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Filmkritik zu „A Private War“: Die letzte ihrer Art?

Das Drama „A Private War“ aus dem Jahr 2018 setzt der 2012 verstorbenen Kriegsberichterstatterin Marie Colvin ein verdientes, aber in vielerlei Hinsicht fragwürdiges Denkmal.

25 Jahre lang hat die amerikanische Journalistin Marie Colvin von den Konfliktherden dieser Welt für die britische Sunday Times berichtet, Interviews unter anderem mit dem Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat und dem libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi geführt und bewegende Artikel über das Leid der Zivilisten in umkämpften Gebieten geschrieben. Als sie am 22. Februar 2012 in der syrischen Stadt Homs ums Leben kam, war der Aufschrei in den englischsprachigen Medien groß. Nur wenige Stunden zuvor hatte sie den Sendern CNN, Channel 4 und BBC Interviews zur Lage im Baba Amr-Viertel gegeben und den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad des Massakers an Zivilisten bezichtigt.

Nach der ersten Trauerphase in einem für Auslandskorrespondenten insgesamt verheerenden Jahr wagte sich die Vanity Fair-Reporterin Marie Brenner, die schon die Vorlage für Clint Eastwoods Drama Der Fall Richard Jewell lieferte, an ein Porträt der verstorbenen Marie Colvin. Es trug den Titel „Marie Colvin’s Private War“ und beschäftigte sich eingehend mit der Journalistin, die in der Öffentlichkeit der Glanz eines eisernen und furchtlosen Idealismus umgab, deren Inneres aber schwere Traumata von den vielen Auslandseinsätzen davongetragen hatte. Von diesem Artikel ausgehend richtet das Drama A Private War von 2018 den Fokus zunächst auf die zunehmenden Kontraste in Marie Colvins privatem wie beruflichem Leben.

Zwischen Glamour und Granaten

Von den aus der Vogelperspektive gefilmten Ruinen der syrischen Stadt Homs geht es dabei zunächst elf Jahre zurück, ins Jahr 2001, und in eine europäische Großstadt, nach London: Marie (Rosamund Pike) führt hier ein wohlsituiertes Leben mit ihrem Partner David Irens (Greg Wise). Sie ist bei der Sunday Times angestellt, die von Chefredakteur Sean Ryan (Tom Hollander) geführt wird. Einen kurzen Streit mit Sean darüber, ob sie als Nächstes aus Palästina oder Sri Lanka berichten soll, gewinnt sie: Es geht nach Sri Lanka, zu einem Interview mit dem Führer der paramilitärischen Tamil Tigers. Eine schicksalhafte Entscheidung, so stellt es A Private War dar: Bei einem Granatenangriff durch die sri-lankische Armee erleidet sie schwere Verletzungen am linken Auge, das sie fortan mit einer Augenklappe bedeckt.

Mit der Darstellung dieser Verletzung, die Marie Colvin im Alter von 44 Jahren erlitt, steigt A Private War in eine Erzählung über das Chaos und die unvereinbaren Extreme ein, die in Maries Leben und Gedanken fortan überhandnehmen. Zurück in London begleiten sie konstant Bilder von Krieg, Zerstörung und jeder Menge Leichen, während sie sich auf Dinnerpartys betrinkt und Genesungswünsche von den Tamil Tigers und Popstar Sting eintrudeln. Bei den British Press Awards kürt man sie zur Auslandskorrespondentin des Jahres, was sie tapfer lächelnd im Blitzlichtgewitter über sich ergehen lässt, bevor sie abends allein vor dem Spiegel weint. Der Glamour in ihrem Leben wird nicht nur durchdrungen von Erinnerungen und Blessuren aus ihren Auslandseinsätzen, er wird zugleich auch bedingt durch den Beruf, dem sie sich verschrieben hat. Kriegsberichterstattung, so stellt es A Private War in wenigen prägnanten Szenen dar, wird in Maries Kreisen mit Mut, Furchtlosigkeit und einer attraktiven Verwegenheit assoziiert und nicht nur geachtet, sondern glorifiziert.

Marke, Mythos, Märtyrerin

Im weiteren Verlauf zeigt A Private War eindrucksvoll, wie sich diese beiden Ebenen in Maries Leben immer weiter überlagern; wie sie vom Irak über Afghanistan nach Libyen und schließlich Syrien hetzt und dass all das, was sie dort wahrnimmt – Massengräber, zerbombte Städte, Zeugenaussagen zu Morden und Vergewaltigungen –, sie zurück nach London verfolgt. Bemerkenswerte Szenenübergänge vermitteln, wie unmöglich es für Marie geworden ist, die Eindrücke aus den Krisengebieten von ihrem sicheren Leben in London abzugrenzen. So öffnet sich etwa in einer prägnanten Szene die Tür, die sie nach einem finalen Streit mit ihrem Partner David zugeschlagen hatte, plötzlich in ein zerstörtes Haus im Irak, aus dem sie 2003 berichtet. Hier lernt sie auch den freischaffenden Kriegsfotografen Paul Conroy (Jamie Dornan) kennen, der sie in den kommenden Jahren bei ihrer Berichterstattung begleitet. Im Film bleibt er selbst an Maries Seite, als diese sich zurück in London in einer Klinik wegen ihrer posttraumatischen Belastungsstörungen behandeln lässt.

Es ist ein sehr bewegtes Leben, das A Private War mithilfe des fein ausgewogenen Drehbuchs von Arash Amel und Rosamund Pikes intensiver, aber niemals ihre Figur überhöhender Darbietung auf fesselnde Weise schildert. Nichtsdestotrotz wirft der weitere Verlauf dieses Films, in dem aus dem Off häufig aus Colvins anklagenden Berichten über Kriege und ihre Folgen für Zivilisten zitiert wird, Fragen auf. Etwa, inwiefern er selbst zu einer schädlichen Mythologisierung von Marie Colvin beiträgt und den hohen Preis, den sie für ihren Idealismus zahlen musste, als gerechtfertigt darstellt.

A Private War ist diesbezüglich an entscheidenden Stellen recht uneindeutig, vor allem, wenn es um die Darstellung des Sunday Times-Chefredakteurs und seiner Verantwortung für Maries offenkundig zunehmende Gebrechlichkeit geht. Einerseits wird Marie in dieser Arbeitsbeziehung als treibende Kraft dargestellt, die sich Seans offiziellen Empfehlungen kürzerzutreten wiederholt widersetzt. Andererseits macht Sean keinen Hehl aus seinem Ziel, „der angesehenste und mit Preisen überhäufte Chefredakteur zu sein, den die Fleet Street je gesehen hat“. Ein Ziel, dem er mit zur Marke emporgehobenen Marie Colvin deutlich näher kommt. Und zum Ende hin, als Marie kurz davor ist, die Kriegsberichterstattung aufzugeben, erhebt er sich gar zum Fürsprecher einer imaginierten kollektiven Leserschaft, die auf Maries tollkühnen Idealismus angewiesen ist: „Niemand bei klarem Verstand würde tun, was du tust, Marie. Aber gibst du deine Überzeugungen auf, welche Hoffnung bleibt uns noch?“ A Private War problematisiert diese Worte nicht, sondern nimmt Maries damit implizierten Weg in die Märtyrerschaft dankbar in den Spannungsbogen des Films auf.

„Konflikten ein menschliches Gesicht geben“

Dies ist in mehrfacher Weise schwierig, aber angesichts des Schaffens von Regisseur Matthew Heinemann erwartbar. Heinemann ist vor allem für seine beiden kühnen Dokumentarfilme Cartel Land (2015) und City of Ghosts (2017) bekannt. In Ersterem filmte er aus gefährlicher Nähe sich formierende Bürgerwehren an der mexikanisch-amerikanischen Grenze und in vom gewaltsamen Treiben der Kartelle gezeichneten mexikanischen Orten. City of Ghosts porträtiert eingehend die exilierten Mitglieder der syrischen Aktivistengruppe „Raqqa is Being Slaughtered Silently“ (RBSS), die sich gegen die Ausbreitung der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in ihrer Heimatstadt zur Wehr setzten. Beides sind sehenswerte Dokumentarfilme, die aber im Hinblick auf Konfliktherde klar dafür plädieren, anstelle komplexer geopolitischer Geflechte lieber menschliche Schicksale zu fokussieren. Und ebendies führt Heinemann als Gemeinsamkeit mit Marie Colvin an, über die er seinen ersten Spielfilm drehte: „ihr Wunsch, Konflikten, die wirklich schwer zu verstehen sind, ein menschliches Gesicht zu geben.“

Dieser Ansatz für Kriegsberichterstattung wird von Marie in A Private War nicht nur als ein möglicher, sondern als einzig richtiger beschrieben. So rät sie im Irak einer jungen Kollegin, sich nicht in trockenen Details zu verlieren: „Es ist egal, welcher Typ Flugzeug Bomben über ein Dorf abwirft. Worauf es ankommt, sind die menschlichen Schicksale dahinter. Menschen interessieren sich für Menschen, also finde deren Geschichte, erzähl deren Geschichte und vergiss den ganzen anderen Quatsch.“

Die Hoffnung hinter solch einem Ansatz ist, eine große Betroffenheit in der Leserschaft und in der (westlichen) Öffentlichkeit auszulösen und damit militärische Interventionen aus humanitären Gründen zu erreichen. Ein Ansatz, den die amerikanische Journalismus-Professorin Lindsay Palmer in ihrem Buch „Becoming the Story. War Correspondents since 9/11“ (2018) als jahrzehntealtes „melodramatisches Narrativ“ bezeichnet, das komplexen geopolitischen Konflikten ein einfaches „Gut gegen Böse“-Schema aufzwinge und dementsprechend den heldenhaften und öffentlichkeitswirksamen Tod von Kriegsjournalisten billigend in Kauf nehme.

Die vermutlich letzte ihrer Art

So beeindruckend und mutig Marie Colvins journalistische Karriere in A Private War auch zu Recht und weitgehend faktenbasiert dargestellt wird: Heinemanns Film wirft doch weitere Fragen auf. Vor allem durch das, was er nicht verhandelt: die seit der Jahrtausendwende zunehmenden Veränderungen im Berufsfeld der Kriegsberichterstatter. Die Digitalisierung und zunehmende Kürzungen in den Nachrichtenetats für Auslandsberichterstattung sorgen dafür, dass immer mehr ungeschützte freischaffende Journalisten und einheimische Aktivisten aus Kriegsgebieten berichten und das Publikum mit unendlich vielen Informationen und Bildern versorgen. Dass sich in vielen Fällen die Authentizität dieser Informationen nicht mehr verifizieren lässt, war schon zu Colvins Lebzeiten ein Problem, bei dem auch der „menschelnde“ Ansatz in der Kriegsberichterstattung, wie ihn A Private War anpreist, nicht mehr greift.

So stellt Kai Hafez, Professor für internationale und vergleichende Kommunikation, in einem Gastbeitrag für Die ZEIT angesichts kaum nachweisbarer Bilderfälschungen fest: „Der Bürger wird zur Passivität, zum Konsumenten schwarzer Propaganda degradiert. Wie soll man Politiker zum Friedenshandeln auffordern, wenn die Faktengrundlage dafür fehlt?“ Die Antwort wird zunehmend in einem „konfliktsensiblen“ Journalismus gesucht, der stärker auf Hintergründe, geopolitische Kontexte und konstruktive Berichterstattung setzt. Dies entwertet keinesfalls die Errungenschaften von zweifelsohne mutigen und engagierten Kriegsberichterstattern wie Marie Colvin. Aber es lässt wünschen, dass Colvin, auch angesichts ihres in A Private War dargestellten bitteren Schicksals, die letzte ihrer Art war.

A Private War

USA 2018. 110 Min.
Regie: Matthew Heinemann. Drehbuch: Arash Amel
Kamera: Robert Richardson
Besetzung: Rosamund Pike, Jamie Dornan, Tom Hollander, Nikki Amuka-Bird, Faye Marsay, Greg Wise, Corey Johnson, Stanley Tucci
Trailer: https://vimeo.com/321261009

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de und arbeitet als freie Journalistin.

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