Es bleibt alles anders! Krisenkommunikation in der schönen neuen Medienwelt
Neue Medien haben sich bei der Bewältigung schwieriger Situationen als Fluch und Segen erwiesen. Wer zu sehr nach der Pfeife der bisweilen recht asozialen Social Media tanzt, geht ein hohes Risiko ein. Krisenkommunikatoren tun gut daran, nicht alle Prinzipien, die sich in der Vergangenheit als richtig erwiesen haben, auf dem Altar des nicht mehr ganz so Neuen zu opfern. Sie erweisen damit nicht zuletzt den Journalisten einen wertvollen Dienst.
Social Media. Zwei Wörter, die so sehr für den Wandel von Kommunikation stehen wie zuvor bestenfalls die Buchstaben T und V. Krisen sind der Lackmustest solcher Veränderungen. Wenn Komplexität, Bedeutung und Risiko von Kommunikation am größten sind, zeigt sich, ob mit dem Wandel Schritt gehalten werden kann. Dass sich Krisenkommunikation an die Regeln der „schönen neuen Medienwelt“ anpassen muss, ist zum Memento der Kommunikationsberater geworden. Schneller, transparenter, dialogischer und authentischer lautet die Devise. Wie in Aldous Huxleys Zukunftsvorstellung einer neuen Weltordnung ist indes nicht alles Gold, was glänzt.
Megaphon der Moderne
Wie groß der Segen dialogischer Echtzeit-Kommunikationsformen sein kann, wurde einer ganzen Branche im Jahr 2010 bewusst. „Eyjafjallajökull“ trieb nicht nur den Aussprachespezialisten der Rundfunkhäuser den Schweiß auf die Stirn. Fast eine Woche lang legte eine bisweilen eher gefühlte denn gemessene Aschewolke den Flugverkehr in weiten Teilen Europas lahm. Zehntausenden Passagieren wurden ebenso viele Striche durch ihre Reisepläne gemacht. So vielfältig die Reisegründe waren, wissen wollten alle Gestrandeten nur eines: Wie geht es weiter? Nur wer für seine Passagiere erreichbar war, sie umfänglich und jederzeit auf dem neuesten Stand hielt, konnte auch weiterhin mit deren Verständnis für die höhere Gewalt rechnen.
In dieser Situation setzten einige Airlines gezielt auf Facebook und Twitter. Im Gegensatz zu den chronisch überlasteten Hotlines konnten so auf einen Schlag Tausende Menschen auf den neuesten Stand gebracht werden. Ein Megaphon der Moderne. Einmal gepostet, waren Fragen nach Umbuchbarkeit und Rückerstattungen beantwortet. Rückfragen wurden coram publico beantwortet und für alle geklärt, eine enorme „Kampfwertsteigerung“ klassischer Online-Kommunikation über herkömmliche Krisenseiten. Airlines wie KLM oder Lufthansa wurden als Avantgardisten bezeichnet und haben heute mehrere Millionen Facebook-Fans. Was damals ein neuer Ansatz war, ist mittlerweile Standard. Das macht die Auswirkungen von Pilotenstreiks für Reisende nicht weniger ärgerlich, aber planbarer.
Auch Journalisten haben Twitter & Co. schnell als Echtzeit-Kommunikationskanal und -Recherchequelle entdeckt. Das Bedürfnis nach schnelleren und kleinteiligeren Informationen hat sich seither immer weiter aufgeschaukelt. Instant-Kommunikation im wahrsten Sinn. Dem Leser wird suggeriert, dabei zu sein. Eine große Herausforderung für Unternehmen und Institutionen. Liefern sie Informationen nicht schnell und umfassend genug, wird nun auf sozialmediale „Augenzeugenberichte“ zurückgegriffen. Der Segen kann zum Fluch werden, wenn im Wettrennen um die erste Nachricht Social-Media-Beiträge als Primärquelle dienen. Die unvermeidlichen Live-Ticker zur Krise wollen schließlich ständig gefüttert werden.
„Liebe Presse: ich weiss doch auch nichts von dem Verrückten …“
Spätestens seit dem Amoklauf von Winnenden muss klar sein, dass solche Zugeständnisse an das voyeuristische Bedürfnis der Öffentlichkeit allzu oft mit Glaubwürdigkeit bezahlt werden. Noch während die Geschehnisse in dem württembergischen Städtchen im Gange waren, wurden Tweets einer vermeintlichen Augenzeugin von Onlineredaktionen zitiert und vereinzelt direkt retweetet. Irgendwann stellte sich heraus, dass diese eine geradezu fantastische Sehstärke haben musste. @tontaube setzte ihre Tweets aus einiger Distanz zum Tatort ab. Sie selbst fühlte sich genötigt, per Tweet darauf hinzuweisen, nichts aus erster Hand berichten zu können: „Liebe Presse: ich weiss doch auch nichts von dem Verrückten …“ Das war 2009. Seither hat das Problem nichts an Aktualität eingebüßt.
Ob Naturkatastrophe oder Terrorakt: Es gibt nichts, was nicht mit einem getwitterten Grundrauschen unterlegt würde. Trotz Winnenden werden solche „Augenzeugnisse“ in Ermangelung anderer Quellen gerne genutzt – versehen mit dem Hinweis, es handele sich um unbestätigte Informationen. Ein löchriges Deckmäntelchen. Am Beispiel des syrischen Bürgerkrieges lässt sich dies seit einiger Zeit besonders gut beobachten, wie das NDR-Magazin ZAPP schon 2012 berichtete. Ist ein Bild erst einmal in der Welt, wird es zur Realität. Nachrichtenformate verifizieren es allein durch die Ausstrahlung, Disclaimer hin oder her.
Behörden- und Unternehmenskommunikatoren müssen also schneller werden, wollen Sie nicht im vielstimmigen Gezwitscher untergehen. Die sozialen Kanäle müssen, zumindest in der Krise, rund um die Uhr beobachtet und betreut werden, mit eigenen Redakteuren. Wer der Gerüchteküche im Netz schnell den Strom abstellen will, muss sofort reagieren. Einige hatten daher bereits das Ende der abgestimmten One-Voice-Strategie postuliert: Der Druck aus der Social-Media-Gemeinde würde es unmöglich machen, auf eine für alle Beteiligten (Pressestelle, Marketing, Investor Relations etc.) entwickelte Stellungnahme zu warten. Unternehmen seien durch die Dialogpistole, die Ihnen auf die Brust gesetzt wird, gezwungen, spontaner und damit echter zu kommunizieren. Dass gerade in Krisenzeiten Spontaneität aber eben nicht synonym für Glaubwürdigkeit und Transparenz steht, ließ sich am Verschwinden von Flug MH370 der Malaysia Airlines beobachten. Offizielle überboten und widersprachen sich gegenseitig mit angeblichen Erfolgsmeldungen zur Suche nach Überresten der Boeing. Die Kakophonie der Verantwortlichen ist ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie wertvoll besonnene Kommunikation aus einem Guss nicht zuletzt für Betroffene ist. Wird One-Voice dem Bedürfnis nach sofortiger Information geopfert, zerstört dies das Vertrauen in die offizielle Kommunikation und damit in die Fähigkeiten der Krisenbewältigung, sobald die ersten Widersprüche auftauchen und Korrekturen nötig werden.
Glaubwürdigkeit ist wichtiger als Schnelligkeit
Überhaupt waren es oft Flugzeugunglücke, die das Dilemma aufzeigten, in dem die moderne Krisenkommunikation steckt, seit jedem Smartphone eine Produktionskapazität innewohnt, für die es weiland ein Kamerateam nebst Ü-Wagen gebraucht hätte.
Man erinnere sich an den im Hudson notgewasserten Airbus. Das ikonische Aufmacherfoto der meisten Zeitungen am folgenden Tag war ein Tweet, aufgenommen von einem tatsächlichen Augenzeugen, getwittert nur wenige Minuten nach dem unplanmäßigen Ende des Fluges. Für die erste Pressemitteilung brauchte US Airways keine 60 Minuten. Das war einmal eine hervorragende Leistung und „die goldene Stunde“ die ultimative Messlatte für effektive Krisenkommunikation. Nun waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere hundert Artikel von Online-Redaktionen auf der ganzen Welt auf Google zu finden.
Im Falle der vor einigen Monaten vor San Francisco verunfallten Maschine der koreanischen Asiana Airlines war es gar ein Passagier des Unglücksfliegers, der – kaum dass er diesem entronnen war – das erste Fotozeugnis des Geschehens in die Welt setzte.
Im Februar 2014 konnte schließlich die Entführung eines Flugzeugs der Ethiopian Airlines live im Netz verfolgt werden. Die Website Flightradar24 macht sich zu solchen Zwecken Transponderdaten zunutze. Die Mehrheit aller Verkehrsflugzeuge ist mit einem solchen Gerät ausgestattet und so kann deren Flugroute und Status von jedermann verfolgt werden. Über ihren Twitter-Account gerieren sich die Macher zunehmend als Nachrichtenagentur, sobald sich Unregelmäßigkeiten ergeben. Anders als bei etablierten Agenturen scheint man sich dort jedoch nicht mit Rückfragen beim betroffenen Unternehmen aufzuhalten. Geschwindigkeit schlägt Genauigkeit zehn zu eins. Nutzer von flightradar24 wie der Twitter-User @thatjohn machten sich im Fall des entführten Fluges schnell daran, ihre Interpretation der Daten weiterzugeben. Wie gefährlich das in solchen Situationen für Einsatzkräfte und Geißeln sein kann, zeigte sich erst kürzlich während des Terroranschlags in einem Café in Sydney.
War’s das?
Die Möglichkeiten digitaler Interaktion sind beinahe grenzenlos. Flugzeuge sind längst mit satellitengestütztem WLAN ausgestattet. In Kürze wird man wohl bei Popcorn im Wohnzimmersessel aus mehreren Live-Streams von Bord einer entführten Maschine wählen können. Aufgenommen werden sie ganz unbemerkt. Google arbeitet bereits an einer Kontaktlinsenversion von Google Glass. Augenzeugnisse im wahrsten Sinne. Das Stilmittel der verwackelten, versteckten Kamera zur Aufdeckung von Beratungsskandalen in der Apotheke nebenan hat dann ausgedient. Die Krise kann von jedem Konsumenten mit einem Blinzeln losgetreten werden, sobald das Serviceerlebnis nicht den Vorstellungen entspricht.
Fazit: Neues wagen und Bewährtes bewahren
Social Media bieten Kommunikatoren nie gekannte Möglichkeiten, im Krisenfall in Dialog zu treten und in Echtzeit Informationen weiterzugeben. Für Journalisten sind Sie neue Recherchequellen. Es wird jedoch zunehmend herausfordernder, die Flut an Rohdaten, die Twitter & Co. bei größeren Ereignissen stets entfesseln, einzuordnen oder zu widerlegen. Ironischerweise kann ausgerechnet das traditionelle Zusammenspiel zwischen Journalisten und Kommunikationsabteilungen helfen, diese neue Herausforderung zu bewältigen. One-Voice-Prinzip, ausschließlich verifizierte Informationen, keine Spekulationen und regelmäßige Kommunikation sind die klassischen Elemente guten Krisenmanagements. Social Media haben diese nicht relativiert, sondern noch wichtiger gemacht.
Wenn Unternehmen und Behörden der Versuchung widerstehen, lieber schnell als nachhaltig zu kommunizieren, etablieren sie sich als das, was das Gezwitscher im Social-Media-Wald allzu oft nicht ist: eine glaubwürdige Quelle. Natürlich müssen Journalisten Kommunikatoren auch weiterhin kritisch gegenüber stehen, doch sind sie nun wertvollere Quellen denn je. Wenn andererseits Medien bereit sind, ihren Gegenübern für eine gesicherte Information eine halbe Stunde mehr einzuräumen und nicht nur als Relaisstation von vermeintlichen Augenzeugen fungieren, bieten sie die so nötige professionelle Orientierung im Info-Nebel der neuen Medien. Kommunikatoren müssen dafür zunächst selbst dem Druck aus den Netzwerken standhalten. Wer die Twitter- oder Facebook-Gemeinde gleich zu Beginn der Krise für das Prinzip der schnellen aber nachhaltigen Kommunikation um Verständnis bittet, wird sich damit leichter tun. Ein wichtiger Punkt in jedem Krisenmanual.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Patrick Meschenmoser, Jahrgang 1974, ist Gründer von Mesh & Moser Communications und berät sowohl Unternehmen als auch Behörden in Sachen Krisenkommunikation, Issues Management und strategischer Kommunikation. Zuvor leitete er als Director Media Relations die Pressearbeit des Pharmakonzerns STADA und verantwortete bei der Deutschen Lufthansa unter anderem mehrere Jahre die weltweite Krisenkommunikation des Konzerns.
Kommentare
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Schön assoziierter und gekonnt auf den Punkt gebrachter Artikel.
Auch, dass die Verfassung schon 2 Monate zurückliegenden ist, nimmt ihm trotzdem nicht seine Aktualität.
Gruss Michael