehmen sich wandeln und wie sich Arbeitsorte verändern. Wir arbeiten viel mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis, mit Sachverständigen und Coaches zusammen und beantworten mit ihnen Fragen zu Trends in der Arbeitswelt.
Man sollte firm in klassischen journalistischen Tugenden sein, zum Beispiel seriöse von weniger seriösen Studien unterscheiden können. Nicht zuletzt braucht man Empathie, um sich in andere Berufe hineinversetzen und gut darüber berichten zu können.
Wann wussten Sie, dass Sie Journalistin werden wollen?
Schon immer. Ich habe bereits zu Schulzeiten im Lokalen geschrieben. Und ich wollte eine sehr gute Ausbildung haben und deshalb die Henri-Nannen-Schule absolvieren – wenn schon, denn schon! Ich habe auch mein Studium danach ausgerichtet und zügig durchgezogen – auch wenn es mir in Tübingen, wo ich studiert habe, bisweilen schwerfiel, im Sommer an der Uni zu hocken, anstatt Stocherkahn zu fahren. Da war ich sehr fokussiert.
Sie waren auch mal selbstständig, kennen also beides: das Arbeiten als freie und als festangestellte Journalistin. Warum haben Sie sich für die Festanstellung entschieden?
Als Festangestellte in einer Redaktion zu sitzen, war nicht krampfhaft mein Ziel. Ich war als Freie auch glücklich. Aber als man mir einen Job beim manager magazin anbot, konnte ich natürlich nicht ablehnen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Medienbranche?
Sagen wir mal so: Als Branche ging es uns definitiv schon mal besser. Wenn man sich vor Augen führt, wie das Haus Gruner + Jahr dastand, als ich noch dort und auf der Henri-Nannen-Schule war, welche Vielfalt an Magazinen wir hatten, wie unabhängig das Haus war, wie stolz – und was jetzt davon übrig ist … Diesen Niedergang zu sehen, das tut schon weh.
Mir und meinen Kolleg:innen beim SPIEGEL hingegen geht es immer noch sehr gut – und ich weiß das sehr zu schätzen. Wir haben extrem gute Arbeitsbedingungen, ein toll ausgestattetes Haus, eine grandiose Dokumentation, die alle unsere Texte auf Richtigkeit prüft und uns bei Recherchen hilft.
Es herrscht eine strikte Trennung von Redaktion und Verlag, das heißt: Es wird nicht gefragt, was ein Anzeigenkunde zu einem Text sagt. Die Unabhängigkeit des SPIEGEL ist ein großer Trumpf. Und dann noch die Kantine, die wirklich so lecker kocht und legendär ist wie ihr Ruf.
Viele, die ihren Job in Redaktionen verloren haben, drängen als freie Fachjournalist:innen auf den Markt. Aber wie sieht es mit Nachwuchskräften aus: Beobachten Sie im Journalismus einen Fachkräftemangel wie in anderen Branchen?
Bei SPIEGEL Start habe ich ja sehr viel mit jungen Kolleg:innen zu tun; wir stellen regelmäßig Leute ein, die am Beginn ihrer Berufslaufbahn stehen. Ich nehme keinen Fachkräftemangel wahr, wir haben tolle Mitarbeiter:innen gewinnen können.
Ich weiß allerdings auch, dass sich an den Journalistenschulen wesentlich weniger Menschen bewerben als noch vor 20 Jahren. Der Beruf des Journalisten hat an Glamour verloren, da brauchen wir uns nichts vorzumachen.
Was muss jemand haben, den Sie einstellen würden? Anders gefragt: Mit welchen Freien arbeiten Sie gerne zusammen?
Bei mir geht es ganz viel um Neugier: dass jemand etwas herausbekommen will und mit Offenheit auf seine Gesprächspartner:innen zugeht. Außerdem muss man eine gewisse Leistungsbereitschaft mitbringen, denn bei uns kann es auch schon mal stressig werden.
Wer sich beim SPIEGEL bewirbt, sollte journalistische Vorerfahrung haben, sollte schreiben können, gute Arbeitsproben mitbringen. Weniger wichtig ist es mir, dass jemand auf einer Journalistenschule war. Auch, wenn ich da viel gelernt habe, weiß ich: Man kann auf vielerlei Art und Weise unseren Beruf erlernen.
Welche Tipps haben Sie für Journalisten, vielleicht auch speziell für Journalistinnen? Was sind Dos und Don´ts?
Da würde ich nicht nach Geschlecht unterscheiden, das sollte keinen Unterschied machen. Ein ganz großes Don´t: Presserabatte annehmen, unsauber arbeiten, nebenbei Public Relations betreiben – man muss seine Unabhängigkeit bewahren. Dos sind absolute Faktentreue, Hartnäckigkeit, schnelles Denken, gern auch mal um die Ecke. Dann natürlich die klassischen Wolf-Schneider-Tugenden: klare Sprache, kurze Sätze und Deadlines einhalten.
Wichtig ist, rauszugehen und den Leuten zuzuhören, keine Thesen im Kopf zu haben. Natürlich beginnt man die Recherche mit einer Idee und man muss wissen, wenn man ein Thema pitcht, worüber man sprechen will. Aber dann hat man offen für das zu sein, was die Gesprächspartner:innen einem erzählen. Und wir sollten nicht von oben herab auf Themen und Menschen gucken, keinen Dünkel haben. Journalismus ist Handwerk.
Würden Sie jemanden bevorzugen, der eine geradlinige Karriere hatte?
Ich würde niemanden einstellen, der nicht nach links und rechts geguckt hat. Ich finde auch nicht, dass jede:r ein Hochschulstudium absolviert haben muss, um Journalist:in zu werden. Denn in unserer Branche arbeiten bereits zu viele Mittelschichts-Akademiker:innen, das spiegelt die Pluralität unserer Gesellschaft nicht wider.
Wir brauchen auch andere Blickwinkel. Ein gewisses Commitment für unseren Beruf halte ich für zentral. Daher würde ich niemanden einstellen, bei dem oder der ich den Eindruck habe, eigentlich wollte er oder sie nicht so richtig Journalist:in werden, aber alles andere hat nicht geklappt. Denn für unseren Job muss man schon brennen.
Apropos nach links und rechts gucken: Glauben Sie, dass ein Sabbatical der Karriere schadet?
Nein, überhaupt nicht! Je nachdem, wofür man es nutzt, bringt es einen sogar weiter. Ich war 2019 für drei Monate als Medienbotschafterin in Indien, als Stipendiatin der Bosch-Stiftung und der Universität Tübingen, und habe in der Zeit viel gelernt, was ich für mich und meine Arbeit nutzen konnte. Mein Hirn ist so durchlüftet worden!
Als Journalist:innen müssen wir uns und unseren Referenzrahmen ständig hinterfragen, denn wir laufen ansonsten Gefahr, in einer Blase zu hocken. Ein Sabbatical hilft, etwas anderes zu sehen und zu machen – und das geschieht nicht in der U1 zwischen Eppendorf und Messberg.
Wenn ein Kollege oder eine Kollegin mit der Ankündigung auf mich zukommt, dass er oder sie eine Auszeit nehmen möchte, schlucke ich natürlich im ersten Moment. Schließlich fehlt mir dann eine Kraft. Aber mir ist andererseits eben bewusst, dass man gerade in unserem Beruf manchmal raus muss. Was für eine Chance! Auch wer Eltern- oder Pflegezeit nimmt, bekommt einen anderen Blick aufs Leben.
Was sollten Verlage oder Redaktionen tun, um gute Kräfte zu halten?
Perspektiven bieten! Vieles geht bei Redakteur:innen über befristete Verträge, über Elternzeitvertretungen. Das wirkt nicht wertschätzend. Wertschätzung ist generell zentral – da sollte man nicht nur in unserer Branche nochmals ansetzen.
Es heißt ja, man kommt wegen des Jobs und geht wegen der Führungskraft. Regelmäßige Mitarbeitendengespräche sind zwar nicht verpflichtend und ich weiß, dass sie in einigen Medienhäusern nicht üblich sind – aber wenn man verhindern will, dass Leute kündigen, ist es wichtig zu wissen, was sie wollen. Wir haben alle stressige Jobs. Aber ich finde es wichtig, mir nicht nur für Mitarbeitendengespräche, sondern auch für Feedbackgespräche im Alltag Zeit zu nehmen. Insgesamt eine Kultur zu entwickeln, die erkennen lässt: Die Kolleg:innen sind keine Roboter, die Texte abliefern, sondern Menschen.
Natürlich ist ein ganz großes Thema für die Mitarbeitendenzufriedenheit auch die Flexibilisierung der Arbeit. Da haben viele Verlage schon wahnsinnige Fortschritte gemacht und ermöglichen Homeoffice & Co. So können viele Mitarbeitende Privat- und Berufsleben besser vereinbaren, sind räumlich unabhängiger – auch das hilft, Kräfte zu halten.
Wie beurteilen Sie die Einstellung der jüngeren Generationen zur Arbeit, den Wunsch nach einer Viertagewoche, nach Work-Life-Balance, nach Homeoffice bzw. nach Arbeiten aus dem Ausland?
Ich finde nicht, dass das etwas mit jung und alt zu tun hat. Vielleicht trauen sich Jüngere eher, das einzufordern, aber alle sollten so arbeiten können, wie es gerade in ihre Lebensphase passt. Generationendiskussionen enden in Klischees wie „die einen malochen, die anderen wollen nur Aperol trinken“. So erlebe ich das auch gar nicht.
Bei Start, dem U30-Angebot des SPIEGEL, habe ich so viel von den jüngeren Kolleg:innen gelernt! Sie haben oft eine offenere Wahrnehmung, eine größere Sensibilität gegenüber Themen und Sprache. Als Beispiele: die Selbstverständlichkeit, mit der gegendert wird, oder wie auf eine Diversität von Protagonist:innen geachtet wird.
Sie sind selbst in Teilzeit tätig?
Ja, ich arbeite vier Tage die Woche. Nach dem ersten Kind habe ich wieder Vollzeit gearbeitet, nach dem zweiten haben mein Mann und ich entschieden, uns das ein bisschen aufzuteilen, uns gegenseitig den Rücken freizuhalten. Inzwischen sind die Kinder so groß, dass sie nicht mehr aus der Kita abgeholt werden müssen – aber ich möchte meinen freien Mittwoch nicht missen.
Mein Job kann schon ganz schön anstrengend sein, aber ich weiß am Wochenanfang, ich habe Mittwoch eine Pause. Montags und dienstags kann ich Sachen anschieben, die am Mittwoch erledigt werden. So eine Auszeit hilft mir, über Sachen nachzudenken, etwas Kluges zu lesen, Sport zu machen, Zeit für die Familie zu haben. Dadurch bin ich ausgeglichener.
Ich weiß aber auch, dass meine Viertagewoche Luxus ist. Ich bin meinem Arbeitgeber und meinem Team sehr dankbar, dass sie das nicht nur akzeptieren, sondern auch mitdenken. Meine Leute entscheiden mittwochs Sachen selbst, wissen aber auch, sie können jederzeit anrufen. Und wenn es die Umstände erfordern, arbeite ich natürlich auch mittwochs.
Übrigens haben wir sehr viele Leute mit Teilzeit im Team. Wenn wir von Diversität und Pluralität von Meinungen sprechen, hilft es, wenn wir uns nicht an 40-Stunden-Wochen klammern. Mir sagte einmal eine Kollegin, sie fände es toll, dass eine Führungskraft wie ich Teilzeit arbeitet. Dass sie das anspornt, weil sie denkt: „Wenn es dir möglich ist, so viel zu erreichen in Teilzeit, dann kann ich das auch.“
Sie sind Mitgründerin von ProQuote Medien, waren von Februar 2012 bis Januar 2015 Vorständin. Ist die Geschlechtergerechtigkeit nach wie vor ein Herzensthema von Ihnen?
In gewisser Weise schon, aber auch generell Gerechtigkeit. Als wir ProQuote Medien gegründet haben, war natürlich unser Anliegen, mehr Frauen in Führungspositionen zu haben. Bei der Geschlechtergerechtigkeit sind wir ja inzwischen auf einem ganz guten Weg. Der Frauenmachtanteil in den Redaktionen der deutschen Leitmedien betrug 2012 gerade mal 13,7 Prozent, 2022 waren es schon 38,9 Prozent. Es geht also endlich aufwärts, Druck hilft!
Aber dabei darf man es nicht bewenden lassen: Unser Ziel sollte es auch sein, bei Besetzungen auf Herkunft zu achten, auf Alter, sexuelle Orientierung und auf Faktoren wie Stadt-Land oder Ost-West. Darüber hinaus brauchen wir eine Berichterstattung, welche die gesamte Gesellschaft abbildet – da haben wir als Branche schon noch ein Stückchen vor uns.
Sie wurden vom Branchenmagazin medium magazin ausgezeichnet; Kolleg:innen bezeichnen Sie als Ausnahmejournalistin. Was bedeutet es Ihnen, ein Role Model zu sein?
Ich würde nie von mir selbst behaupten, ein Role Model zu sein. Aber falls sich jemand von mir inspiriert fühlt, fühle ich mich geehrt.
Das Gespräch führte Ulrike Bremm.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Helene Endres studierte Germanistik, Amerikanistik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Tübingen und der Washington University in St. Louis, Missouri. Sie durchlief ein Management-Trainee-Programm bei der Walt Disney World Company in Orlando, Florida, und arbeitete als Unternehmensberaterin. Nach Abschluss der Henri-Nannen-Journalistenschule war Helene Endres zunächst als freie Mitarbeiterin für verschiedene Zeitungen und Magazine tätig. Von 2006 bis 2015 war sie Redakteurin beim manager magazin, von 2015 bis 2020 beim Harvard Business manager. Von 2020 bis 2024 war sie Ressortleiterin SPIEGEL Job&Karriere, entwickelte 2020 mit ihren Kolleg:innen SPIEGEL Start. Seit März 2024 leitet sie SPIEGEL Job&Karriere/Start und ist Stellvertretende Ressortleiterin LEBEN. 2010 erhielt sie den Deutschen Journalistenpreis, Kategorie „Bildung und Arbeit “.